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ADB:Pellican, Konrad

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Artikel „Pellikan, Conrad“ von Bernhard Riggenbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 334–338, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pellican,_Konrad&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:00 Uhr UTC)
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Pellikan: Conrad P. (Kürsner), Hebraist und Mitarbeiter der Reformation, geb. zu Ruffach im Elsaß am 8. Januar 1478, † als Professor in Zürich den 6. April 1556. Dieser merkwürdige Mann hat für den Geschichtsforscher ein um so größeres Interesse, weil er eine Selbstbiographie hinterlassen hat von größter Bedeutung für die Kenntniß des Humanismus und der Reformation (das Chronikon des Pellikan, herausgegeben von dem Unterzeichneten 1877). Seine Jugendzeit verlebte P. in seiner kleinen Vaterstadt, von welcher er am Abend seines Lebens für die Kosmographie seines Freundes und Schülers Sebastian Münster eine anziehende historische und topographische Beschreibung bearbeitet hat. Seine Eltern waren so arm, daß sie ihm keines der in Ulm gedruckten Exemplare des Donat anschaffen konnten. Er mußte sich das berüchtigte Schulbuch mit vieler Mühe abschreiben. Sehr lebendig theilt P. die Erinnerungen seiner Kindheit mit: den Tod des größten Theils seiner Angehörigen bei drei Pestepidemien, die Heimkehr der Soldaten von der Befreiung des in Brügge gefangenen Kaisers Maximilian und die von daher entstandene Lockerung der Sitten, die Kunde von dem Schicksal des Hans Waldmann und ein Volkslied auf die Edle von Hungerstein, die ihren Gatten ermordet hatte, in Basel hätte sollen ertränkt werden und vom Henker listig war gerettet worden. Pellikan’s Studienzeit in Heidelberg war von kurzer Dauer (1491–92), da sein Oheim Jodocus Gallus, welcher ihn nach Heidelberg hatte kommen lassen, von dort als Prediger nach Speyer berufen wurde. Von Jodocus Gallus gibt P. in seinem Chronikon auf Grund von dessen Tagebüchern eine ziemlich vollständige Biographie und damit ein anschauliches Bild von dem täglichen Leben des höheren Klerus jener Zeit mit seinen Licht- und Schattenseiten. Von Heidelberg nach Ruffach zurückgekehrt, nahm P. dem Schulmeister einen Theil seiner Arbeit ab, um dafür von diesem weiter unterrichtet zu werden. Und als er mit dessen Wissenschaft gar bald fertig war, trat er in das Franziskanerkloster, zwar gegen den Willen seiner Eltern, aber wo sonst hätte der arme Jüngling hoffen dürfen für seinen Wissensdurst fernere Befriedigung zu finden als bei den Mönchen? Und wirklich sollte er unter dem Schutz des heiligen Franz ein gelehrter Mann werden. Nachdem er 1495 in Basel die niederen Weihen erlangt, erhielt er vom Provinzial die Erlaubniß, zu seiner weiteren Ausbildung in das Tübinger Kloster überzusiedeln. Dieses Kloster hatte damals zum Guardian den gelehrten Paul Scriptoris, den Freund und Mitarbeiter der hervorragendsten Lehrer an der jungen Universität. Zu seinen Füßen saßen mit Pellikan Thomas Wyttenbach, „tunc Schwitzerus dictus“, der Zürcher Johann Mantel und von nachmaligen [335] Berühmtheiten unter anderen Staupitz und Eck. Scriptoris war ein Universalgenie, von ihm erhielt P. nicht nur philosophische Belehrung und reformatorische Anregungen, bei ihm hörte er auch Mathematik und Astronomie. In seiner Begleitung besuchte er öfter den berühmten Mathematiker Joh. Stöffler in Justingen und eine Anzahl von Capitelversammlungen seines Ordens. Auf einer dieser Reisen war es, daß er mit dem gelehrten jüdischen Proselyten Joh. Pauli zusammentraf. Diesem erzählte er, wie er als Knabe einmal dem Disput eines Christen mit einem jüdischen Ehepaar beigewohnt und zur Schande der Christenheit habe hören müssen, wie nicht nur der Jude, sondern sogar die Jüdin mit Argumenten aus den Schriften des alten Bundes den Christen aus dem Felde geschlagen. Von da an habe es ihm stets im Sinne gelegen, ob er nicht das alte Testament könnte in der Ursprache lesen lernen, er habe jedoch bis jetzt bloß einiger Commentare können habhaft werden, aus denen er wenig Licht empfangen. In Folge dieses Gespräches verschaffte ihm Joh. Pauli einen Codex, enthaltend die Propheten; Konrad Summenhart aber, der Freund seines Lehrers Scriptoris, lieh ihm ein Exemplar des Buches stella Messiae, wo der Grundtext einer Reihe alttestamentlicher Stellen in Transcription mit darüberstehender deutscher Uebersetzung abgedruckt war. Und mit diesen zwei ausschließlichen Hilfsmitteln hat P. nicht nur hebräisch gelernt, sondern im J. 1501 sofort eine kleine hebräische Grammatik zusammengestellt, Deutschlands erstes Lehr-, Lese- und Wörterbuch der hebräischen Sprache (1877 von Dr. Nestle aus der Vergessenheit der Margarita philosophica hervorgezogen und vermittelst des Photographiedrucks in der ursprünglichen Gestalt von 1504 herausgegeben). Auch mit Reuchlin stand P. während seines Tübinger Aufenthaltes in regem Verkehr, durch ihn wurde er mit dem gelehrten Juden Matthäus Adrianus bekannt, und längere Zeit arbeiteten diese Drei gemeinschaftlich an Reuchlin’s hebräischem Wörterbuch.

Von 1502 an treffen wir P. als Lector der Theologie pro fratribus studiosis im Franziskanerkloster zu Basel. Sofort wußte der Buchdrucker Joh. Amerbach den gelehrten jungen Mann für die Mitarbeit an seiner Ausgabe der Werke Augustins zu gewinnen, und wie jetzt er, so verstanden es später Froben, Ad. Petri und Froschauer vortrefflich, die umfassende Gelehrsamkeit und den eisernen Fleiß des selbstlosen P. zu benutzen und – wenn man an die zahllosen Indices und Correcturen denkt, die er für die Pressen der großen Druckerherren gegen gar keine oder minime Honorare anfertigte – auszubeuten. Als im Mai 1504 der Cardinal Raymund v. Petrandi auf der Durchreise von einer mehrjährigen deutschen Legatur nach Basel kam, creirte er P., von Jod. Gallus darum ersucht, zum Licentiaten der Theologie mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß er nach vollendetem dreißigsten Jahre ohne Weiteres den Titel eines Doctors tragen dürfe. Doch hat P. von dieser Erlaubniß nie Gebrauch gemacht. Hierzu mögen ihn außer seiner persönlichen Bescheidenheit noch andere Gründe bestimmt haben. Im Kloster würde ihm die Eifersucht seiner Oberen und später sein reformatorisches Bewußtsein nicht zugelassen haben, die von einem Cardinal, mithin von der Gnade des römischen Stuhls erlangte Würde zu gebrauchen. Dagegen ließ er sich von Cardinal Raymund gerne auffordern, ihn nach Rom zu begleiten. Er kam jedoch nicht weit über die jetzigen Grenzen der Schweiz hinaus. In Pallanza am Lago maggiore ergriff ihn ein heftiges Fieber, und der Cardinal, so gern er ihn mit nach Rom genommen hätte, sah sich veranlaßt, ihn zu verabschieden. Er that dies mit den Worten: „Malo te scire Basileae vivum quam Romae mortuum.“ In Basel blieb P. noch einige Jahre. In dieser Zeit verkehrte er mit dem ganzen anregenden Kreise der Freunde Amerbachs. Damals unterrichtete er unter Anderen Ludwig Ber, den [336] gelehrten Freund des Erasmus in den Anfangsgründen der hebräischen Sprache und schrieb ein Compendium der Dogmatik für seinen Gönner, den trefflichen Bischof Chr. v. Utenheim. Vielleicht sind die sehr intimen Beziehungen Pellikan’s zu diesem hochherzigen Kirchenfürsten sogar der Grund gewesen, warum P. im J. 1508 plötzlich in der nämlichen Eigenschaft als Lector nach Ruffach versetzt wurde. Uebrigens fuhr er auch dort für Amerbach’s Presse zu arbeiten fort, und unter seinen neuen Schülern befand sich ein sehr dankbarer: Sebastian Münster, der bei P. in die beiden Wissenschaften eingeweiht wurde, denen seine spätere Lebensarbeit galt: das Hebräische und die Kosmographie. Auch mit der Verbesserung des Ordens befaßte sich P. in jenen Jahren eingehend. Zwar veröffentlichte er ein bezügliches Memorial an seine Ordensbrüder nicht, aus Furcht, wie er naiv zugesteht, in ein Hornissennest zu langen. Indessen scheint doch gerade diese Seite seiner Bestrebungen, besonders während seines nun folgenden Guardianats zu Pforzheim 1511–1514, die Aufmerksamkeit der Ordensobern erregt zu haben, so daß der keineswegs unbedeutende Provinzial Kaspar Satzger ihn zu seinem Secretär ernannte und in den drei Jahren 1514 bis 1517 auf seine Visitationsreisen durch die ganze süddeutsche Provinz und auf seine Reise zu den beiden Generalcapiteln nach Rouen und nach Rom mitnahm. Alle diese Reisen beschreibt P. mit großer Lebendigkeit; die beiden großen Querzüge durch Schwaben, Baiern und Oesterreich gestalteten sich für ihn fast ungesucht zu wissenschaftlichen Reisen im Interesse des hebräischen Studiums. Bei der französischen Reise interessirt uns besonders das Zusammentreffen mit Faber Stapulensis und mit den portugiesischen Brüdern ex novis insulis. Bei der lebensvollen Beschreibung, die P. von Italien, von Rom und dessen Heiligthümern gibt, erklärt er ausdrücklich, daß er lieber die Spuren des classischen Roms gesehen hätte als die Spuren von allerlei nie geschehenen Mirakeln. Noch bevor er nach Rom abreiste, verbrachte er wiederum einige Monate in Basel, um das Hebräische für die Hieronymusausgabe Frobens und als Appendix dazu ein psalterium quadruplex und eine kurzgefaßte hebräische Grammatik zu bearbeiten und zugleich seinem damals in Basel weilenden Freunde Capito bei dessen litterarischen Arbeiten behilflich zu sein.

Nach seiner Rückkehr von Rom wurde er Guardian in Ruffach, doch erhielt er schon im J. 1519 das ungleich wichtigere Guardianat in Basel. Hier wurden damals von Froben und, nachdem dieser von Erasmus eingeschüchtert worden war, von Ad. Petri die Schriften Luthers emsig nachgedruckt. Natürlich wurde P., zumal beim Nachdruck der Psalmenerklärung, von den Druckern zu Rathe gezogen und kam so unversehens zu sehr eingehender Beschäftigung mit den Schriften des Wittenbergers, zu dessen Verständniß er durch das ihm von Scriptoris empfohlene und später im Interesse der Basler Ausgabe fortgesetzte Studium der Kirchenväter trefflich vorbereitet war. Schon im J. 1512 hatte er sich in einem Gespräche mit Capito über die kirchliche Lehre und Praxis sehr kritisch ausgesprochen, und als nach dem Reichstag von Worms der berühmte kaiserliche Rath Franz v. Angelis zu ihm kam, da sprach er auch gegen diesen, der während zwei Tagen sehr freundschaftlich mit ihm verkehrte, sich deutlich über seine Anschauungen aus. Allein selbst von einem solch edlen Humanismus war es bis zur Reformation noch weit, zumal für den unpraktischen, auf anderm als dem litterarischen Gebiete schwerfälligen P. Zwei Veranlassungen nöthigten ihn, entschieden Stellung zu nehmen. Als es allen Minoriten sollte verboten werden, Luthers Schriften zu lesen, da trat er energisch gegen ein solches Ansinnen in die Schranken; ihm galten Luthers Schriften viel als Zeichen „zum Aufstehen aus dem tiefen Schlaf“. Und als der Prediger seines Klosters, der unerschrockene Hans Sündli, genannt Lüthard aus Luzern, mit [337] solchem Erfolg in reformatorischem Sinne predigte, daß der Rath im Juni 1522 ein Mandat „des Evangeliums halb“ erließ, da wollte sich P. wiederum nicht zum Schergen und Ketzerrichter gegen seinen angefochtenen Ordensbruder hergeben.

In der Erbitterung gegen die Machinationen der Priester wurde nun sogar nach Ostern 1523 ein erster entschiedener Schritt zu Gunsten der Reformation gethan. Die Professoren der Theologie, welche mit Satzger gegen P. conspirirt, wurden abgesetzt und Oekolampad und P. mit deren Lehrstühlen betraut. P. hatte Alles gethan, diesen Conflict zu vermeiden. Er hatte den Ordensobern unter anderm wiederholt den originellen Vorschlag gemacht, man möge alle altgläubigen Ordensbrüder von Basel wegnehmen und ihm dafür alle lutherisch gesinnten zuweisen, so solle er im Frieden seines Amtes warten. Darauf ging natürlich der Orden nicht ein, P. wurde seines Guardianats entsetzt, doch ließ man ihn ruhig im Baseler Kloster. Er ging ja in keiner Weise aggressiv vor und concentrirte sich gänzlich auf seine Vorlesungen an der Universität und auf seine litterarischen Arbeiten für die Druckerherren. Nur einmal trat er zu jener Zeit in die Oeffentlichkeit, nämlich im Februar 1524 bei Stephan Störs Disputation über die Priesterehe. Da erklärte P. unumwunden, die Wiedereinführung der Priesterehe sei nothwendig, um aus den kirchlichen Mißverhältnissen herauszukommen. Als dann an der Jahreswende von 1525/26 ein Ruf von Zwingli an ihn gelangte, die durch Ceporius’ Tod erledigte hebräische Professur in Zürich zu übernehmen, mußte selbst Oekolampad ihm zur Annahme rathen. Oekolampad hoffte wohl, P. werde, losgelöst von dem Orden, der Sache der Reformation in Zürich größere Dienste leisten können als in Basel, wo ohnehin damals ein Stillstand eingetreten war. Und in der That hat P., sofort nach seiner Ankunft in Zürich, im Frühling 1526 die Kutte abgelegt und sich auch bald darauf verehelicht. Seine erste Vorlesung in Zürich begann er mit den Worten: „ich danke meinem Herren, daß er mich aus Aegypten, aus der ägyptischen und päpstlichen Gefangenschaft befreit und das Rothe Meer glücklich hat durchschreiten lassen.“ In Zürich wurde es ihm vergönnt, in harmonischem Verein zuerst noch einige Jahre mit Zwingli und dann während einer langen Reihe von Jahren mit Leo Jud, Bullinger, Bibliander und andern trefflichen Männern am Ausbau der Reformation zu arbeiten. Unter seinen wissenschaftlichen Leistungen steht obenan der einzige aus der Reformationszeit hervorgegangene Commentar über das Gesammtgebiet der alt- und neutestamentlichen Schriften. Von seinen linguistischen Arbeiten liegen noch ganze Stöße im Manuscript auf den Bibliotheken von Zürich. Wesentlichen Antheil hat er auch gehabt an der Feststellung des reformirten Bekenntnisses in der sogenannten ersten helvetischen Confession von 1536. In den 30 letzten Jahren war Pellikan’s Leben das eines stillen Gelehrten. Gegen Butzer’s Unionsmacherei hatte er einen tiefen Widerwillen, und so hoch er Luther schätzte, so wenig war er gewillt, den specifisch reformirten Lehrtypus aufzugeben. Dagegen suchte er unter den Reformirten der verschiedenen Nationen lebendige Beziehungen zu erhalten und übte zu diesem Zwecke die großartigste Gastfreundschaft; eine staunenswerthe Menge der bedeutendsten Männer aus Süd und Nord hat, theils vorübergehend, theils während Monaten und Jahren in Zürich in seinem Hause gelebt. Als ihn aus diesem schönen Wirkungskreise heraus sein Freund Blaurer nach Tübingen ziehen wollte, da zog es P., der gänzlich Schweizer geworden war, vor in Zürich zu bleiben, das ihn und seine Familie auf die ehrenvollste Weise ins Bürgerrecht aufgenommen. In Zürich ist er denn auch als fast achtzigjähriger Greis im J. 1556 tiefbetrauert gestorben. Charakteristisch für [338] sein ganzes Wesen wie für sein Chronikon und schwerwiegend für dessen Werth ist der Umstand, daß P. von seiner Berufung nach Tübingen im Chronikon gänzlich schweigt. Mit größtem Rechte sagt sein Freund Konrad Geßner von ihm: „citra ullum fucum aut ostentationem.“

Alle Litteratur über Pellikan findet sich angegeben in der genannten Ausgabe von P.’s Chronikon; zu vergl. ist überdies der Art. Pellikan von H. Strack in der Real-Encyklopädie für prot. Theol. u. Kirche, 2. Aufl. Bd. IX.