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ADB:Fürstenberg, Franz Friedrich Wilhelm Freiherr von

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Artikel „Fürstenberg, Franz Friedrich Wilhelm Freiherr von“ von Josef Bernhard Nordhoff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 232–244, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:F%C3%BCrstenberg,_Franz_Friedrich_Wilhelm_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:57 Uhr UTC)
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Fürstenberg: Franz Friedrich Wilhelm Frhr. v. F., Sohn Christian Franz Theodors v. F. und der Helene Marie Antonette, geborenen Gräfin von Galen, Bruder des Frhrn. Lothar Clemens v. F., † 1791 als kurkölnischer Geh. Rath, wurde am 7. August, angeblich 1729, wahrscheinlicher 1728 auf dem Schlosse Herdringen bei Arnsberg geboren, † 1810. Unter elterlicher Obsorge vom Ortsgeistlichen, dann von einem früheren Theologen für das Gymnasium vorbereitet, studirte er zuerst bei den Jesuiten zu Paderborn, dann an der Universität zu Köln (später römisches und canonisches Recht zu Salzburg?), machte dann längere Reisen in Deutschland und Italien. Etwa 20 Jahre alt, erhielt er ein Canonicat [233] am Dome zu Münster und später ein gleiches zu Paderborn. Seit 1762 bekleidete er im Hochstift Münster die Aemter eines Ministers und geheimen Conferenzrathes und seit 1770 noch jene des Generalvicars, weiterhin des Curators der höheren Bildungsanstalten. Diese Aemter, die um so verantwortlicher waren, als sein Fürst meistens am Rheine residirte, verdankte er wol weniger „einem glücklichen Zufall“, als einsichtsvollen Empfehlungen und hervorragenden Fähigkeiten. Der Fürstbischof Maximilian Franz, Graf von Königseck-Rothenfels, zugleich Kurfürst von Köln, war eine mehr aufgeklärte als thatkräftige Persönlichkeit, und, wie die Folge lehrte, ein Freund der Anschauungen Fürstenberg’s; des letzteren staatsmännisches Talent war theils erprobt, theils verheißend; überhaupt überragte F. an Bildung und Werkthätigkeit alles, was sonst im Stifte Anspruch auf die höchsten Posten erheben mochte. F. hatte allerdings im ganzen nur eine Bildungsbahn zurückgelegt, wie hunderte von Domherren vor ihm und mit ihm, er hatte nur, wie das Licht, alle zusagenden Mittel für die Nahrung seines Geistes erfolgreicher absorbirt, stufenweise seine Talente gepflegt und gehoben und, mit den Jahren fortschreitend, neue Theoreme und Disciplinen für Menschen- und Volkswohl nach ihrem Werthe zu durchschauen und auszunutzen gelernt. So hob er sich zu einer gewaltigen Kraft in alten Geleisen empor. Seine Grundsätze gingen auf eine größtharmonische Ausbildung des Menschen nach Geist und Leib, auf eine bewußte und willige Thätigkeit. Sinnig bei jedem Vorhaben, wog er das Für und Wider reiflich ab und streute dann, unbekümmert um alle Einreden, seine fruchtbaren Saaten aus, – wie alle großen Männer, mit geringen Mitteln Großes leistend. Seine Talente hatte er bereits während des siebenjährigen Krieges bethätigt, dessen Schrecknisse sich über das Stift um so unheilschwerer entluden, als der damalige Fürstbischof Clemens August (von Baiern) mit Frankreich noch einen besonderen Subsidienvertrag geschlossen und damit sich die Nachbarstaaten verfeindet hatte. Wurde doch auf dem nordwestlichen Kriegsschauplatze die Hauptstadt Münster, damals noch Festung, seit 1757 zuerst von den Franzosen, dann von der preußisch-hannoverschen Kriegsmacht besetzt oder gewaltsam erobert, das Land von Freund und Feind so erbärmlich verheert, beraubt, gebrandschatzt, daß ganze Höfe verarmten, und 1761 die Verluste des Hochstiftes an Naturalien und baarem Gelde sich auf 4,598,000 Rthlr. bezifferten. F. hatte als einfacher Domherr schon Theil an der Regierung und, des Englischen und Französischen mächtig, auch mit den ausländischen Oberfeldherren die Verhandlungen geführt und sich in beiden Lagern durch ein gewandtes Vorgehen solche Achtung verschafft, daß auf die Verwendung des „jungen Domherrn“ vielfache Milderung der Kriegslast, theilweiser Nachlaß der Contributionen, selbst Schadenersatz gewährt wurde. Der Krieg führte auch die Männer mit, welche den künftigen Erretter des Landes für seine hohen Aufgaben befähigen halfen, so den General v. Broglie, den genialen Feldherrn Ferdinand von Braunschweig, den Grafen Wilhelm von Lippe-Schaumburg, den englischen Taktiker Heinrich Lloyd – lauter Männer von feinen Formen, hoher Bildung und, was damals viel besagte, bewandert in den artilleristischen Wissenschaften, deren Kern die Mathematik bildete. Diesen Männern verdankte F. die Erweiterung und Läuterung seines Wissenskreises, die Ausbildung für das Leben; mit Lloyd und dem Grafen von Lippe-Schaumburg stand er bis an ihr Ende in engerem Verkehr und Ideenaustausch; manche seiner Thaten und Gedanken werden uns an das gemahnen, was er von ihnen gehört und gesehen haben mochte, zumal an die Schöpfungen Schaumburg’s. Des geistvollen Mannes Blick schweifte mit Wohlgefallen über den Schöpfungen und Errungenschaften Friedrichs des Gr., sein Ohr verschloß sich gewiß nicht den lehrreichen und fruchtbaren „Phantasien“ Mösers. F. und Möser waren [234] Landsleute, Nachbarn, beide Patrioten, beide Leuchten ihrer Gegend und Zeit, beide zu ähnlichen Dingen berufen, der ältere Möser mehr schöpferisch in der Theorie, F. in der Praxis. Später verkehrten doch die Anhänger Fürstenberg’s mit der Möser’schen Familie, wie mit Kleuker, dem Gelehrten. Die Ideale der Aufklärung und Nationalökonomie pochten damals zu heftig an alle Pforten, als daß ein F. sie unbeachtet gelassen, wenn er auch manchen Consequenzen entsagte. In kleinen Bächen von England und Holland angesammelt, schwoll die Aufklärung in Frankreich zu einem Strome an, der die herkömmlichen Formen und Anschauungen, gute und schlechte, wie dürre Zweige fortriß. Während sie anderswo zerstörte, förderte sie in Deutschland Litteratur und Wissenschaften; Volks- und Staatenwohl fanden erleuchtete Vorkämpfer, so wie angedeutet, in Preußen und Schaumburg, in Weimar an Anna Amalia und Karl August, so später in Oesterreich an Joseph II., im Würzburgschen an Franz v. Erthal etc. Das Münsterland reiht sich unter F. ein, dessen Wollen und Handeln sich auf solchem Hintergrunde nicht mehr so meteorartig, wie bei den seitherigen Biographen, aber immer noch höchst glanzvoll und großartig ausnimmt. F. steht in der Vorderreihe der Culturpioniere: seine Schöpfungen sind reiflichem Nachdenken, vielseitigen Erkundigungen und Beobachtungen auf Reisen nah und fern entflossen, bis ins Einzelne harmonisch entworfen, Land, Leuten und Umständen angepaßt, in der Ausführung jedesmal den fähigsten Händen anvertraut und deshalb dauerhaft. Indem wir uns dieses organischen Zusammenhangs derselben von vornherein bewußt bleiben, dürfen wir sie nunmehr gesondert betrachten.

Wie hülfsbedürftig fand der junge Minister das Land vor! Die Räubereien der Spanier und Niederländer, die Trennung der Generalstaaten von den südlichen Provinzen, der große deutsche Krieg, die Kriegspolitik eines Bischofs Galen, die Nöthen der Kleinstaatereien hatten nach oder miteinander längst den mittelalterlichen Wohlstand des Landes verwischt, ohne daß ernstliche Besserungsversuche gemacht wären. – Da schlug der siebenjährige Krieg neue Wunden, vermehrte das Elend ins Unabsehbare, die Privaten, Communen, die verschiedenen Stände, das Land als solches – Alle waren heimgesucht und mit Schulden belastet, die Aecker lagen verwüstet, die Ackergeräthe waren verschwunden, Häuser zerstört, ein Viertel der Hauptstadt in Asche verwandelt, viele Familien allen Eigenthums entblößt, die Landeskasse an 400000 Rthlr. Zinsen rückständig. Heilend und schaffend zugleich griff F. ein. Er wollte die Landesschulden tilgen und daneben einen disponiblen Reservefonds bilden, ohne die schwer belasteten Steuerzahler weiter anzustrengen: deshalb wurde 1763 eine Stempelsteuer, auf mehrere Jahre eine sogen. Mauthsteuer für importirte Luxusartikel eingeführt, und 1768 dem Landtage eine durchgreifendere Steuer empfohlen, indeß nur zögernd bewilligt, nämlich eine auf die schatzfreien Stände ausgedehnte Schatzung für 6 Jahre. Es hatten die Aebtissinnen den höchsten Satz von 6 Rthlrn. jährlich, die anderen Stände stufenweise weniger, eine Mannsperson der niedrigsten Classe 12 Groschen, eine Frauensperson die Hälfte zu zahlen. Der darüber aufgebrachte Clerus berief sich bis zum Bischof hin auf seine Privilegien und, hier abgewiesen, verklagte er F. sogar beim Reichskammergericht. Da führte der Rechtsgelehrte Sprickmann auf Eingebung des Ministers in einem deshalb erforderten Berichte aus, daß die Steuer Kriegsschulden tilgen solle, und die Geistlichkeit damit nur abtrage, was das Land im Kriege ihr vorgeschossen habe. Genug, die Maßregel ging durch und brachte dem Lande allen Segen, F. allgemeines Vertrauen. Nun wurden die Zinsrückstände, dann die Capitalien abgelegt, die rückgezahlten Gelder von den Geldmännern an die hülfslosen Gewerbe- und Kaufleute ausgethan: der Zinsfuß stand bald im Münsterischen so niedrig, wie irgendwo. Das hatte der Clerus abwenden wollen; denn er war [235] der Hauptgläubiger gewesen. – Die Communen, so ordnete der Minister weiter an, konnten zur Schuldentilgung die unbebauten Gemeindegründe separirt verkaufen, und jene Grundstücke wurden im Einzelbesitz leichter urbar und ertragsfähig. Namentlich sollten die Communen zurückgeben, was ihnen die Privaten vorgeschossen hatten. Unter jene Landsassen, welche ob der Kriegsverwüstungen auswandern wollten, ließ der Minister eine Summe von über 200000 Rthlr. vertheilen, und rettete damit Tausende ihrem Vaterlande. Diesen Maßregeln gingen gemeinnützige zur Seite. Es mußten die verkommenen Landwege hergestellt, zur Trockenlegung der Grundstücke Flüsse und Bäche gereinigt werden und Ingenieure für diese und andere Meliorationen in allen Winkeln des Landes die nöthigen Erhebungen machen. Damit verwandelten sich Sümpfe und Einöden in Nutzland, es hob sich der Verkehr, der Handels- und Bauersmann athmeten wieder auf. Noch gründlicher sollte die Lage des Bauern verbessert werden. Er war seit dem Ende des Mittelalters theilweise so gut wie allgemein in Leibeigenschaft versunken, mit allerhand Abgaben und Diensten, fester und willkürlicher beschwert. Nachdem dann Rechtsgelehrte und Litteraten solche Zustände an den Pranger gestellt, die Physiokraten den Boden als die vornehmste Quelle des Nationalwohlstandes bezeichnet hatten, konnte ein Reformer, wie F., sich nicht versagen, Alles für den Bauernstand zu thun, was nur die Umstände und betheiligten Gutsherren gestatteten. Er hob die willkürlichen Dienste und regelte die Verpflichtungen gegen die Gutsherren. Eine 1770 erschienene „Eigenthumsordnung“ besiegelte die Reformen. Die Durchführung der Erbpacht gelang ihm nur bei mehreren Gütern des Domcapitels; die Erbpachtsordnung von 1783 und die 1790 erschienene „Anweisung zur Verbesserung des Ackerbaues und der Landwirthschaft“ … wurzeln ohne Frage in den Ideen Fürstenberg’s, der damals den Staatsangelegenheiten längst entsagt hatte. So tief gesunken und erblödet zeigte sich übrigens der Bauer, daß er, der in der Eigenthumsordnung gegen erlangte Rechte auch gewisse Pflichten übernehmen mußte, anfangs gegen die Maßnahmen seines Wohlthäters murrte. So sehr F. aber die Landwirthschaft begünstigte, so wenig verschloß er sich der Bedeutung des Handels und der Gewerbe, zumal nachdem bald dafür von England (Smith 1776) die gewichtigsten Stimmen laut geworden waren. Sie bildeten für die meisten Bewohner der Städte und Dörfer leicht eine einträgliche Hantierung, und ob auch schon mit der Mauthsteuer und der gesteigerten Geldcirculation begünstigt, erhielten sie in einem eigenen Commercienrath von mehreren Personen eine dauernde Stütze. In den Dörfern belebte sich die Leinwandfabrikation, es steigerte sich der Absatz, es kam der Muth zu industriellen Unternehmungen. In Rheine erweiterte um 1763 eine Gesellschaft die Saline und errichtete man, um der Einfuhr von Holland zu steuern, Mühlen für Perlgerste und Holzschneiderei, in Warendorf gründete ein Mainzer gegen den englischen Lederimport eine Lederfabrik, zu Bochold nutzte man die Thongruben aus, zu Telgte legten einige Münsteraner eine Porzellanfabrik an, und damit sie mit den gleichartigen Unternehmungen concurriren könne, wurde dafür ein Former von Meißen, ein Maler von Baiern herangezogen. Und alle Einrichtungen im Lande kamen auch der Hauptstadt zu Gute. Wie anderwärts wurden hier die alten Festungswerke, die Sammelpunkte von Kriegswehen, abgetragen, viele Verschönerungen vorgenommen, die Wälle in herrliche Promenaden, die Citadelle in einen Lustgarten verwandelt und an der Ostseite desselben, von der Stadt durch den „Neuplatz“ getrennt, erhob sich das fürstliche Schloß „einer königlichen Residenz würdig“. Gebaut oder umgebaut wurden ferner ein Theater, das Gardehotel, eine Reihe von Häusern, die Façade des Gymnasialgebäudes. Adel, Domherren und Bürger folgten mit Neubauten nach. Um den Bürgern wieder Baulust einzuflößen, [236] setzte der Minister Bauprämien aus, vertheilte die von England ausgewirkten Entschädigungsgelder, und führte eine Feuerversicherung ein. Diese Baulust verlangte verschiedene Künstler und Handwerker, brachte Geld in Umlauf, hob das Kunsthandwerk. Auswärtige Meister fanden sich ein, andere Künstler erhielten Freimeisterschaft, die heimischen rafften sich aus Eifersucht zu einer lebhaften Regsamkeit auf. General Schlaun, Lieutenant Merz, die Gebrüder Lippers, der Baurath Boner bildeten eine treffliche Schule von Architekten, Rincklake glänzte als Oel- und Porträtmaler, (König) Manstein als Bildhauer. Welch neues Leben die alte Stadt beseelte, können die damals gegründeten Buchhandlungen und Pressen beweisen. Neben der alten Hofbuchdruckerei ersteht 1762 die neue Presse des Hofbuchbinders Wilhelm Anton Aschendorff, 1768 darf sich die Perrenon’sche (später Coppenrath’sche) Buchhandlung, am 13. März 1771 jene des Jost Anton Benedict, am 31. Decbr. 1784 die Theissing’sche etabliren, 1798 letztere auch eine Presse aufstellen und Peter Waldeck einen Sortimentshandel anfangen. Diese Geschäfte hatten zum Theil Filialen in Osnabrück, Hamm und Köln. Seit 1770 erscheinen, befördert vom erwachten Schulleben, eine Unzahl von Druckwerken vom Kalender bis zu stattlichen Formaten, gemeinnützige Zeitungen, Zeitschriften, Schauspiele und Dichtungen, einzelne Stücke im Schmucke von Holzschnitten und Kupfern. Eine Censur gab es hier anscheinend erst unter Königsecks Nachfolger. Wenn der Fürst auf die Einrichtung eines Theatergebäudes dringt, so vermuthen wir hierbei des Ministers Einfluß um so richtiger, als sein nächster Rath Sprickmann sich des Schauspiels ernstlich annahm. Den Münsteranern, welche meinten, die „Comödianten“ hätten seither mit dem Krameramtshause genug auskommen können, und ihre Spiele schadeten nur der guten Sitte, berief man 1769 eine italienische, französische oder deutsche Gesellschaft theils für die Oper, theils für das Schauspiel oder Ballet. Der Bau des Theaters wird ihnen 1772 ernstlich geboten und 1778 endlich fertig, es dient auch für Bälle und Ausstellungen. Es constituirte sich eine Theaterdirection, der Fürst bestreitet aus seiner Privatkasse wiederholt erhebliche Geldausfälle. Um das Vertrauen im Handel und Wandel zu heben, wird seit 1766 durch zahlreiche Edicte die Rechtspflege an Ober- und Untergerichten reformirt, 1781 auch eine neue Taxordnung erlassen. Sie heißen ernstliche Untersuchungen, unnachsichtige Ahndung der Unterschleife und Ungehörigkeiten, ein schleuniges Verfahren ohne Formalitäten. Diese Maßnahmen und nicht minder die später errichtete Universität schulten einen fähigen Juristenstand, der nachmals von der preußischen Verwaltung gern übernommen wurde. Zweckmäßige Polizeiverordnungen steuerten der Landstreicherei, dem Bettel und Müßiggang, den Desertionen von Delinquenten und den Werbungen für auswärtige Dienste. Wie sehr das Sanitätswesen im Argen lag, bewiesen die guten Geschäfte, welche Quacksalber, Wunderdoctoren und Verkäufer von abergläubischen Heilmitteln unter dem Volke machten. F. suchte dem Unwesen nach Kräften zu steuern. 1773 gründete er ein Medicinalcollegium, dessen Sitzungen er in Person anwohnte, und in seinem Auftrage bearbeitete der geniale Arzt und Professor Hoffmann eine Medicinalordnung. Sie erschien 1777 und wurde als ein Muster ihrer Art im ganzen Vaterlande willkommen genannt, stellenweise (Kassel 1778) gar zum Vorbilde genommen. Weiterhin organisirte F. das Militärwesen: Es sollten, wie er theilweise auch 1780 dem Landtage eröffnete, alle waffenfähigen Männer auch Waffen tragen und die Uebungen in den freien Stunden der Sonn- und Feiertage machen, die Schulknaben schon dafür mit Turn- und Leibesübungen beginnen. Daneben beschäftigte er sich gern mit der Bildung und Bewaffnung eines stehenden Heeres und gründete an der Hand des Grafen von Schaumburg eine Militärakademie, wofür ein 1766 angekaufter Hof als Gardehotel ausgebaut wurde. Sie sollte [237] die fähigsten Söhne des Adels und Landes für das Kriegswesen auch wissenschaftlich schulen und in gelehrten Aufgaben ihren Rückhalt am Gymnasium und der Universität haben. Das System der Landwehr, eine humane Behandlung des Gemeinen, eine Armee von Ehre und Bildung – das sind Fürstenberg’s Pläne, die später von Preußen für ähnliche Einrichtungen nicht übersehen worden sind. Aus der Militärakademie aber sind Helden, wie Geismar und Kleber hervorgegangen. Diese Militärinstitutionen, ob auch von den Zeitgenossen vielfach bespöttelt, betrachtete F. als sein eigenstes Werk, sie verhießen ihm den Schutz des Landes, ein gebietendes Fürstenthum, und wenn andere Länder folgten, ein starkes Gesammtvaterland, sie galten auch als eine Schule für die geistige und körperliche Kräftigung des Volkes. Zumal die Artillerie repräsentirte weitergreifende Kenntnisse, insbesondere der Mathematik und während die Soldaten nebenbei in bürgerlichen Arbeiten aushalfen, gingen aus dem Offiziersstande Feldmesser, Ingenieure, Zeichner und Architekten hervor. – Indeß so viele Stützen des Landes neu eingesetzt oder verstärkt wurden: richtete sich des Ministers Herzensdrang auf die Schulanstalten, als welche die erquickende Lebenslust in die geistige Atmosphäre des Staates von oben bis unten aushauchen sollten. Nicht so sehr positive Kenntnisse, als Bildung und Denken lernen, hielt er für die beseligende Aufgabe der Schule. Der gemeine wie der vornehme Mann sollten lernen, sich verständig in den Kreis seiner Lebensaufgaben und Verhältnisse zurechtzufinden. Großartiger, artikulirter, wie jede andere Schöpfung, steht Fürstenberg’s Schulorganisation da: die Volksschule, als Subsidie Normalschule oder Lehrerseminar, das Gymnasium mit der (Trivial-) Vorschule als „Grundstein“, daran geschlossen ein Seminar für Gymnasiallehrer, die Universität als „Schlußstein“, daran gelehnt die Militärakademie, das Priesterseminar und die akademischen Anstalten – so stuften sich ihm die verschiedenen Bildungsanstalten organisch auf und ab. Die Gymnasien fand F. in den Händen der Bettelmönche oder der Jesuiten, alle gleichmäßig gegen billige Anforderungen zurückgeblieben. Die Jesuiten, welche in Münster und Coesfeld den Unterricht hatten, betrieben Mathematik und Griechisch kaum mehr, das lateinische namentlich als Hülfsapparat der Rhetorik, ihr Unterricht war verknöchert in den Lehrmitteln und äußerlich in den Leistungen. Eine gänzliche Umgestaltung wurde zunächst am Gymnasium in Münster beabsichtigt. Wol fügten sich die Jesuiten den ersten Unterrichtserlassen, wol gingen von ihrem Nachwuchse ein Zumkley und Havichorst willig auf Fürstenberg’s Weisungen ein. Jener lernte bei ihm Mathematik, dieser Philosophie, um sie in der Schule wieder zu lehren – allein alles blieb Stückwerk, so lange geschulte Lehrer und die nöthigen Geldmittel fehlten. Da erfolgte 1773 die Aufhebung des Jesuitenordens und ihre Güter wurden gleich für die Zwecke des Gymnasiums, der theologischen Facultät und die Errichtung eines Priesterseminars bestimmt, sie ergaben indeß nach Abzug der Obliegenheiten, alles genau ab- und eingetheilt, nur knappe Jahreseinkünfte, geschweige noch Mittel für ein Lehrer-Seminar. Es wurden deshalb die Gymnasiallehrer dem geistlichen Stande entnommen, ihnen gemeinsame Wohnung und Küche im Jesuitencolleg eingeräumt, dabei nur ein geringer Jahresgehalt, indeß für die Zukunft Aussicht auf einträgliche Canonicate, Pfarreien oder auf theologische Professuren gewährt. In der That sammelte sich bald ein ansehnlicher Lehrkörper aus den besten Köpfen des Clerus und der Exjesuiten. Mit ihm führte der Generalvicar leicht die innern Reformen durch. Bald wurde Mathematik gelehrt, 1770 von ihm die noch vom Griechischen absehende Schulordnung skizzirt, die Skizze sodann ganz umsichtig auf Grund gewonnener Erfahrungen und Gutachten, die von den besten Capacitäten Deutschlands eingeholt waren, um- und durchgearbeitet, bis sie 1776 abgerundet, aus Sprickmann’s Feder ans [238] Licht trat. Sie betraf das aus fünf Classen bestehende Gymnasium zu Münster und die beiden philosophischen Mittelclassen, welche zum Studium der Theologie überleiteten, die Gymnasien des Stifts höchstens erst, nachdem Zumkley, der Director in Münster, die Aufsicht darüber erhielt. Sie stellte, Geist und Herz ebenmäßig berücksichtigend, als Ziel des Unterrichts Bildung und Selbstkenntniß auf, führte demnach mit der Religion auch Mathematik, Philosophie und Naturkunde ein, beseitigte das Lateinsprechen, schloß die griechische, die deutsche Sprache und Geschichte nicht aus – paßte diese Disciplinen den Classen und dem Alter weislich an. Den geistigen Uebungen secundirten die körperlichen, die fähigsten Lehrer bearbeiteten Lehr- und Hülfsbücher für die verschiedenen Disciplinen, der Unterricht der Philosophie setzte sich für die Theologen auch auf die Mittelclassen fort, und bald hallten Kant’s Lehren in Münster wieder und später entwickelt ein Hermes hier sein philosophisch-theologisches Lehrsystem. Die äußere Organisation, der geistliche Stand des Lehrkörpers, dessen dürftige Besoldung, die frühe Einführung der Philosophie, die Betonung des Denkens gegenüber dem positiven Wissen, diese und andere Satzungen der Schulordnung lassen sich bemängeln, doch nur im Lichte der heutigen Auffassung; sonst leistet sie das Höchstmögliche nach den örtlichen und zeitlichen Umständen. F., so urtheilt L. Giesebrecht, hat nicht blos einen Lehrbegriff hingestellt, er hat auch die Methode des Unterrichts … erörtert … es handelte sich dem Gesetzgeber nicht um die objective Methode, welche durch die Lehrgegenstände bestimmt wird, auch nicht um die Art der subjectiven, von der die methodischen Eigenheiten ausgehen, die ohne Nachtheil für den Unterricht jeder Lehrer für sich hat. Was der Generalvicar ins Auge faßte, war vielmehr die Methode, welche hervorgeht aus der unterrichtenden und erziehenden Gesinnung, also abhängt von dem idealen Bilde, das der Lehrer von seinem Berufe in sich trägt. … Die Schulordnung unterscheidet zuerst Verstand und Herz, dann weiter das Erlangen der Begriffe und Kenntnisse vom Prüfen und Vergleichen der Begriffe wie vom Bezeichnen derselben, also ein dreifaches Thun des Verstandes: Lernen, Reflectiren und Sprechen, und bestimmt darnach die Gegenstände des Unterrichts: Religion, Sittenlehre, Psychologie, Naturkunde, Mathematik und Geschichte als die des Lernens von Gott, vom Menschen und seinen Pflichten, von dem Wesen um ihn her und von den Schicksalen der Menschheit, Logik als die des Reflectirens, Sprechkunst, Redekunst und Dichtkunst als die des Sprechens. So durchkreuzt sich im Systeme Fürstenberg’s eine Trichotomie oder wenn man lieber will, eine Trichomorphose des lernenden Subjects mit der Alexandrinischen Trichotomie des lernbaren Objects. Die Schulordnung erwarb sich selbst und ihrem Urheber den freudigsten Applaus, ward „beinahe als Inbegriff aller Schulweisheit anerkannt“, als ein Werk, „das damals nirgends in Deutschland seines gleichen hatte; selbst Nicolai’s Bibliothek war ihres Ruhmes voll“. Das Gymnasium ging zu hoher Blüthe auf, die Lehrer ehrten F. wie einen Vater, selbst fürstliche Größen holten sich bei ihm pädagogischen Rath; andere Anstalten nahmen an Münster ein Vorbild. Einzelne Orden, die schulhaltenden Observanten, die Minoriten (Münster), sodann die Benedictiner (Liesborn) hatten bereits dem münsterischen Gymnasium nachzueifern begonnen; da die Klöster überhaupt der Reformen bedurften, so erließ F. 1778 die „Verordnung, was und wie die Mönche studiren sollen“ – sie bezeugt nicht minder den unseligen Zustand ihrer Bildung, als den Ernst des Verfassers, das Licht beglückender Wissenschaft zum allgemeinen Nutzen bis in die einsamste Zelle zu tragen; ein Jahr später ergingen weitere Verfügungen gegen Mißbräuche der Klöster, die er übrigens auf Jacobi’s harten Angriff kurz damit in Schutz nahm, es sei Gutes, es sei Böses von ihnen geschehen, das Böse vornämlich, so weit sie sich als allein abhängig von der römischen Curie gehalten, und Fürsten [239] hätten in ihren Maßnahmen gegen sie oft mit offenbarem Widerspruch die Grundsätze jener Curie zu den ihrigen gemacht. Den Bildungsbau abschließen sollte die Universität. Eine solche war etwa seit 1630, nachdem der Katholicismus wieder zur Herrschaft gelangt war, bei den Ständen und Fürsten beschlossene Sache, wegen Geldmangels und anderer Hindernisse indeß nur eine theologisch-philosophische Facultät, eng ans Gymnasium geschlossen, zu Stande gekommen; nun das Gymnasium organisirt war, verhielt sich ihre Gründung zu jenem wie Frucht zu Blüthe. Sie sollte praktisch mit Wissen ins Leben einführen und deshalb praktische Lehrstühle und Professoren erhalten, die letztern mehr unterweisen als schreiben, ihr Auge mehr auf die Studenten als auf die litterarische Welt richten. Dennoch wirkten hier Männer von Namen, wie Sprickmann, Hoffmann, Havichorst, Katerkamp u. A. und eine Reihe wohldurchgebildeter Schüler gingen von hier in die höheren Lebensstellungen. Um den Fonds zu bekommen, setzte der Generalvicar die Aufhebung des Benedictinessenstifts Ueberwasser durch und er hätte noch mehrere erschlaffte Klöster zum öffentlichen Nutzen beseitigt, wenn er nicht auf allen Seiten heftigem Widerstande begegnet oder aber später Nachfolger des Fürsten geworden wäre. Vorerst fielen auch die sonst noch vielfach in Anspruch genommenen Einkünfte von Ueberwasser so schwach aus, daß für jede Facultät nur eine mäßige Zahl von Lehrstühlen und diese nur nach und nach errichtet werden konnten, Institute wie Bibliothek, Hebammenanstalt und Veterinärschule entweder gar nicht oder nur mangelhaft ins Leben traten. Nur das Priesterseminar wurde 1776 in dem umgebauten Ueberwasserkloster mit einigen Alumnen eröffnet und dessen Kosten aus dauerndem Fonds gedeckt. Dennoch hat die Universität Ansehnliches geleistet; ihre Wirksamkeit bis auf die Militärakademie und unmittelbar bis auf die Volksschule ausgedehnt und mit dem Gymnasium dem Lande einen Born geistiger Erfrischung eröffnet, wie ihn die Nachbarländer, Hannover ausgenommen, nicht kannten. Die kaiserliche und päpstliche Bestätigung traf schon 1773 ein und bis 1780 waren so viele Professuren besetzt und Räume in Ueberwasser oder später im Jesuitenbau gewonnen, daß am 16. April die Inauguration stattfand. Wenige Monate später trat ein Ereigniß ein, das die weitere Wirksamkeit des Ministers in Frage gestellt hätte, wenn nicht Weisheit und Liebe zum Lande ihn die Folgen zu verschmerzen geboten. Der Wiener Hof nämlich suchte, veranlaßt durch das Alter des Kurfürsten, für seine Stifte Köln und Münster einen Nachfolger an dessen Stelle zu bringen, der die österreichischen Interessen in den wichtigen Gebieten Nordwestdeutschlands vertrete und zwar in der Person des Erzherzogs Maximilian Franz, des jüngsten Sohnes der Maria Theresia, der bereits Coadjutor des Deutschordens-Hochmeisters war. Sein Bruder, Josef II., und dessen Räthe wußten bei Maria Theresia alle desfallsigen canonischen Bedenken zu unterdrücken und beim Kurfürsten wie beim Domcapitel in Köln dessen Wahl zum Coadjutor am 7. August durchzusetzen. Als Nachfolger Königsecks für Münster war von diesem und der öffentlichen Meinung kein anderer als der verdienstvolle F. bezeichnet, er selbst hätte in der höchsten Würde gern allen Einrichtungen die Weihe gegeben. Wie betroffen fühlten sich F. und sein Anhang, als plötzlich der Graf von Metternich, nachdem er am Rheine die Pläne Wiens durchgesetzt, am 25. Mai in Münster eintrifft und bei den einzelnen Domherren für eine Coadjutorwahl zu Gunsten des Erzherzogs wirbt! Mit Geschenken und Worten arbeiten Wiens Agenten weiter, der Kurfürst selbst legte dem Capitel am 13. Juni die Wahl auf und zwar zu Gunsten des österreichischen Candidaten. Nun zeigte sich, daß F. auch seine Feinde hatte. Er, der kühne Reformer, der Geistliche besteuert, Klöster aufgehoben, die Bauern gegen die Großgrundbesitzer begünstigt hatte, sieht sich bald von allen anwesenden Domherren bis auf 12 [240] Getreue verlassen. Er protestirt gegen das uncanonische Vorgehen, erklärt, wenn eine Wahl stattfinde, so träte er selbst als Candidat auf, und will ebenso für jedes andere Mitglied des Domcapitels stimmen, nur nicht für den Erzherzog, dessen Wahl mit Rücksicht auf Preußen dem Lande Unheil bringen würde. Preußens Gebiet berührte verschiedentlich das Münsterland, sein Regent war Mitdirector des westfälischen Kreises und das Cabinet betrieb die Wahl Fürstenberg’s. Friedrich d. Gr. that in milder Form dem Capitel seine Absichten kund, seine Agenten arbeiteten an Ort und Stelle den österreichischen Plänen entgegen, der General v. Wolffersdorf ließ von Hamm aus Drohungen nach Münster dringen. Diese Drohungen erregten böses Blut, die Agenten, Kriegsrath Dohm ausgenommen, standen den Gegnern an gewinnendem Auftreten nach, Fürstenberg’s Neigung zu Friedrich d. Gr., streute man aus, könne dereinst das Land in allerhand Kriege verwickeln, das benachbarte Holland war der Habsburger Machtausdehnung von Herzen abgeneigt, indeß von Fürstenberg’s Feinden mit der Schreckensaussicht hingehalten, er, der Freund des Militärs, würde dereinst wie ein zweiter Bischof Galen gegen die Generalstaaten ins Feld ziehen. Als man noch merkte, Preußen würde seinen Entwürfen nöthigenfalls einen Nachdruck mit Waffen nicht geben, mußte auch die energische Sprache des hannoverschen Ministeriums verklingen und wo es zu spät war, trat Holland ein. F. und sein Anhang, welche noch beim Capitel und beim Kaiser Einspruch gegen die uncanonischen Maßnahmen der Capitelsmehrheit erhoben hatten, fügten sich nunmehr und traten, „obgleich immer noch völlig überzeugt von den guten Gründen ihres Widerspruchs“ der Mehrzahl des Capitels bei, „um den unglücklichen Folgen einer streitigen Wahl zuvorzukommen“. Kurzum Erzherzog Maximilian Franz wurde auch zu Münster am 16. August zum Coadjutor gewählt, die Wahl mit geräuschvollem Jubel und allerhand Solennitäten verherrlicht. F. ertrug manche nun verlautende Schmähreden, ohne ein Wort der Erwiderung ebenso männlich, wie die vorauszusehende Aufforderung des Neuerwählten, um seine Entlassung als Minister einzukommen (16. Sept.) Er erhielt und las sie bei einer Schulprüfung, ohne eine Miene zu verziehen und fuhr dann im Lehrgeschäfte fort. Er hielt gewiß selbst für gerathen, das Ministerium nicht weiter zu führen, dem er gleichwol 17 Jahre alle Ehre gemacht hatte. Als Mitglied des Capitels und der Ritterschaft konnte er noch fürder für das Land und die Leute seine Stimme erheben, als Generalvicar noch auf Clerus und Schulwesen fruchtbar und wohlthätig einwirken – und dafür lieh ihm auch der Coadjutor seinen Beistand in einem Maße, wie seine Schöpfungen es verdienten, und Königseck selbst sorgte bis an sein Ende 1784 dafür, daß die Behörden die Verwaltung überhaupt in den vom abgetretenen Minister gelegten Bahnen fortführten. Nun konnte unter seinen nicht so vielseitig beschäftigten Händen auch das Volksschulwesen nach allen Richtungen hin Wurzeln schlagen. Die Volksschule lehnte sich insofern ans Gymnasium, als dessen Zöglinge den Geistlichen, den Lehrern helfend und weisend zur Seite stehen sollten, sie bildete also ein organisches Glied des ganzen Bildungssystems. F. bezweckte eine moralische und praktische Volkserziehung. Je höhere Absichten er von der Schule hegte, um so tiefer gesunken mußte sie ihm vorkommen. Bis in den 30jährigen Krieg hatte die Schule, wie die Markenverhandlungen und Protocolle darthun, einen urtheilsfähigen und schreibkundigen Landmann herangebildet, auch später unter dem Bischofe Galen vorerst in religiösem Sinne wieder Verbreitung und Pflege gefunden. Als F. die Schulangelegenheiten in die Hand nahm, lehrten Geistliche oder wandernde Katechisten vielorts blos den Katechismus; Lesen und Schreiben traten in den Hintergrund oder es wurde einige Stunden wöchentlich von einem Tagelöhner oder Invaliden, der beim Militär oder sonstwo etwas gelernt hatte, in seinem Hause, in einer [241] Hütte oder Schenke gelehrt. Das ganze innere und äußere Wesen der Schule bis zur Stellung der Lehrer harrte der Erneuerung. Um so besonnener und vorsichtiger trifft F. seine Maßnahmen. Wenn je, dann wollte er „seine obgleich wohl überdachten … Ansichten nicht zu Gesetzen machen, ehe sie durch die Erfahrung nicht allein im allgemeinen bewährt, sondern auch grade in diesem Lande auf alle Localverhältnisse anwendbar befunden wären.“ Es ergingen 1782 und 1788 nach seinen Entwürfen ausführliche Schulverordnungen, doch ausdrücklich als provisorische, erst 1800 endgültige. Nun ein Chaos von Berichten der Pfarrer und Communalbeamten, zahlreiche Ergebnisse von Schulprüfungen vorlagen, schloß unter seiner Leitung eine Specialschulcommission mit dem unermüdlichen Hofrath v. Tenspolde die Organisation mit einer „Schulverordnung“ ab, welcher das Domcapitel während der Sedisvacanz am 3. Septbr. des folgenden Jahres die Sanction ertheilte. Die Winkelschulen wurden beseitigt oder beschränkt, alles Gewicht auf Stadt-, Dorf- und Bauerschaftsschulen gelegt, wo es ging, Mädchenschulen mit eigenen Nähclassen eingerichtet – alle der Aufsicht des Pfarrers unterstellt. Der Unterricht wird auch im Sommer ertheilt und nur wo unüberwindliche Umstände nöthigen, in den Sonn- und Feiertagsschulen, die sonst den entlassenen Schülern Nachhülfe gewähren sollten. Alle Kinder vom 6.–14. Lebensjahre sind schulpflichtig. Gelehrt wird Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen, in den Landschulen auch die Grundbegriffe des Ackerbaues, ferner Handarbeit, wofür fähige Lehrkräfte anzustellen sind, und für Schüler, die Muße und Fähigkeit dazu haben, die Anfangsgründe der Geometrie, Mechanik und Seelenlehre – das letztere jedoch, falls die Hauptgegenstände nicht darunter leiden. Das Ziel ist Religion und Moral, Erhaltung der Gesundheit und Fähigkeit zum Nahrungserwerbe. Die Begriffe müssen den Kindern anschaulich, nicht papageienmäßig beigebracht, die geistigen Uebungen zuweilen mit den körperlichen wechseln. Das schöne Instrument der Schulordnungen war eigens dafür ausgebildeten Lehrkräften in die Hand zu geben: zur Heranbildung der Lehrer in einer sogen. Normalschule und zur Leitung des Schulwesens berief den edelsten und menschenfreundlichsten und wie von der Vorsehung dafür bestimmten Mann, Bernhard Overberg, damals Kaplan zu Everswinkel. Am 1. März 1783 übernahm Overberg sein schwieriges Amt, alte und junge Naturen, denen die Kosten erstattet wurden, zu Lehrern und auch Lehrerinnen in zwei- bis dreimonatlichem Lehrcursus heranzubilden. Es wurde für die Lehrqualification eine Prüfung bestanden, den reif befundenen Kräften eine Gehaltszulage gewährt, überhaupt das mögliche für die moralische und gesellschaftliche Stellung der Lehrer gethan, ihnen Gehalt und Pflichten geregelt, entehrender Nebengewinn mit Musikmachen etc. untersagt. Mit christlicher Begeisterung unterwies Overberg die Candidaten, lehrte selbst vor ihren Augen, besuchte und ordnete die Schulen, schrieb für Schüler und Lehrer die Schul- und Handbücher sprachlich unvergleichlich angemessen, inhaltlich vom hehrsten christlich-humanitären Geiste durchweht. Ein Lehrerseminar, das längst geplant, auch zur größten Freude Fürstenberg’s 1790 von den Ständen beschlossen war, kam erst 1825 in Büren zu Stande, ein Jahr vor Overberg’s Tode, der in kindlichem Jubel gestand, nun könne er sterben, das Seminar ersetze ihn und doch bis an den Tod die Normalschule leitete, obgleich ihm seit 1809 noch die Direction des Priesterseminars und unter preußischer Herrschaft die administrativen Schulsachen in der Regierung fast allein oblagen. Nah und fern erregte die Schulorganisation Aufsehen, 1781 bildete sich auch für das kölnische Westfalen eine Schulcommission, von 1782 datirt die Schulordnung für Cleve-Mark und Normalschulen wurden eingerichtet von Osnabrück bis Düsseldorf hin. Mit dieser Volkserziehung war der grünende [242] Boden bereitet, auf dem alle gelehrten Anstalten und Staatseinrichtungen erst Saft und Gedeihen empfingen. Um 1804 konnte F. als Greis auf eine 33jähr. Lebensarbeit zurückblickend der preußischen Regierungsbehörde vorstellen, daß die Institute der Nationalerziehung alle harmonisch zusammenschlößen, alle Theile von oben bis unten sich wechselseitig voraussetzten. Wie ein befruchtender Regen hatten sich die Einrichtungen Fürstenberg’s über das Land ergossen. Das Stift und besonders die Hauptstadt leuchtete aus dem verlassenen Nordwestwinkel so bedeutsam und einladend ins Gesammtvaterland hinüber, daß die größten Köpfe mit F. und den Seinigen in Verkehr traten. Hatte er früher behufs Aufstellung der Schulordnung Verbindungen angeknüpft mit Denis in Wien, Lambert in Berlin, mit Kästner (Gatterer) in Göttingen, Hemsterhuys in Leiden, so sammelt sich um ihn ein Kreis heimischer Gelehrten, Sprickmann, Hoffmann, Overbergs, Franz Bucholtz, v. Druffel, hier weilen die Schauspieler Ilgener, Abbt, Schröder, u. A. Die neuen Geistesfrüchte der deutschen Litteratur finden Beifall, der Musenalmanach wird von F. in allen Kreisen empfohlen. Er selbst, weniger Kenner der schönen Wissenschaften, wie der Musik und Malerei, der nur die administrativen „Ordnungen“ hat in die Oeffentlichkeit gehen lassen, bildet das Centrum und Band eines hochgeistigen, dem Wahren und Schönen zustrebenden Kreises. 1779 schlug in seiner Nähe die merkwürdig geistesreiche Fürstin von Gallitzin ihren Wohnsitz auf, um sich und ihre Kinder seiner und dann Overberg’s Leitung anzuvertrauen. Seit 1778 besteht ein näherer Verkehr mit F. H. Jacobi in Düsseldorf und Wizenmann. Der Philosoph und Vielwisser Hemsterhuys fehlt nicht, 1787 erscheint, von Bucholtz unterstützt, von Lavater empfohlen, Hamann und findet nur zu bald seine Ruhestätte in der Fürstin Garten. Der geniale Dichter und Gelehrte Sprickmann, diese treue deutsche Biederseele hatte enge Beziehungen zu Boie, Hölty, Bürger und Möser’s Tochter, Jenny v. Voigts, Jacobi zu den rheinischen und thüringischen Kreisen. Die Person Fürstenberg’s, das wesen-[1][2] und gastliche Haus der Fürstin, die Verbindungen und Reisen dieser oder jener Glieder des erleuchteten Kreises bilden die Fäden, welche Münster mit den neudeutschen Geistesarbeiten und ihren Schöpfern verbinden und umgekehrt. Die Anatomen Camper und Sömmering, G. Forster, Kleuker, die hallischen Gelehrten Niemeyer und Eberhard, Herder, Goethe, Klopstock, Voß, Stolberg, Nicolovius, Claudius kommen eher oder später mit ihm in Berührung; Stolberg nahm hier 1800 einen längeren Aufenthalt und viele französische Emigranten, zum Theil hohe Würdenträger, finden hier freundlichen Empfang und Umgang, und selbst Goethe machte im Spätjahr 1792 einen Abstecher nach Münster, nachdem er sich längst vergeblich um eine Annäherung an die Fürstin beworben hatte. Gereichten Fürstenberg’s edles, ruhiges Wesen oder seine Staatsschöpfungen ebenso der Gallitzin, wie Goethe und Stolberg zur Bewunderung, so konnte der erste Statthalter Preußens, kein anderer als Stein, sehr bald über seine menschenfreundliche Wirksamkeit aussagen, er habe eine große Masse gründlicher und gemeinnütziger Kenntnisse … verbreitet, beträchtliche Einnahmequellen den Erziehungsanstalten verschafft, die einer größern Ergiebigkeit fähig seien. … F. setze vielleicht zu hohen Werth auf das Positive der Religion, auf die Form des Gottesdienstes … unterdessen habe er seinen Zweck doch erreicht, man finde mehr äußere Achtung vor Religion, mehr Menschen von frommen andächtigen Gefühlen, als er anderswo gefunden, er erhalte seinen Mitbürgern den Besitz eines gewissen unersetzbaren Kleinodes, dessen Verlust alle unsere Philosophismen nicht ersetzten. Wenn man diesen Geist wirken lasse, so könne selbst unter den Trümmern der Verfassung sehr viel Gutes daraus werden. Münster und ein Theil des Oberstiftes waren durch einen Pariser Vertrag vom 23. Mai 1802 an die Krone Preußen übergegangen und am 2. August in Besitz [243] genommen, nachdem das Domcapitel, um einer voraussichtlichen Säcularisation zu begegnen, an Stelle des jüngst verstorbenen Fürsten trotz der Abmahnung Preußens eine vergebliche Neuwahl wieder zu Gunsten eines österreichischen Erzherzogs vorgenommen hatte. Die Organisationen der neuen Regierung berühren selbstverständlich durchgehends die Fundamente Fürstenberg’s. Die Universität entsprach den Forderungen der Neuzeit und jenen Absichten nicht, die Preußen von einer Hochschule hegte, die weiteren Landgebieten mit verschiedenen Confessionen dienen sollte; es fehlte, wie Stein seit 1803 berichtete, an Professuren für Naturwissenschaften, an Instituten und Apparaten, an Statuten und Wohlthätigkeitsanstalten für Studenten und Lehrer. Die Professoren der philosophischen Facultät seien hauptsächlich aus der Gymnasialthätigkeit übernommene Geistliche, die übrigens in der Regel katholische Münsterländer – Uebelstände, bei denen die Stellenbesetzung leicht von unsachlichen Gesichtspunkten, eine „Lähmung des philosophischen, liberalen Geistes“, eine Isolirung der Anstalt erfolge. Die Regierung betrieb dann eifrigst den Plan, zu Münster inmitten der rheinisch-westfälischen Landestheile eine reich ausgestattete Hochschule mit freier Verfassung (Göttingen) einzurichten, und aus den Mitteln der Anstalten zu Duisburg, Paderborn und Erfurt, die aufzuheben seien, die Fonds für Personal, Gebäude und Institute zusammenzubringen und dann gemäß den drei Confessionen und dem Herkommen der Gelder neben den katholischen auch protestantische Lehrkräfte zu berufen, da die Religion nur auf die theologische Facultät Einfluß haben könne. Als dann nach Stein’s Abgange laut Instruction vom 1. März 1805 auch eine evangelisch-theologische Facultät in Aussicht genommen und fast gleichzeitig ein Protestant (Möller), wenngleich in die philosophische Facultät berufen wurde, machte F. ähnlich wie schon bei der Besitzergreifung gegenüber dem deputirten Regierungsrath, unterm 1. Mai als Curator an höchster Stelle unter anderm geltend, „daß gegenwärtiger Schulfonds der katholischen Religion gehöre und daß insonderheit hier niemalen andere als katholische Lehrer die Theologie gelehrt hätten“. Unterm 29. Juni wurde er unter Bezeugung der allerhöchsten Zufriedenheit vom Curatorium dispensirt und sofort verabschiedete er sich von den Decanen unter herzlichsten Wünschen für ihre Anstalt und deren Wirksamkeit. Er mochte gehört haben von Vorschlägen betreffs liberaler katholischer Theologen – bald lasen Wecklein und der Minorit Sammelmann –, von dem Plane, das Curatorium einer Commission unterzuordnen, und sich mit dem Präsidenten Vincke, der längst seine Entlassung beantragt hatte, und dem Domdechanten v. Spiegel, der ihm in confessionellen Dingen zu weitherzig vorgehen mochte, keinen gedeihlichen Verkehr versprechen. Er, der früher dem Unwillen des Clerus trotzte, keine Censur einführte, Protestanten zu Rathgebern nahm, über die Klöster und Curie so freimüthig urtheilte, vielleicht gar der Loge nicht fern stand, hatte die Conversionen außergewöhnlicher Menschen (der Fürstin Gallitzin und Stolberg’s) gewiß tief beherzigt und neben dem Wesen auch die Formen des Glaubens um so wärmer umfaßt, als seine milde Richtung noch Gegner gefunden. So gestimmt, scheint es, wollte er zu akatholischen Gründungen in einem Gebiete nicht ohne weiteres mitwirken, in welchem er noch ein geistliches Amt, das verantwortliche des Generalvicars, verwaltete. Behaftet mit den Folgen des Alters und rastloser Lebensarbeit überließ F. 1807 das Generalvicariat andern Schultern und starb am 16. September 1810 während der Fremdherrschaft. Allen Schicksalen der Zeit und Gebrechen des Alters überhob ihn der Trost der Religion und eine geläuterte Weltanschauung. Bei frugalen Lebensansprüchen wandte er seine erheblichen Einkünfte gleich wohlthätigen[WS 1] Zwecken zu. F. war eine imponirende und gewinnende Erscheinung, schlicht, fein im [244] Wesen, doch in eigenen Dingen gern redselig und doctrinär. Das Vaterland erkennt in ihm eine seiner hervorragendsten Größen und errichtete ihm zu Münster 1875 ein lebensgroßes Standbild.

v. Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit oder Beiträge … 1814–19 I, 319 ff. Fr. H. Jacobi, Auserlesener Briefwechsel IV, 301. B. Sökeland, Münsterisches Gymnasialprogramm 1827–28, S. 12 ff., ders. in der Zeitschrift für vaterl. Gesch. u. Alterthumskunde (1855) XVI, 112 ff. W. Esser, Leben und Wirken Franz v. Fürstenberg’s, 1841, ders., Oratio seu disputatio de Francisco Fürstenbergio litt. et art. in Westphalia restitutore, 1840 (Lections-Verzeichniß der k. Akademie). L. Giesebrecht, Der deutsche Aufsatz in der Oberclasse preußischer Gymnasien in der Damaris 1861, S. 342 ff., ders., Die Fürstin von Gallitzin vor ihrer Bekehrung, das. 1862, S. 113 ff., ders., Die Schulmeisterin aus Westfalen, das. 1864, S. 147 ff. Die letzten Lebensjahre der Fürstin von Gallitzin, das. 1865, S. 21 ff. Erhard, Die beiden letzten münsterischen Fürstenwahlen … in v. Ledebur’s Archiv für die Geschichtskunde des preuß. Staates XV, S. 1 ff. Nordhoff, Denkwürdigkeiten aus d. münster. Humanismus mit einer Anlage über d. frühere Preß- und Bücherwesen Westfalens, 1874. W. Sauer, Das Theater zu Münster … 1763–1801 in Müller’s Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte, 1873, S. 553 ff. R. Wilmans, Zur Geschichte der Universität Münster in den J. 1802–18, das., 1875, S. 257 ff. Driver, Bibliotheca Monaster. p. 142, 143. Hüffer, Rheinisch-westfälische Zustände … 1873, S. 33 f. Raßmann, Nachrichten von dem Leben und den Schriften münsterländischer Schriftsteller, 1866, S. 115 ff. Mehrere Nachrichten aus Urkunden, Handschriften und Mittheilungen jüngerer Zeitgenossen. Fürstenberg’s Porträt, gemalt von Rinklake, gestochen von Michelis und ein anderer Stich 1806 von J. G. Huck in Hannover.[3]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 242. Z. 25 v. u. l.: Wesen (st. wesen-). [Bd. 33, S. 796]
  2. S. 242. Z. 25 v. u. l.: Wesen (statt wesen-). [Bd. 45, S. 667]
  3. S. 244. Z. 27 v. o.: Vgl. auch Hist.-pol. Blätter 82. Bd. (1878), S. 549 ff. [Bd. 8, S. 796]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wohthätigen