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ADB:Mayer, Tobias

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Artikel „Mayer, Johann Tobias“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 109–116, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mayer,_Tobias&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:35 Uhr UTC)
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Mayer: Johann Tobias M., Mathematiker, Physiker und Astronom. M. ward am 17. Februar 1723 in dem württembergischen Städtchen Marbach, wo später auch Schiller das Licht der Welt erblickte, einem armen Wagner geboren, der aber durch Geschicklichkeit in seinem Handwerk und auch in allerlei anderen technischen Dingen seine sehr zahlreiche Familie ehrbar durch das Leben zu bringen wußte. Glückliche Erfolge, die er beim Brunnengraben in wasserarmen Gegenden hatte, bewirkten seine Anstellung als Brunnenmeister im Dienste der Reichsstadt Eßlingen, wo seine Verhältnisse sich etwas günstiger gestalteten. Der kleine Tobias ward von seinem Vater im Rechnen, Schreiben und besonders auch im Zeichnen selbst unterrichtet, und namentlich in dieser letzteren Kunst zeichnete er sich bald so aus, daß seine Fertigkeit stadtbekannt wurde. In die Schule kam er erst sehr spät, und als er endlich zum Besuche derselben angehalten werden mußte, erweckte die Pedanterie des Lehrers in ihm die entschiedenste Antipathie gegen dieses Buchstabiren und Auswendiglernenlassen, doch wußte er sich bald dadurch in Respect zu setzen, daß er statt der wenigen aufgegebenen Sprüche sofort den ganzen Katechismus seinem auch nachmals staunenswerth treuen Gedächtniß einprägte. Als die Eltern frühzeitig verstarben, nahm sich der Bürgermeister des talentvollen Kindes an, sorgte für weiteren Unterricht und erklärte seine Absicht, M. dereinst zu einem tüchtigen Maler ausbilden zu lassen. Leider lebte auch dieser Wohlthäter nicht lange genug, um seinen Plan wirklich zur Ausführung gelangen zu sehen, und als er ohne Testament verschied, nahmen die Erben so wenig Rücksicht auf M., daß derselbe gänzlich auf sich selbst angewiesen blieb. Die Nachricht, daß ihn ein alter Schuhmacher, Namens Kandler, in die Mathematik eingeführt habe, trifft nach Mayer’s eigener späterer Erzählung nicht das Richtige, denn obwol es Thatsache ist, daß beide zusammen sich mühsam durch Wolf’s Auszug aus den mathematischen Wissenschaften durcharbeiteten, so war doch M. der eigentliche Führer, der Schuster mehr der Geführte. Bald erwarb sich der Jüngling als Kenner der Mathematik einen solchen Namen in Eßlingens besseren Bürgerkreisen, daß man seinen Privatunterricht zu suchen begann, namentlich unterwies er zu allgemeiner Befriedigung seine für den höheren Militärdienst bestimmten Schüler in der Geometrie, im Planzeichnen und in den Artilleriewissenschaften, für welch’ letztere er selbst so lebhafte Neigung empfand, daß ihm der Eintritt in das Feldartilleriecorps des schwäbischen Kreises als das höchste zu erstrebende Ziel vorschwebte. Einmal, als er während des österreichischen Erbfolgekrieges Zutritt zu einem General der Reichsarmee erlangt hatte, schien dieses Glück ihm schon zu lächeln, zufällige [110] Umstände aber vereitelten seine Hoffnung, und da seine Vermögenslosigkeit ihm keine weiteren Schritte in dieser Richtung zu thun gestattete, so gab er zu seinem Schmerze, jedoch zum großen Vortheil der Wissenschaft, den Gedanken an die Soldatenlaufbahn auf und wandte sich nach Augsburg, um dort seine Anlagen für die zeichnenden Künste weiter auszubilden. Er fand Aufnahme in einer wohlwollenden Familie und die ihm von derselben übertragenen Beschäftigungen gewährten ihm Muße genug, um die reicheren Bildungsmittel einer noch immer wohlhabenden und geistig belebten Stadt, wie es Augsburg auch in seinem Niedergange noch war, verwerthen zu können. Er verkehrte viel mit Künstlern und Gelehrten, eignete sich Kenntnisse in der lateinischen, französischen, italienischen und englischen Sprache an und studirte mit Eifer alle mathematischen Werke durch, deren er habhaft werden konnte. Seine Hülfsmittel waren freilich die denkbar geringfügigsten; die trefflichsten Zeichnungen verfertigte er mit einem Lineal und einem gewöhnlichen Handzirkel, an welch’ letzteren eventuell eine feine Feder angebunden ward, und doch vermochte er schon mit 16 Jahren eine Karte des reichsstädtischen Gebietes von Eßlingen zu liefern, von welcher später in Augsburg ein Kupferstich erschien. Achtzehnjährig trat er als Schriftsteller auf, indem er ein mathematisches Elementarbuch für Praktiker schrieb und dem Freiherrn Christian v. Wolf widmete, der freilich von dieser Aufmerksamkeit eines unbekannten Jünglings keine besondere Notiz genommen zu haben scheint. Vier Jahre später gab er dann zu Augsburg ein zweites mathematisches Werk von ungleich höherer Bedeutung heraus, das ihm denn wol auch den Weg zu weiterem Fortkommen gebahnt haben dürfte. Denn um jene Zeit erließ Franz von Oeringen, der soeben die Direction des berühmten Homann’schen Kartenverlages in Nürnberg übernommen, ein Ausschreiben in den öffentlichen Blättern, welches geschickten Kartenzeichnern eine gute Anstellung in seinem Geschäfte zusicherte; M. meldete sich und wurde auf die von ihm bereits abgelegten Proben seines Talentes hin gerne angenommen. Fünf Jahre lang, von 1746–51, war M. die Seele der kartographischen Anstalt, für die er selbst nach und nach zehn Karten bearbeitete, welche der Oeffentlichkeit übergeben wurden. Die im J. 1751 von M. und seinem Collegen Lowitz (s. d. Art.) herausgegebene Schweizerkarte gehörte nach Albrecht v. Haller’s gewichtigem Zeugnisse zu dem Besten, was damals existirte. Eifrigen Antheil nahm M. (s. u.) an den Arbeiten der von Franz im Interesse der Homann’schen Firma begründeten „kosmographischen Gesellschaft“, und auch zu astronomischen Beobachtungen bot die freilich bereits etwas in Verfall gerathene Nürnberger Sternwarte Gelegenheit, deren Inventar er selbst mit einem großen Zenithsector aus Holz bereicherte. Das Jahr, dessen wir zuletzt zu erwähnen hatten, brachte eine bedeutungsvolle Wendung für Mayer’s Leben mit sich, indem er einen Ruf als ordentlicher Professor der Mathematik und Oekonomie an die Universität Göttingen erhielt und annahm; seine Freunde Lowitz und Franz folgten ihm bald in der Eigenschaft von Professoren der Physik und Geographie. Nunmehr fühlte er auch das Bedürfniß, sich einen eigenen Hausstand zu gründen und verheirathete sich mit Maria Victoria Gnüg, die ihm bald einen Sohn schenkte, der ebenfalls den Namen Tobias erhielt und sich desselben durch eine Reihe tüchtiger litterarischer Arbeiten (s. den nächsten Artikel) würdig gezeigt hat. Als Lehrer und Schriftsteller hat M. in dem Decennium, durch welches ihm in Göttingen zu wirken vergönnt war, nach jeder Richtung hin Außerordentliches geleistet, namentlich seit dem Jahre 1754, wo man ihm die Aufsicht über das unlängst erst für den nach Halle berufenen Professor A. v. Segner neu erbaute Observatorium anvertraut hatte. Seine materielle Lage scheint seinen Verdiensten um die Hebung der jungen Hochschule aber nicht besonders entsprochen zu haben, wie man aus gewissen über ihn umlaufenden Anekdoten schließen kann. [111] So berichtet Kästner, daß M. sich einmal äußerst bitter über die Thorheit der letzten astronomischen Generation aussprach, welche der Menschheit den Glauben an die Astrologie genommen und somit die Fachgenossen um ihre beste Einnahmequelle gebracht habe; ein andermal soll M. in seiner Eigenschaft als Mitglied einer über die Capitulation der Festung Göttingen verhandelnden Deputation dem französischen Feldherrn, der mit Aushungerung drohte, kaltblütig erwiedert haben, mit dem Hungern seien deutsche Universitätslehrer so vertraut, daß eine derartige Drohung ihnen keinen Schreck einjagen könne. Jener Umschwung, den er – wovon weiter unten – seinen Leistungen zu danken hatte, kam leider zu spät, um ihn noch am Leben zu finden. Denn gerade der siebenjährige Krieg, der Göttingen fast in eben so nahe Mitleidenschaft zog, wie die Schwesterstädte Breslau und Leipzig, untergrub die Gesundheit des noch jugendlichen Mannes. Mangel aller Art bedrückte seine Familie, die französischen Occupationstruppen scheinen ihn vor Allem zum Zielpunkt unablässiger Neckereien und Beunruhigungen gewählt zu haben, und auch an Schrecken erregenden Scenen fehlte es nicht. So flog einstmals, als M. gerade mit Himmelsbeobachtungen beschäftigt war, ein seiner Sternwarte unmittelbar benachbartes Pulvermagazin in die Luft, und wenn auch berichtet wird, der unerschrockene Mann habe sich dadurch keinen Augenblick in seiner Thätigkeit beirren lassen, so konnten solch’ aufregende Ereignisse doch nicht ohne Folgen vorübergehen. Am 26. Februar 1762[WS 1] erlag er seiner Kränklichkeit mit Hinterlassung zahlreicher druckreifer Arbeiten, deren Fülle uns einen Begriff von dem geben kann, was er – ähnlich einem Regiomontan – bei längerem Leben noch hätte schaffen können. Carsten Niebuhr, der von M. recht eigentlich in den Beruf eines wissenschaftlichen Reisenden eingeführte Hannoveraner, hat seinem Lehrer durch den ihm gewidmeten Nachruf ein ehrendes Denkmal gesetzt. –

Wie schon bemerkt, hat der Historiker dreier Disciplinen mit M. zu rechnen. Sind seine rein mathematischen Arbeiten, wesentlich der Jugendperiode angehörig, auch durchaus nicht seine bedeutendsten, so kann doch das alte Wort „ex ungue leonem“ mit Fug auf sie angewendet werden. Benzenberg hat sich das Verdienst erworben, unter dem Titel „Erstlinge von Tobias Mayer“ das Büchlein wieder im Handel erscheinen zu lassen, welches M. als „Mathem. Cult.“ im J. 1741 zu Eßlingen herausgegeben hatte. Dasselbe enthält eine gedrängte, populäre Anleitung zur Buchstabenrechnung, eine Elementargeometrie mit Aufgaben, wobei auch Gleichungen von höherem als dem zweiten Grade nicht vermieden werden, endlich einige Betrachtungen über das Einbeschreiben von Figuren in einen Kreis. Gerade für das wichtigste und auf dem Titelblatte besonders hervorgehobene Problem, Kreispolygone von gegebener – nicht gleicher – Seitenlänge zu zeichnen, hat sich aber M. leider auf die bloße Formulirung der Aufgabe beschränkt, ohne seine Lösungsmethode mitzutheilen; es ist dies um so mehr zu bedauern, als er nach Kästner’s Aussage zweifellos im Besitze einer solchen war, denn dieser Gewährsmann hatte selbst ein im Besitze Mayer’s befindliches Buch des alten Ulmer Mathematikers Faulhaber gesehen, in welches der Inhaber seine Auflösung einer solchen, das Siebeneck betreffenden, Aufgabe eingetragen hatte. Daß das Wissen des jungen Autodidakten in jenen Jahren noch nicht durchaus ein sicheres war, erhellt unter Anderem aus einer chevaleresken Aeußerung, mit welcher er, nachdem die Cardan’sche Formel erläutert ist, den algebraischen Theil seines Werkchens abschließt: „Ihr könnet auf gleiche Art Regeln für die unreine Gleichungen von höheren Graden finden, wenn ihr sie nöthig habt.“ Bekanntlich hat es damit leider eine ganz andere Bewandtniß. Ungleich höher steht der 1745 zu Augsburg herausgekommene „Mathematische Atlas, in welchem auf 60 Tabellen alle Theile der Mathematik vorgestellet werden.“ Auf Tafel 11, [112] welche die zur praktischen Geometrie dienlichen Apparate vorführt, findet man ein neues Instrument seiner eigenen Erfindung, das „Recipiangel“, welches aus zwei um einen Punkt drehbaren Diopterlinealen zum Zwecke der Winkelmessung besteht. Später kam M. in der am 7. October 1752 der Göttinger Societät vorgelegten Abhandlung „Nova methodus perficiendi instrumenta geometrica et novum instrumentum goniometricum“ auf dieses Instrument zurück, dessen Dioptern er inzwischen durch Fernröhre ersetzt hatte, und wies nach, daß er mit dessen Hülfe irdische Horizontalwinkel bis auf 10 oder 15 Secunden genau zu messen in der Lage sei. Eine der reinen Mathematik gewidmete Mayer’sche Arbeit aus späterer Zeit ist noch nicht im Drucke bekannt gemacht worden; sie handelte „de transmutatione figurarum rectilinearum in triangula“. Nicht der Aufschrift, wol aber zum Theile dem Inhalte nach haben wir aber jetzt schon des später noch näher zu besprechenden Aufsatzes über die Axendrehung des Mondes zu gedenken, denn hier hat M. schon ganz richtig erkannt, wie man sich bei der Auflösung eines überbestimmten Gleichungssystems zu verhalten habe, und die Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung hat sein auf glücklicher Inspiration beruhendes Verfahren, aus den vorliegenden 27 Gleichungen die erforderlichen drei Normalgleichungen zu bilden, ehrend zu verzeichnen. –

Die Physik hat M. mit mehreren inhaltsreichen Abhandlungen gefördert. Der Optik wendet sich die „commentatio de affinitate colorum“ von 1758 zu, in welcher nur drei primäre Farben anerkannt und alle übrigen auf diese zurückgeführt werden, und zwar mittelst eines gewissen arithmetischen Processes, so daß gewisse Anklänge an spätere Bearbeitungen des Mischungsproblems, wie sie von Graßmann, v. Bezold u. A. geliefert wurden, nicht zu verkennen sind. 91 verschieden gefärbte Zellen bildeten das bekannte Mayer’sche Farbendreieck. Hauptsächlich die Newton’sche Terminologie der Farben bildete für M. einen Gegenstand der Unzufriedenheit; wenn er durch die dagegen gerichteten Angriffe sich mehrere Gegner zuzog, so erntete er später um so größeres Lob bei Goethe, der freilich übersah, daß für M. wesentlich Pigmente maßgebend waren, während derselbe in Sachen der Zusammensetzung des weißen Lichtes aus farbigen Strahlen schwerlich den ablehnenden Standpunkt des Dichters getheilt haben wird. Für die enkaustische Malerei scheint M. ebensosehr Vorliebe als Talent besessen zu haben, wie er denn zolldicke Wachsgemälde angefertigt haben soll, die in verschiedenen Horizontaldurchschnitten immer wieder dasselbe Bild erkennen ließen. Die Vertheilung der Wärme auf der Erdoberfläche studirte M. in der nach seinem Tode erst von Lichtenberg edirten Abhandlung „De variationibus thermometri accuratius definiendis“; so setzte er z. B. die isothermische Höhenstufe für die Atmosphäre auf 1° R. bei 100 Toisen Steighöhe fest, so lehrte er für beliebige Orte den Grad der Erwärmung aus den Mittelwärmen zweier Fixpunkte zu berechnen u. s. f. Kirwan ist durch M. zu seinen „Variations of Atmosphere“ angeregt worden, und auch Dove hat auf dem von ihm gelegten Grunde fortgebaut. Von seinen erdmagnetischen Forschungen sind wir, da von seinen Schriften „Theoria magnetica“ und „Computus declinationum et inclinationum magneticarum ex theoria nuper exhibita deductus“ nur ein schmaler Auszug auf uns gekommen ist, viel zu wenig unterrichtet; doch wissen wir, daß er die Intensität des irdischen Magnetismus dem Quadrate der Schwingungsdauer proportional setzte. Bezüglich der Theorie schloß er sich der Hauptsache nach den Euler’schen Vorstellungen an, indem er zwei Magnetpole annahm und deren Verbindungslinie mit der magnetischen Erdaxe identificirte, dabei jedoch die Verallgemeinerung anbrachte, daß die Lage der Pole auf jeder Halbkugel ganz willkürlich vorausgesetzt ward. Solange man bei der bis zu Gauß’ Auftreten hartnäckig festgehaltenen Hypothese einer fixen Erdaxe verblieb, war es nicht wohl [113] möglich, eine allgemeinere Theorie dieses Zweiges der Physik aufzustellen, als es M. gethan hat. –

Alle diese gewiß nicht unerheblichen Leistungen müssen jedoch völlig in den Hintergrund treten gegen die epochemachende Thätigkeit, welche M. als Astronom entfaltete. Zunächst ist zu betonen, daß er den praktischen Theil der Sternkunde, die eigentliche Beobachtungskunst, geradezu von Grund auf reformirte. Die meisten Astronomen hatten sich bis jetzt damit begnügt, den Künstlern, welche ihre Fernröhre, Mauerquadranten und Sectoren anzufertigen hatten, größte Sorgfalt in der Ausführung anzuempfehlen und dieselben alsdann unter Beobachtung der üblichen Vorsichtsmaßregeln aufzustellen; dann aber ging man sofort ans Beobachten und kümmerte sich wenig um das doch bereits von Tycho Brahe gegebene Beispiel, die Fehler der Instrumente einer genauen Betrachtung zu unterziehen. M. nun war es, der seinen Fachgenossen die Mittel an die Hand gab, um die Abstände zweier Theilstriche eines Kreislimbus auf ihre gleiche Größe zu prüfen, er berechnete zuerst den sogenannten Excentricitätsfehler und entwickelte eine Formel, um den aus einer durch ihn aufgeklärten Thatsache entspringenden Fehler zu bestimmen, daß nämlich der sogenannte Westpunkt des Instrumentes nicht mit dem wirklichen Westpunkt übereinstimmt. Die von der terrestrischen Refraction bewirkte Ablenkung der Lichtstrahlen lehrte das „Programma de refractionibus objectorum terrestrium“ (Göttingen 1751) zuerst genauer abschätzen, während eine vier Jahre später abgefaßte Schrift, welche ein Gleiches für die astronomische Strahlenbrechung durchzuführen beabsichtigte, Manuscript geblieben ist. Die instrumentale Technik förderte M. durch sein Glasmikrometer, das 1748 in der Homann’schen Verlagszeitschrift („Kosmographische Nachrichten“) beschrieben ward; ein glattes Glas ward auf der einen Seite möglichst gleichmäßig mit Tusche belegt, in welche man dann mit seiner Feder gleichabständige Parallellinien einritzte, und so befestigte man die Platte im Brennpunkt des Teleskops. M. hat aber auch den theoretischen Werth dieser Mikrometer, welche nachmals von dem berühmten Brander’schen Atelier in Augsburg in besonderer Schönheit geliefert wurden, dadurch erhöht, daß er für die Berichtigung seiner Fehler und für die Umwandlung der Länge eines Intervalles in Bogenmaß die geeigneten Vorschriften angab. Das längst bekannte Astrolab erhob er durch Anbringung geeigneter Mikrometerschrauben, eines Ablesemikroskops und einer Wasserwaage zu einem trefflich brauchbaren Präcisionsinstrumente. Mehr noch geeignet, unsere Bewunderung vor seinem Genie zu erwecken, ist seine Erfindung des Multiplicationsprincips, das recht eigentlich den Eindruck eines Colombus-Eies hervorruft. Man wußte wohl, daß jede Winkelablesung zufälligen und constanten Fehlern unterworfen ist, allein erst M. bemerkte, daß diese Fehler sich auf ein Minimum herabdrücken lassen, wenn man zuerst den Winkel selbst, dann mißt, wobei die Genauigkeit mit wachsendem zunimmt; „haec vera methodus“, so kennzeichnet er das Verfahren selber, „in multiplicatione anguli consistit“. Gerade an dem oben beschriebenen Recipiangel ist die Idee offenbar zuerst erkannt und später auch zuerst erläutert worden. M. ließ es aber nicht bei diesem Anfang bewenden, sondern er dehnte sein Princip auch auf die Spiegelinstrumente aus, deren man sich bei astronomischen Observationen auf offener See bekanntlich allein bedienen kann, und construirte – wahrscheinlich ohne jemals in seinem Leben einen Spiegelsextanten auch nur in der Hand gehabt zu haben – einen Spiegelrepetitionskreis. Er sandte denselben nebst anderen noch zu erwähnenden Arbeiten zur Begutachtung an die brittische Admiralität ein, ohne daß ihm jedoch sofort die verdiente Anerkennung zu Theil wurde, während derselbe seit 1775 durch Borda’s Empfehlung in Frankreich zu [114] großem Ansehen gelangte. Uebrigens hat M. später seinem dioptrischen Winkelmeßinstrument noch ein katoptrisches an die Seite gestellt. Er wußte aber Instrumente nicht nur zu erfinden, sondern auch gehörig zu gebrauchen. Als er 1750 zugleich mit dem Homann’schen „Atlas Germaniae“ seine „Mappa critica“ herausgab, vermochte er im ganzen römischen Reiche deutscher Nation nur 22 ganz gesicherte Polhöhen namhaft zu machen, doch hat sich die Sachlage durch ihn und seine Schule wesentlich gebessert, da er auf genaue geographische Ortsbestimmungen großes Gewicht legte. Zeuge dafür ist die 1751 in den Göttinger Commentarien erschienene Abhandlung „Latitudo geographica urbis Norimbergae“. Niebuhr, der in Göttingen Ingenieurwissenschaften studirte und an wissenschaftliche Reisen wol nie gedacht hatte, ließ sich von Kästner überreden, der damals in Göttingen zusammentretenden Gelehrtenschaar, welche auf Kosten des Königs von Dänemark zur Erforschung von Arabien abgehen sollte, als Astronom sich zuzugesellen, und M. fiel die Aufgabe zu, ihn durch eine Art von Schnelldressur zu seinen Pflichten erst tauglich zu machen. Er weihte ihn ein in den Gebrauch des Astrolabs und Spiegelkreises, übte ihn in der damals noch selten angewandten Bestimmung der Länge durch Monddistanzen und erzog sich so einen Schüler, dessen Messungen für die Geographie vieler Länder Asiens die erste Grundlage gelegt haben. Ein guter Theil des Glanzes, welcher den Namen des berühmten Reisenden umstrahlt, sollte auf unseren M. zurückfallen.

Von weiteren astronomischen Arbeiten desselben seien ferner die auf den Mond bezüglichen angeführt, für dessen Erforschung er stets ein sehr lebhaftes Interesse an den Tag legte. Er stellte dessen Parallaxe und Erddistanz näher fest (Göttinger Commentarien von 1751), bestimmte die Zeit seiner – mit der Revolutionsdauer bekanntlich übereinstimmenden – Rotation (Kosmogr. Nachr. 1750) und bewies (ebendaselbst), daß unserem Trabanten keine Atmosphäre zukommt, was freilich nur cum grano salis richtig sein dürfte. Zu einer anderen wichtigen Arbeit bewog ihn ein mehr zufälliger Umstand. Als er 1747 eine Mondfinsterniß graphisch darstellen wollte, zu welchem Zweck er sich eine besondere orthographische Projection der Mondfläche construirt hatte, war es besonders darauf abgesehen, genau zu ermitteln, welche Flecken (resp. Berge) nach und nach vom Erdschatten bedeckt würden. Hiezu bedurfte es guter Detailkarten des Mondes, allein ein Kenner wie M. mußte sich bald überzeugen, daß alle Versuche dieser Art, mochten auch Langren, Hevel, Riccioli, De La Hire u. A. sich damit beschäftigt haben, gar Viel zu wünschen übrig ließen, und so beschloß er denn eine neue Karte selbst zu fertigen. Dieselbe beruht auf wirklichen mikrometrischen Messungen und hat bis zu Lohrmann’s Generalkarte des Mondes das Terrain beherrscht. Leider hat sich dagegen der Plan nicht realisirt, welchen M. in einer 1750 zu Nürnberg herausgegebenen Flugschrift: „Bericht von den Mondskugeln, welche bei der kosmographischen Gesellschaft in Nürnberg gefertigt werden“, als der Ausführung nahe bezeichnete. Vorbereitet war freilich Alles dazu, denn eine Probe der zum Ueberziehen des Globus bestimmten Kugelzweiecke, von Mayer’s eigener Hand gestochen, bewahrt die Göttinger Sternwarte heute noch auf, in den Handel aber scheinen solche Globen nicht gekommen zu sein und es dauerte noch hundert Jahre, bis durch Dickert und die Hofräthin Witte (s. d. Art. Maedler) wirklich plastische Darstellungen der sichtbaren Mondhalbkugel zur Vollendung gelangten. – Wissenschaftlich noch werthvoller ist der von M. angelegte Katalog der Zodiakalsterne, der vom Autor nicht mehr publicirt werden konnte; Lichtenberg, der unter dem Titel „Opera inedita T. Mayeri“ (Göttingen 1775) eine Anzahl posthumer Schriften seines Freundes zusammenstellte, hat auch die „Observationes astronomiae quadrante murali habitae in observatorio Goettingensi; Novus fixarum catalogus“ mit in diese Sammlung [115] aufgenommen, und eine zweite Auflage davon ist 1826 zu London erschienen. M. arbeitete mit einem ausgezeichneten Mauerquadranten von dem bekannten englischen Mechaniker Bird, dessen Fernrohr mit fünf Parallelfäden ausgerüstet war und so sah er sich in der Lage, der Stellarastronomie wesentlich Vorschub zu leisten. Er hat schon den Planeten Uranus als vermeintlichen Fixstern beobachtet und durch diese Ortsbestimmung eine genauere Berechnung der Bahncurve dieses Wandelsternes ermöglicht, er hat (vgl. d. Art. Christian M.) mit vollem Bewußtsein auf die Existenz einiger Doppelsterne aufmerksam gemacht, und indem er achtzig seiner besten Sternörter mit älteren Beobachtungen verglich, hat er die Eigenbewegung einer Anzahl von Fixsternen zuerst bemerkt und so den Anstoß zu den noch heute mit Eifer betriebenen Untersuchungen betreffs der fortschreitenden Bewegung unseres Sonnensystemes gegeben. –

Spiegelkreis und Sternverzeichniß stellten sich in Mayer’s Augen nur dar als untergeordnete Hülfsmittel bei der Ausführung eines gewaltigen Planes, dem M. einen großen Theil seiner Arbeitskraft mit der an ihm gewohnten eisernen Energie widmete. Ihm war es darum zu thun, das alte und immer wieder unter den verschiedensten Gesichtspunkten in Angriff genommene Problem der Meereslänge nach wirklich wissenschaftlichen und doch zugleich für die nautische Praxis verwerthbaren Grundsätzen zu lösen. Schon 1718 hatte das englische Parlament einen Preis von 20,000 Pfund Sterling für denjenigen ausgesetzt, der den Schiffer in den Stand setzen würde, die geographische Länge seines Fahrzeuges bis auf ½° genau zu bestimmen, und Harrison hatte für seinen berühmten time-keeper einen Theil dieser Nationalbelohnung erhalten. Weitere 3000 Pfund empfing Leonhard Euler für seine Theorie der Mondbewegung und die auf diese begründeten neuen Mondtafeln. Als nun M. im J. 1752 seine „Novae tabulae solis et lunae“ vollendet hatte, die wieder einen erheblichen Fortschritt in der Erkenntniß der verwickelten und selbst heutzutage noch nicht vollständig erschlossenen Bewegungen des Mondes bezeichneten, sandte er dieselben in der berechtigten Hoffnung ein, dieses Werk werde im Vereine mit dem neuen trefflichen Instrumente, das er beilegte, als ein so wichtiges Beförderungsmittel der Seefahrt erachtet werden, daß auch ihm ein Theil der Prämie zu Theil werden müsse. Dies geschah Anno 1755 und kein Anderer als Bradley äußerte sich höchst günstig über die Bedeutsamkeit der von dem deutschen Professor geleisteten Beiträge, allein trotzdem ließ sich das Parlament zunächst wenigstens auf nichts ein. M. war freilich von dem schließlichen Siege seiner Sache so fest überzeugt, daß er testamentarisch seiner Akademie 2000 von den erwarteten 10,000 Pfund vermachte, allein diesen Triumph noch selbst zu erleben, war ihm nicht beschieden. Gleich nach seinem Tode legte die Wittwe ein neues, verbessertes Exemplar der Tafeln der zuständigen Behörde in London vor und darauf hin erhielt sie auch einen Ehrensold von 3000 oder 5000 Pfund – genau steht die Zahl nicht fest – zugebilligt, eine Summe, die doch immer hinreichte, die Relicten Mayer’s ihrer bisherigen bedrängten Lage zu entheben. Auch gab das englische Längenbureau das Tafelwerk und dazu einen Anhang bezüglich der Monddistanzen unter folgender Aufschrift heraus: Tabulae solis et lunae novae et correctae, auctore Tob. Mayer: quibus accedit methodus longitudinum promota codem auctore, London 1770. Wir haben vorstehend versucht, die litterarischen Leistungen Mayer’s in möglichster Vollständigkeit zu begründen. Manches freilich konnte nur summarisch, manches gar nicht aufgezählt werden; von einer „Geschichte der Sternkunst“, die er handschriftlich begonnen, jedoch nicht über die Cykeln der alten griechischen Astronomen hinaus fortgeführt hatte, ist ebenfalls noch nicht gesprochen worden. Der Freiherr v. Zach erklärte den Mayer’schen Spiegelkreis für die größte astronomische Erfindung [116] des Jahrhunderts, der Physiker Lichtenberg, der mit jenem vertrauten Umgang pflog, sagte von ihm, er habe gar nicht gewußt, was er alles wisse und der moderne Geschichtschreiber würde mindestens zweifelhaft sein, wenn von ihm verlangt würde, einen deutschen Vertreter der Sternkunde namhaft zu machen, der zugleich als messender und rechnender Astronom vor Bessel erfolgreicher in die Entwickelung seiner Wissenschaft eingegriffen hätte, als Tobias M.

Benzenberg, Erstlinge von Tobias M., aufs neue herausgegeben, nebst einigen Nachrichten von seinen Erfindungen und seinem Leben, Düsseldorf 1812, Vorrede. – Wurm, Nachricht von T. Mayer’s Jugendjahren, Monatl. Corresp. z. Bef. d. Erd- und Himmelskunde, 9. Band, Maiheft. – Wolf, Geschichte der Astronomie, München 1877, S. 491, S. 495 ff., S. 582, S. 598 ff., S. 666 ff., S. 681, S. 731. – Wolf, Handbuch der Mathematik, Physik, Geodäsie und Astronomie, Zürich 1872, 1. Band, S. 279; 2. Band, S. 15, S. 18, S. 204. – Fischer, Geschichte der Physik, 4. Bd., Göttingen 1803, S. 299 ff. – Kästner, Geschichte der Mathematik, 2. Bd., Göttingen 1797, S. 308. – Kästner, Vorlesungen, Altenburg 1773, S. 19. – Peschel-Ruge, Geschichte der Erdkunde, München 1877, S. 674, S. 728, S. 754. – Kordenbusch, Von Ursprung, Fortgang und Aufnahme der Sternkunde (nach Dom. Cassini), Nürnberg 1771, S. 86 ff. – Gehler’s physikalisches Wörterbuch, 2. Aufl., 6. Bd., Leipzig 1836, S. 1039. – Goethe, Materialien zur Geschichte der Farbenlehre, Ges. Werke, 39. Bd., S. 81 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Abweichendes Todesdatum 20. Februar 1762