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ADB:Gatterer, Johann Christoph

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Artikel „Gatterer, Johann Christoph“ von Franz Xaver von Wegele in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 410–413, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gatterer,_Johann_Christoph&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:29 Uhr UTC)
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Gatterer: Johann Christoph G., Historiker, geb. am 13. Juli 1727 in Lichtenau bei Nürnberg, † 1799. Der Mann seiner eigenen Thaten, war er in ziemlich dürftigen Verhältnissen geboren; es wurde dem lernbegierigen Knaben schwer, den Widerstand, den sein Vater – Dragonerunteroffizier in nürnbergischen Diensten – seinem lebhaften Verlangen nach höherer Ausbildung entgegensetzte, zu besiegen. Mit Unterstützung der Mutter und Dank seiner eigenen Ausdauer gelang das aber doch, und er hat dann die niederen und höheren Schulen seiner Vaterstadt mit einem Fleiße und Erfolge, die über seinen Beruf keinen Zweifel übrig ließen, der Reihe nach besucht. Namentlich seine Neigung zu historischen Studien ist schon in diesen Jahren unverkennbar hervorgetreten. Im J. 1747 bezog er die Universität Altorf, zunächst um Theologie zu studiren, fiel aber bald ab und gab sich ganz seiner Vorliebe für die philologischen und noch mehr die geschichtlichen Disciplinen hin, zugleich gezwungen, seinen Lebensunterhalt durch Ertheilung von Unterricht sich im wesentlichen selbst zu erwerben. Die Universität Altorf bot ihm allerdings keinen Geschichtslehrer, an den er sich hätte anlehnen können; über Chr. G. Schwarz, der die bez. Professur vertrat, hat sich G. später (in seinem Vorwort zum XXXV. Thle. der „Allgemeinen Welthistorie“) geringschätzig genug ausgesprochen; „derselbe sei zwar ein guter Philologe, aber ein schlechter Historiker gewesen“; er habe daher sein eigener Lehrer sein müssen. Das schließt aber nicht aus, daß der nahe Verkehr mit Joh. Heumann, dem bekannten Lehrer des Staatsrechts, dessen Arbeiten im Gebiete der deutschen [411] Specialdiplomatik geschätzt waren, für ihn in hohem Grade anregend und fruchtbar geworden ist. Schon jetzt trug er sich mit dem Plane eines umfassenden Werkes, einer Germania sacra, und seine Habilitationsschrift aus dem J. 1752 („Dissertatio praevia de adornanda in posterum Germania sacra medii aevi“)- konnte als ein Programm dafür gelten. Aber sein Entschluß, der akademischen Laufbahn sein Schicksal anzuvertrauen, erfuhr noch in demselben Jahre eine wesentliche Aenderung. G. erhielt nemlich einen Ruf an das Gymnasium in Nürnberg, dem er, wie es scheint, ohne Bedenken nachkam, wahrscheinlich mit aus dem Grunde, weil durch denselben seine noch so ungewisse Stellung mit einem Male sicher gestellt wurde. Im Herbste 1752 trat er in den neuen Wirkungskreis ein und sieben Jahre hat er in demselben als Lehrer „der Geographie, Historie und der damit verbundenen Wissenschaften“ ausgehalten; daneben war er seit 1756 als Professor der Reichshistorie und der Diplomatik am Auditorium Aegidianum – eine Art von Lyceum – angestellt. Entscheidend für seine Zukunft ist die schriftstellerische Thätigkeit geworden, die er in dieser Zeit entwickelte. In dieser Beziehung ist in erster Linie seine „Historia genealogica dominorum Holzschuerorum etc. etc.“ (Nürnberg 1755) zu nennen, die er im Auftrage des gedachten Geschlechtes abgefaßt und die ihm mit einem Schlage den Ruf eines gewiegten Forschers und Urkundenkenners eingebracht hat. Die Darstellung reicht bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein, und dürfte es auf einem Mißverständniß beruhen, wenn in neuerer Zeit behauptet worden ist, daß ein zweiter, weit wichtigerer Theil und mit einem reichhaltigen Urkundenbuche versehen aus unbekannten Gründen ungedruckt liegen geblieben sei. Nach Vollendung dieses Werkes war Gatterer’s Absicht, fürs erste eine schon seit einiger Zeit begonnene Arbeit, die Geschichte König Heinrichs VI., Sohnes K. Friedrichs II. zu schreiben und hierauf seine ungetheilte Kraft der Ausführung des, wie erwähnt, schon in Altorf geplanten, umfassenden Werkes einer „Germania sacra medii aevi“ zuzuwenden. Diese Pläne wurden aber durch eine von G. schwerlich vorausgesehene Wendung in seiner öffentlichen Stellung und seines Berufes ein für alle Mal bei Seite geschoben. Er erhielt nemlich im Jahre 1759 durch den hannöverschen Minister v. Münchhausen als Köhlers Nachfolger einen Ruf als Professor der Geschichte an die Universität Göttingen, dem er ohne weiteres Folge leistete. Sein einige Zeit vorher erschienenes größeres Werk, außerdem die Abhandlung „De Gunzone Italo“ und seine Antrittsrede „De artis diplomaticae difficultate“, die ihn auf dem besten Wege zur Höhe der historischen Wissenschaft, wie man das gerade für Göttingen liebte, erscheinen ließen, werden nebst Empfehlungen von dieser oder jener Seite ausgereicht haben, dieses für ihn so ehrenvolle Ergebniß herbeizuführen. Für jeden Fall sah er sich jetzt auf einen weithin sichtbaren Punkt und in einen großen Wirkungskreis mitten in der jungen aufstrebenden Georgia Augusta gestellt. Vierzig Jahre hat er noch in Göttingen lehrend und schriftstellernd zugebracht, und man kann nicht umhin, diese seine Thätigkeit als eine bedeutende und fruchtbare anzuerkennen. Als Lehrer hat er, mit einer seltenen Arbeitskraft ausgerüstet, sich sofort des ganzen Gebietes der Geschichte, der deutschen, der mittelalterlichen und besonders der allgemeinen Geschichte bemächtigt. Der Beifall, den er als solcher fand, war groß, bis Schlözer und noch mehr Spittler ihm gefährliche Concurrenz machten und ihn allmählich nöthigten, sich auf das Gebiet der historischen Hülfswissenschaften, für das er in der That besondere Befähigung mitbrachte, zurückzuziehen. Als Lehrer hat er namentlich auch durch das von ihm im J. 1766 gegründete „Historische Institut“, das man annähernd mit den historischen Seminaren neuerer Zeit vergleichen mag, anregend gewirkt und Schüler gebildet; die beiden Zeitschriften, die das Institut der Reihe nach herausgab, [412] die „Allgemeine historische Bibliothek“ (1767–71 in 16 Bänden) und das „Historische Journal“ (von 1771–82, in ebenso vielen Bänden) sind, litterarhistorisch gemessen, auch heut zu Tage noch von Werth und gewähren eine Vorstellung von dem Geiste und der Bestimmung jener Anstalt. Es ist kein Zweifel, daß G. selbst an diesen beiden Zeitschriften das beste gethan hat. Manche der von ihm herrührenden Abhandlungen oder Kritiken dürfte noch jetzt gelesen zu werden verdienen. Ueberhaupt entwickelt G. in seinen kleineren Aufsätzen ein viel größeres Form- und Darstellungstalent, als in seinen umfassenden, der Universalgeschichte gewidmeten Werken. Diese seine bez. Arbeiten hängen enge mit seiner Lehrthätigkeit zusammen. Das Verdienst, das ihnen in Wahrheit zukommt, ist jedoch gerade auch in neuester Zeit, wenn uns nicht alles täuscht, überschätzt worden. Es ist im eigentlichen Sinn relativer und doch beschränkter Natur. G. hat sieben verschiedene Bearbeitungen der Weltgeschichte begonnen, aber keine vollendet; schon die mittlere Geschichte wird überall empfindlich verkürzt und die neue kommt so gut als gar nicht zu ihrem Rechte. Eine künstlerische Behandlung ist schon durch die Form des Compendiums ausgeschlossen. Der Fortschritt, den G. auf diesem Gebiete gemacht hat, liegt theils in der Vervollständigung und rationelleren Gruppirung des universalgeschichtlichen Stoffes und in der zutreffenderen Constituirung der Epochen der Geschichte, theils in der principiellen Herbeiziehung der Religions- und Culturgeschichte, wiewol eine lebendige Verbindung derselben mit der politischen Geschichte nicht einmal versucht wird. Was das kritische Talent Gatterer’s anlangt, so kann man ihm ein solches nicht absprechen, aber es wird Niemand behaupten wollen, daß seine Stärke gerade auf dieser Seite liege oder daß er sich in dieser Richtung etwa mit Schlözer vergleichen ließe. Häufig ist er gerade hierin conservativer, als das Wesen der Sache es wünschenswerth macht. Im übrigen ist es ihm überall nur um die Sache, d. h. um. die historische Wahrheit selbst zu thun und läßt er sich nirgend von Nebengedanken leiten. Gatterer’s bleibendes Verdienst liegt auf dem Gebiete der historischen Hülfswissenschaften, der Diplomatik, Heraldik, Genealogie, Geographie, deren Pflege das schon erwähnte „historische Institut“ in erster Linie mit gewidmet war. Die genannten Disciplinen sind zum guten Theil durch G. wissenschaftlich in Deutschland begründet oder doch eingebürgert und an den Universitäten eingeführt worden. Ein Anzahl von Lehrbüchern hat er über dieselben geschrieben. Die Genealogie, als Geschlechtergeschichte und eigene Disciplin betrachtet, kann man ihn als den eigentlichen Begründer derselben bei uns mit Fug und Recht ansehen. Seine Verdienste um die Chronologie hat er durch den Umstand beeinträchtigt, daß er sich von der Zählung der Jahre von Erschaffung der Welt an nicht trennen konnte. Seine Verdienste um die physische Geographie wurden in seiner Zeit mit Recht hoch geschätzt und sind auch in neuester Zeit noch gewürdigt worden (vgl. O. Peschel, Geschichte der Erdkunde, S. 687). Das litterarische Ansehen Gatterer’s war lange Zeit ungewöhnlich groß. Er verdankte dies vor allem auch der Unermüdlichkeit seines Arbeitens und dem weiten Umfang seiner Kenntnisse und Studien. Von seinen Lehrbüchern abgesehen, hat er in seinen beiden eigenen gedachten Zeitschriften und außerdem in den Göttinger gelehrten Anzeigen, in den Commentarien der Göttinger Societät der Wissenschaften und in der Allgemeinen deutschen Bibliothek eine lange Reihe von Abhandlungen und Anzeigen von Büchern niedergelegt. Beachtenswerth sind auch die Einleitungen, die er einer Anzahl von Bänden der allgemeinen hallischen Welthistorie vom 32. Band an vorausgeschickt hat, nachdem der Verleger durch das Gewicht seines Namens das Unternehmen in der neuen Gestalt, die aus der Uebersetzung eine selbständige Bearbeitung macht, dem deutschen Publicum empfehlen wollte. Zur Charakteristik Gatterer’s darf es übrigens nicht unterlassen werden, hervorzuheben, [413] daß seine fortgesetzte Beschäftigung mit Universal- und Weltgeschichte nicht vermocht hat, sein lebhaftes Interesse für die deutsche Geschichte zu beeinträchtigen. Eine Hauptaufgabe seines historischen Institutes sollte die Sammlung und Herausgabe der deutschen Quellenschriften des Mittelalters sein. Er hat zu diesem Zwecke in der That die einleitenden Schritte gethan, Entwürfe gemacht, Verbindungen angeknüpft; und es war nicht seine Schuld, daß das Unternehmen zuletzt doch ins Stocken gerieth. Das äußere Leben Gatterer’s seit seiner Uebersiedelung nach Göttingen ist wie ein specifisches Gelehrtenleben verlaufen. Nach allem, was man weiß, hat er sich, anspruchslos wie er war, grundsätzlich zurückgehalten, und als ein jüngeres Geschlecht ihm den Kranz des Erfolges als Lehrer wirksam streitig machte, ganz auf sich und sein Haus zurückgezogen. Und wie es auf der einen Seite sicher zu viel gesagt heißt, wenn man von seiner angeblichen Gleichgiltigkeit gegenüber den laufenden Zeitereignissen spricht, so scheint auf der andern Seite zugegeben werden zu müssen, daß die großen erschütternden Vorgänge, welche der französischen Revolution auf dem Fuße folgten, einen zurückstoßenden und niederschlagenden Eindruck auf ihn machten. Sein Trost jedoch bis zuletzt war die ununterbrochene Beschäftigung mit seiner Wissenschaft und seinem Berufe. Er ist ihr, man darf es sagen, bis ans Ende treu geblieben. Noch am Morgen seines Sterbetages hat er sich auf seine Vorlesung vorbereitet. In der Nacht vom 4. zum 5. April 1799, in seinem 72. Lebensjahre, ist er gestorben. In der Reihe derjenigen, die die neue große Epoche der deutschen Geschichtschreibung vorbereiten halfen, steht er mit oben an. Von seinen Kindern hat sich sein Sohn Christoph Wilhelm Jakob (s. o.) als Professor der Cameralwissenschaften an der Universität Heidelberg und seine Tochter Magdalene Philippine nachmalige Engelhard (Bd. VI S. 136) als Dichterin hervorgethan.

S. Heyne, Elogium J. C. Gattereri in den Commentatt. Soc. Gott. Vol. XIV. p. 399.Schlichtegroll, Nekrolog auf das J. 1799, Gotha 1804. – Pütter, Versuch einer akademischen Gelehrtengeschichte d. Universität Göttingen, Bd. I, II u. III. passim … – Heeren, Hist. Werke III, 450–68. – F. A. v. Malchus in den Zeitgenossen I, 2. S. 177–97 (Leipzig und Altenburg 1816), wo auch die Schriften Gatterer’s ziemlich vollständig verzeichnet sind. – Ersch und Gruber, Allgemeine Encyklopädie S. I, Thl. 54. S. 376–83 (Artikel von B. Röse).