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ADB:Emser, Hieronymus

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Artikel „Emser, Hieronymus“ von Theodor Kolde in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 96–99, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Emser,_Hieronymus&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:08 Uhr UTC)
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Emser: Hieronymus E., geb. 20. (16.) März 1477 zu Ulm, † 8. Nov. 1527, stammte aus einer vornehmen Familie, deren Wappen, einen halben gehörnten Ziegenbock im Schild und auf dem Helm, er sehr werth hielt und gerne seinen Schriften vorsetzte. Seine Studien absolvirte er zu Tübingen, wo ihn Dionysius, Bruder des Johann Reuchlin, in der griechischen Sprache unterrichtete, und in Basel, wo er sich hauptsächlich der Jurisprudenz zuwandte. Ebendaselbst hätten einige satirische Verse seines Landsmanns Heinrich Bebel, die sich auf [97] den eben ausgebrochenen Krieg der Schweizer gegen den Kaiser bezogen, für deren Verfasser man ihn hielt, ihm beinahe die Freiheit gekostet, wenn ihn nicht Christoph von Utenheim, nachmaliger Bischof von Basel, in Schutz genommen hätte. Nachdem er Magister geworden, trat er im J. 1501 in die Dienste des Cardinals Raimund von Gurk als Caplan und Secretär, in dessen Begleitung er mehrere Jahre in Deutschland umherzog. In jener Zeit begann er seine nur quantitativ bedeutende litterarische Thätigkeit durch die Herausgabe einer Abhandlung eines gewissen Libertus über angebliche Kreuze, die im J. 1501 vom Himmel gefallen wären. Unter dem Rectorate des Schollus (1504) wurde er zu Erfurt immatriculirt, wo er alsbald humanistische Vorlesungen begann. In einer Vorlesung über die Komödie Sergius sive capitis caput von Reuchlin, dessen Name erst durch E. in Erfurt bekannt wurde, rühmte er sich später, auch Luther unter seinen Zuhörern gehabt zu haben. Wahrscheinlich noch in demselben Jahre siedelte er vielleicht auf Empfehlung seines Cardinals als Secretär des Herzogs Georg von Sachsen nach Leipzig über, wo er ohne besonderen Beifall mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1510 humanistische Vorlesungen hielt. Obwol er 1505 „auf Kosten des Herzogs“ Baccalaureus der Theologie geworden war, wandte er sich aus Abneigung gegen die damalige Art, die Theologie zu tractiren, zum Studium des kanonischen Rechts und erwarb sich die Würde eines Licentiaten desselben. Mit höchstem Eifer verwendete er sich hierauf schriftstellerisch für eine Lieblingsidee des Herzogs Georg, die Canonisation des Bischofs Benno von Meißen. Schon 1505 verherrlichte er sein Leben und seine Wunder in einem dem Papste Julius II. gewidmeten Hymnus, dem er 1512 eine längere lateinische und fünf Jahre später eine deutsche Biographie folgen ließ. Im Auftrage des Herzogs bereiste er Sachsen und Böhmen, um Nachrichten über Benno zu sammeln, und begab sich sogar um das Jahr 1510 nach Rom, um dort persönlich die Heiligsprechung zu betreiben, konnte aber damals nichts erreichen. Von da zurückgekehrt erhielt er zwei Präbenden, die eine in Dresden, die andere in Meißen, die ihm ein sorgenloses Leben sicherten, welches er, in seinem Wandel und seinen sittlichen Anschauungen nicht schlechter aber auch nicht besser als die Mehrzahl seiner Standesgenossen, auch zu genießen verstand. Mit den bedeutendsten Humanisten stand er in litterarisch freundlichen Beziehungen, mit Luther auch dann noch, als man in Leipziger und Dresdner Kreisen schon auf die neue Wittenberger Theologie aufmerksam geworden war. Noch 1519 nennt ihn Luther in einem Briefe an Spalatin „Emser noster“. Bald darauf wurde das Verhältniß anders. E., der bei der Leipziger Disputation zugegen gewesen war, nahm von Luther’s Aeußerungen über einzelne Sätze des Hus und den Gerüchten, welche über die Theilnahme der Böhmen für Luther umliefen, Veranlassung, einen offenen Brief (vom 13. Aug.) an Joh. Zack, Administrator der katholischen Kirche zu Prag und Propst von Leitmeritz, zu richten. Neben dem Wunsch, daß es den Bemühungen jenes gelingen möge, die verirrten Böhmen zurückzuführen, spricht er darin die Befürchtung aus, daß die Böhmen sich jetzt darauf berufen möchten, daß ein Mann wie Dr. Luther ihre Sache verfechte; wären doch schon während der Disputation öffentliche Gebete und Gottesdienste für ihn veranstaltet worden. Doch läge Luther gewiß nichts ferner, als mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen. So stellte sich E. in hinterlistiger Weise als Freund Luther’s, beabsichtigte aber ohne Zweifel, ihn entweder zu veranlassen, aus Furcht vor ketzerischer Gemeinschaft die Leipziger Sätze aufzugeben, oder ihn andernfalls als vollendeten Ketzer hinzustellen. Luther durchschaute die Sache sofort und schrieb unter Bezugnahme auf das Emser’sche Wappen, welches zuerst diesem Briefe vorgedruckt wurde, eine Gegenschrift (Ad Aegocerotem Emseranum Martini Lutheri [98] additio, Witeb. 1519), die an Heftigkeit und Bitterkeit fast alle Streitschriften Luther’s übertrifft. Und so entspann sich eine litterarische Fehde, die von beiden Seiten mit einer Schärfe geführt wurde, welche auch für die damalige Zeit alles Maß überschritt. Denn E. blieb nichts schuldig und antwortete Luthern mit der Schrift „A venatione Aegocerotis assertio“, die neben anderen persönlichen Angriffen gegen den Reformator und seine nova et cynica theologia zum ersten Male die Behauptung aufstellte, daß Luther nur aus Ordensneid gegen die Dominicaner den ganzen Handel angefangen habe. Luther antwortete nicht darauf, ließ aber, um seine Verachtung Emser’s auszudrücken, mit der Bannbulle unter andern auch Emser’sche Schriften verbrennen. Hierdurch schon in Harnisch gebracht, mußte er die Schmach erleben, daß in Leipzig am Neujahrstage 1521 an der Kanzel der Thomaskirche ein Fehde- und Spottbrief angeschlagen wurde, worin zwanzig „edle Jünglinge“ ihm Feindschaft ansagten. Grund genug für ihn, den Streit von neuem anzufangen. Am 20. Januar 1521 erschien von ihm: „WIder das vnchristenliche Buch Martini Luters, Augustiners an den Tewtschen Adel außgangen Vorlegung Hieronymi Emser An gemeyne hochlöbliche Teutsche Nation“, darunter: „Hüt dich, der Bock stößt dich.“ In dem hierauffolgenden Streite schrieb E. innerhalb des nächsten Jahres gegen Luther nicht weniger als acht verschiedene Schriften, deren kräftige Titel wie „An den Stier zu Vuiettenberg“, „Auff des Stieres tzu Wiettenberg wiettende replica“ u. dergl. schon die Schärfe des Inhalts verrathen. Es handelte sich darin um das Meßopfer, den Primat des Papstes, und was das Wichtigste war, um die Lehre vom allgemeinen Priesterthum, welche Luther aufs eingehendste zu begründen durch E. veranlaßt wurde. Uebrigens war E. einer äußerlichen Reformation des Clerus, ähnlich wie sein Herr, nicht abgeneigt; er spricht sogar den Wunsch aus, daß falls der Papst kein gemeines Concil berufen wolle, dann der Kaiser mit den deutschen Erzbischöfen ein Nationalconcil berufe, auf welchem der Lasterhaftigkeit der Geistlichen ein Ziel gesetzt werden solle. Obwol nicht gerade glücklich in seiner Polemik konnte er doch nicht schweigen und folgte gern der Aufforderung seines Herzogs und des Bischofs von Merseburg, an Luther’s Uebersetzung des Neuen Testaments Kritik zu üben. In einer Schrift vom J. 1523 wollte er Luthern nicht weniger als 1400 Fehler und ketzerische Irrthümer in seiner Uebersetzung nachgewiesen haben, die größtentheils Abweichungen von der Vulgata waren, in denen Luther dem Grundtexte folgte. Im J. 1527 gab er selbst eine Uebersetzung heraus: „Das new testament nach lawt der Christlichen Kirchen bewerten Text, corrigirt vnd widerumb zu recht gebracht.“ Sie erwies sich als ein großartiges Plagiat der lutherischen, in der nur hin und wieder Veränderungen nach der Vulgata vorgenommen sind. Trotzdem erlebte sie eine große Zahl von Auflagen. (Vgl. Panzer, Geschichte der römisch-katholischen Bibelübersetzung. Nürnberg 1781. S. 34–47.) Es war seine letzte Arbeit. Er starb eines plötzlichen Todes am 8. Nov. 1527 und wurde in der Frauenkirche zu Dresden begraben.

Kein großer Theolog und auch kein bedeutender Charakter hat er doch, freilich nicht ohne persönlichen Ehrgeiz, für seine Kirche mit großer Ausdauer geeifert und galt den Seinen neben Eck als der ausgezeichnetste Kämpfer gegen die Ketzerei: Charitas Pirkheimer nannte ihn etwas überschwänglich die Säule der Kirche, den Edelstein der Geistlichkeit (Brief vom 6. Juni 1522), aber auch Erasmus bedauerte seinen frühen Tod. – Noch ist zu erwähnen, daß unter seinen Freunden manches niedliche Räthsel von ihm cursirte, deren einige sich in den zeitgenössischen Schriften erhalten haben. Seine zahlreichen Schriften haben nur einen Werth durch die Personen, an die sie gerichtet sind. Ein ziemlich vollständiges Verzeichniß derselben bei Waldau, Nachricht von Hieron. Emser’s [99] Leben und Schriften. Anspach 1783. Sonst ist zu vgl. Seidemann, Beiträge zur Reformationsgeschichte. Dresden 1846 und der Art. bei Ersch und Gruber.