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ADB:Bebel, Heinrich

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Artikel „Bebel, Heinrich“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 195–199, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bebel,_Heinrich&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:35 Uhr UTC)
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Bebel: Heinrich B. (Henricus Bebelius), wurde in Justingen[1] 1472 von unvermögenden Bauern geboren. Dieser Umstand war für seine ganze Lebensstellung entscheidend, denn während andere Humanisten schon durch ihre Geburt oder durch ihren Umgang und die Studien während ihres Lebens zu einer vornehmen Abgeschlossenheit geführt wurden, neigte er sich dem Volke zu, in dessen Mitte er aufgewachsen war, verstand seine Bedürfnisse und suchte dieselben zu befriedigen. Das geht freilich mehr aus der Tendenz seiner Arbeiten hervor, als aus seiner Sprache, denn er blieb dem Latein der Schule noch treu. In seiner frühen Jugend erhielt er Unterricht in der lateinischen Schule des Dorfes Schelklingen bei Ulm, ging frühzeitig auf die Universität Krakau, die damals in hohem Flor stand und auch von vielen Deutschen besucht wurde, wo er längere Zeit Rechtswissenschaft und Humaniora studirte, namentlich unter Anleitung des Maturantius Pompilius und des Laurentius Corvinus, dann nach Basel, wo der lebhafte Kampf zwischen Nominalismus und Realismus der Entwicklung der Studien überaus günstig war, und wurde endlich (1497) als Lehrer der Poesie und Beredtsamkeit an die neugestiftete Universität Tübingen berufen, wo er bis zu seinem Lebensende blieb und segensreich wirkte. Von seinen Schülern haben sich vier besonders hervorgethan: Jakob Heinrichmann und Johann Altensteig, die als Uebersetzer, Grammatiker und Commentatoren Verdienstliches wirkten, Johann Alexander Brassicanus und Michael Coccinius (Köchlin). B. stand bei seinen Zeitgenossen in der höchsten Achtung: von dem Kaiser Maximilian, dessen Thaten und Gesinnungen er wie die meisten deutschen Humanisten sehr erhob, erhielt er den poetischen Lorbeerkranz (1501); mit Reuchlin und Erasmus, sowie mit den übrigen hervorragenden Vertretern des geistigen Lebens, namentlich mit Johann Naukler (Vergenhans), verband ihn innige Freundschaft. Er [196] starb wahrscheinlich 1516, wenn auch keine sichere Nachricht darüber erhalten ist, denn Werke von ihm, die sich in den Schriften seiner Freunde vom folgenden Jahre finden, können auch früher geschrieben sein und ein antilutherisches Gedicht, das Joh. Eck einer Schrift von 1527 beifügte, ist sicherlich eine Fälschung.

Dieses ruhige äußere Leben wurde von einer bewegten mannigfaltigen litterarischen Thätigkeit erfüllt. Ehe B. den poetischen Lorbeer erhielt, hatte er zu Innsbruck vor dem Kaiser eine Rede gehalten, „De ejus et Germaniae laude“, in der er Maximilian mit den größten Lobpreisungen überhäufte und als das einzige, aber immerhin schwere Unglück Deutschlands die innere Zerrissenheit, den Zwiespalt der Fürsten darstellte. Denn sonst sei Deutschland groß und herrlich und sein größter Ruhm bestehe in dem glorreichen Kampf für die christliche Kirche, der nur darum weniger bekannt sei, weil es Deutschland in der früheren Zeit an Schriftstellern gefehlt habe. Aehnliche Tendenzen verfolgte B. in anderen Schriften, in denen sein Eifer ihn freilich häufig zu weit gehen ließ, wie in der kleinen Schrift: „Quod Germani sunt indigenae“, namentlich aber in der größeren: „De laude, antiquitate, imperio, victoriis, rebusque gestis veterum Germanorum“, 1508. Deutschland sei nie von römischen Kaisern unterworfen worden; dagegen hätten Deutsche den größten Einfluß auf die römische Geschichte gehabt. Tapferkeit und Treue seien ihre vorzüglichsten Eigenschaften, es sei daher ein Verbrechen, ihren Ursprung von einem anderen Volke, z. B. den Trojanern, abzuleiten. Andere Völker betrachteten es als hohen Ruhm, sich Nachkommen der Germanen nennen zu dürfen, so die Franken, Burgunden, Gothen, Gepiden u. s. w., nach Bebel’s Meinung aber auch die Normannen, Pikten und Skoten.

Wird schon in diesen prosaischen Schriften das wirklich historische Element fast gänzlich vermißt, um wie viel mehr in den Dichtungen, die wenigstens dem Titel nach sich als geschichtliche ausgeben, in Wahrheit aber nichts sind, als Lobpreisungen eines Helden oder einer von Zeitgenossen ausgeführten That. Beispiele dafür sind seine in Virgilischer Form gedichtete „Ecloga triumphalis de victoria Caesaris Maximiliani contra Bohemos“, in welcher die Hirten Lycides und Faustulus ihren Genossen von dem Sieg d. J. 1504 über die Böhmen erzählen, und ein anderes Gedicht über dasselbe Ereigniß an die deutschen Fürsten “Ut totis viribus pro illorum terra expugnanda coadunentur.“ Dieser Reihe mögen wir noch drei andere patriotische Dichtungen anschließen, eine „Elegia querulosa Germaniae ad principes simultates intestinas atque civilia bella detestantis,“ eine zweite „Querela hecatosticha“ – denn mindestens der Hundertzahl bedurfte das verselustige Zeitalter – an den Kaiser und die deutschen Fürsten, „Ut ducatus Mediolani a Francica servitute ad Imperii Germanici potestatem vindicetur“, und endlich ein Gedicht „Ad Asophum Pseudoprophetam de interitu Imperii Germanici vaticinantem“, das neben den heftigsten Schimpfworten gegen den lügnerischen Propheten die frohe Zuversicht des selbstbewußten Patrioten enthält, daß Deutschland wegen seiner Frömmigkeit und seiner Tugend, die es im Gegensatze zu den der Vernichtung bestimmten Reichen des Alterthums besitze, dem Untergange nicht verfallen könne.

Der Venetianer Leonhard Giustiniani[WS 1] hatte ausgesprochen, daß der Name Imperator, mit dem die deutschen Kaiser sich schmückten, in echt classischer Sprache gar nicht die höchste Staatswürde bezeichnete, daß eine Kaiserkrönung bei den römischen Kaisern nicht vorgekommen sei und hatte die Deutschen, weil sie so wenig Sitten und Sprache des Alterthums kannten, Barbaren genannt. Dawider trat B. auf, indem er mit seiner reichen Gelehrsamkeit den Gegner sachlich bekämpfte und zugleich als Deutscher den Italiener zur Rede stellte. Zwei andere Streitigkeiten, die B. führte – denn zu kämpfen lag gleichsam im Wesen [197] der humanistischen Richtung – waren persönlicher Natur. Die eine gegen den Schriftsteller Corunnus, der in einem Commentar zu einem Werke des Dichters Baptista Mantuanus B., ohne daß dieser irgend einen Anlaß dazu gegeben zu haben scheint, einen unwissenden Menschen, einen albernen Deutschen, den man besser Balbus, als Bebelius nenne, gescholten hatte, die andere gegen Conrad Celtis, dessen Eitelkeit durch Bebel’s Ausspruch, er kenne keinen Deutschen, der sich den Geist der römischen Wohlredenheit vollkommen angeeignet habe, sehr verletzt worden war.

Bebel’s Hauptruhm beruht auf seiner Lehrthätigkeit. Er war einer der gelehrtesten Latinisten in einer Zeit, die reich war an Männern, welche gut lateinisch zu schreiben verstanden, und seine Kenntniß versuchte er auch seinen Schülern mitzutheilen. Dazu dienten vor allem die lateinischen Schriftsteller, zu deren Lectüre er sie anleitete: Schriften Cicero’s, der römischen Dichter und Geschichtschreiber, die er öffentlich las und von denen er einige herausgab und mit Commentaren begleitete; dann akademische Reden, von denen eine „De necessitate linguae latinae“ erhalten ist, in der er alle Gründe der Feinde der Wissenschaft zurückweist und namentlich den Einwand, Hieronymus habe solche weltliche Studien verboten, durch zahlreiche anders lautende Aussprüche desselben Hieronymus widerlegt, endlich durch größere Lehrbücher, deren Beliebtheit aus den zahlreichen Auflagen hervorgeht, die von denselben bei Lebzeiten des Verfassers veranstaltet wurden und welchen B. selbst großen Werth beilegte, wenn er sich auch den Mahnungen gleichgesinnter Freunde nicht verschloß, einzelne Veränderungen und Verbesserungen in ihnen vorzunehmen. Das eine derselben, ein sehr weitläufiges Werk, das den größten Theil der oft aufgelegten, unter keinem Gesammttitel erschienenen Sammlung Bebel’scher Schriften bildet, ist kein geordnetes Lehrbuch der lateinischen Sprache, wenn es auch wichtige Theile eines solchen bietet. Es enthält nämlich in der ersten Abtheilung eine kleine Abhandlung über die Kunst, Briefe zu schreiben, nebst vielen ausführlichen, ins Einzelne gehenden Excursen gegen die veralteten, unwissenschaftlichen Lehrbücher über diesen Gegenstand; in der zweiten Abtheilung: „De abusione linguae latinae“ specielle Nachweise wie die Lexikographen und die Schriftsteller früherer Jahrhunderte in Deutschland die lateinische Sprache verderbt haben; ferner selbständige Abhandlungen über Orthographie und Etymologie und einige grammatische Einzelheiten und endlich ein ziemlich ausführliches, sich fast zu einem allgemeinen Lexikon erweiterndes Verzeichniß „Optimarum dictionum“. Das zweite, „Ars versificandi“, ist eine in drei Bücher getheilte Metrik, von denen das erste die Lehre von den Buchstaben und Silben enthält, das zweite die verschiedenen Versmaße und Verssysteme bespricht, und das dritte die bei der Bildung von Versen zu beobachtenden sprachlichen Eigenthümlichkeiten behandelt und in einem besonderen Capitel: „Qui autores sint sequendi“ eine interessante Zusammenstellung der lateinischen Dichter enthält, mit Ausschluß der neueren, selbst Petrarca’s[WS 2], die den Irrthümern zu sehr unterworfen seien.

Ein solches Werk über Metrik war für die Gelehrten jener Zeit, die es fast mehr liebten, in Versen als in Prosa ihre Gedanken auszudrücken, oder auch ihre Gedankenlosigkeit zu verbergen, ein unentbehrliches Handbuch. B. gab aber auch in seinen zahlreichen eigenen Versen praktische Muster des Versbaus: keine seiner Schriften ist frei von Versen, die sich auf den abgehandelten Gegenstand beziehen, das eben Besprochene gewissermaßen zusammenfassend, ferner von Widmungsgedichten an Freunde oder hochgestellte Personen; in einer Unzahl zeitgenössischer Werke begegnet man empfehlenden Distichen von B.; er gab auch eine eigene Sammlung von Oden und Gelegenheitsgedichten, an die verschiedensten Personen bei mannigfachen Veranlassungen gerichtet, heraus. Auch ein größeres Werk, „Triumphus Veneris“, hat er in Hexametern geschrieben. Dieses Werk, [198] das zu seiner Zeit ebensosehr durch seine künstlerisch gewandte Form, als durch seinen Inhalt großes Aufsehen hervorrief und dem Verfasser viele Ehre und manche Anfeindung bereitete, verdient noch heute besondere Beachtung. Wie in Sebastian Brant’s „Narrenschiff“ und in anderen Satyren jener Zeit die Thorheit als die Macht erscheint, der alle Menschen ohne Unterschied des Standes und des Alters unterthan sind, so tritt hier die Göttin der Liebe als Herrscherin auf. Da sie sich aber beklagt, daß ihr Reich auf Erden zu Ende gehe, so werden alle ihre Anhänger ihr vorgeführt, zuerst die Thiere, dann die Menschen, nach ihren verschiedenen Classen geordnet, nämlich alle Geistlichen vom Papst bis zu den einfachen Mönchen und Nonnen herab, dann die weltlichen Stände vom Könige bis zu den Landesknechten, endlich die Weiber – sie alle geben sich als Anhänger, als treue Unterthanen der Venus zu erkennen. Alle wollen ihr dienen und drängen sich zu dem ersten Platz in ihrem Gefolge. Allein dieser ist von Anfang an den Bettelmönchen zuerkannt, jede Anstrengung, ihn diesen zu entreißen, bleibt fruchtlos. Nun will gegen das versammelte Heer der Venus die Tugend ihre Schaar rüsten, aber sie vermag nur eine kleine Anzahl um sich zu versammeln, die bei dem ersten Zusammenstoß mit dem feindlichen Heere zerstiebt und den triumphirenden Anhängern der Venus das Feld überläßt.

Die Wendung gegen die Geistlichen zeigt sich auch in Bebel’s berühmtestem Werke, den „Facetien“, die zuerst 1506 herauskamen, bei Lebzeiten Bebel’s häufig mit immer neuen Zusätzen vermehrt erschienen und die noch mehrere Jahrzehnte nach seinem Tode ein sehr beliebtes Unterhaltungsbuch blieben. Diese Facetien, von B. seinem Freunde, dem Abt von Zweifalten, gewidmet und zur Badelectüre bestimmt, eine Sammlung von Anekdoten und witzigen Aussprüchen, theils aus älteren Büchern entlehnt, theils persönlichen Mittheilungen von Freunden entnommen, zum geringsten Theile aus eigener Erfindung stammend, enthalten die stärksten Angriffe gegen die Geistlichen, gegen ihr unsittliches Leben, dessen sie sich noch rühmen, statt darüber Scham zu empfinden, gegen ihre crasse Unwissenheit, Käuflichkeit und Genußsucht, gegen die Dreistigkeit, mit der sie dem Volke alberne Märchen verkünden. Aber auch gegen die kirchlichen Lehren wendet sich Bebel’s Spott; er verspottet rückhaltslos die Anbetung der Reliquien, die Anrufung der Heiligen, die Lehre von der Auferstehung; ja selbst an die Verehrung Christi scheint er zu rühren. Daneben geißelt er die Leichtgläubigkeit des niederen Volkes, die Betrügereien einzelner Stände, namentlich der Müller, die Juden, den Uebermuth des Adels, selbst der Fürsten, vor allem aber die Unsittlichkeit und besonders die der Weiber. Aber nicht immer hat er die Absicht zu tadeln, und oft fällt er, grade indem er tadelt, selbst in den Fehler, den er rügt. Daher ist sein eigenes Buch voll von den unsaubersten Erzählungen, die er breit und mit großem Behagen auftischt.

Wirklich soll B., wie erzählt wird, durch sein Leben manchen Anstoß gegeben haben, er selbst berichtet nur, daß er sich im Sommer gern auf dem Lande unter Bäuerinnen aufgehalten habe. Schon in den Facetien ist der Einfluß dieses Verkehrs mit dem Volke deutlich erkennbar, noch klarer tritt er daraus hervor, daß B. deutsche Volkslieder und Sprichwörter sammelte. Aber das gelehrte Element waltete doch so sehr in ihm vor, daß er auch diese Sammlungen in lateinischer Sprache und zwar in möglichst geglätteter Form herausgab, dadurch das Natürliche fast völlig verwischte und statt der sehr werthvollen Gabe, die er gereicht haben würde, etwas fast Bedeutungsloses schuf. Dieses Verfahren entspringt dem ganzen Charakter Bebel’s, wie mancher Gesinnungsgenossen jener Zeit. In vielen Dingen ahnten sie zum Theil das Richtige, ohne es doch ganz zu erkennen, oder wenn sie es erkannten, fehlte ihnen der Muth, es offen auszusprechen und der erkannten Wahrheit im Leben zu folgen. So [199] hatte auch B. in Witzworten und Strafreden die Pfaffen bekämpft, Rom angegriffen, als aber im Reuchlin’schen Streite ein ernstlicher Angriff gegen die Alles beherrschende, Alles unterdrückende Macht gewagt wurde, da verhielt B., wie manche andere, sich theilnahmslos, – denn es fehlte ihm doch der wahre Mannesmuth der Ueberzeugung.

Bebel’s Schriften sind sehr häufig einzeln, die kleineren vielfach zusammen gedruckt worden. Die trefflichste bibliographische Zusammenstellung liefert Zapf, Heinr. Bebel nach seinem Leben und Schriften. Augsburg, 1802. Einzelnes aus denselben ist abgedruckt bei Zapf; Goldast, Politica imperialia, 1614, p. 552–596; Freher, Script. rer. Germ. ed. Struve II. p. 511–522; Schardius, S. S. rer. germ. I. p. 81–143. Vgl. außerdem Conz in Ersch und Gruber, Realencycl. Hagen, Deutschl. rel. u. litter. Verh. im Ref-Zeita. I. S. 381–406.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 195. Z. 25 v. u. ff.: Hch. Bebel ist nicht in Justingen, sondern in Ingstetten bei J. geboren (vgl. Stälin, Wirtemb. Gesch. 4, 239) und erst 1518 (vgl. Horawitz, Analekten z. Gesch. der Ref. u. d. Hum. in Schwaben, Wien 1878), nicht 1516 gestorben. Ueber seine Sprichwörter ist jetzt das ausgezeichnete Werk von W. H. D. Suringar: Heinrich Bebel’s Proverbia germanica, Leiden 1879, zu vergleichen. [Bd. 11, S. 793]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Giustiniani, Leonardo (ca. 1388–1446); Italienischer Dichter, Humanist und Staatsmann
  2. Italienischer Dichter; Siehe Wikipedia: Petrarca, Franceso (1304–1374)