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ADB:Blarer, Ambrosius

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Artikel „Blarer, Ambrosius“ von Julius Hartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 691–693, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Blarer,_Ambrosius&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:23 Uhr UTC)
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Blarer: Ambrosius B., Reformator von Schwaben, geb. 4. April 1492 zu Constanz, † zu Winterthur 6. Dec. 1564 (schwäbisch: Blaurer ausgesprochen). Aus adligem Geschlecht der B. von Obergyrsperg im Thurgau, Sohn eines Rathsherrn in Constanz, bezog er wohl vorbereitet die Universität Tübingen, wo er sich, in vertrauter Freundschaft mit Melanchthon, der alten Litteratur widmete und Magister wurde. Ein Besuch im Benedictinerkloster Alpirsbach flößte ihm Lust an fromm beschaulichem Leben ein und 1515 trat er ins Kloster, dessen Prior er nach wenigen Jahren wurde. Neben dem religiösen Dienst trieb er alte Sprachen, correspondirte mit Melanchthon nach Tübingen und Wittenberg, hörte dort durch seinen Bruder Thomas, der 1520 die Wittenberger Hochschule bezog, viel von Luther, studirte dessen ihm von seinem Bruder übersandte Schriften und machte sowol die Klosterbrüder, als in der Kirche das Volk mit der evangelischen Wahrheit bekannt. Daraufhin des Lehrmeisteramts entsetzt, verließ er am 5. Juli 1522 das Kloster. Gegen die ihm in Constanz gemachten Vorwürfe verantwortete er sich in einer eigenen Schrift und wirkte in der Stille für die Sache der Reformation. Von 1525 an predigte er mit entschiedenem Beifall, dichtete Lieder für das Constanzer Gesangbuch und nahm sich (1527) mit seinem Vetter Johann Zwick der Regelung des evangelischen Kirchenwesens an, nachdem er die angesehensten Mitglieder des Rathes für seine Ansichten gewonnen. Der Bischof verließ Constanz und zog nach Mörsburg, das Domcapitel nach Ueberlingen. Sofort wurde die Messe abgeschafft, 1529 Altäre und Bilder aus den Kirchen entfernt und die neue Kirchenordnung eingeführt. Die Stadt gewann an Zucht und Ordnung. Mit Zwingli kam B. seit 1525 in Correspondenz, obwol er dessen Abendmahlslehre nicht billigte, vielmehr, eine vermittelnde Stellung zwischen ihm und Luther einnehmend, behauptete: Christus schenke im Abendmahl seinen Leib, der geistig gegenwärtige Christus sei der Kern im Sacrament. In den gottesdienstlichen Einrichtungen, namentlich Entfernung der Bilder, stimmte er der nüchternen reformirten Anschauung bei. Zwingli’s frühen Tod betrauerte er aufrichtig. Schon hatte er begonnen, auch auswärts, wie in Memmingen und im Thurgau, für die Reformation zu wirken, als ihn 1530 die Augsburger vergeblich verlangten, wogegen er in Ulm und von hier aus in Geislingen und vom September 1531 an in Eßlingen das Kirchenwesen einrichtete und der Zucht, Armenfürsorge und Schule seine besondere Aufmerksamkeit widmete. 1532 drohte ihm der damalige österreichische Landesherr von Würtemberg, König Ferdinand, im Betretungsfalle mit dem Tod. Von Eßlingen zurückgekehrt verehlichte er sich, August 1533, wie Luther, mit einer gutbeleumdeten früheren Nonne, Katharine Walther von Blideck, die ihm vier Kinder gebar, von welchen nur ein Sohn ihn überlebte. 1534 eröffnete sich ihm sein größtes Arbeitsfeld im Herzogthum Würtemberg. B. war dem wieder in sein Erbe eingesetzten Herzog Ulrich von verschiedenen Seiten, namentlich den Straßburgern, empfohlen als ein Mann, „ebenso gelehrt und in Anrichtung der Kirchen geschickt, als dem Frieden ergeben und gelind, von beiden Seiten anerkannt“. Da indeß in Würtemberg vom Norden des Landes her (Hall und [692] Heilbronn) das Lutherthum Boden gefaßt hatte, glaubte Ulrich aus Rücksicht auf Sachsen wie auf den den „Sakramentirern“ ungünstigen Kadaner Vertrag neben B. einen lutherischen Theologen aufstellen zu müssen. Die Wahl fiel auf den Heilbronner Erhard Schnepf, Professor der Theologie in Marburg. Am 30. Juli traf B. in Stuttgart ein; am 2. Aug. vereinigten sich beide vor dem Herzog auf die schon 1529 in Marburg von Bucer angenommene Formel über das heilige Abendmahl: daß aus Vermögen der Worte: das ist mein Leib, der Leib des Herrn wahrhaftig und wesentlich, nicht aber stofflich und örtlich, gegenwärtig sei und ausgetheilt werde. „Es soll eine gute Stunde sein“, rief Ulrich aus, „dabei soll’s bleiben!“ In dieser Stuttgarter Concordia sprach sich, wie Ranke (III. 482) bemerkt, zuerst die Einheit der deutsch-evangelischen Kirche aus. Nun wurden die Gebiete vertheilt; B. erhielt das (südliche) Oberland mit dem Sitz in Tübingen, Schnepf das Unterland mit Stuttgart. Blarer’s Bezirk umfaßte 62 Städte und 450 Dörfer. Erst wurde gepredigt, dann die Geistlichen verhört und eingeführt; viele mußten von auswärts, besonders der Schweiz, berufen werden. Im Sommer 1536 ließ er seine so lang von ihm getrennte Frau nachkommen, deren „holdseliger Umgang ihn geistig und leiblich stärkte“. Auch für die Universität entwarf er eine neue, später von Melanchthon und 1537 von Brenz vervollständigte Ordnung. Die Ehe- und Kirchenordnung entwarf Schnepf mit Brenz’ Beihülfe; B. ließ sie sich gefallen. Gegen die eingerissenen Schwenkfeld’schen Irrthümer trat er kräftig auf, obwol nicht mit gewünschtem Erfolg, da sie in höheren Kreisen viel Anklang fanden. In Verwerfung der Bilder hatte er den Herzog auf seiner Seite; nach dem „Götzentag“ in Urach, Sept. 1537, mußten die Altäre, selbst Bilder von Christus und den Aposteln, aus den Kirchen entfernt werden. Indessen sehnte sich B. dringend nach Constanz zurück. Das Mißtrauen gegen seinen „Zwinglianismus“ vermochte er nicht zu überwinden, auch nachdem er im Februar 1537 zu Schmalkalden die Augsburger Confession und Apologie, freilich zögernd, unterschrieben hatte. Im Juni 1538 wurde er „in gutem Frieden“ verabschiedet, aber mit kargem, seinen großen Opfern keineswegs entsprechendem Lohn; erst Herzog Christoph war es vorbehalten ihn anständig zu entschädigen. Kaum war er nach Constanz zurückgekehrt, kamen wiederholte Rufe von Augsburg: er sollte die dortigen Spaltungen ausgleichen. Endlich im Juni 1539 kam er dahin. Außer größerer Fürsorge für die Armen, für das Volkswohl überhaupt, brachte er indeß wenig zu Stand; das Volk hing ihm mit Verehrung an. Am 6. Dec. zog er ab, stellte unterwegs in Kempten die gestörte Einigkeit her und kam 4. Febr. 1540 zurück in seine Vaterstadt, die er bis zur traurigen Katastrophe nicht mehr auf lange verließ. Er wirkte wesentlich mit bei Herausgabe des Gesangbuchs 1540 und widmete sich eifrig der Seelsorge und Schule; als er die erst verlangte „Regimentsordnung nach dem Wort Gottes“ an dem Widerwillen der Oberen scheitern sah, stieg in ihm die Ahnung des Rückgangs, ja des Untergangs „des Evangeliums“ auf. Im Kreis seiner Familie, im Umgang mit seinem reich begabten, nach Gemüth und Bildung gleich trefflichen Bruder Thomas, als Jurist und Redner eine Zierde der Stadt, fand er sein Glück und seine Erholung. Das Pest- und Sterbejahr 1541, dem auch seine aufopferungstreue Schwester Margarethe fiel, wirkte in ihm lebhafte Todesgedanken. Die Kriegsgedanken Karls V. sah er im December 1545 voraus; sein Wüthen in den Niederlanden gegen die Evangelischen sei das Vorspiel. Er ermunterte den Rath zu tapferem Einstehen für das Evangelium; nach Erstürmung der Ehrenberger Klause stieg seine Hoffnung. Noch im Frühjahr 1547 wies man die Unterhändler ab, erst die Vollziehung der Sperre vom See her machte zur Unterwerfung geneigt. Thomas unterhandelte mit dem Kaiser in Augsburg; nur gegen Annahme des Interims ward [693] Verzeihung zugesagt. Während dessen ward die Acht gegen Constanz angeschlagen. Oberst Vives rückte mit 3000 Mann gegen die Stadt. Mörderischer Kampf auf der Brücke. Die Bürgerschaft, des Dienstes müde, schrie nach Frieden. Am 11. Oct. 1548 unterwarf sie sich. Ambrosius hatte die Stadt schon am 26. Aug. verlassen, um sie nie wieder zu betreten. Erst im nahen Grießenberg, bei seiner Schwester, wohin auch Thomas gekommen, dann in Winterthur, fand er ein freundliches Exil, ließ seinen Sohn Gerwick in Straßburg Theologie studiren, versah von 1551 noch acht Jahre ein Predigtamt in Biel, von 1559 predigte er, ohne Amt, noch in Winterthur und im Thurgau und † 6. Dec. 1564 zu Winterthur im 73. Lebensjahre. Sein Bruder Thomas, mit theologischen und classischen Studien beschäftigt, überlebte ihn noch drei Jahre. Thomas’ Söhne kamen in ehrenvolle Stellungen in der Pfalz, in Mecklenburg; Ambrosius’ Stamm erlosch in dem übelgerathenen Sohn Gerwick.

Keim, Ambrosius B. der schwäbische Reformator. Nach den Quellen, Stuttg. 1860. Th. Pressel, A. B., nach handschr. Quellen, Elberf. 1861. Derselbe, A. B., dessen Leben und Schriften. Mit Blarer’s Bilde, Stuttg. 1861.