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ADB:Brant, Sebastian

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Artikel „Brant, Sebastian“ von Elias von Steinmeyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 256–259, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brant,_Sebastian&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:18 Uhr UTC)
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Brant: Sebastian B., das älteste Kind des Gastwirths Diebold Brant, wurde 1458 zu Straßburg geboren. Zehn Jahre alt, verlor er den Vater. Da die heimathlichen Schulen sehr ungenügend waren, so empfing er seinen Unterricht bei Privatlehrern, bis er 1475 die Universität Basel bezog, um sich der Jurisprudenz zu widmen. Er wurde 1477 Baccalaureus, 1484 Licentiat, 1489 Doctor und wirkte, nachdem er sich inzwischen (1485) mit Elisabeth Burg verheirathet hatte, die ihm mehrere Kinder gebar, daselbst sowol als Professor, wie als praktischer Jurist bis zum Ende des Jahrhunderts. Da erweckte ein Besuch zu Straßburg bei seiner Mutter in ihm den Wunsch, seine Kräfte dauernd der Vaterstadt weihen zu dürfen; er bewarb sich um das eben erledigte Amt eines Syndicus und erhielt dasselbe 1501 auf Fürsprache Geiler’s von Keisersberg. Zwei Jahre später wurde er zum Stadtschreiber oder Kanzler ernannt. In dieser Stellung, die er bis zu seinem im Mai 1521 erfolgten Tode inne hatte, leistete er dem Gemeinwesen ersprießliche Dienste. Mehrere diplomatische Missionen führte er um so mehr mit günstigem Erfolge aus, als er sich des besonderen Wohlwollens Kaiser Maximilians zu erfreuen hatte, der ihn durch Ernennung zum kaiserlichen Rathe und Anweisung eines jährlichen Gehaltes auszeichnete. Auch ordnete er das früher arg vernachlässigte städtische Archiv. Wie gleichmäßig auch äußerlich Brant’s Leben verlief, es fiel in eine Zeit geistiger Revolution: seine Jugend und sein Mannesalter sah die Blüthe des Humanismus, als er an der Schwelle des Greisenalters stand, trat die Kirchenreform ein. Während er ein rühriges Mitglied des Humanistenbundes war, verhielt er sich kühl ablehnend gegen die Reformation: Fortschrittsmann im ersten Zeitraume, war er streng conservativ im zweiten. Diese beiden Perioden in Brant’s Leben fallen ungefähr zusammen mit dem Basler und dem Straßburger Aufenthalt. Als B. zu Basel immatriculirt wurde, war dort soeben der alte Kampf zwischen Realismus und Nominalismus durch Johannes Heynlin a Lapide in eine neue Phase getreten. Der letztere war der Führer einer neuen Partei, die unter der Form des Realismus gegen die Scholastik überhaupt zu Felde zog. Um ihn schaarten sich Geiler, Wimpheling, Tritheim, Peter Schott, und auch B. schloß sich diesem Kreise an, der, auf philosophische Speculation verzichtend und allein auf das Gebiet der Moral angewiesen, durch Förderung der humanistischen Studien insbesondere zu wirken bestrebt war. Schon in Paris hatte Joh. a Lapide für Lehrer der classischen Sprachen, für Ankauf von Handschriften, für Errichtung von Druckereien gesorgt: nach derselben Richtung war er in Basel thätig. B. unterstützte ihn aufs lebhafteste in diesen Bestrebungen. Da er von Haus aus unbemittelt war, so konnte ihm ein Erwerb, wie ihn die entstehenden Druckereien in Aussicht stellten, nur erwünscht sein. Er wurde als Corrector, als Verfasser von lateinischen empfehlenden Gedichten zu den edirten Werken, als Herausgeber das litterarische Factotum der Basler Buchdrucker der beiden letzten Decennien des 15. Jahrhunderts. Der Basler Freundeskreis lebte in den Erinnerungen des dortigen resultatlos verlaufenen Concils, er wünschte die auf diesem in Aussicht genommenen kirchlichen Reformen durchgeführt zu sehen und glaubte in Maximilian den rechten Mann dafür gefunden zu haben. Daher die Verehrung, die B. diesem Kaiser zollte, und die litterarische Propaganda, die er für ihn machte. In zahlreichen Flugblättern, meist in lateinischen Versen, zuweilen auch von ihm selbst ins Deutsche übersetzt, feierte er den Kaiser, suchte [257] er dessen Beruf ins Licht zu stellen; jedes außergewöhnliche Naturereigniß, jede Mißgeburt, die zu seiner Kenntniß gelangte, gab ihm Veranlassung zu einem Gedichte, in welchem sie ihre Deutung auf den Kaiser, den Gott ganz speciell sich erkoren, erhielt. B. war durch und durch Litterat, ein offener verständiger Kopf, der sich trefflich auf die journalistische Mache verstand und mit klarem Blick erkannte, was zeitgemäß und bei der Masse zündend sei. Denn es herrschte zu Ausgang des 15. Jahrhunderts in den humanistischen Kreisen das lebhafte Bestreben, die Wissenschaft zu popularisiren, durch Schrift und Bild. So gelangte auch B. zur deutschen Poesie. Eine Uebersetzung des „Cato“, eine des „Facetus“ und andere verschafften ihm in den achtziger Jahren die nöthige Gewandtheit in der Versification: seine Metrik ist weit genauer als die seiner Zeitgenossen. Aber weder seine lateinischen und deutschen Gedichte, noch diese Uebersetzungen würden ihn berühmt gemacht haben: erst das „Narrenschiff“, das 1494 zu Basel im Verlage seines Freundes, des Canonicus Bergmann von Olpe, herauskam, hat seinen Namen unvergänglich gemacht. Der Erfolg des Buches war ein ungeheurer: gleich im Jahre seines Erscheinens traten drei Nachdrucke zu Nürnberg, Reutlingen und Augsburg ans Licht und zu Straßburg eine interpolirte Ueberarbeitung; 1495 erschien die zweite Originalausgabe, und mannigfach wurde das Werk bis ins 17. Jahrhundert hinein nachgedruckt und überarbeitet. Die Nachahmungen und die Anspielungen darauf im ganzen 16. Jahrhundert sind zahllos. Für das eigentlich gelehrte Publicum übersetzte es ein Schüler Brant’s, Jakob Locher, 1497 ins Lateinische, andere Uebersetzungen erfuhr es ins Niederdeutsche, Niederländische, Englische und Französische. Die humanistischen Genossen Brant’s wußten ihres Lobes kein Ende: Tritheim nennt das Buch eine divina satira und bezweifelt, ob etwas angemesseneres und amusanteres zur Zeit hätte geschrieben werden können; Locher erklärt B. nicht nur für den ersten damaligen Dichter, sondern sogar für den ersten deutschen Dichter überhaupt. Geiler predigte zu Straßburg fünf Vierteljahre lang über die einzelnen Capitel des „Narrenschiffs“. Woher dieser ungemeine Erfolg? Poetischen Werth besitzt das Buch absolut nicht. Und mit der Originalität der Erfindung ist es auch nicht weit her. – Sowol der Typus des Narren lag gegeben vor, als auch war die Fiction, solche Leute auf ein Schiff zu packen, in der Litteratur bereits mehrfach verwandt. Ferner hat B. weder diese Vorstellung durch sein Werk hindurch festzuhalten vermocht, da er bald von einem Narrenschiff, bald von einer Flotte spricht, noch auch überhaupt seinem Buche eine feste Gliederung angedeihen lassen: es sind lauter einzelne, von einander unabhängige, Capitel ohne irgendwelche Ordnung, Capitel, die sich leicht vermehren ließen, wie ja B. selbst in der zweiten Ausgabe zwei weitere hinzufügte. Die Ursache der zündenden Wirkung ist anderswo zu suchen. Schon längere Zeit liefen in Deutschland auf einer Seite bedruckte Bogen um, welche eine Reihe von Narren darstellten. Jeder derselben hielt ein Band mit einem Spruche in der Hand. Der moralische Spruch war die Hauptsache, die Figur des Narren im Holzschnitt nur ein Mittel auf die Sinne des gewöhnlichen Mannes nachdrücklicher einzuwirken. Diesen Brauch machte sich B. zu Nutze. Ein jedes Capitel seines Narrenschiffs erhielt einen Holzschnitt, nur mit dem Unterschiede, daß dieselben, nach Brant’s Angaben und unter seinen Augen von verschiedenen Künstlern angefertigt, ausgeführte Scenen, und zwar aufs feinste und mit Humor gearbeitet, darstellten. Dem Spruche der Narrenfiguren entsprach bei B. ein den Bildern übergesetztes Motto in drei, selten vier Zeilen mit gleichen Reimen. Dieser Theil des Narrenschiffes sollte den Bedürfnissen der großen Menge dienen: wie sehr B. bemüht war, gerade auch nach dieser Seite hin Eindruck zu machen, bezeugt er nicht nur selbst, sondern das ergibt sich auch aus einer bisher, wie es scheint, nicht beachteten [258] Thatsache. Bis zum 74. Capitel incl. nämlich beginnt jedes neue Capitel, d. h. zunächst das dreizeilige Motto, dann der Holzschnitt, oben auf der Rückseite eines Blattes, die Capitel nehmen daher immer ein oder zwei Blätter, d. h. 34 oder 94 Zeilen, nie ein und ein halbes, d. h. 64 Zeilen, in Anspruch. Ich kann mir dies fest durchgeführte Princip nur so erklären, daß dem Beschauer die Betrachtung der Bilder damit erleichtert werden sollte. Wenn von Cap. 75 ab dieser Gesichtspunkt aufgegeben ist und wenn die Bilder bald auf der Vorder-, bald auf der Rückseite stehen, auch zuweilen das Motto vier Zeilen umfaßt, so muß eine Störung der Arbeit eingetreten sein. Im 62. Capitel sagt B., der Narrentanz sei schier aus: das paßt nicht für einen Abschnitt, der in der Mitte des Ganzen steht. Man wird vermuthen dürfen, daß das ursprüngliche Narrenschiff, wie es B. in die Druckerei geliefert hatte – denn der Umstand, daß die Holzschnitte des 38. und 55. Capitels mit einander vertauscht werden konnten, ein Versehen, das B. alsbald in der zweiten Originalausgabe besserte, weist darauf hin, daß das Manuscript und die Holzstöcke bis zu einem gewissen Punkte schon lange fertig vorlagen, ehe der Setzer ihrer bedurfte –, nur bis zum 74. Capitel ging, und daß der Dichter erst während des Druckes, vielleicht auf Wunsch von Freunden, denen die Erfindung gefiel, sich zu Erweiterungen entschloß, die nun freilich, da der Setzer drängte, nicht mehr wie früher ausgefeilt und peinlich auf 34 resp. 94 Verse abgegrenzt werden konnten. Während also Bild und Motto für diejenigen bestimmt waren, die nicht lesen konnten, sorgte der Dichter für die gebildeten Classen durch die Capitel selbst. B. hatte die Gewohnheit, Sprüche sententiösen Gehalts auf einzelnen Blättern in deutsche Verse zu bringen. Aus solchen Collectaneen sind die Capitel des Narrenschiffs entstanden. Es sind aber verhältnißmäßig wenige speciell deutsche Sprüche darunter, zum überwiegenden Theile sind sie der Bibel und lateinischen Classikern entlehnt. Ja gegen das eigentlich Nationale und Volksthümliche empfindet B. als feingebildeter Humanist nur Widerwillen: die Schwänke des Pfaffen von Kalenberg, die Scherze des Mönchs Ilsan und das Lied vom Möringer führt er nur an, um recht seine Verachtung gegen diese Art von Litteratur kund zu thun. Alle seine Exempel entnimmt er ebenfalls der Bibel oder den Classikern: die kurze, nur andeutende Weise, in der er zahlreiche Fabeln und Anekdoten des Alterthums vorführt, spricht auch dafür, daß er sich mit seinen Capiteln an ein humanistisch geschultes Publicum wendet. – Jedem also brachte das Narrenschiff etwas: aber das allein erklärt immer noch nicht die außerordentliche Wirkung des Buches. Auch die Vorliebe des Mittelalters für sprüchwörtliche Weisheit würde dem Werke nicht einen Platz in der Weltlitteratur erobert haben. Es ist etwas anderes. Die Satire als Litteraturgattung, vorzugsweise bisher in Oesterreich gepflegt, hatte wol auch moralische Gebrechen und unschickliches Benehmen neben einander behandelt, aber sie hatte, indem sie unterschiedslos beide als Laster brandmarkte, die Opposition herausgefordert und wenig Eindruck hinterlassen. Auch B. behandelte beide Kategorien neben einander und unterschiedslos: aber nicht als Laster und Sünde charakterisirte er sie, sondern als Narrheit, als Verstandesschwäche. Bei dieser Auffassung fiel jeder Widerspruch fort, allgemeiner Beifall mußte den glücklichen Gedanken belohnen. Und kein Stand konnte sich beklagen, ungerecht behandelt zu sein: das Narrenschiff ist eben eine Satire auf alle Stände. Brant’s ganze Zeit war kritisch angelegt: aber bei B. selbst kamen noch specielle Momente hinzu, die ihn in besonderem Maße zur Abfassung einer derartigen Satire befähigten. Die mütterliche Erziehung durch sieben Jahre hindurch war nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. Eine gewisse Prüderie macht in seinem ganzen Wesen sich geltend: noch in seinem Alter rechnete er es sich zum Vorwurf an, [259] ein dem Virgil untergeschobenes priapeisches Gedicht gelesen zu haben. Sein Bild in Reußner’s „Icones“ zeigt einen unverkennbar altjungferlichen Zug. Rechthaberisch und von sich eingenommen scheint er schon früh gewesen zu sein: es existirt der Brief eines Ungenannten an ihn aus dem J. 1480 etwa, der ihm mit scharfem Spotte seinen Dünkel vorwirft; in den Straßburger Stadtprotokollen findet sich mit Bezug auf B. die spitze Bemerkung, der Stadtschreiber solle nur dann reden, wenn er gefragt werde. Solche etwas nervöse und reizbare Charaktere werden leicht alle Verhältnisse des Lebens in satirischer Weise, einseitig und halbwahr, auffassen: so suchte auch B. nur überall das Tadelnswerthe hervor, ohne dabei consequent zu sein: die Eigenschaft, deren Vorhandensein er bei dem Einen rügt, wirft er dem Andern als fehlend vor. – Mit der Herausgabe des Narrenschiffs hat Brant’s litterarische Production ihren Höhenpunkt erreicht: er hat zwar auch später noch manches drucken lassen, so insbesondere die Ueberarbeitung des Freidank: aber im ganzen nahm ihn seine amtliche Thätigkeit vollauf in Anspruch. Ohne es selbst zu wollen, war B. ein Vorläufer und Vorkämpfer der Reformation. Er gehörte zu jener zahmen Humanistenschule, die durch Kritik eine Besserung der Zustände, Abstellung einzelner eclatanter Mißbräuche zu erzielen suchten, während sie in allen wesentlichen Punkten noch völlig auf dem Boden der alten Anschauungen standen: daher denn B. sehr streng orthodox gesinnt war und mit Leidenschaft das Dogma von der unbefleckten Empfängniß gegen die Dominicaner verfocht. Aber diese Männer, und namentlich B., haben den schlummernden Geist der Kritik in allen Classen des Volkes geweckt und damit die Saat ausgestreut, die aufgehen sollte, als von Wittenberg her die Sonne einer neuen, bessern Zeit zu leuchten begann.

Verzeichniß der Werke Brant’s in A. W. Strobel’s Beiträgen zur deutschen Litteratur und Litterärgeschichte, Paris und Straßburg 1827, S. 17 ff. – Varia Sebastiani Brant Carmina, Basileae 1498. – Beste Ausgabe des Narrenschiffes von Fr. Zarncke, Leipzig 1854. – Die Bilder der ersten Ausgabe nachgebildet in K. Simrock’s Uebersetzung, Berlin 1872. – Zur Vorgeschichte des Narrenschiffes von Fr. Zarncke. Erste (abgedruckt aus Naumann’s Serapeum, Bd. 29) und zweite Mittheilung, Leipzig 1869. 1871. – Anzeiger des Germanischen Museums 3 (1856), S. 135, 4 (1857), S. 396. – Birlinger’s Alemannia 1 (Bonn 1873), S. 102 ff. – Wackernagel in Herzog’s Realencyklopädie für protestantische Theologie 19 S. 259 ff., wieder abgedruckt in seinen Kleinern Schriften 2 (Leipzig 1873), S. 392 ff. – Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsassess 1 (Berlin 1871), S. 153 ff.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 259. Z. 15 v. u.: Ueber Seb. Brant als Juristen vgl. Stintzing, Gesch. der Deutschen Rechtswiss. I. (1880) S. 93 ff. u. die das. angeführten Schriften. [Bd. 12, S. 794]