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ADB:Bessel, Friedrich Wilhelm

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Artikel „Bessel, Friedrich Wilhelm“ von Karl Christian Bruhns in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 558–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bessel,_Friedrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 05:25 Uhr UTC)
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Bessel: Friedrich Wilhelm B., einer der größten Astronomen des 19. Jahrhunderts, geb. zu Minden 22. Juli 1784, † zu Königsberg 17. März 1846. Sein Bildungsgang war ein ungewöhnlicher, er war in der Astronomie Autodidakt im weitesten Sinne des Worts. Der Vater war Regierungssecretär, Rendant verschiedener Kassen, Justitiar der damaligen Commende des Johanniter-Maltheserordens Wietesheim mit dem Titel Justizrath, die Mutter war die Tochter eines Pastors Schrader in Rehme. Beide Eltern waren dem Sohne immer Vorbilder größter Redlichkeit; die Mutter das vollendete Bild aufopfernder Liebe; der Vater, später nach Paderborn versetzt, starb 1819 und erlebte es nicht mehr, den ältesten und den jüngsten Sohn als Präsidenten der Landgerichte in Cleve und Saarbrücken zu sehen. Da die Familie aus drei Söhnen und sechs Töchtern bestand und das Einkommen ein beschränktes war, konnte Friedrich Wilhelm, der zweite Sohn, der unter seinen Altersgenossen nicht besonders hervortrat, vielmehr, weil ihm die Anfangsgründe des Lateinischen zuwider waren, oft nachgesetzt wurde, das Gymnasium in Minden nur bis Untertertia besuchen. Wegen seiner Neigung zum Rechnen entschied er sich für den Kaufmannsstand, und da der Conrector Thilo, sein Lehrer in der Mathematik, diesen Wunsch unterstützte, erhielt er fortan nur noch Unterricht im Schreiben und Rechnen, im Französischen und in der Geographie. Am 1. Jan. 1799 trat er als Lehrling bei dem angesehenen Handelshause Andreas Gottlieb Kuhlenkamp und Söhne in Bremen ein, wo er die Verpflichtung zu einem siebenjährigen unentgeltlichen Lehrdienst übernehmen mußte. Ganz dem Geschäfte lebend, erwarb er rasch das Vertrauen seiner Principale, so daß sie ihm schon am Ende des ersten Jahres eine Remuneration von 5 Friedrichsd’or gaben, die sich bis 1805 auf 30 Frd. steigerte. Dem mittellosen B. erschien als einzige gute Aussicht in der Ferne die Stelle des Cargadeur, um sich einer Expedition nach den französischen oder spanischen Colonien oder nach China anschließen zu können. Er legte sich daher auf das Lesen von Werken, welche Anleitung zur Waarenkunde gaben, und studirte die Berichte von Reisenden, u. a. Raynal’s[WS 1] „Histoire du commerce européen dans les deux Indes“, und erlangte dadurch gute Kenntnisse der Geographie. Er erlernte das Englische mit Anstrengung in zwei oder drei Monaten des mündlichen Unterrichts, da ihm zum Weiteren die Mittel fehlten, und bemühte sich des Spanischen Herr zu werden. Da er glaubte, daß es ihm als Cargadeur nützlich sein könne, einige Kenntniß der Schifffahrtskunde zu besitzen, beschloß er, den astronomischen Theil der Nautik zu erlernen und griff zu Moore’s „Epitome of practical navigation“. Da dieses Buch nur Vorschriften und nicht die Entwicklung derselben enthielt, befriedigte es ihn nicht, und er kam, um diesem Mangel abzuhelfen, auf das Studium von Bohnenberger’s „Anleitung zu geographischen Ortsbestimmungen“, wobei er zunächst einsah, daß ihm die mathematischen Grundlagen fehlten. Nachdem er ein Lehrbuch der mathematischen Anfangsgründe von [559] Münnich[WS 2] in wenigen Tagen durchstudirt, war ihm das Studium des Bohnenberger’schen Buches ein leichtes Spiel. Jetzt suchte er sich ein Instrument zum Höhenmessen der Gestirne selbst zu verfertigen und eine Uhr mit Secundenzeiger zu Beobachtungen einzurichten, welches ihm beides mit Hülfe eines Tischlers und Uhrmachers gelang. Die ersten Messungen mit seinem Instrument, die er in dem Hause eines jungen, durch den Tod seines Vaters von dem Besuche der Universität abgehaltenen Freundes Helle anstellte, dienten zu Zeitbestimmungen aus Beobachtungen gleicher Höhen zweier Sterne von nahe gleicher Declination auf verschiedenen Seiten des Meridians. Mit einem kleinen Fernrohr beobachtete er den Eintritt eines hellen Sterns am dunkeln Mondrande und suchte aus Zach’s „Monatl. Correspondenz“ und aus Bode’s „Astr. Jahrbuch“ correspondirende Beobachtungen zu erlangen, welche Zeitschriften seine Aufmerksamkeit in hohem Grade fesselten. Als er in einer Bücherauction den „Lehrbegriff der Astronomie“ von Lalande[WS 3] erhielt, ergänzte er die Lücken seines astronomischen Wissens und nachdem er in einem Supplementbande des „Astronomischen Jahrbuchs“ Harriot’s[WS 4] Beobachtungen des Halley’schen Kometen vom Jahre 1607 gefunden, wurde in ihm der Wunsch rege, die Beobachtungen zu berechnen und selbige zu einer neuen Bahnbestimmung des Kometen zu benutzen. Die Anleitung von Lalande, verbunden mit Olbers’ 1797 erschienenen berühmten Abhandlung über die leichteste Methode, die Bahn eines Kometen zu bestimmen, wurden seine Führer. Als er diese Absicht ausgeführt hatte, wandte er sich an Olbers selbst; auf der Straße bat er ihn um die Erlaubniß, ihm einen geringen astronomischen Versuch vorlegen zu dürfen, welchen Olbers mit der ihm eigenthümlichen Freundlichkeit entgegennahm. Schon am Tage darauf, am 29. Juli 1804, antwortete Olbers und ermunterte ihn durch Zusendung von Büchern in der liebenswürdigsten Weise. Seit jener Zeit war Olbers für ihn der Gegenstand innigster Verehrung; das sich entwickelnde Freundschaftsverhältniß veranlaßte B. in späteren Jahren oft die weite Reise von Königsberg nach Bremen zu machen, um Olbers zu begrüßen und ihm persönlich seine Arbeiten mitzutheilen; er betrachtete ihn gewissermaßen als seinen zweiten Vater. Ebenso aber rechnete Olbers es zu den größten Verdiensten, welche er der Astronomie geleistet, daß er für diese Wissenschaft B. mit gewinnen half und ihn in die astronomischen Arbeiten einführte; keiner bewunderte später die Meisterschaft des Schülers mehr als der Lehrer. Olbers schlug ihm vor, die Harriot’schen und Halley’schen Beobachtungen zu untersuchen und neu zu reduciren, und nachdem dies geschehen, führte Olbers durch Uebersendung der Resultate an Zach für die „Monatl. Correspondenz“ 1804 (X. Band) B. mit einigen freundlichen Worten ein.

Auf Olbers’ Wunsch untersuchte er aufs neue einige ältere Kometen, deren Bahnen die meist sehr mangelhaften Beobachtungen nicht genügend darstellten. Obwol bei den meisten nichts gewonnen wurde außer der Ueberzeugung, daß die Beobachtungen wirklich unzureichend seien, erhielt B. doch für den zweiten Kometen von 1748 einen besseren Erfolg; die Arbeit ist im Berliner Astronomischen Jahrbuch für 1809 publicirt worden. Während die älteren Elemente nur einen Theil der früheren Beobachtungen darstellten, gelang es B. die Beobachtungen während der ganzen Erscheinung so genau darzustellen, als damals überhaupt zu erwarten war. Unter die von B. um diese Zeit berechneten Kometen gehören auch die beiden von kurzer Umlaufszeit, welche in späterer Zeit eine große Berühmtheit erhalten haben.

Beide wurden im letzten Viertel des Jahres 1805 entdeckt, der eine wieder 1818 von Pons, der dann 1819 von Encke als ein Komet von kurzer Umlaufszeit erkannt und der Encke’sche genannt wurde; der andere war der 1826 von Biela wieder entdeckte, dessen elliptische Bahn der Komet in 6¾ Jahren Umlaufszeit beschreibt.

[560] Olbers schickte am Abend des 1. Nov. 1805 von dem ersten dieser Kometen drei Beobachtungen an B. und selbiger berechnete in der darauf folgenden Nacht in nur vier Stunden die Bahn und schickte am folgenden Morgen zu dem darüber nicht wenig erstaunten Olbers die vorläufigen Elemente. Als später mehrere Beobachtungen bekannt wurden, fanden sich Schwierigkeiten, welche B. viele Arbeit, aber geringen Erfolg brachten. Der Lauf des Kometen (1. Juliheft 1806 der „Monatl. Corresp.“) konnte durchaus nicht mit der parabolischen Bewegung vereinigt werden, aber die Abweichungen hatten einen so unregelmäßigen Gang, daß die Mangelhaftigkeit der Beobachtungen nicht zu bezweifeln war. Da außerdem die Marseiller Beobachtungen solche Unregelmäßigkeiten zeigten, welche in keiner Art durch eine regelmäßige Aenderung der Bewegung erklärt werden konnten, wurde B. von der elliptischen Hypothese abgeschreckt, zumal die Annahme, daß ein Komet in wenigen Jahren seinen Umlauf um die Sonne vollenden könne, noch eine ganz fremde war. Als Encke 1819 die Ellipticität erkannte, zeigte sich, daß in der einen Olbers’schen Beobachtung ein Druckfehler und sieben der achtzehn vorhandenen Marseiller verfehlt waren. Die Beobachtungen des anderen Kometen von 1805 konnten mit einer parabolischen Bewegung leidlich dargestellt werden. Gauß fand zwar, daß eine elliptische Bewegung in einer Bahn mit einer Umlaufszeit von 1732 Tagen den Beobachtungen noch besser entspräche, doch legte er selbst auf dies Resultat wenig Gewicht. B. fand, daß die Elemente des Kometen von 1805 mit dem im Jahr 1772 große Aehnlichkeit hatten, und er untersuchte die Identität beider unter der Voraussetzung einer Umlaufszeit von 33 Jahren. Jedoch die Unterschiede zwischen den Elementen der Kometen von 1772 und 1805 wurden bei dieser Umlaufszeit nicht so gering, daß sie sich durch planetarische Störungen erklären ließen; B. glaubte daher damals nicht an die Identität der Kometen, wogegen Gauß mit Recht bemerkte, daß in der Zwischenzeit mehrere Wiederkehren des Kometen, die unbemerkt geblieben seien, stattgefunden haben könnten. B. bekennt selbst, daß größere Umsicht, als er sie 1805 besaß, und größere Freiheit von der damals noch herrschenden Voraussetzung, nach der die Kometen nur Jahrhunderte oder Jahrtausende betragende Umlaufszeiten haben könnten, ihn auf die richtige Spur hätte führen können.

Die Beschäftigung mit den Kometen führte B. jeden Augenblick auf die Anwendung der Sonnentafeln zurück. Er kannte damals zwar die Natur der elliptischen Bewegung und hatte auch einen allgemeinen Begriff von Störungen, den er sich aus Lalande’s Astronomie angeeignet hatte, aber um tiefer in die Theorie der Erdbewegung einzudringen, wagte er den Versuch, durch die „Mécanique céleste“ von Laplace[WS 5] zu besserer Einsicht zu gelangen. Die Schwierigkeiten der mathematischen Analyse, welche ihn von diesem Versuche hätte abschrecken können, kannte er nicht, und das Gelingen einer andern kleinen Arbeit, nämlich die wahre Anomalie in einer sich der Parabel nähernden Bahn für eine gewisse Zeit zu finden, welche er löste und im Septemberheft 1805 der „Monatl. Correspondenz“ publicirte, flößte ihm den Muth ein, sich an das große Werk von Laplace zu wagen. Aber er erkannte bald seine Täuschung und suchte nun sein mathematisches Wissen zu vermehren. Mit den Kästner’schen Lehrbüchern suchte er sein Ziel zu erreichen; er bekennt aber selbst, daß es ihm förderlicher gewesen wäre, die von Lacroix[WS 6] gehabt zu haben, welche er erst später kennen lernte. Mit möglichster Eile arbeitete er sich durch Kästner’s „Anfangsgründe der Analyse endlicher Größen, der Differential- und Integralrechnung und der höheren Mechanik“. Dennoch ward ihm das danach wieder aufgenommene Studium der „Mécanique céleste“ anfangs recht schwer. Aber er ließ den Muth nicht sinken und mit der Arbeit wuchs die Kraft. Der größte Theil des Jahres 1805 und [561] der Anfang von 1806 wurde zu diesen Studien verwandt und damit schloß er seine Thätigkeit in Bremen ab. Wie es ihm möglich ward, mit seinem kaufmännischen Berufe die wissenschaftliche Thätigkeit zu verbinden, das hat er selbst berichtet. Seine kaufmännische Beschäftigung sollte in der Regel von Morgens um 8 bis Abends um 8 Uhr dauern, doch blieben ihm 2–3 Stunden geschäftsfrei. Die Sonntag Nachmittage benutzte er mit seltenen Ausnahmen zu Spaziergängen oder zum Verkehr mit Freunden, dagegen zog er sich in der Regel nach dem Abendessen gegen 9 Uhr auf sein Zimmer zurück und arbeitete bis 2½ oder 3 Uhr früh. 5 Stunden Schlafs genügten ihm damals. Die Kosten zu seinen Büchern und zu seiner Kleidung bestritt er selbst. Wohnung und Nahrung hatte er im Kuhlenkamp’schen Hause, und als er nach dreijährigem Aufenthalte in Bremen ein Jahresgeschenk von 12 Frd. erhielt, konnte er seinen Wunsch, von seinem Vater keine Unterstützung mehr anzunehmen, erfüllen.

Im November 1805 schreibt Olbers, daß es ihm gelungen, B. bleibend für die Astronomie zu gewinnen. Die siebenjährige Lehrzeit ging 1806 zu Ende, und obwol ihm die Stelle eines Handlungsgehülfen mit 600–700 Thlr. Gehalt sicher war, opferte er diese Aussicht der Liebe zur Astronomie. Auf Empfehlung von Olbers erhielt er die durch Harding’s Abgang nach Göttingen als Gehülfe von Gauß freigewordene Inspectorstelle an Schröter’s Observatorium in Lilienthal bei Bremen mit einem Gehalt von nur 100 Thlr. Schröter, seit 1778 braunschweigisch-lüneburgischer Oberamtmann in Lilienthal, war damals einer der thätigsten praktischen Astronomen und hatte sich eine große Anzahl werthvoller und damals brauchbarer Instrumente angeschafft und u. a. mehrere Spiegelteleskope von Herschel erworben, auch Spiegel selbst geschliffen. Die Beobachtung und Beschreibung der Oberfläche des Mondes (leider ohne Messungen), die Beobachtungen der Venus, auf der er Flecken sah, aus denen er auf eine falsche Rotationszeit schloß, Planetendurchmesser-Bestimmungen etc. hatte Schröter selbst ausgeführt, doch im Jahre 1800 Harding als Observator mit dem Titel eines Inspectors engagirt, der die Herstellung eines großen Himmelsatlas dort begonnen und den kleinen Planeten Juno entdeckt hatte. B. trat seine Stelle am 19. März 1806 an und verstand es, alles was auf Ortsbestimmungen am Himmel Bezug hat, mit zweckmäßiger Behandlung der vorhandenen nicht reichen Hülfsmittel zu leisten und sämmtliche Rechnungen mit Fertigkeit auszuführen. B. führte seine eigenen Tagebücher, welche noch vorhanden sind und den Beweis des außerordentlichen Fleißes bei der größten Ordnungsliebe, der richtigen Würdigung der Zeit, der exacten Eintheilung des Tages liefern; er beobachtete Kometen und die neuen Planeten am Kreismikrometer, untersuchte mit bewunderungswürdigem Scharfsinn die Instrumentalfehler und brachte ihren Einfluß in Rechnung. Dabei war er stets sein eigener Lehrer, indem er jedes Problem selbständig untersuchte und ohne seine Vorgänger zu benützen zu Ende führte. Er beobachtete die kleinen Planeten Ceres, Juno, Vesta, die Kometen von 1806, 1807, Sternbedeckungen, Finsternisse etc. Die Reduction der Beobachtungen am Kreismikrometer führte ihn zu einer genauen Untersuchung dieses Apparats. Der Komet vom J. 1807 leitete ihn zu einer classischen Methode, um für Himmelskörper, welche sich in langgestreckten Bahnen bewegen, die Störungen auf eine eigenthümliche Art zu berechnen. Andere Arbeiten aus dieser Zeit sind Untersuchungen über die Figur des Saturn, merkwürdige Resultate der Parallaxe einiger Fixsterne aus Bradley’s zwölfjährigen Beobachtungen etc. Er erkannte die Mangelhaftigkeit der Grundlagen, auf welchen die Berechnung der Fixsternörter beruhte und begann, um diesen Uebelständen abzuhelfen, die genaue Reduction der vorzüglichen Beobachtungen von James Bradley, welche 1818 erschienen.

In Lilienthal war seine Stellung eine sehr bescheidene und beschränkte, so [562] daß er nicht ohne Sorge lebte; einiges Honorar verdiente er durch lehrreiche Recensionen in der Jenaer Litteraturzeitung, an welche er von 1807–10 fünfzehn Recensionen sandte. Die ihm durch Lindenau 1809 eröffnete Aussicht, nach dem Seeberg zu kommen, blieb unerfüllt. Da kamen Anerbietungen von Leipzig und Greifswalde, durch Bode vermittelt; aber inzwischen war ein Ruf von anderer Seite erfolgt. Mitten in der bedrängtesten Zeit Preußens, in welcher Friedrich Wilhelm III. einen großen Theil seines Reiches durch Napoleon verloren hatte, während auch durch Wilhelm v. Humboldt die Berliner Universität errichtet ward, beschloß man, in Königsberg eine neue Sternwarte ins Leben treten zu lassen. Wilhelm v. Humboldt, dem die Verdienste Bessel’s nicht fremd geblieben, ernannte ihn auf Olbers’ und Tralles’ Empfehlung 1810 zum Professor der Astronomie in Königsberg und zum Director der zu errichtenden Sternwarte. B. nahm im Januar 1810 den Ruf an und begab sich auf dem Wege über Göttingen und Berlin in die neue Heimath, wo er im Mai 1810 anlangte. Einige Schwierigkeiten, die ihm als nicht rite promovirten Autodidakten zunächst entgegentraten, überwand er in kurzer Zeit. Im Anfang des J. 1811 konnte der Platz für die neue Sternwarte erworben werden, denn „den traurigen Zeiten zum Trotz“ hatte der König eine Summe von mehr als 8000 Thlr. angewiesen, wofür B. eine Windmühle ankaufte, um den Platz für die Sternwarte zu gewinnen. Der Bau begann zwar, doch schon im Juli fehlte es wieder an Geld, und als damals an ihn die Aufforderung zur Uebernahme der Mannheimer Sternwarte erging, gerieth er in Zweifel, ob er in Königsberg ausharren sollte. Es gelang ihm jedoch 4000 Thlr. baar angewiesen zu erhalten und den Credit der königlichen Kassen zu benützen; so wurden die Schwierigkeiten überwunden. Er blieb daher in Königsberg, der Bau schritt rüstig vor und er meldete, daß am 29. September 1812 die Sternwarte dem Wesentlichen nach fertig sei, in welche er am 10. Nov. 1813 einzog. Schon im Jahr vorher, am 11. Oct. 1812, hatte er sich mit der Tochter des Medicinalrathes Hagen verheirathet. Er blieb auch später Königsberg erhalten, trotz des glänzenden Rufes, den er 1825 von der Berliner Akademie erhielt, um deren Astronom und Director der Sternwarte zu werden. Es begann nun auf der Königsberger Sternwarte seine epochemachende Thätigkeit. Die Instrumente, welche er hatte, waren 1809 aus der Nachlassenschaft eines Liebhabers der Astronomie, des Grafen Hahn auf Remplin, angekauft, dazu kamen an größern Instrumenten 1819 ein Meridiankreis von Reichenbach, 1829 ein Heliometer von Fraunhofer und Utzschneider, 1841 ein Meridiankreis von Repsold. Seine Vorlesungen, welche er im Sommer 1810 schon mit einer öffentlichen astronomischen Vorlesung anfing, erstreckten sich nicht nur auf Astronomie im Allgemeinen, sphärische Astronomie, physische Astronomie, sondern auch auf Mathematik. Unter seinen Schülern sind besonders zu nennen: Argelander, Rosenberger, Anger, Haedenkamp, Busch, Plantamour, Steinheil, Westphalen, Flemming, Schlüter, Wichmann, E. Luther, und er hatte die Freude, Argelander als Director der Sternwarte in Åbo, Helsingfors und von 1839 an in Bonn, Rosenberger von 1828 als Director der Sternwarte in Halle, Plantamour als Director der Sternwarte in Genf zu sehen. Er war nicht nur gegen seine Schüler, sondern auch andern gegenüber von der größten Liebenswürdigkeit. Er führte zuerst in Königsberg einen lebendigen Verkehr zwischen Lehrer und Schülern ein, durch welchen er im Verein mit seinen großen Universitätsgenossen Jacobi und Neumann die Königsberger Hochschule für lange Zeit zur Wiege für das Studium der mathematischen Wissenschaften erhob.

Die Arbeiten, die wir von ihm besitzen, sind ungemein zahlreich. Sein Schüler Busch hat einen Katalog aller Druckschriften zusammengestellt, der die große Zahl von 385 Nummern aufweist. Davon sind 21 Bände den Beobachtungen [563] der Königsberger Sternwarte gewidmet, 43 kleinere Abhandlungen sind in Bode’s Astronom. Jahrbüchern von 1809–1829 erschienen; sie geben Beobachtungen von Kometen und kleinen Planeten und behandeln einzelne astronomische Probleme, besonders aus der sphärischen Astronomie. Zach’s monatliche Correspondenz für Erd- und Himmelskunde enthält 69 Abhandlungen von ihm, die Astronomischen Nachrichten 160 Aufsätze, die Jenaer Allgemeine Litteratur-Zeitung 40 Recensionen über verschiedene Werke, besonders astronomische; das Königsberger Archiv für Naturwissenschaften gibt uns vier Untersuchungen über den Integrallogarithmus, über die Theorie der Zahlenfacultäten und über den Planeten Saturn, seinen Ring, seine vier Trabanten, sowie Resultate aus Bradley’s Beobachtungen; sechs Aufsätze sind in Schumacher’s Astronom. Jahrbuch, elf größere Abhandlungen in Akademieschriften, außerdem noch vier größere Werke und ein Band populärer Vorlesungen erschienen. Das schon erwähnte in Lilienthal begonnene Werk „Fundamenta astronomiae pro anno 1755 deducta ex observationibus viri incomparabilis James Bradley in specula astronomica Greenvicensi pro anno 1750–62 institutis“ wurde in Königsberg vollendet. Die Beobachtungen von James Bradley in Greenwich, † 1762, waren nur zum geringen Theile und dazu noch unvollständig reducirt. Die Originaltagebücher waren lange Zeit in Händen der Familie und wurden erst 1796 durch einen Vergleich zur Publication gebracht. Die Beobachtungen erschienen in zwei starken Foliobänden, und als Olbers selbige erhalten, machte er B. auf die wichtigen Beobachtungen aufmerksam. Die Arbeit wuchs ihm unter den Händen, und als er den hohen Grad der Genauigkeit erkannt, beschloß er nicht nur die Reduction auf das Genaueste durchzunehmen, sondern durch die Vergleichung mit den damaligen Beobachtungen von Piazzi und einigen von ihm angestellten in Königsberg die Constanten der Präcession, der Eigenbewegungen etc., von 3222 Sternen etc. abzuleiten. Die Untersuchung der Größe und des Einflusses des Vorrückens der Nachtgleichen, welche Arbeit er 1815 der kgl. Akademie der Wissenschaften einreichte, wurde mit dem akademischen Preise gekrönt und veranlaßte seine Wahl zum Mitgliede der Akademie. Auch leitete er die Aberrationsconstante und für Greenwich die Polhöhe sowie die Refractionsconstante ab, und entwickelte eine neue Theorie der Strahlenbrechung, die zwar nicht ganz den physikalischen Bedingungen der Atmosphäre, aber vom Zenith bis zu 85° Zenithdistanz so nahe den Beobachtungen entspricht, daß sie noch auf den meisten Sternwarten angewandt wird. Unter den Bradley’schen Beobachtungen fand B. eine des Planeten Uranus, welche 26 Jahre vor der Herschel’schen Entdeckung ausgeführt war. Da seitdem noch eine Menge ungedruckter Beobachtungen von Bradley aufgefunden wurden und B. bei den schwächern Sternen auch nur die ersten fünf Beobachtungen benutzt hat, ist auf Veranlassung der Pulkowaer Sternwarte die Reduction von Neuem von Auwers in Berlin vorgenommen, doch wird diese Reduction im Allgemeinen keine wesentlichen Aenderungen der Constanten hervorbringen. Bei dieser Arbeit zeigte sich auch, daß die Oerter der Fundamentalsterne (1.–3. Größe) sehr ungenau waren und obwol Maskelyn viele tausende von Beobachtungen angestellt hatte, schienen B. doch neuere Bestimmungen nothwendig, um die Eigenbewegungen genau ermitteln zu können. Die Wiederbeobachtung der 36 Fundamentalsterne, welche Maskelyn unternommen hatte, sowie der Polarsterne, war eine der ersten Arbeiten, die B. mit seinen Instrumenten vornahm. Die erhaltenen Positionen wurden die genauesten, welche existirten, und um sie für eine Reihe von Jahren im Voraus leicht und sicher berechnen zu können, unternahm er es, alle Constanten für diese Sterne von 1750–1850 zu berechnen und in Tafeln zu bringen, woraus das 1830 erschienene Werk „Tabulae Regiomontanae, reductionum observationum astronomicarum ab anno [564] 1750 usque ad annum 1850 computatae. Regiomontani 1830“ entstand. Durch diese Tafeln, aus welchen die Positionen der Fundamentalsterne in den Ephemeriden berechnet wurden, kam Einheit in die astronomischen Bestimmungen. Eine der schönsten Früchte, welche dies Werk aber einbrachte, war die neue Reduction sämmtlicher Sonnen-, Mond- und Planetenbeobachtungen, die auf der Sternwarte in Greenwich von 1750 an angestellt waren. Eine andere spätere Frucht war die Entdeckung der unregelmäßigen Eigenbewegung der beiden Sterne Sirius und Procyon, die B. zu der Hypothese der dunkeln Fixsternbegleiter führte, die, nachdem die optische Kraft der Fernröhre vergrößert, als wirkliche schwache Begleiter gefunden sind. Schon vor der Publication dieses Werkes hatte B., nachdem er den Reichenbach’schen Meridiankreis erhalten, mit einer andern Arbeit begonnen. Die Entdeckung der kleinen Planeten hatte seit dem Jahre 1807 aufgehört und hatten Olbers und andere Astronomen vergeblich gesucht, neue zu finden. Die Kenntniß der Oerter der schwächeren Fixsterne war damals eine sehr mangelhafte. Zwar hatte Lalande in Paris zu Ende des vorigen Jahrhunderts nahe 100000 Sterne bis zur 9. Größe mit dem Quadranten der Pariser Sternwarte bestimmt und die Beobachtungen in der „Histoire céleste“ niedergelegt, doch schien es B. mit dem neuen Instrumente möglich genauere und zahlreichere Beobachtungen zu erhalten. Er schlug ferner 1824 der Berliner Akademie vor, Sternkarten zunächst in den Zonen von − 15° bis + 15° Decl. herzustellen, welche alle Sterne in sich aufnehmen sollten, die man in einem Kometensucher von 34 Linien Oeffnung sehen könnte, also Sterne bis zur 9.–10. Größe. Um zu diesen Karten die Fixpunkte zu haben, begann er auf eine ihm eigenthümliche Art die Sterne im Meridian in Zonen zu beobachten und vollendete in der Zeit vom 19. August 1821 bis zum 21. Januar 1833 die Beobachtungen in 536 Zonen, in welchen 75011 Sternpositionen enthalten sind. Diese Positionen zeigten sich beträchtlich genauer als die Lalande’schen und erstrecken sich von − 15° bis + 45° Decl. Die Arbeit ist später von seinem Schüler Argelander fortgesetzt worden, der Zonenbeobachtungen von + 45° bis + 80° Decl. und von − 16° bis − 32° Decl. herausgab. Die akademischen Sternkarten wurden von 15° südl. bis 15° nördl. Decl. in 24 Blättern nach diesen Zonenbeobachtungen begonnen und im J. 1859 vollendet. Zu den meisten Kometen- und Planetenbeobachtungen haben diese Sterne als Vergleichssterne gedient und sind die Fixpunkte zu Untersuchung von Eigenbewegungen etc. geworden. B. hoffte, daß bei dieser Arbeit noch eine Anzahl von kleinen Planeten gefunden würden, doch viele Jahre verstrichen, ohne daß einer entdeckt wurde und erst kurz vor seinem Tode hatte er die Freude, auch diese Frucht reifen zu sehen, indem Henke in Driesen den fünften kleinen Planeten, die Asträa, entdeckte, welcher Entdeckung seitdem durch Vervollkommnung der Sternkarten mehr als 140 gefolgt sind. B. legte seine Beobachtungen nieder in Annalen und hat 21 Abtheilungen der „Astronomischen Beobachtungen auf der kgl. Universitäts-Sternwarte zu Königsberg“ vom J. 1813–1844 selbst herausgegeben. Ganz in extenso enthalten diese Bände die einzelnen Beobachtungen, so daß es dem Astronomen möglich ist, jede Beobachtung zu untersuchen und die gegebenen Resultate zu verificiren. Das große Verdienst aber neben dieser Publication Bessel’s besteht darin, daß B., wie er schon in Lilienthal begonnen, auf die Bestimmung der Instrumentalfehler das Hauptgewicht legte und die dadurch entstandenen Correctionen auf das sorgfältigste anbrachte. Er selbst leitete für das Passageninstrument eine Reductionsformel ab, die auf vielen Sternwarten gegenwärtig in Gebrauch ist.

Doch nicht allein mit diesen Correctionen, welche in der Aufstellung dieses Instruments ihren Grund haben, war er zufrieden, auch die Kreistheilung untersuchte er. Auf eine besondere Art bestimmte er die Theilungsfehler der Kreise [565] und zeigte, wie man mit Berücksichtigung derselben noch die Resultate beträchtlich verschärfen kann. Die Untersuchung der Theilungsfehler der Königsberger Meridiankreise ist für andere Astronomen ein Vorbild der Handhabung der Meridianinstrumente geworden. Im J. 1824 brachte er an einem Passageninstrumente ohne Kreistheilung eine schon von Olaw Römer angegebene Methode wieder zu Ehren, indem er zeigte, wie durch Beobachtung der Durchgänge der Sterne im ersten Vertical unter der Voraussetzung, daß man die Declination der beobachteten Sterne genau kennt, in der Bestimmung der Polhöhe eine bis dahin unerreichbare Genauigkeit erzielt werden konnte.

Als er im J. 1829 ein Heliometer mit Fernrohr von 8 Fuß Brennweite und nahezu sechs Zoll Oeffnung erhielt und selbiges aufgestellt hatte, begann er Distanzen und Positionswinkel zu messen. Eine Anzahl Messungen von 38 Doppelsternen, welche er mit diesem Instrument anstellte, gehören zu den genauesten Beobachtungen, welche über diese Objecte existiren. Die Beobachtungen, welche er mit diesem Instrument an den Trabanten des Jupiter anstellte, führten ihn zu einer genauen Bestimmung der Jupitersmasse und der Bewegung der Satelliten, welche er in Tafeln brachte. Die Beobachtungen des Huyghens’schen Trabanten des Saturn gab ihm die Masse dieses Planeten. Für die Lage des Saturnrings entwarf er nach seinen Beobachtungen Tafeln. Ebenso bestimmte er mit diesem Instrument die Durchmesser verschiedener großer Planeten. Endlich wandte er das Instrument auf die Untersuchung der Parallaxe respective der Entfernung des Sternes 61 im Schwan, dessen Eigenbewegung eine der größten ist, die man kennt, und fand für die Entfernung einen Werth, der die erste genaue Angabe über die Entfernung eines Fixsterns war.

In den „Astronomischen Untersuchungen“, einem Werke, dessen beide Bände 1841 und 1842 erschienen, behandelte er die Theorie des Heliometers und zeigte dessen Untersuchung. Er gibt die Beobachtung verschiedener Sterne der Plejaden, deren Positionen gegenwärtig als die vorzüglichsten bei Beobachtungen mit verschiedenen Mikrometern angewandt werden. Die erwähnte Beobachtung der gegenseitigen Stellungen der 38 Doppelsterne und des Doppelsterns p Ophiuchi sind ebenfalls darin enthalten. Als besondere Arbeiten sind in diesen Bänden aufzuführen die Behandlung des Einflusses der Strahlenbrechung auf Mikrometerbeobachtungen, der Präcession, Nutation und Aberration auf die Resultate mikrometrischer Messungen, über die Form einer unvollständig erleuchteten Planetenscheibe, die Analyse der Finsternisse, worin er diese Erscheinungen von neuem behandelte, endlich eine neue Berechnungsmethode für die Entfernung des Mondes von andern Himmelskörpern. In der theoretischen Astronomie ist B. ebenfalls ungemein thätig gewesen. Seine Arbeiten begann er bekanntlich mit Reduction von Kometen und Bahnberechungen. Er selbst hat von mehr als 16 Kometen die Bahnen bestimmt, von einzelnen mehrfach und sind in dem Galle’schen Kometenverzeichniß in der Olbers’schen Abhandlung von ihm Bahnen von den Kometen der Jahre 1607, 1618, 1748 II, 1769, 1772, 1805, 1806 I, 1806 II, 1807, 1808 II, 1811 I, 1815, 1818 II, 1821. Schon 1805 erweiterte er durch einen Aufsatz „Ueber die Berechnung der wahren Anomalie in einer von der Parabel nicht sehr verschiedenen Bahn“ die Theorie und gab Tafeln dazu. In der Berechnung des Kometen vom J. 1807 gab er Störungsformeln nach der Grundlage von Lagrange’s Entwickelungen, die bei vielen Berechnungen als Vorbild gedient haben. Die Berechnung des Olbers’schen Kometen vom J. 1815, dessen Wiederkehr er auf 1887 Febr. 9, 4 feststellte, ist eine seiner vorzüglichsten Arbeiten. Außerdem gab er aber vielfach Veranlassung, daß Kometen berechnet wurden, u. a. wurde die Berechnung des Halley’schen vom J. 1835 durch Rosenberger von ihm veranlaßt. Als dieser Halley’sche Komet im [566] J. 1835 erschien, untersuchte er auf das sorgfältigste seine physische Beschaffenheit, und die wahrgenommenen Ausströmungen führten ihn zu einer „Theorie“ über die Beschaffenheit der Kometen, bei welchen er polare Kräfte wirksam annahm, eine Theorie, die noch gegenwärtig volle Gültigkeit hat. In der theoretischen Astronomie kommt auch eine Gleichung vor, die bekannt ist unter dem Namen der Kepler’schen und mit deren Auflösung sich viele Mathematiker beschäftigt haben. Bei der analytischen Auflösung findet B. die hochwichtige Methode, die Coefficienten einer periodischen Function durch Integration zu bestimmen, die zwar schon vor ihm von Gauß angewandt wurde. Nicht minder beschäftigte er sich mehrfach mit andern mathematischen Functionen, eine besondere Art trägt seinen Namen, für die sogenannte Function des Integrallogarithmus gab er die ausführlichste Entwickelung. Er behandelte die Theorie der Zahlenfacultäten, die Summation der Progressionen, und in der praktischen Geometrie gab er eine Auflösung der bekannten Pothenot’schen Aufgabe. Bei den Sonnenörtern, welcher er zu seinen Kometenrechnungen bedurfte, fügte er verschiedene Verbesserungen in der Theorie hinzu und seine Correctionen der Carlini’schen Tafeln der Sonnenörter haben viele Jahrzehnte Anwendung bei der Berechnung der Ephemeriden gefunden. In dieses Gebiet gehört auch die Schrift, welche er 1824 der Berliner Akademie vorlegte: „Untersuchung des planetarischen Theils der Störungen, welche aus der Bewegung der Sonne entstehen“. Bei der Vergleichung der Beobachtungen des Uranus mit den Ephemeriden fand er, daß in den Uranustafeln von Bouvard[WS 7] einige Fehler waren; er gab die Verbesserungen an, und als er 1840 die Bewegung des Uranus untersuchte, kündigte er in einer am 28. Februar gehaltenen Vorlesung die Existenz eines transuranischen Planeten an, dessen theoretische Berechnung durch Leverrier und Adams und dessen Auffindung durch Galle er jedoch nicht mehr erlebte. Die Behandlung und Untersuchung der Fernröhre führte ihn zur neuen Ableitung der dioptrischen Grundformeln, die er 1840 publicirte.

Im J. 1825 schaffte er für die Königsberger Sternwarte einen Apparat an, um die Länge des einfachen Secundenpendels zu bestimmen und einen Maßstab, eine Fortin’sche Toise. Seine Untersuchungen über die Pendellänge, welche er 1826 in Königsberg und 1835 in Berlin ausführte, bei welchen er sowol auf die Verschiedenheit der Stoffe als auch auf den Widerstand der Luft in jeder Weise Rücksicht nahm und bisher als richtig angenommene Reductionen verbesserte und eine neue Art des schon von Bohnenberger empfohlenen Reversionspendels angab, sind classische Abhandlungen, und gegenwärtig werden nach seiner Methode bei den Gradmessungen die Bestimmungen der Intensität der Schwere durch Pendelbeobachtungen ausgeführt.

Im J. 1829 hatte die russische Regierung eine Verbindung ihrer Gradmessungsarbeit mit der Sternwarte in Königsberg gewünscht und im J. 1830 erhielt B. den Auftrag, in Ostpreußen eine Gradmessung auszuführen, welche er 1831 und 1832 zwischen den Parallelen Memel und Trunz über einen Bogen von 1½ Grad vollendete und bei welcher er einen neuen Basisapparat construirte, mit dem seitdem im Ganzen 10 Grundlinien nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark, Schweden und Belgien gemessen sind und bei welchem er das Metallthermometer anwandte und die Zwischenräume zwischen den Meßstangen durch Glaskeile maß. Die Berechnung seiner Triangulationen, bei welcher er von preußischen Officieren, u. A. von dem gegenwärtigen Schöpfer der Europäischen Gradmessung, Generallieutenant Dr. Baeyer, unterstützt wurde, enthält die ausführlichsten Regeln der Ausgleichungen mit Hülfe der von Gauß erfundenen Methode der kleinsten Quadrate, zu welcher B. mehrfach Beiträge lieferte. Seine Methoden werden gegenwärtig in den meisten Ländern angewandt. [567] Das Werk „Gradmessung in Ostpreußen und ihre Verbindung mit der preußisch-russischen Dreieckskette“ ausgeführt von B. und Baeyer erschien 1838. Aus seiner Gradmessung und neun anderen bis dahin bekannten und zu dem Zwecke brauchbaren leitete er nach von ihm entwickelten Formeln die wahrscheinlichste Größe und Figur der Erde ab. Ueberhaupt gab die Gradmessung ihm Veranlassung zur Lösung verschiedener Aufgaben aus der höheren Geodäsie.

Die Pendelbeobachtungen führten ihn auf die genaue Untersuchung von Thermometern, über deren Berichtigung er einen Aufsatz in Gilbert’s Annalen der Physik im J. 1826 gab. Da er bei den Gradmessungsarbeiten genaue Originalmaße brauchte und selbige nicht genügend vorfand, außerdem die Längenmaße in Preußen sehr von einander abweichen, veranlaßte er die Feststellung des preußischen Längenmaßes. Er setzte den preußischen Fuß zu 139,13 Pariser Linien fest, welcher auch in Dänemark eingeführt wurde, und die von ihm hergestellte Original-Toise, von welcher mehrere Copien angefertigt sind, waren bis jetzt das genaueste Längenmaß, welches existirte und auf welches alle Gradmessungen bezogen worden sind. Die Darstellung desselben ist niedergelegt in dem 1839 erschienenen Werke „Darstellung der Untersuchung der Maßregeln, welche in den J. 1835–38 durch die Einheit des preußischen Längenmaßes veranlaßt sind“. Endlich sind noch erwähnenswerth die nach seinem Tode erschienenen „Populären Vorlesungen über wissenschaftliche Gegenstände“, herausgegeben von Schumacher, Hamburg 1848, welche meist in den J. 1832–44 in der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg gehalten sind und von denen einige umgearbeitet in den Jahrbüchern Schumacher’s erschienen waren. Die Vorträge sind voll wissenschaftlicher Gedanken und gewähren auch Fachmännern Belehrung; zwei dieser Vorträge behandeln den Halley’schen Kometen, einer die Entfernung des Sternes 61 im Schwan, ein anderer Maß und Gewicht und das preußische Längenmaß insbesondere, Ebbe und Fluth etc.

Im J. 1840 hatte B. den schmerzlichen Verlust seines einzigen hoffnungsvollen Sohnes Wilhelm zu beklagen, der im 27. Lebensjahre als Bauconducteur in Berlin starb, und seit jener Zeit war er öfter als sonst leidend; er besuchte noch 1842 mit seiner Tochter – er hatte drei Töchter – und seinem Schwiegersohn Erman England, die Naturforscherversammlung in Manchester und auch noch Schottland, aber eine schwere Krankheit war schon im Anzuge. Lange und schmerzlich litt er, bis am 17. März 1846, ohne daß je das Bewußtsein ihn verlassen hätte, in sanftem Schlummer seine Auflösung erfolgte. Er starb noch nicht 63 Jahre alt. Eine ausführliche Biographie von B. fehlt noch. Encke gab in der Berliner Akademie 1846 eine Gedächtnißrede.

Bruchstücke sind: „Kurze Erinnerungen an Momente meines Lebens“ im Briefwechsel zwischen Olbers und Bessel. Leipzig 1852; Wichmann, „Beiträge zur Biographie Bessel’s“ in der Zeitschrift für populäre Mittheilungen von Peters; Mädler, „F. W. Bessel“, in Westermann’s Monatsheften 1867.

Das Verzeichniß seiner Schriften hat Busch im 24. Bande der Königsberger Beobachtungen gegeben. Sein Bild findet sich im 27. Bande der Königsberger Beobachtungen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Guillaume-Thomas François Raynal oder Abbé Raynal (1713-1796), französischer Schriftsteller der Spätaufklärung; siehe Wikipedia.
  2. gemeint ist der Mathematiker Bernhard Friedrich Mönnich (1741-1800), dessen Lehrbuch der Mathematik, vorzüglich für solche, welche sie erlernen, um sie bey einem andern Hauptgeschäft zu nutzen (1781, 1784).
  3. Joseph Jérôme Lefrançais (de) Lalande (1732-1807), französischer Mathematiker und Astronom.
  4. Thomas Harriot (1560-1621), englischer Mathematiker, Naturphilosoph und Astronom; siehe Wikipedia.
  5. Pierre-Simon (Marquis de) Laplace (1749-1827), französischer Mathematiker, Physiker und Astronom; siehe Wikipedia.
  6. Sylvestre François de Lacroix (1765-1843), französischer Mathematiker; siehe Wikipedia.
  7. Alexis Bouvard (1767-1843), französischer Astronom; siehe Wikipedia.