Zum Inhalt springen

ADB:Neumann, Gottfried

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Neumann, Gottfried“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 519–521, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neumann,_Gottfried&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:14 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Neumann, David von
Band 23 (1886), S. 519–521 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand März 2015, suchen)
Gottfried Neumann in Wikidata
GND-Nummer 138225443
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|23|519|521|Neumann, Gottfried|Hermann Arthur Lier|ADB:Neumann, Gottfried}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=138225443}}    

Neumann: Gottfried N., ein hervorragendes Mitglied der Isenburgischen Inspirationsgemeine und Liederdichter, ist wahrscheinlich im J. 1687 in Hohenheida bei Leipzig geboren. Von Jugend an war in ihm ein mächtiger religiöser Zug vorherrschend. Im J. 1706 bezog er die Universität Leipzig, um Theologie zu studiren. Wie er selbst bekennt, führten ihn dort die Vorträge Johann Georg Hoffmann’s, des Pfarrers am Waisenhause, „in einen scharfen Buß- und Läuterungskampf“, welcher ihn zum Austritt aus der lutherischen Kirche bewog. Auch in Halle, wo er im J. 1710 an dem Francke’schen Waisenhause angestellt wurde, fühlte er sich für die Dauer nicht wohl. Er schloß sich daher den Separatisten an und suchte in Hanau eine Zufluchtsstätte. Um sein Leben zu fristen, erlernte er die Strumpfweberei, nachdem er sich kurz zuvor mit der Tochter eines Metzgers Namens Melchior vermählt hatte. Von Hanau durch die Verfolgung der lutherischen Geistlichen vertrieben, wandte er sich in die Grafschaft Marienborn und erhielt hier eine Anstellung als gräflich Isenburg-Meerholzscher Fruchtschreiber. Als solcher wohnte er eine Zeit lang in Bergheim. Im März des Jahres 1714 erfuhr er eine neue Erweckung, infolge deren er Anschluß an die in jenen Gegenden gerade damals auftretenden „neuen Täufer“ suchte. Am 11. October desselben Jahres empfand N., so berichtet er selbst, einen starken Trieb, nach Hanau zu gehen, dem er auch Folge gab, obgleich er in jener Zeit das Haus seines Schwiegervaters mied. Nachdem er kaum dort angelangt, wurde ihm die Ankunft der aus Halle vertriebenen drei Brüder Pott gemeldet und gleichzeitig ein Einladungsschreiben des jüngsten Pott übergeben, das zu derselben Stunde entworfen war, da in N. der Gedanke, nach Hanau zu gehen, sich geregt hatte. Schon dieses merkwürdige Zusammentreffen setzte N. in Erstaunen, noch mehr aber die völlige Sinnesänderung, welche plötzlich bei seiner unverheiratheten Schwägerin Johanna Margarethe Melchior stattgefunden hatte. Noch an demselben Abend suchte N. die Inspirirten auf und wurde durch ihre Worte mächtig ergriffen, während ihn ihre Bewegungen in höchste Verwunderung setzten. Die Aussprachen der drei Pott wiederholten sich in den nächsten Tagen, und am 14. October kam es bei N. zum Durchbruch, der seitdem für die Inspirationssache gewonnen war. Daß er selbst je in den Inspirationszustand versetzt worden, hören wir nicht; dagegen scheint er die Aussprachen Anderer stenographisch aufgenommen zu haben. Wichtig wurde für N. die Bekanntschaft mit Johann Friedrich Rock, dem Büding’schen Hofsattler, welcher je länger je mehr die Hauptstütze der Bewegung bildete. Mit ihm reiste er im Frühjahre 1719 nach Halle, wo er bei Francke ein scharfes Verhör wegen seiner Flatterhaftigkeit bestehen mußte. N. scheint überhaupt wenig sittlichen Halt besessen zu haben. Er mußte z. B. wegen Unzucht mit Mündeln im J. 1720 aus der Gemeine ausgeschlossen werden. Aehnliches wiederholte sich im Winter 1730/1731. Beide Male war es Rock, welcher den Mantel der Liebe über die von N. gegebenen Aergernisse zu decken wußte und seine Wiederaufnahme in die Gemeine bewirkte. N. hat Rock diese Zuneigung und Nachsicht nicht vergolten, da er sich später Zinzendorf näherte und mit diesem seinem alten Freunde entgegen arbeitete. Als nämlich im September des Jahres 1730 [520] Zinzendorf in der Wetterau weilte, erhielt er von Rock und N. gemeinsam die Einladung, die Versammlung der Inspirirten in Himbach zu besuchen. N. ließ sich durch Zinzendorf’s Auftreten sofort für die Sache der Brüdergemeine einnehmen und machte bereits im Herbst und Winter 1730–1731 den Versuch, die herrnhutischen Einrichtungen und Gebräuche bei der Inspirationsgemeine einzuführen. Die durch dieses Vorgehen Neumann’s herbeigeführten Streitigkeiten wurden indessen rasch beigelegt. N. bereute sein Verhalten, und so hatte Rock kein Bedenken, ihn im J. 1732 als Reisebegleiter zu einem Besuche in Herrnhut mitzunehmen. Bei dieser Gelegenheit gelang es Zinzendorf, den wankelmüthigen N. aufs Neue auf seine Seite zu ziehen. Eine seit dieser Zeit heimlich zwischen ihnen unterhaltene Correspondenz richtete ihre Spitze gegen Rock. Durch Zufall erfuhr derselbe von der Sache, und N. hatte seitdem „wegen seines guten und treuen Bekenntnisses zu der Herrnhuter Lehre und Art“ viel von ihm zu leiden. Er wurde sogar nach seiner eigenen Angabe aus diesem Grunde im J. 1734 zum dritten Male aus der Gemeine ausgestoßen, während Rock allerdings als Grund der Ausschließung Neumann’s Unsauberkeit, Unreinigkeit und Falschheit anführt. Jedenfalls war seitdem der Bruch der beiden Freunde für immer entschieden und Neumann’s directer Uebergang zur Brüdergemeine eingeleitet. Als Zinzendorf (1736) nach seiner Verbannung aus Sachsen sich in die Wetterau wandte, nahm er wenigstens für kurze Zeit mit seinen beiden ältesten Töchtern bei N. in Himbach Wohnung. Bald darauf (1738) suchte dieser in Marienborn förmlich um Aufnahme in die Gemeine nach und fand Gewährung seiner Bitte. Bedingung der Aufnahme scheint gewesen zu sein, daß N. seine bereits fünfzehnjährige Tochter taufen lasse. Um eben dieser Tochter willen, welche Zinzendorf ganz unter seinen und der Gemeine Einfluß stellen wollte, kam es aber zwischen dem Grafen und N. zu heftigen Zwistigkeiten. Ein schrecklicher Bannfluch des ersteren sollte N. für seinen Ungehorsam bestrafen. Die Folge desselben war jedoch zunächst nur die, daß N. eine Zeit lang der Brüdergemeine den Rücken kehrte. Gleichwol ließ sich der fünf bis sechs Mal seiner Ueberzeugung abtrünnige Mann noch einmal wiedergewinnen. Im J. 1748 kehrte er reuig zur Gemeine zurück und lebte bis zu seinem Tode in ihrer Mitte. Wann und wo er gestorben, hat sich nicht ermitteln lassen. Spangenberg erwähnt ihn in seinem Leben Zinzendorf’s (III, S. 1113) als einen Mann „von etlich und achtzig Jahren“, während Schrautenbach, der im J. 1782 seine Biographie des Grafen abschloß, von ihm als dem „noch lebenden 94jährigen Secretär N.“ spricht (S. 151). Neumann’s Tod kann also nicht früher als im J. 1782 erfolgt sein. – Unter Neumann’s Liedern ist das auf den Tod des dreijährigen Grafen Christian Ludwig Theodor v. Zinzendorf († am 21. Aug. 1736) gedichtete Grablied: „Ey, wie so sanft verschläfest du“ das bedeutendste. Es hat sich, wenn auch in leicht veränderter Fassung, bei Begräbnissen im Gebrauche der Brüdergemeine erhalten (Kleins Gesangbuch der evang. Brüdergemeine, Gnadau 1870. 8°. Nr. 1192). Weniger bekannt sind zwei andere an Anna Nitschmann gerichtete Lieder Neumann’s: „Du selge Armuth, du, mir von dem Herrn beschieden“ (Nr. 611) und „Auf, Zion! und hör des Königes Lehr“ (Nr. 697).

Vgl. Unterschiedliche Erfahrungs-volle Zeugnisse, welche Einige … Freunde von der … Inspirations-Sache … abgefaßt … s. l. 1715. 4°. S. 48–62. – Max Goebel, Geschichte der wahren Inspirations-Gemeinden in der Zeitschrift für die historische Theologie … herausg. von C. W. Niedner. Jahrg. 1854 und 1855. Bd. 24 und 25 (N. F. 18 und 19). – Simon, Die Inspirirten im Isenburgischen in dem Archiv für Hessische Geschichte, Bd. 9, Heft 3, S. 389 ff., 397 ff., 420 ff., 424 ff. – Ed. Em. Koch, Geschichte des Kirchenliedes I, 5. S. 336 ff. und II, 8. S. 649 ff. [521] – Ein Lebenslauf Neumann’s hat sich unerwarteter Weise im Archiv der Brüderunität zu Herrnhut nicht gefunden. Sein Geburtsjahr läßt sich nicht sicher feststellen, da die Kirchenbücher von Hohenheida 1769 verbrannt sind. Das Matrikelbuch der Universität Leipzig führt N. nicht auf.