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ADB:Regiomontanus, Johannes

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Artikel „Müller, Johannes“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 564–581, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Regiomontanus,_Johannes&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 22:50 Uhr UTC)
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Müller: Johannes M., bekannter unter seinem latinisirten Namen Regiomontanus (auch Johannes Francus, Johannes Germanus genannt), Mathematiker, Mechaniker und Astronom. M., geb. den 6. Juni 1436, entweder in der heute zum Herzogthum Coburg gehörigen Stadt Königsberg bei Haßfurt oder in dem unweit derselben gelegenen Dörfchen Unfind, war der Sohn eines Müllers. Wahrscheinlich nach diesem Gewerbe führte er den Familiennamen, den er aber, wie schon erwähnt, häufig durch Joannes de monte Regio oder De Regiomonte, Kunisperger, Meister Hans de Kungsberg ersetzte. Die da und dort zu findende Angabe, er sei in irgend einem der anderen Orte des Namens Königsberg oder auch in der gleichfalls unterfränkischen Stadt Königshofen geboren, beruht zweifellos auf Irrthümern. Wie sich M. in der kleinen Vaterstadt gelehrte Bildung aneignen konnte, wissen wir nicht, so viel steht aber fest, daß er bereits im zwölften Lebensjahre die Heimath verließ, um die Universität Leipzig zu beziehen. Sein Hauptstudium daselbst bildeten die alten Sprachen und die mathematischen Wissenschaften; daß er sich auch mit Theologie beschäftigt habe, ist nicht wahrscheinlich, obwohl er später zu hohen kirchlichen Würden aufstieg. Die Mathematik war jedoch an der sächsischen Hochschule nicht so vertreten, wie M. gewünscht hätte, und so machte er sich nach dreijährigem Aufenthalte daselbst wieder auf und lenkte seine Schritte nach Wien, wo schon seit einem Jahrhundert eine mathematische Schule blühte, deren Glanz erst neuerdings durch das Auftreten eines ebenso jungen wie tüchtigen Professors, Georgs von Peurbach, neu entfacht worden war. Es wird erzählt, der junge Ankömmling sei sofort, ohne Fürsprache oder Empfehlungsschreiben, vor Peurbach hingetreten, habe ihm seine Geschicke erzählt und der festen Ueberzeugung Ausdruck gegeben, daß er sich in seinem Vertrauen nicht enttäuscht sehen werde; der berühmte Gelehrte habe darauf den Knaben umarmt und ihn seiner kräftigen Unterstützung versichert. Peurbach hielt Wort, denn er zog den strebsamen Jüngling ganz zu sich heran und beschränkte sich nicht darauf, ihn Dasjenige zu lehren, was auch den übrigen Studenten geboten wurde, sondern er weihte ihn in sein eigenes Geistesleben ein und bezeichnete ihm diejenigen Probleme, deren Lösung die Wissenschaft jener Tage als ihr nächstes Ziel anzustreben hatte. Die alphonsinischen Tafeln, so sagte er ihm, seien im höchsten Grade fehlerhaft, man bedürfe eines guten Kataloges der Fundamentalsterne, sowie auch schärferer Bestimmung der ekliptischen Kardinalpunkte; zu dem Zwecke, diese Verbesserungen allmählich bewirken zu können, stellte Peurbach mit seinem Schüler eine Reihe von Beobachtungen an. Den 9. Septbr. 1457 wollte Bose als den eigentlichen Geburtstag der neueren Sternkunde betrachtet wissen, weil an diesem Tage beide Männer zu Mölk an der Donau eine sehr gelungene Mondfinsternißbeobachtung angestellt hatten. Einige Stockung ward in dieses eifrige Zusammenarbeiten allerdings durch den Umstand gebracht, daß der Cardinal Bessarion, einer der gelehrten griechischen Flüchtlinge (1395–1472), in der Ausübung kirchlich-diplomatischer Pflichten nach Wien kam und dort mit Peurbach in näheren Verkehr trat, denn er wußte den letzteren zu bestimmen, behufs bequemerer Ausführung der projectirten Arbeiten nach Rom überzusiedeln. Peurbach’s treue [565] Freundschaft für seinen Zögling ließ ihn jedoch die von dem Kirchenfürsten gerne bewilligte Bedingung stellen, daß auch M. die Reise mitmachen dürfe, und so eröffnete sich für diesen, der schon in Wien die griechischen Mathematiker lieb gewonnen, den Archimedes z. B. aber nur aus der Bearbeitung des Jakob von Cremona kennen gelernt hatte, die willkommenste Gelegenheit, unmittelbar aus dem Borne des Alterthums zu schöpfen. Der Zeitpunkt der Romfahrt ist bis jetzt nicht genau festgestellt worden. Gleich nach seiner Ankunft widmete sich M. eifrig dem Studium der griechischen Sprache und zwar mit der Unterstützung des damals berühmten Philologen Georg von Trapezunt, der später einer seiner grimmigsten Feinde wurde. Peurbach war während der Vorbereitungen zur Reise 1461 in dem jugendlichen Alter von 38 Jahren plötzlich gestorben, allein so tief M. den Verlust des väterlichen Freundes auch empfinden mochte, so zog er persönlich doch nur Vortheil davon, denn der Cardinal, der die Bedeutung des jungen Mannes mit richtigem Scharfblick durchschaut hatte, schenkte ihm nunmehr seine volle Zuneigung und setzte ihn in den Stand, sich sorgenfrei ausschließlich seinen wissenschaftlichen Neigungen hingeben zu können.

Als Bessarion im Jahre 1462 eine Geschäftsreise nach Griechenland unternehmen mußte, ließ er seinem Schützling die Wahl, in Rom, in Ferrara, in Padua oder in Venedig seine Rückkehr abzuwarten. Fürs Erste blieb derselbe in Rom, mit dem Studium griechischer Handschriften sowie mit Himmelsbeobachtungen eifrig beschäftigt, später scheint er kurze Zeit sich auch in Viterbo aufgehalten zu haben, und dann reiste er nach Ferrara, dem Sitze einer im späteren Mittelalter zu hoher Blüthe gelangten Universität, wo die Hellenisten Theodor von Gaza und Guarini, sowie der Astronom Bianchini (Blanchinus) ihm befreundet wurden. Wahrscheinlich bei Ersterem vervollkommnete er sich in den alten Sprachen noch mehr und lernte sogar gute griechische Verse machen. Doch brachte der Aufenthalt in Ferrara auch seiner Hauptwissenschaft guten Nutzen ein, denn hier begann er den Text des ptolemäischen Almagestes in seiner Reinheit wiederherzustellen und die massenhaften Fehler in der Uebersetzung des Trapezuntiers auszumerzen. Das Jahr 1463 sah M. in Padua, wo er, wie das damals an den Hochschulen nichts seltenes war, Gastrollen als Docent gab und Vorträge über das beliebte astronomische Lehrbuch des Arabers Alfraganus hielt; auch beobachtete er dort am 2. April 1464 eine totale Mondverfinsterung. Offenbar in dem Wunsche, Bessarion bei seiner Ankunft in Italien zu bewillkommnen, begab sich M. von Padua nach Venedig und entfaltete daselbst eine rege litterarische Thätigkeit. Er begann nämlich mit der Ausarbeitung seiner Trigonometrie, schrieb seine Widerlegung der cusanischen Kreisquadratur und vertiefte sich zugleich in kalendarische Studien; es hatte ihn gewaltig gewurmt, daß ein Rabbiner in seiner und des Cardinals Gegenwart den Christen deren mangelhafte Festrechnung vorgeworfen hatte. Wenn wir einer solchen Anzahl gelehrter Arbeiten gedenken und zugleich des oben angegebenen Termines der Paduaner Beobachtung eingedenk bleiben, so müssen wir die Rückkehr Müller’s nach Rom, die nach Wolf zu Anfang 1464 erfolgt sein sollte, wohl auf einen etwas späteren Zeitpunkt verlegen. Mehrere Jahre verflossen nunmehr in ununterbrochener energischer Geistesarbeit, allein im Jahre 1468 gestaltete sich die Stellung, welche Georg von Trapezunt sammt seinen Söhnen seinem Kritiker gegenüber einnahm, so unfreundlich und drohend, daß M., der seinen Patron Bessarion noch immer in weiter Ferne wußte, schleunigst Rom verließ. Er wandte seine Schritte nach Wien; in seinem Reisegepäck verwahrte er einen kostbaren Schatz lateinischer und griechischer Codices, darunter Bessarion’s selbstgefertigte Handschrift der μεγάλη σύνταξις.

In Wien, wo Peurbach’s Stelle noch nicht wieder besetzt worden war, erhielt [566] M. sogleich eine Professur, aber er bekleidete dieselbe nicht lange. Denn schon im nächsten Jahre gelangte ein Ruf des kunst- und prachtliebenden Königs von Ungarn an ihn; Mathias Corvinus hatte in seiner Residenz Ofen eine Fülle von Büchern und sonstigem wissenschaftlichem Material angesammelt und wünschte zur Ordnung und Beaufsichtigung dieser Erwerbungen einen sachverständigen Mann in seine Dienste zu ziehen. M. nahm diese Stelle mit dem stattlichen Jahresgehalte von 200 Goldgulden an und setzte in Ofen die in Italien angefangenen Arbeiten eifrig fort, wie er denn z. B. hier die dem Erzbischof von Gran gewidmeten „Tabulae directionum“ bearbeitete. Sehr bald aber stellte es sich heraus, daß am Hofe eines wenn auch geistvollen, so doch in alle möglichen Welthändel verwickelten Fürsten nicht die zur Ausführung weitaussehender gelehrter Pläne nothwendige Ruhe zu finden sei, und als Mathias seinen Krieg mit Georg Podiebrad von Böhmen begann, erkannte M. die Nothwendigkeit, seinen Stab weiter zu setzen. Er bedurfte eines Wohnortes, der ihm neben ungestörter Muße auch die geistigen und materiellen Hülfsmittel darbot, welche durch seine Absicht, großartige Publicationen älterer und neuerer Werke vorzunehmen, erfordert wurden.

Unter sämmtlichen Städten Deutschlands stand während des ganzen 15. Jahrhunderts wohl keine in gleichem wohlverdienten Ruhme, wie die Reichsstadt Nürnberg. Ihr glänzend durchgefochtener Krieg mit dem Heeresfürsten Albrecht Achilles hatte ihre politische Bedeutung wesentlich gehoben, als eines der ersten Centren für Manufactur und Handel hatte sie sich schon seit zwei Jahrhunderten bethätigt, und neuerdings waren auch die Augen aller Gelehrten auf das blühende fränkische Gemeinwesen gerichtet, weil unter dessen Schutze Gutenberg’s neue Kunst zu hoher Vervollkommnung gediehen war. Die Druckereien von Anton Koburger und Sensenschmid, zahlreicher anderer Firmen nicht zu gedenken, begannen damals schon einen Weltruf zu erlangen, und der Gedanke an den Vorschub, welcher durch jene seinen eigenen typographischen Plänen geleistet werden konnte, mag wohl auch für M. mitbestimmend gewesen sein, als er Nürnberg zu seinem dauernden Aufenthalte ausersah. Seine Motive sprechen sich sehr deutlich in einem Schreiben aus, welches er im J. 1471 an seinen Freund Roder richtete, und worin es u. a. heißt: „Nuperrime Norimbergam mihi delegi domum perpetuam, tum propter commoditatem instrumentorum maxime astronomicorum *), quibus tota sideralis innititur disciplina, tum propter universalem conversationem facilius habendam cum studiosis viris ubicunque vitam degentibus, quod locus ille perinde quasi centrum Europae propter excursum mercatorum habeatur“. Der Zeitpunkt des Umzuges von Ofen nach Nürnberg läßt sich vermittelst eines Rathsbeschlusses ziemlich genau bestimmen, welcher, vom 29. Nov. 1471 datirt, dem Astronomus Maister Johann von Koenigsberg die Erlaubniß zum längeren Verweilen in der Stadt ertheilte. Der Stadtrath wußte sehr gut, daß die Ansiedelung eines solchen Bürgers mancherlei Vortheile jeder Art in ihrem Gefolge haben müsse, und er täuschte sich nicht in dieser Voraussetzung. Siebenkees, ein gründlicher Kenner Nürnbergischer Geschichte, berichtet, daß der Magistrat die Abhaltung öffentlicher Lehrvorträge über Mathematik und Astronomie durch M. veranlaßt habe, eine Angabe, die aus inneren Gründen sehr wohl glaubhaft erscheint, wiewohl allerdings eine documentarische Bekräftigung zur Zeit noch fehlt. Davon, daß M. auch privatim junge Leute in die von ihm gepflegten Wissenschaften einführte, wird weiter unten die Rede sein.

[567] Die erste Aufgabe Müller’s bestand nun darin, die Vervielfältigung der so massenhaft aus Italien nach Deutschland übertragenen Manuscripte ins Werk zu setzen. Anfänglich schienen sich diesem Vorhaben unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenzustellen, da die Nürnberger Pressen bei all’ ihrer sonstigen Leistungsfähigkeit dem Satze der griechischen Lettern und der mathematischen Zeichen nicht gewachsen waren. Zum Glücke erstand dem Anfangs wohl herb enttäuschten Gelehrten eine Hülfe von einer Seite, woher er sie nicht erwartet haben mochte, indem er in der Person Bernhard Walther’s einen ebenso aufopfernden als thatkräftigen Freund fand. Man liest häufig, derselbe habe zu den Patriziern gehört, indeß kommt der Name sonst nicht unter den rathsfähigen Familien vor. Wie dem aber auch sei, jedenfalls war Walther ein wohlhabender und hochgebildeter Mann, durch dessen Mitwirkung erst Müller’s Nürnberger Periode jene hohe Bedeutung für die Wissenschaft gewann, welche alle Geschichtschreiber ihr einstimmig zuerkennen, denn dreierlei Institute waren es, die M. seinem Mäcen zu danken hatte, eine Sternwarte, eine mechanische Werkstätte und eine Druckerei. Die Topographie dieser drei Anstalten ist etwas unsicher; Walther selbst wohnte auf dem Markte und richtete sich erst später, nach Müller’s Tode, auf dem Dache des später von Albrecht Dürer bewohnten Hauses am Thiergärtnerthore ein neues Observatorium ein, während nach einzelnen Angaben die von ihm für M. erbaute Warte auf einem Hause der Rosengasse sich befunden haben soll. Noch weniger Gewisses ist uns von dem Atelier bekannt, aus dem aber zweifellos zahlreiche Apparate von vorzüglicher Construction hervorgegangen sind, Astrolabien, Armillarsphären, Boussolen und besonders auch gewisse Instrumente von Müller’s eigener Erfindung, deren später Erwähnung zu thun sein wird. Die Kunst, Messing zu fabriciren und zu formen, war ja in Nürnberg recht eigentlich zu Hause, und eine der blühendsten Innungen war diejenige der Zirkelschmiede, welche manche Schriftsteller als die der „Compaßmacher“ bezeichnen – lediglich in Folge eines komischen Mißverständnisses, indem compassus, wie noch heute im Italienischen, eben nur unseren gewöhnlichen Handzirkel bedeutet. Unter so günstigen Umständen hielt es für M. nicht schwer, Beobachtungen von früher nicht gekannter Genauigkeit anzustellen, wie z. B. bei einer Mondfinsterniß am 2. Juni 1472 oder bei dem im nämlichen Jahre erschienenen großen Kometen. Was endlich die Walther’sche Officin anlangt, so befand sich dieselbe nach einer allerdings isolirten Aussage v. Murr’s in der Karthäusergasse. Sämmtliche Werke, die unter Müller’s Oberleitung („ductu Joannis de Monteregio“) in Nürnberg ans Licht kamen, sind in dieser seiner eigenen Officin gedruckt worden, nur die Streitschrift gegen Gerhard von Cremona scheint eine Ausnahme zu machen, da in mehreren noch vorhandenen Originalexemplaren derselben alle griechischen Worte ausgelassen und später durch den Autor mit eigener Hand nachgetragen worden sein sollen.

Nahezu vier Jahre hatte sich M. in Nürnberg aufgehalten und während dieses kurzen Zeitraums eine geradezu staunenswerthe scientifische Thätigkeit entfaltet, da wurde er seinem stillen Wirken wieder entrissen und in das Weltgetriebe zurückgeschleudert. Wir haben oben bereits gesehen, daß auch die Kalenderreform eines der zahlreichen Probleme war, mit denen der große Astronom sich eifrig beschäftigte, und so konnte es nicht fehlen, daß auf diesen die Augen des Papstes Sixtus IV. fielen, der von allen Trägern der Tiara bis zu seiner Zeit jene wichtige Frage wohl am meisten förderte, obwohl er in ihrer endgültigen Lösung nicht so glücklich war wie sein Nachfolger Gregor. Im J. 1475 richtete er ein Schreiben an M., in welchem er diesen aufforderte, behufs Berathungen über die Verbesserung des Kalenders nach Rom zu kommen, und um seinem Wunsche mehr Nachdruck zu geben, erhob er den [568] deutschen Gelehrten zu der Würde eines Bischofs von Regensburg. Es war dies unter den gegebenen Umständen natürlich nur eine Titularwürde, zumal da M. wohl kaum mehr als die sogenannten niederen Weihen empfangen hatte, allein den Erfolg hatte die Standeserhebung eben doch, daß die Geschicke des bis dahin so ganz unabhängigen Mannes jetzt von Seiten des Papstes mehr beeinflußt werden konnten. So folgte denn M. dem an ihn ergangenen Rufe und reiste im Herbste des Jahres 1475 nach Italien ab; seine letzte Beobachtung in Nürnberg datirt vom 28. Juli. Nicht ganz ein Jahr mehr aber war ihm vergönnt, an der ihm gestellten Aufgabe zu arbeiten, denn schon am 6. Juli 1476 ereilte ihn, gerade im Alter von 40 Jahren, der Tod zu Rom. Sein Leichnam soll im Pantheon beigesetzt worden sein, doch bezeichnet kein Epitaph seine Ruhestätte. Ob wirklich, wie behauptet wird, der Gelehrtendünkel die Söhne seines alten Widersachers Georg von Trapezunt so weit gebracht hat, den verhaßten Recensenten durch Gift aus dem Wege zu räumen, ist doch äußerst fraglich, vielmehr scheint eine andere Nachricht mehr Glauben zu verdienen, welche dahin lautet, daß M. einem Anfalle der damals gerade sehr heftig auftretenden Pest zum Opfer gefallen sei.

Als man in Nürnberg die Kunde von dem frühen Hingang des gefeierten Mitbürgers erhielt, erhob sich allgemeine Klage, namentlich scheint Walther’s Schmerz ein erschütternder gewesen zu sein. Aber auch die übrigen Zeitgenossen beklagten tief ein für die Wissenschaft so höchst schmerzliches Ereigniß, und Bruno Selerus z. B. widmete ihm den folgenden Nachruf: „Inferior nullo doctrina laude priorum – doctus et astrorum cognitione fui. – Ita nunc tellus et me Germania novit: – Pannonis et studium praedicat ora meum. – Duxit in has celebris, primum Peurbachius artes – Ingenium magna dexteritate meum“. Auch später noch haben Reinhold, Rheticus, Apian, Schöner und Melanchthon rühmend des trefflichen Mannes ehrend gedacht, der mitten aus seinen Entwürfen von unerbittlicher Hand weggerafft worden sei. Vieles freilich hat er noch rechtzeitig ans Licht gebracht, Vieles aber ist auch mit ihm zu Grunde gegangen: „Aliis opusculis a se inchoatis Regiomontanus ob immaturam sui mortem manum ultimam non imposuit“. Walther bewahrte allerdings die in seinem Besitze verbliebenen Handschriften seines Lehrers und Freundes pietätvoll auf und so ward Einzelnes vor der Vernichtung bewahrt, wie denn z. B. nach des Prätorius Zeugniß die im Manuscripte fertig gestellte Gnomonik Müller’s von dem jüngeren Schöner in dessen eigenen Tractat über diesen Gegenstand aufgenommen worden ist, als aber auch der natürliche Erbe im J. 1504 aus dem Leben schied, da scheint mit seiner Hinterlassenschaft ganz unverantwortlich umgegangen worden zu sein. Immerhin ist eine stattliche Anzahl Müller’scher Arbeiten auf uns gekommen, wie sich sofort herausstellen wird, wenn wir jetzt daran gehen, seine fachwissenschaftlichen Leistungen einer näheren Betrachtung zu unterziehen. –

Es wird dies am besten dadurch geschehen, daß wir uns an das von M. selbst aufgestellte Programm seiner litterarischen Thätigkeit halten, welches derselbe jedenfalls schon in Italien oder Ofen sich zurechtgelegt hatte, und sodann gleich nach der Ankunft in Nürnberg im Detail feststellte. Ein Brief aus dem Jahre 1471, welchen er an seinen vertrauten Freund, den Magister Christian Roder in Erfurt schrieb, giebt uns über diesen wahrhaft großartigen Arbeitsplan die beste Auskunft. Folgende Schriftwerke des classischen Alterthums sollten in möglichst vollendeter Gestalt neu aufgelegt werden: die Kosmographie des Ptolemäus, da die von Jacob Angeli besorgte Ausgabe sich als gar zu unvollkommen erweise, des nämlichen Autors Almagest, Euklid’s Elemente, des Hypsikles Anaphorikos, Theon’s Commentar zum Ptolemäus, des letzteren astrologisches Werk [569] (Quadripartitum), die „Sufformationes astronomicae“ des Proklus, die Astrologie des Julius Firmicus, sämmtliche Schriften des Archimedes, soweit sie eben damals – wo man von den arabischen Uebersetzungen noch nichts wußte – bekannt waren, nebst dem Commentar des Eutokius, die Optik und Musik des Ptolemäus sammt den von Porphyrius der letzteren beigefügten Scholien, die sphärischen Lehrbücher von Theodosius und Menelaus, die Konika des Apollonius, der Cylinderschnitt des Serenus, das didaktische Gedicht des Hyginus und endlich, damit auch die Mechanik nicht zu kurz komme, die Aristotelischen „Probleme“ und die „Spiritalia“ des Heron Alexandrinus. Man sieht aus dieser Aufzählung, daß sich M. ein ähnliches Ziel gesteckt hatte, wie zweihundert Jahre später der englische Archäolog Bernard, und nur mit tiefstem Bedauern kann der Freund historischer Forschung die Thatsache constatiren, daß beide Male die Anlage des Werkes eine allzu gigantische war, um nicht an der Unzulänglichkeit menschlicher Kraft zu scheitern. Nur eine einzige antike Schrift ist im Druck aus den Müller’schen Pressen hervorgegangen, und zwar durchaus keine der wichtigsten, nämlich das astronomische Lehrgedicht des Manilius, von welchem 1472 eine Ausgabe in Quart erschien. Warum gerade dieses als erste Probe gewählt ward, wissen wir nicht, doch darf man eben nicht aus den Augen verlieren, daß M. kein bloßer Mathematiker, sondern auch mit Leib und Seele Philologe war, und zudem bediente man sich früher des Manilius gerne zu dem Zweck, Anfänger mit den ersten astronomischen Begriffen vertraut zu machen. Indeß beschränkte sich der Müller’sche Katalog projectirter Neuausgaben, der merkwürdigerweise den Widerspruch einzelner zur Begutachtung aufgeforderter Fachgenossen erregte, nicht auf die alten Schriftsteller, vielmehr sollten auch mittelalterliche Autoren bedacht werden. Die astrologischen Schriften des Antonius de Montulmo und des Prinzen(?) Leopold von Oesterreich, die Optik des Vitellio (Witelo) und die Arithmetik des Jordanus Nemorarius sammt dessen Tractat „De numeris datis“ gehörten in diese zweite Classe; außerdem aber gewisse geographische Arbeiten, deren Nichtausführung vielleicht am meisten beklagt werden muß. Es sollte nämlich in einem umfassenden Auszuge aus den alten Geographen eine Art Uebersicht der allgemeinen Erdkunde („quae videlicet ad montes, quae ad maria, ad lacus amnesque ac alia particularia loca spectare videbantur“) geliefert und zugleich eine Sammlung von „Abbildungen der bewohnten Erde“ („quam vulgo appellant mappam mundi“) herausgegeben werden. Alles dies ist leider im Stadium der guten Vorsätze verblieben. Der Müller’sche Zukunftskatalog enthielt nun aber auch eine höchst stattliche Anzahl eigener Arbeiten, und von diesen haben die Walther’schen Pressen in dem Zeitraum von 1471 bis 1476 wirklich mehrere zu Tage gefördert, nämlich die Ausgabe der Peurbach’schen Planetentheorie, die Ephemeriden, eine Reihe von Kalendern, die gegen den Gerhard von Cremona gerichtete Streitschrift, die „Tabulae directionum“ und die „Tabulae primi mobilis“. Vielleicht würde der selbstgefertigten Preßerzeugnisse eine noch größere Menge geworden sein, wenn nicht anscheinend die Druckerei zur Vervielfältigung anderweiter Schriften verwendet worden wäre; wenigstens giebt Panzer an, daß auch ein satirisches Gedicht des Vegius und Magni Basilii liber ad juvenes aus jener Officin hervorgegangen seien. Wenn nun aber auch M. selbst nicht das Glück hatte, den Druck seiner sämmtlichen Werke besorgen zu können, so ist doch manches von diesen später publicirt worden. Nach Stern, dem wir eine treffliche Regiomontan-Bibliographie verdanken, gehören hierher folgende Stücke: „Fundamenta operationum, quae fiunt per tabulam generalem“, Neuburg 1557; „Epytoma Joannis De monte regio in almagestum Ptolemaei“, Venedig 1496, später in Basel und Nürnberg nachgedruckt; „Commentariolum singulare contra traductionem Jacobi Angeli Florentini“, [570] Straßburg 1525; „De triangulis omnimodis libri V“, welcher Ausgabe (Nürnberg 1533, Basel 1560) auch die Recension der Cusanischen Kreisquadratur und ein Aufsatz „De recti ac curvi commensuratione“ beigegeben sind; „De cometae magnitudine, longitudineque ac de loco ejus vero problemata“, Nürnberg 1531, Basel 1548 (nach Ziegler möglicherweise noch unter Müller’s eigener Oberleitung zuerst gedruckt); eine zusammenfassende Beschreibung der von M. neu erfundenen Instrumente, zuerst 1537 zu Marburg herausgekommen, in Nürnberg unter anderem Titel 1544 wieder abgedruckt und zuletzt von dem niederländischen Mathematiker Willebrord Snellius in dessen Werk Coeli et siderum in eo errantium observationes Hassiacae (Leyden 1618) aufgenommen, ein Tractat „De motu octavae sphaerae contra Thebit suosque sectatores“, der nach Doppelmayr zu Venedig erschienen sein soll; die von Werner (Nürnberg 1514) edirte „Epistola ad cardinalem Bessarionem de compositione et usu cujusdam meteoroscopii armillaris“; „Problemata 29 Sapheae“ (von σαφής, einleuchtend, Nürnberg 1534); „Algorithmus demonstratus“, Nürnberg 1534; „Compositio tabularum sinuum“, Nürnberg 1541; gewisse kleinere Arbeiten, die von Schöner und Melanchthon in deren Ausgabe des Alfragan und Albategnius von 1537 aufgenommen wurden, nämlich die Paduaner Antrittsrede über die Bedeutung der Mathematik, eine Einleitung zu den Euklidischen Elementen und „Demonstrationes et additiones“ zu Albategnius; Zusätze zum Antonius de Montulmo, die Schöner seiner Ausgabe dieser Anleitung zur Nativitätstellung (Nürnberg 1540) einreihte; endlich einige astrologische Schriften, die zu Straßburg (1528), zu Frankfurt a. M. (ohne Jahreszahl) und wiederum zu Straßburg (1532) abgedruckt wurden. Eine Marburger Sammelausgabe gewisser kleinerer Müller’scher Schriften, zumal der Tractate „De ponderibus et aquaeductibus“, sowie „De speculis ustoriis“ findet sich allerdings bei Doppelmayr erwähnt, allein da derselbe nicht behauptet, dieselbe mit eigenen Augen gesehen zu haben, und da dies, soweit wir sehen, ebensowenig für irgend einen anderen der zahlreichen Schriftsteller gilt, welche sich mit M. und seinen Producten beschäftigten, so glauben wir die Existenz jener Edition für sehr problematisch halten zu müssen. Wir haben jetzt noch derjenigen Arbeiten Müller’s Erwähnung zu thun, die Manuscript geblieben sind. Von drei solchen hat Th. v. Murr einen sehr eingehenden Bericht erstattet, doch gehört hieher streng genommen nur die eine, die „Defensio Theonis contra Trapezuntium“, da die beiden anderen bereits vorher von anderer Seite zum Druck befördert worden waren. Stern führt weiter auf: Commentariolum, quo commonstratur, placita Campani ex editione element. geometric. rejicienda; Commentaria in eos Archimedis libros, qui Eutocii expositione carent; De instauratione calendarii ecclesiae; Problemata geometrica omnimoda; De directionibus contra Archidiaconum Parmensem; De distinctione domorum coeli contra Campanum et Joannem Gazulam, Ragusinum; De quinque corporibus aequilateris. Diese stereometrische Studie soll dazu bestimmt gewesen sein, die Unrichtigkeit der von Aristoteles herrührenden Behauptung darzuthun, daß sämmtliche reguläre Körper durch gehörige Aneinandersetzung zur lückenlosen Ausfüllung des Raumes dienen könnten. Eine schöne geometrische Arbeit Müller’s, die er handschriftlich seinem – heute noch auf der Nürnberger Stadtbibliothek befindlichen – Exemplare der Atelhart’schen Euklidübersetzung anfügte, ist vom Berichterstatter publicirt worden. Endlich ist noch als einer der wichtigsten Fundgruben für unsere Kenntniß Müller’scher Gedankenarbeit der Correspondenz zu gedenken, welche in den Murr’schen „Denkwürdigkeiten“ sich vollständig vorfindet. Drei Männer sind es vornehmlich gewesen, mit denen M. geistig verkehrte, an die er Fragen stellte, denen er Belehrung mannigfacher Art ertheilte, um auch von ihnen sich wieder belehren zu lassen: Christian Roder [571] und Johannes Bianchini, die uns beide bereits bekannt sind, sodann noch Jacobus de Spira, ein deutscher, aber damals im Dienste des Grafen von Urbino stehender Mathematiker. – Auf diese Weise glauben wir dem mehr bibliographischen Theile unserer Aufgabe gerecht worden zu sein, so daß wir uns der noch wichtigeren Pflicht zuwenden können, die Bedeutung Müller’s nicht blos als eines Verbreiters, sondern auch als eines Beförderers der exacten Wissenschaften ins richtige Licht zu stellen.

Wir beginnen mit der reinen Mathematik und innerhalb dieser natürlich mit der Arithmetik. Von Schriftwerken kommt da für uns zunächst der „Algorithmus demonstratus“ in Frage, über welchen von jeher die Ansichten der Kenner weit auseinandergegangen sind. Schöner hielt ihn für ein Originalwerk, und Chasles pflichtete ihm in dieser Angelegenheit vollkommen bei, Stern dagegen erklärt vielleicht etwas zu kategorisch: „Diese Schrift ist nicht von Regiomontan selbst, sondern von ihm nach dem Manuscripte eines Unbekannten in Wien abgeschrieben“. Mag auch letzteres zur Zeit noch nicht ganz feststehen, so neigt doch auch Cantor der Ansicht zu, daß hier eigentlich ein älterer algebraischer Tractat vorliege. Sehr bemerkenswerth ist jedenfalls, daß in demselben bereits eine ziemlich ausgebildete Buchstabenrechnung zur Anwendung kommt – freilich durchaus keine proles sine matre creata, denn der Dominicaner Jordanus Nemorarius hatte schon zwei Jahrhunderte früher durchgängig mit Buchstaben statt mit Zahlen gerechnet; seine Schrift „De numeris datis“, die uns neuerdings durch Treutlein und Curtze zugänglich gemacht worden ist, war dem M., wie uns seine Publicationenliste zeigte, wohl bekannt. Ein Literalcalcul im modernen Sinne war damit freilich noch keineswegs geschaffen, denn noch fehlte das Gleichheitszeichen, welches auch M. nicht erfunden hat, obwohl er in der Algebra wohl beschlagen war und gerne dahin zielende Aufgaben löste. Daß freilich eine quadratische Gleichung zwei Wurzelwerthe besitzt – eine merkwürdigerweise sogar dem Diophant entgangene Elementarwahrheit – scheint er einem an Jakob von Speier gerichteten Briefe zufolge noch nicht gewußt zu haben, dagegen hatte er sehr wohl den nahen Zusammenhang der cubischen Gleichungen mit dem bekannten Probleme der Winkeltrisection bemerkt; als er die Berechnung einer gewissen Strecke auf eine solche Gleichung vom dritten Grade zurückgeführt sah, sagte er in sehr zutreffender Weise: „Si dabitis lineam, dabo chordam unius gradus“. Sehr viel Neigung scheint M. zu der unbestimmten Analytik gehabt zu haben, ein Umstand, der für jene Zeit geradezu befremden müßte, wenn nicht bekannt wäre, daß M. sich während seines Aufenthaltes in Venedig auch in das Studium des Diophant vertiefte, von dem er, wie einer seiner Briefe an Bianchini aussagt, eine lateinische Uebersetzung zu veranstalten im Sinne hatte. Jedenfalls hatte er diesem Autor die Anregung zu den häufig nichts weniger denn leichten zahlentheoretischen Fragen zu verdanken, welche er an seine Correspondenten richtete. Zur Charakterisirung dieser Fragen greifen wir etwa die folgende heraus: Wie lassen sich drei in harmonischer Proportion stehende Quadratzahlen finden? Es ist freilich nicht ausgemacht, ob M. für jede von ihm ausgehende Aufgabe auch die Lösung in Bereitschaft hatte, doch macht sein ganzes Auftreten es immerhin wahrscheinlich, daß er wenigstens glaubte, im Besitze einer allgemeinen Lösungsmethode zu sein, und wirklich kamen sowohl Bianchini als auch der Pfälzer mit einzelnen der gestellten Probleme ganz gut zurecht. Man darf auch nicht vergessen, daß chronologische Arbeiten, wie sie ja M. im Interesse der Kalenderverbesserung betreiben mußte, nothwendig auf unbestimmte Gleichungen führen. Wenn wir noch hinzufügen, daß M. den Euklid des Campanus hauptsächlich wegen der darin enthaltenen ungenügenden Darstellung der [572] Proportionenlehre angriff (in einem vom 4. Juli 1471 datirten Schreiben an Roder), so glauben wir unsere Schilderung seiner Thätigkeit im Bereiche der Zahlenlehre zum Abschlusse gebracht zu haben. – Als Geometer tritt uns derselbe zunächst in seinem Bestreben entgegen, elementare Aufgaben zu lösen, wie sie heutzutage etwa den Schülern einer Gymnasialsecunda gestellt werden, die aber dazumal keineswegs den heutzutage an ihnen gewohnten Eindruck der Einfachheit machten. Derartige Problemstellungen sind: ein Dreieck zu construiren aus dem Umfang und zwei Winkeln, aus der Differenz zweier Seiten, der Höhe zur dritten und der Differenz der auf dieser entstandenen Segmente, endlich aus einer Seite, der zugehörigen Höhe und dem Verhältniß der beiden anderen Seiten. M. erklärt diese letztere Aufgabe für eine geometrisch sehr schwer lösbare und beweist damit, daß ihm ein alter Satz über geometrische Oerter, von welchem Apollonius, Eutokius und der Araber Ibn Haitham mehrfach Gebrauch gemacht hatten, noch unbekannt war; in Folge dessen nimmt er zu „ars rei et census“, d. h. zur Algebra seine Zuflucht und bringt auch mit deren Hülfe eine Construction zu Stande. Eine Trisection des Winkels, die in einem Briefe an Bianchini zur Sprache kommt, stimmt im wesentlichen mit der früher bereits von Campanus gegebenen überein. Die damals noch von einem gewissen Scheine mysteriöser Natur umgebene Frage der Kreisquadratur beschäftigte M. lebhaft, doch war er in deren Behandlung glücklicher als Kritiker denn als selbständiger Forscher. Der bekannte Cardinal Nicolaus von Cusa hatte vordem einen „Tractatus de quadratura circuli“ verfaßt und u. a. auch an Peurbach zur Prüfung gesandt, der dann die Unrichtigkeit des darin in Vorschlag gebrachten Verfahrens bald herauszufinden wußte und vermuthlich seinen Schüler zu der oben namhaft gemachten Entgegnung veranlaßte; dieselbe gipfelt in dem Nachweise, daß das von dem Cusaner angegebene Quadrat erheblich größer als die wirkliche Kreisfläche sei. Auch mehrere andere Methoden angeblicher Kreisquadrirer sind von M. rechnerisch geprüft und falsch befunden worden. Um so mehr muß es auffallen, daß ein so kritischer Kopf sich bei dem wenig genauen Zahlwerthe beruhigen konnte, der, weil nicht einmal die archimedischen Grenzen einhaltend, gegen den von Peurbach adoptirten Werth entschieden zurücktreten muß. Das Vollendetste jedenfalls, was M. auf rein geometrischem Gebiete schuf, sind die oben erwähnten Zusätze zum Atelhart’schen Euklid, die eine auf saubere Zeichnungen gestützte elegante Theorie der Sternvielecke, resp. ihrer Winkelsummen, in sich schließen. Es konnte zuerst zweifelhaft sein, ob diese Einschaltung wirklich von M. selbst und nicht vielleicht von dem alten englischen Uebersetzer selbst herrühre, doch ist diese Frage durch Curtze wohl endgültig zu Gunsten des ersteren erledigt worden. Man könnte wohl daran denken, daß Pierre de Ramée, den man sonst in der Geschichte der Sternpolygone mit an erster Stelle zu nennen pflegt, der aber, wie wir nachher sehen werden, während seines Aufenthaltes in Nürnberg ganz in Regiomontanischen Reminiscenzen aufging, seine bezüglichen Ideen dem uns bekannten Codex, den er zweifellos zu Gesicht bekam, entnommen habe. – Wir gehen nunmehr zur Trigonometrie über, als zu derjenigen mathematischen Disciplin, welche zu der Astronomie in der nächsten und unmittelbarsten Beziehung steht, wo also auch Müller’s selbstthätiges Eingehen am allerersten erwartet werden muß. Diese Erwartung ist auch keine unrichtige, denn in den Annalen der drei Einzelzweige, aus welchen dieser Theil der rechnenden Geometrie besteht, der Goniometrie, der ebenen und der sphärischen Trigonometrie hat M. seinen Namen mit unauslöschlicher Schrift eingetragen. Die trigonometrischen Tafeln hatten bislang immer noch dem herrschenden Sexagesimalsystem sich anbequemen müssen, was [573] insofern Uebelstände mit sich brachte, als doch die sonstige Rechnung immer eine decimale war; M. trug diesem doppelten Verhältnisse zuerst noch dadurch Rechnung, daß er, um ein Compromißsystem anzubahnen, den Tafelradius = 600000 setzte, allein bald befreite er sich auch von der letzten Fessel und führte, indem er sämmtliche goniometrischen Linien auf den Sinus totus 10000000 bezog, das reine zehntheilige Rechnen auch in den trigonometrischen Calcul ein. Als er im Winter 1463–64 die später von Schöner herausgegebene Anleitung zur gesammten Trigonometrie im Manuscripte fertig gestellt hatte, war ihm das wichtige Hülfsmittel der Tangenten offenbar noch unbekannt. Dagegen sind die „Tabulae directionum“, die, wie wir früher sahen, in Ungarn entstanden, bereits mit einer sogenannten „Tabula foecunda“, d. h. mit einer Tangententafel, versehen. Es ist zuzugeben, daß dieselbe, die nur von Grad zu Grad fortschreitet, noch lange nicht die damals bereits den Sinustafeln zukommende Vollkommenheit erreicht hat, es ist ferner nicht zu leugnen, daß den Arabern der rechnerische Nutzen der Tangens und Cotangens (umbra recta und umbra versa) weit früher schon zu vollem Bewußtsein gekommen war, allein bei alledem bleibt doch unserem M. die nicht gering anzuschlagende Ehre, einen so erheblichen Fortschritt im Aufbau des goniometrischen Lehrgebäudes zuerst vollzogen zu haben. Was die ebene Trigonometrie anlangt, so hat M. die fast zwei Jahrhunderte lang von der Tagesordnung nicht abgesetzte Aufgabe, aus vier gegebenen Strecken als Seiten ein Sehnenviereck zu verzeichnen, als der Erste mit einer richtigen Lösung versehen; auch der wichtige Fundamentalsatz, daß im ebenen Dreieck zwei Seiten zu einander sich wie die Sinus ihrer Gegenwinkel verhalten, dankt ihm diese noch heute übliche Formulirung. Ob M. eine Maximumaufgabe, deren er in einem Briefe an Roder gedenkt und die auf die Construction einer mittleren Proportionallinie hinausläuft, algebraisch, geometrisch oder trigonometrisch aufgelöst habe, muß dahingestellt bleiben; jedenfalls ist schon die Stellung ersterer bemerkenswerth genug. Die Raumtrigonometrie hat M. überhaupt zuerst von allen Geometern systematisch bearbeitet, und zwar behandelt er dieselbe nicht blos, wie dies Seitens der Griechen und Araber geschah, als Dienerin der Astronomie, sondern als eine autonome mathematische Wissenschaft. Unter diesem Gesichtspunkte hat er Probleme und Lehrsätze in sein Buch mit aufgenommen, welche allen früheren Bearbeitern gleichgiltig gewesen waren, wie beispielsweise die nachstehenden: Aus den drei Winkeln eines Kugeldreiecks dessen Seiten zu finden; im Kugeldreieck stehen die Sinus zweier Seiten und die Sinus der durch die Winkelhalbirende erzeugten Abschnitte der dritten im gleichen Verhältnisse[WS 1], u. a. m. Auch die zuerst in Nürnberg, dann aber von dem berühmten Buchführer Alantsee zu Wien unter Tanstetter’s Aufsicht zugleich mit Peurbach’s Finsternißtafeln herausgegebene „Tabula primi mobilis Joannis de monte regio“ gehört hierher, denn man kann aus ihr für eine gegebene Hypotenuse und für einen gegebenen schiefen Winkel eines rechtwinkelig-sphärischen Dreieckes den zweiten schiefen Winkel seiner Größe nach entnehmen. Alles in Allem, wird man Wolf’s Urtheil beistimmen müssen, daß Müller’s Trigonometrie diejenige der Araber zwar in einigen Punkten nicht völlig erreichte, wohl aber die griechische mächtig vervollkommnete und ihr, so setzen wir hinzu, eine Gestalt gab, an der anderthalb Jahrhunderte – von Copernicus’ wenig beachteter Einführung der Secanten abgesehen – nichts mehr zu bessern fanden. –

Von Müller’s Beschäftigung mit theoretischer Mechanik und Physik sind keine greifbaren Zeugnisse mehr vorhanden. Es ward angeführt, daß er hierher gehörige Schriften des Aristoteles und Heron zu ediren sich vorgenommen hatte, daß er selbst über Wasserleitungen, Gewichtkunde und Brennspiegel schrieb, allein [574] ob und wie er bei all’ diesen Veranlassungen über den bereits vorgefundenen Stoff sich erhoben hätte, das vermögen wir nicht zu beurtheilen. Dafür aber fehlt es uns durchaus nicht an gültigen Belegen dafür, daß er ein praktischer Mechaniker von ungewöhnlicher Leistungsfähigkeit gewesen sein muß. Zuerst ist dabei natürlich an die von ihm mit Walther’s materieller Beihülfe ins Dasein gerufene und mit großem Erfolge geleitete Druckerwerkstätte zu denken. Mag auch der Enthusiast Ramus viel zu weit gehen, der seinen angebeteten Helden ruhig zum Miterfinder der Buchdruckerkunst stempelt, so wird doch nicht in Abrede gestellt werden können, daß M., indem er zuerst mathematische Bücher mit Figuren und Rechnungen typographisch herstellte, sowohl das Druckwesen selbst als die mit demselben zusammenhängenden Künste des Formenschneidens und Holzgravirens auf eine viel höhere Stufe erhob. Daß er dies selbst sehr wohl fühlte, ergiebt sich u. a. aus einer Stelle des mehrfach erwähnten Kataloges, wo die Abfassung einer eigenen Monographie des Buchdruckes in Aussicht gestellt wird: „Postremo omnium artem illam mirificam literarum formatricem monimentis stabilius mandare decretum est, qua re explicita si mox obdormierit opifex, mors acerba non erit: quum tamen munus posteris in haereditate reliquerit: quo ipsi se ab inopia librorum perpetuo poterunt vindicare“. Eine andere Seite Müller’scher Thätigkeit im Gebiete der praktischen Mechanik ist leider wenig aufgeklärt. Der bekannte Nürnberger Historiker Wagenseil erzählt, die Anfertigung der berühmten Kunstuhr an dem „Schauhause“ neben der Sebalduskirche sei dem Johannes Königschlager zu danken. Daß statt Königschlager vielmehr Königsberger zu lesen ist, unterliegt natürlich gar keinem Zweifel, allein es ist nach Doppelmayr’s Angaben auch nicht einmal gewiß, ob der besagten Uhr nicht ein höheres Alter zukomme; immerhin darf als wahrscheinlich betrachtet werden, daß M. Verbesserungen an ihr anbrachte. Die etwas groteske Erzählung, daß M. eine künstliche Fliege mit wirklicher Fliegvorrichtung und einen Adler construirt habe, der dem einziehenden Kaiser (Friedrich III.) entgegengeflogen sei, ward immer dem Ramus in die Schuhe geschoben, den wir ja bereits als einen excentrischen Verehrer Müller’s kennen lernten, allein bei genauerem Zusehen sagt der gelehrte Franzose gar nicht direct, daß diese Automaten eigenhändiges Product des großen Mathematikers gewesen seien, sondern er führt lediglich die Entstehung der kunstsinnigen Richtung im Handwerk, die sich gerne an solchen Meisterstücken versucht habe, auf M. zurück. Und darin hat er wohl gar nicht so Unrecht gehabt. Es dürfte wenigstens ein innerer Zusammenhang zwischen der großartigen Anregung, welche Müller’s Auftreten der Technik und dem Gewerbe gegeben hat, und zwischen den hervorragenden Leistungen eines Bullmann, Heuß, Henlein (Hele) und anderer Feinmechaniker kaum abzuleugnen sein. Wenn man sich übrigens die dem M. zugeschriebenen Automaten so vorstellt, wie dies der Altdorfer Professor Baier in einer Dissertation für angezeigt erachtet, daß nämlich jener Adler blos die Flügel bewegt, die Fliege dagegen mittelst eines aufgezogenen Räderwerkes auf dem Tische einen Umlauf gemacht habe, so könnte man einem mechanischen Talente, wie es M. unstreitig war, wohl zutrauen, dergleichen Sachen gelegentlich ausgedacht zu haben. Durften wir so eine ganze Reihe von Einzelheiten anführen, die uns in M. auch einen Mann von bedeutendem Handgeschick und einen praktischen Constructeur erkennen ließen, so glauben wir andererseits der umlaufenden Nachricht, er habe sich selbst einen großen parabolischen Brennspiegel gemacht, entgegentreten zu müssen. Wer da weiß, welchen Schwierigkeiten es heute noch unterliegt, Metallspiegel in der Gestalt von Rotationskörpern im Guße herzustellen, dem mußten schon an und für sich Zweifel aufsteigen; nun hat aber auch schon vor langer Zeit Wolfgang Müller eingehendere [575] Untersuchungen über diesen Hohlspiegel angestellt und dabei herausgebracht, daß erstens M. sich selbst nur als den Besitzer, keineswegs aber als den Verfertiger desselben bezeichnet, und daß zweitens dieser Spiegel allem Vermuthen nach nicht ein vollständiges Drehungsparaboloid, sondern blos ein kleiner Theil eines solchen war, wie er nämlich durch zwei parallele Ebenen daraus herausgeschnitten werden kann. –

Den Uebergang von der Mechanik zur Astronomie vermitteln naturgemäß die von ihm erfundenen Beobachtungswerkzeuge, deren er während seines Nürnberger Aufenthaltes viele – nach den Umständen theils aus Messing, theils aus Holz – ausführen ließ und selbst ausführte. Es sind deren besonders drei neue Gattungen gewesen, deren Anwendung für die Astronomie und mathematische Geographie die besten Früchte getragen hat, das Meteoroskop, das Torquetum und vor allem der Radius (oder Baculus) astronomicus. Von dem ersteren hat M. eine genaue Beschreibung in einem Sendschreiben an Bessarion entworfen, dasselbe ist wesentlich nach dem Principe der altgriechischen Armillarsphären eingerichtet und mag wohl das fixe Hauptinstrument für eine damalige Sternwarte gewesen sein. Das Torquetum, welches später von Peter Apian verbessert wurde, bestand aus Kreisen, die sich den Hauptcoordinatenebenen der Himmelskugel parallel stellen und so für die unmittelbare Ablesung der sphärischen Coordinatenwerthe eines Sternes verwerthen ließen. Allein die Astronomen jener Zeit wußten schon recht wohl, daß solchen directen Messungen viele und erhebliche Fehler anhaften müssen, und sie bedienten sich aus diesem Grunde zur Auffindung der Länge und Breite eines Sternes gewöhnlich eines anderen Verfahrens, darin bestehend, daß man die Abstände des zu fixirenden Punktes von gewissen ein für allemal genau bestimmten Fundamentalsternen maß und daraus dann durch Rechnung die ekliptischen Coordinaten ableitete. Diesem Zwecke entspricht nun der von M. angegebene Visirstab, dem später der nicht ganz aufgeklärte Name „Jakobstab“ beigelegt wurde, in einer so ausgezeichneten Weise, daß vor Erfindung des Fernrohrs schwerlich Besseres hätte vorgeschlagen werden können *). An einem Längsstab, der durch Striche in gleiche Theile getheilt ist, läßt sich ein dazu senkrechter Querstab hin- und herschieben, der Beobachter hält, um die sphärische Distanz zweier Sterne zu finden, den Stab gerade vor die Stirn und beginnt jetzt den Läufer so lange zu verschieben, bis dessen beide Enden sich genau mit den beiden anvisirten Himmelskörpern decken. Da nunmehr, wenn den gesuchten Winkel, a die Länge des Querstabes, b (natürlich im gleichen Maße gemessen) die durch die Theilstriche normirte Länge des Hauptstabes bis zum Läufer hin bezeichnet, tang ist, so leuchtet ein, daß gerade für solche Messungen, wie wir sie vorstehend zu schildern versuchten, die oben erwähnte tabula foecunda eine erhöhte Wichtigkeit gewinnen mußte. Ob es wahr ist, daß, wie der Görlitzer Mathematiker Scultetus zuversichtlich behauptete, Peurbach und M. bereits die Transversalentheilung der astronomischen Kreise gekannt haben, welche durch Tycho Brahe eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, wird sich wohl niemals fest entscheiden lassen, indessen sei nicht verschwiegen, daß nach der Meinung R. Wolf’s jener Theilungsmodus gewissermaßen zu den Inventarstücken der Wiener Astronomenschule gehört haben kann. Müller’s in Nürnberg zurückgelassenen Instrumente [576] haben nach Walther’s Hingang das Schicksal der Manuscripte getheilt und sollen sogar gutentheils als altes Messing von den gewissenlosen Erben losgeschlagen worden sein. Nur einige kleine Handastrolabien sind von dem ganzen reichen Vorrath der Vernichtung entronnen und auf der Nürnberger Stadtbibliothek erhalten geblieben, von welcher sie zur Zeit die mathematische Sammlung des germanischen Nationalmuseums leihweise überkommen hat. Unter diesen befindet sich ein interessantes orientalisches Astrolabium mit kufischen Charakteren, welches M. schon während seiner Wiener Zeit an sich gebracht haben soll *).

Durch diese seine Neuerungen im Fache der astronomischen Instrumentenkunde hat sich M. auch in der Geschichte der geographischen Entdeckungsreisen einen ehrenvollen Platz gesichert, insofern nämlich jene Hülfsmittel, ohne deren Anwendung für die portugiesischen und spanischen Seefahrer niemals an das Verlassen der bloßen Küstenschifffahrt zu denken gewesen wäre, aller Wahrscheinlichkeit durch einen Schüler Müller’s auf die iberische Halbinsel verpflanzt worden sind. Es ist dies jener Martin Behaim, ein Nürnberger Patrizier, der später in portugiesischen Diensten zu einer einflußreichen Stellung aufstieg. Th. v. Murr hat die persönlichen Beziehungen Behaim’s zu M. deshalb bestritten, da Ersterer den letzteren sogar an Alter überragt habe, allein nach neueren urkundlichen Forschungen des früheren Nürnberger Stadtarchivars Lochner, deren Ergebnisse Ziegler in seiner Monographie eingehend bespricht, kann es als sicher gelten, daß Behaim, als er um 1476 in der Eigenschaft eines Handlungscommis nach den Niederlanden abging, ein ganz junger Mensch gewesen ist. Sein elterliches Haus lag unmittelbar neben demjenigen Walther’s, wo M. allermindestens viel verkehrte, wo nicht wohnte, und da derselbe ohnehin (s. o.) einer gewissen didaktischen Thätigkeit gar nicht abhold gewesen zu sein scheint, so steht gewiß nichts im Wege, anzunehmen, daß er auch den jungen Behaim privatim in diejenigen Theile seiner Wissenschaft eingeführt haben kann, die für einen künftigen Kaufmann und Reisenden von Interesse waren. Als praktischer Beobachter hat M. freilich seinem Lehrer keine besondere Ehre gemacht, denn die auf ihn mit Sicherheit zurückzuführenden Ortsbestimmungen entfernen sich beträchtlich von der Wahrheit, allein dadurch wird nichts an dem ziemlich sicher verbürgten Umstande geändert, daß er jener Junta de Mathematicos als Mitglied angehörte[WS 2], welche im Auftrage des Königs João II. die astronomischen Grundlagen der Nautik zu studiren hatte, und daß er in dieser seiner Eigenschaft die Portugiesen mit den neuen Erfindungen des deutschen Meisters bekannt machte. Ziegler rechnet zu diesen eine Verbesserung des Astrolabiums, welches an sich ja schon weit länger im Gebrauche war, ferner das Analemma, ein Verfahren, die Kugel stereographisch auf einer Ebene abzubilden und somit sphärisch-trigonometrische Probleme auf graphischen Wege zu lösen, vor Allem aber den „Gradstock“ oder Radius astronomicus. Betreffs dieses letzteren zollen denn auch sowohl ältere als neuere portugiesische Schriftsteller, Nonius und Barcos ebenso wie Garção-Stockler, dem M. die Ehre alleiniger Urheberschaft, wie denn der Erstgenannte mit klaren Worten von dem Visirstab aussagt: „ejus fabricam [577] atque usum tradidit Joannes de Monteregio in libro de cometa“. Freilich hätte dieses Instrument auch nicht hingereicht, den Schiffer seinen Weg über den pfadlosen Ocean allein finden zu lassen, vielmehr bedurfte es hierzu noch einer weiteren Beigabe, die aber eben auch von M. geliefert wurde: der Ephemeriden. Und damit sind wir denn bei jener litterarischen Leistung unseres Helden angelangt, welche wohl als seine hervorragendste im astronomischen Fache bezeichnet zu werden verdient, welche uns aber auch gleichzeitig Gelegenheit bietet, einen Blick auf sein umfassendes Wirken in kalendariographischen Fragen zu werfen.

Die „Ephemerides ab anno 1475 ad annum 1506“ wurden erstmalig zu Nürnberg im Jahre 1474 (?) ausgegeben, gehören aber leider heutzutage zu den größten bibliographischen Seltenheiten. Gleich bei ihrem ersten Erscheinen zogen sie die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich, sie wurden im Buchhandel mit dem Preise von 12 Ducaten bezahlt, und König Mathias Corvinus soll ihrem Berechner dafür den ungewöhnlich hohen Ehrensold von 1200 Gulden zugewendet haben. Auch hat es an Nachdrucken des nützlichen Werkes nicht gefehlt, schon 1498 besorgte Peter Liechtenstein zu Venedig einen solchen. Den Inhalt anlangend so findet sich in dem Buche zuerst eine Tabelle geographischer Coordinaten für besonders wichtige Erdorte, sodann ein Kalender sammt dem Schlüssel für die Cyclen und beweglichen Feste, eine Tafel der Tageslängen, hierauf folgt eine Anleitung zum Verständniß der eigentlichen Ephemeriden. Diese selbst enthalten, von der unwichtigeren Beigabe einer Tafel der astrologischen „Häuser“ abgesehen, ein Verzeichniß der Finsternisse, welche in dem auf dem Titel angegebenen Zeitraum eintreffen werden, und alsdann für Sonne, Mond und Planeten vom Jahre 1473 an die astronomischen Längen, für den nautisch noch wichtigeren Mond auch die astronomischen Breiten. Man hat wohl gesagt, diese Ephemeriden seien als das erste litterarische Denkmal ihrer Art zu betrachten, indeß ist dies nicht ganz richtig, da jedenfalls Ptolemäus Vorausberechnungen der Constellationen tabellarisch zusammenstellte.[WS 3] Immerhin bezeichnet Müller’s Werk einen wahren Markstein in der Entwickelung dieser Litteraturgattung, und alle späteren Veröffentlichungen von gleicher Tendenz bis herab zum neuesten „Nautical Almanach“ haben sich im Großen und Ganzen an das von Jenem aufgestellte Vorbild gehalten. Diese Ephemeriden nun sind es gewesen, welche im Vereine mit geeigneten Beobachtungsapparaten den Kapitän in den Stand setzten, den Ort seines Schiffes im offenen Meere wenigstens annähernd genau zu bestimmen, weshalb wir uns nicht wundern dürfen, zu hören, daß Vasco da Gama wie Colon Exemplare des nautischen Jahrbuches an Bord hatten. War doch der Entdecker Amerika’s seiner Zeit zugleich mit Behaim in Lissabon gewesen! Eine positive Leistung der Ephemeriden wird uns aus dem J. 1499 überliefert, wo Amerigo Vespucci mit ihrer Hülfe die geographische Länge der Orinokomündung festzulegen suchte, der dabei noch begangene Fehler ist sicherlich weit mehr auf die Rechnung der ungenauen Observation als auf die verwendeten numerischen Daten zu setzen, welch’ letztere eben dem Müller’schen Werke entnommen worden waren. – Wenn sich dieses letztere an ein kleines und gewähltes Publicum wandte, so sorgte sein Autor doch nicht weniger eifrig auch für den Bedarf größerer Leserkreise durch seine Kalender. Natürlich hat er auch diese nicht zuerst geschrieben, Paolo Dagomari und Johann von Gmunden haben dergleichen lange vor ihm verfaßt gehabt, allein auch hier gilt, was eben von den Ephemeriden gesagt ward, daß nämlich die von M. den Kalendern gegebene Form wesentlich die noch heute beibehaltene sein sollte. Nach Jöcher und Ziegler kennt man nicht weniger als achtzehn von ihm selbst herrührende theils deutsche, theils lateinische Kalender, [578] Ausgaben, die allerdings zum Theile nur in ganz unbedeutenden Details von einander abweichen. Wir glauben uns auf diesen Umstand berufen zu dürfen, wenn wir nachstehend nur den einen dieser Kalender etwas eingehender beschreiben, welcher für die Geschichte der Bücherkunde eine besondere Wichtigkeit besitzt und zudem für alle übrigen maßgebendes Muster war. Typographisch ist er um deswillen ungewöhnlich merkwürdig, weil er 1474 zuerst mit festen Holztafeln gedruckt worden zu sein scheint, worauf dann im folgenden Jahre die zweite Auflage mit beweglichen Lettern zu Stande kam. Der Kalender selbst ist doppelsprachig, deutsch und lateinisch; die deutsche Ausgabe wird durch ein Gedicht eingeleitet, welches folgendermaßen schließt: „Das hat gemacht maister Hanns von Cünigsperg genannt, In teutschen und welschen Landen wol erkant“. Der Inhalt des Büchleins ist ein äußerst reichhaltiger, wie aus der Aufzählung der einzelnen Bestandtheile hervorgehen wird. Es sind dies 1) „Tafel der Land und stet“ (Polhöhen und Längen mit Zugrundelegung des Nürnberger Meridians), 2) der eigentliche Kalender, in welchem jedem Monat zwei Quartseiten eingeräumt sind, 3) Eklipsenverzeichniß für das Intervall 1475 bis 1530, 4) Berechnung der goldenen Zahl, 5) „von dem suntagbuchstabẽ“, 6) „von den beweglichen Festen“, 7) „wie man den newen mon und vol mon finden sol“, 8) „von der Sonnen und des mons finsternuß“, 9) von dem waren lauff der Sunnen“, 10) „von dem waren lauff des Mones“, 11) „von dem waren lauff des trackenhaubt“ *), 12) Tafel der Tageslänge für Breiten zwischen 36° und 55°, 13) Anleitung zur Gnomonik, u. a. eine elegante aber nicht leicht beweisbare Construction des „quadratum horarium generale“ enthaltend, 13) Anleitung zur gegenseitigen Umwandlung der Stunden, eine für den Bewohner Nürnbergs besonders naheliegende Aufgabe, da in jener Stadt nach römischem Vorbild nicht der astronomische, sondern der bürgerliche Tag in gleiche Zeittheile oder Stunden getheilt war. Ganz ähnlich war auch der zur Zeit in Göttingen – vielleicht in dem einzigen noch übrigen Exemplare – befindliche lateinische Kalender, der 1485 in Venedig erschien, eingerichtet. Nur findet sich in diesem am Schlusse noch ein Zusatz, in welchem M. gegen die damals übliche cyklische Festrechnung den Vorwurf erhebt, dieselbe entspreche gar nicht mehr den Beschlüssen des Concils von Nicaea, weil der von der Kirche adoptirte Calcul von einer irrthümlich angenommenen Lage der Aequinoctien ausgehe. In dieser Bemerkung darf man wohl mit Recht eine Nachwirkung der oben berührten Unterredung mit einem jüdischen Gelehrten erblicken.

Müller’s astronomische Arbeiten sind mit dem, was wir bis jetzt von denselben mitzutheilen hatten, in keiner Weise erschöpft, vielmehr läßt sich noch vieles Weitere darüber sagen. Wir beschränken uns hier auf einige Hauptpunkte. Die mathematische Geographie und die für diese Disciplin grundlegende geographische Ortsbestimmung lag M. stets am Herzen, denn er bedurfte deren schon zu dem Zwecke, um seinen Kalendern brauchbare Ortstafeln beigeben zu können. Seine Breitenbestimmungen italienischer und deutscher Städte pflegten nicht über 2 bis 3 Minuten zu fehlen, so z. B. gab er die Polhöhe seines Nürnberg sehr genau zu 49° 24' an. Die beliebte Methode, die Lage der Meridianebene durch correspondirende Fixsternhöhen zu ermitteln, dankt ihm ihre Erfindung. Ferner darf hierher auch seine Schätzung der Höhe unserer Atmosphäre auf zwölf deutsche Meilen und die geschichtlich werthvolle Notiz gerechnet werden, daß es im ganzen Mittelalter keine für den Mittagskreis des imaginären Weltcentrums Arin berechneten [579] Tafeln gegeben habe. Als Vorläufer des Copernicus hat man M. ebenfalls verherrlichen wollen, jedoch ganz gewiß ohne jeden Grund. Von der jährlichen Bewegung der Erde hat er nämlich zweifellos gar keine Ahnung gehabt, und wenn er ganz gelegentlich auf die Axendrehung als eine von Aristoteles und Ptolemaeus überlieferte Hypothese zu sprechen kommt, so geschieht dies nur in der ausgesprochenen Absicht, die völlige Haltlosigkeit solcher Lehrmeinung zu erhärten. Indirect freilich, indem er die fehlerhafte astronomische Basis des Königs Alphons, von der eben auch Copernic hätte ausgehen müssen, wegräumte und eine dauerhaftere Grundlage an deren Stelle setzte, hat er der heliocentrischen Reform wie kein Anderer den Weg gebahnt. Als astrologischer Schriftsteller ist er mehrfach aufgetreten, und er konnte wol auch nicht anders, denn Zweifel an der Berechtigung dieser Pseudowissenschaft waren damals nur erst ganz vereinzelt laut geworden, am wenigsten gewiß in den Kreisen der zünftigen Astronomen. So hat er es denn nicht verschmäht, auch seine Kalender mit dem durch den Zeitgeschmack gebieterisch geforderten Beiwerk der dies critici, der Aderlaßmännchen etc. auszustatten, ja er hat sich sogar bemüht, die astrologischen Regeln in ein wissenschaftliches Gewand zu kleiden. Sein Bestreben, die sphärische Trigonometrie zu vervollkommnen, entsprang großentheils mit aus dem Wunsche, Aufgaben der astrologia judiciaria, wie sie z. B. die „Tabulae directionum“ (s. o.) in sich bergen, mit größerer Leichtigkeit lösen zu können, da es bei diesen immer wieder auf die Berechnung rechtwinkliger Kugeldreiecke ankam. Die neue Planetentheorie, die ein Italiener um 1346 in Umlauf zu setzen versucht hatte, geißelte M. in der gerade nicht sehr höflich betitelten Schrift „Disputationes Joannis de regio monte contra Gerardi Cremonensis in planetarum theoricas delyramenta“.

Endlich haben wir unseren M. noch als den Begründer der kometarischen Astronomie zu nennen und zu feiern. Eine solche hat weder das Alterthum noch das Mittelalter gekannt. Denn was die griechischen Philosophen von den Schweifsternen aussagten, beruhte in letzter Instanz doch nur auf Phantasmen, die complicirte Kometenclassification des älteren Plinius entbehrte gleichfalls der reellen Unterlage, und höchstens der einzige Seneca trat, indem er eine Wiederkehr der Kometen für ein mögliches Ereigniß erklärte, aus dem alten Banne heraus, der bezüglich dieser Himmelskörper die Geister umfangen hielt. Das Mittelalter vollends bekümmerte sich um die Kometen nur soweit, als dieselben den Stoff zu religiösen und politischen Prophezeihungen abgaben. Um so größer muß aber auch unser Staunen sein, wenn wir nun plötzlich einen Gelehrten mit vollster Nüchternheit an das Studium der kometarischen Erscheinungen herantreten sehen. Die, wie früher bemerkt, dem Jahre 1472 entstammende Abhandlung „De cometae magnitudine longitudineque ac de loco ejus vero problemata XVI“ erörtert mit vollster Sicherheit alle Fragen, die vor Erfindung des Teleskops überhaupt vernünftigerweise gestellt werden konnten; jedenfalls ist von M. bis auf Kepler (s. Bd. XV S. 603) nichts Besseres über die Kometen geschrieben worden. In Gemeinschaft mit seinem Gehülfen Walther maß M. die Abstände des Kometenkernes von zwei bekannten Fixsternen und berechnete dann den Ort des letzteren am Himmel, denn, so sagt er im Eingange seiner Schrift, wer sich irgend in Discussionen über die Bedeutung eines Kometen u. dgl. einlassen wolle, müsse doch zuerst wissen, wo derselbe eigentlich stehe und wie weit er von unserer Erde entfernt sei. Letzteres aber könne man ermitteln, wenn man zuerst die Parallaxe des Sternes bestimmt habe, sei dann noch mittelst des Radius astronomicus die scheinbare Größe gefunden, so ergebe sich rechnerisch auch die wahre Größe. Bei der Angabe der Regeln, von welchen man bei der Berechnung der Schweiflänge ausgehen soll, wird allerdings eine deren Verwendbarkeit abschwächende Voraussetzung [580] gemacht, die nämlich, daß dem Kometen keine Eigenbewegung zukomme *). Auch zur Naturgeschichte der sonderbaren Weltkörper liefert M. einen schätzbaren Beitrag, indem er erklärt, der Schweif sei substantialiter vom Kerne nicht verschieden, nur sei er dünner und lockerer und leuchte deshalb auch weniger intensiv – eine Anschauung, welche die Folgezeit nur bestätigen konnte. Als Axe des Kometen wird sinnreich eine von einem fixen Centrum durch den Kern gezogene Gerade bezeichnet, um welche der kegelförmige Schweif, der „conus fumeus“, sich symmetrisch herumlege. Man sieht aus dieser Annahme, daß M., wenn für ihn das Weltcentrum sich nicht mit der Erde, sondern mit der Sonne gedeckt hätte, gar nicht umhin gekonnt haben würde, jene wichtige Wahrnehmung zu machen, welche dem Peter Apian 60 Jahre später auf empirischem Wege gelang. –

Möge Vorstehendes genügend sein, um von der geradezu staunenswerthen Vielseitigkeit eines Forschers einen Begriff zu geben, der, wäre ihm eine längere Zeit des Schaffens verstattet gewesen, vielleicht ein rascheres Tempo in der Aufeinanderfolge der großen astronomischen Entdeckungen des 16. und 17. Jahrhunderts durch seine Initiative herbeigeführt hätte. Nicht mit Unrecht konnte Petrus Ramus von jener Zeit beginnender Reform auf allen Gebieten sagen: „Norimberga tum Regiomontano fruebatur: mathematici inde et studii et operis gloriam tantam adepta, ut Tarentum Archyta, Syracusae Archimede, Byzantium Proclo, et Alexandria Ctesibio, non justius quam Norimberga gloriari possit“. Auf dem Marktbrunnen der Stadt Königsberg, wo auch noch Müller’s Wohnhaus gezeigt wird, erhebt sich seit dem Jahre 1873 die gut ausgeführte Bildsäule des Mannes, den man mit Fug als einen der thatkräftigsten Reformatoren der exacten Wissenschaften bezeichnen kann.

Wolf, Geschichte der Astronomie, München 1877, S. 86 ff., 121 ff., 128, 161, 181, 202, 231, 365, 373, 588. – Kästner, Geschichte der Mathematik, 1. Bd., Göttingen 1796, S. 572 ff.; 2. Bd., ibid. 1797, S. 319 ff., 520 ff., 542. – Chasles, Geschichte der Geometrie, deutsch von Sohncke, Halle 1839, S. 618 ff. – Peschel-Ruge, Geschichte der Erdkunde, München 1877, S. 202, 236, 390. – Delambre, Histoire de l’astronomie du moyen age, Paris 1819, S. 323 ff. – Jöcher’s Gelehrtenlexicon, fortges. von Rotermund, 6. Bd., Bremen 1819, S. 1551 ff. – Panzer, Aelteste Buchdruckergeschichte Nürnbergs, Nürnberg 1794, S. 163 ff. – P. Ramus, Scholarum mathematicarum libri XXXI, Basileae 1569, S. 63 ff. – Schubert, Peurbach und Regiomontanus, die Wiederbegründer einer selbständigen und unmittelbaren Erforschung der Natur in Europa, Erlangen 1828. – Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730, S. 1 ff. – Apelt, Die Reformation der Sternkunde, Jena 1852, S. 46 ff. – Stern, Artikel Joannes de monte regio in Ersch-Gruber’s Encyklopädie, II. Section, 22. Thl., Leipzig 1843, S. 205 ff. – A. Ziegler, Regiomontanus, ein geistiger Vorläufer des Columbus, Dresden 1874. – Cantor, Recension dazu, Zeitschr. f. Math. u. Phys., 19. Bd., Literaturzeitung S. 41 ff. – Th. v. Murr, Memorabilia bibliothecarum publicarum Norimbergensium et universitatis Altdorfinae, Nürnberg 1786, S. 74 ff. – Th. v. Murr, Notitia trium codicum autographorum Joannis Regiomontani in bibliotheca Chr. Theoph. v. M., Nürnberg 1800. – Baier, De aquila et musca ferrea, quae mechanico artificio apud Noribergenses quondam volitasse feruntur, Altdorf 1707. – Bose, Oratio metrica in memoriam G. Peurbachii et J. Regiomontani, Wittenberg 1757. – Gassendi, Tychonis Brahei [581] vita; accessit Nicolai Copernici, Georgii Peurbachii et Joannis Regiomontani astronomorum celebrium vita, Haag 1655. – J. W. Müller, Auserlesene mathematische Bibliothek, Nürnberg 1820, S. 3 ff. – A. Favaro, Galileo Galilei e lo studio di Padova, Vol. I, Firenze 1883, S. 120. – Breusing, Regiomontanus, Martin Behaim und der Jakobstab, Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdkunde, 4. Bd., S. 97 ff. – Breusing, Zur Geschichte der Kartographie, Zeitschr. f. wissensch. Geogr., 2. Jahrg., S. 189. – Günther, Lo sviluppo storico della teoria dei poligoni stellati nell’ antichità e nel medio evo, Bullett. di bibliogr. e di storia delle scienze mat. e fis. Tomo VI, S. 332 ff. – A. v. Humboldt, Kritische Untersuchungen zur Geschichte der Geographie und nautischen Astronomie, deutsch von Ideler, 1. Bd., Berlin 1835, S. 232.

[566] *) Nur darf man nicht mit Ziegler übersetzen: „weil die astronomischen Instrumente bequem eingerichtet sind“. Solche Instrumente hat es damals muthmaßlich in Nürnberg noch gar nicht gegeben; M. wollte blos sagen, daß er erwarte, sich in einer so gewerbereichen Stadt die betreffenden Werkzeuge leichter denn anderswo herstellen lassen zu können.

[575] *) Breusing hat den Termin der Erfindung dieses hochwichtigen Instrumentes näher festzulegen versucht. Eigentlich beschrieben findet sich dasselbe – den Hauptstab in 1330, den Transversalstab in 210 gleiche Theile getheilt – allerdings erst in Problema XII der Monographie über den Kometen, allein schon 1471 führt M. eine von ihm ausgeführte Distanzbestimmung zwischen Mars und einem der Orionsterne an, die sich mit einer anderen Vorrichtung nicht wohl machen ließ.

[576] *) Besonders ausgezeichnete Globen scheint M. nicht geliefert zu haben, obwol bekannt ist, daß in seinem Atelier künstliche Erd- und Himmelskugeln angefertigt wurden; auch gibt er im siebenten Buche der „Epitome“ Regeln zur Construction metallener Himmelsgloben und zum nachherigen Einzeichnen der Sternbilder. Was es mit dem „Astrarium“ für eine Bewandtniß hatte, von welchem M. selbst meldet, „in officina fabrili astrarium in continuo tractatu est, opus plane pro miraculo spectandum“, erklärt Gassendi, auf den in solchen Fragen allein zurückgegangen werden könnte, nicht genauer; Stern erblickt darin ein automatisch arbeitendes Planetarium, wie M. ein solches aus der Hand des Johannes de Dondis[WS 4] dereinst in Padua kennen gelernt hatte.

[578] *) Unter „Drachenkopf“ und „Drachenschwanz“ verstand man früher die beiden um 180 Grade auseinander liegenden Durchschnittspunkte des Himmelsäquators mit der Ekliptik, deren Schiefe M., beiläufig bemerkt, auf 23° 28’ ansetzt.

[580] *) Immerhin hat Laugier, wie früher schon Halley, Müller’s Kometenörter für eine Bahnbestimmung ganz brauchbar gefunden.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vehältnisse
  2. Vorlage: angegehörte
  3. Vorlage: Komma statt Punkt
  4. vgl. Wikipedia zu Giovanni de Dondi (1318-1389), italienischer Mathematiker und Astronom.