Zweite Notiz über eine sonderbare Folgerung aus den Gesetzen der Lichtreflexion
In meinen früheren Versuchen habe ich gezeigt, daß das Licht, welches längs der Goncavität eines polirten, halbkreisrunden Stahlstreifens fortgegangen ist, sich vollständig polarisirt erweist, wenn man es durch ein Nicol’sches Prisma mit dem Auge auffängt. Hiebei konnte ich nicht wissen, welches Stück der Curve zur Bewirkung dieser vollständigen Polarisation hinreiche, und konnte auch nicht in dieser Beziehung verschiedene Metalle vergleichen. Ich habe also seitdem die folgenden, sich leicht darbietenden Methoden angewandt, und damit Resultate erhalten, an denen man wohl einiges Interesse nimmt.
Zunächst ließ ich das horizontale Bündel Sonnenlicht, ehe es mit dem durchbohrten Schirm aufgefangen ward, durch einen Turmalin gehen. Als ich dann den Turmalin um sich selbst drehen ließ, gelangte ich zu einer Stellung, bei welcher, je nach dem Fortschritt der Polarisation am Streifen, der längs demselben fortwandernde Lichtfaden rasch erlöschte und in einigem Abstände vom Ende dieses Streifens vollständig verschwand. Ließ ich hierauf den Turmalin eine Viertel-Umdrehung machen, so sah ich den Lichtfaden längs der ganzen Curve wieder erglänzen, um abermals rasch an Intensität abzunehmen, so wie der Turmalin eine neue Viertel-Umdrehung gemacht hatte, und so fort.
Ich ersetzte den Turmalin durch ein achromatisirtes Kalkspathprisma, welches also zwei unter sich rechtwinklich polarisirte Strahlen in die dunkle Kammer sandte. [583] Bei zweckmäßigem Drehen dieses Prismas und bei folgweisen Richten eines jeden der Bündel auf den ausgeschnittenen Schirm, erhielt ich mit dem einen das Maximum und mit dem andern das Minimum der Helligkeit des Lichtfadens, und ich hatte den Vortheil, ein stärkeres und farbloses Licht zu besitzen. Als ich hierauf an das polarisirende Prisma eine senkrecht gegen die Axe geschnittene Bergkrystallplatte legte, nahm der Lichtfaden bei einem der beiden Bündel nicht mehr ab wie zuvor, sondern er glänzte mit farbigem Licht. Diese, am Anfange des Fadens nullgleiche Farbe wurde immer vorwaltender, immer reiner, so wie man sich von diesem Anfange entfernte, dadurch in sonderbarer Weise den Fortgang der Polarisation an dem Streifen zeigend.
Richtete ich das zweite Bündel auf den ausgeschnittenen Schirm, so färbte sich, wie zu erwarten, der Lichtfaden complementar gegen zuvor, und zeigte in seiner Färbung einen ähnlichen Fortgang.
Sir Brewster hat gefunden, daß sich das Licht viel schwieriger auf Silber polarisirt, als auf Stahl[1]. Ich habe diese Beobachtung vollständig bestätigt, als ich statt des Stahlstreifens einen Streifen polirten Silbers von gleichen Dimensionen nahm. Als ich mit diesem Streifen einige der vorigen Versuche wiederholte, sah ich, daß der Lichtfaden am Ende des Halbkreises nur noch eine sehr schwache Polarisation darbot.
Ich muß hier bemerken, daß die zur vollständigen Polarisation erforderliche Strecke der Curve mit der Breite des Schlitzes, durch welches das Licht zum Streifen gelangt, abnimmt. In der That ist einleuchtend, daß man, je schmäler dieser Schlitz ist, desto mehr der mathematischen Bedingung einer unendlichen Dünnheit der Lichtschicht näher kommt und desto mehr Reflexionen in der [584] Gesammtheit des Fadens erhält. Um daher Streifen von verschiedenen Metallen mit einander zu vergleichen, muß man also nothwendig einen und denselben Schlitz oder Schlitze von gleicher Breite anwenden.
Um die Aufzählung der sonderbaren Versuche, die man mit meinen polirten Streifen anstellen kann, zu beschließen, will ich noch erwähnen, was sich begiebt, wenn man die dünne Schicht Sonnenlicht, statt tangentiell auf den Anfang des Streifens fallen zu lassen, daselbst unter einem mehr oder weniger großen Winkel auftreten läßt. Alsdann geschehen die successiven Reflexionen nicht mehr in einem hellen Faden, sondern sie bilden nothwendig auf dem Papier, mit dem das Brett überzogen ist, ein Stück eines Polygons von mehr oder wenig vielen Seiten; und wenn man das Brett in seiner Ebene dreht und dadurch die Neigung des ersten Elements der Curve gegen die auf dasselbe einfallende Lichtschicht ändert, so hat man das sonderbare Schauspiel, zu sehen, daß sich das leuchtende Polygon verändert, sowohl in der Zahl als der Größe seiner Seiten.
In einem am 24. Oct. vorigen Jahrs in der Pariser Academie gelesenen Brief, worin Hr. Colladon Versuche von sich beschreibt, die ebenfalls eine sonderbare Anwendung der Gesetze der Lichtreflexion darbieten, fügt Derselbe hinzu: »Hr. Plateau hat am 4. Juli 1842 in der Academie zu Brüssel eine Notiz über die Biegung des schief auf eine concave Metallfläche fallenden Lichts vorgelesen; die Versuche, welche ich so eben aufzählte, sind einige Monate älter als die Mittheilung des Hrn. Plateau. Das Kabinet des Conservatoire des arts et métiers zu Paris besitzt seit October 1841 einen meiner Apparate, u. s. w.«[2].
Um die Academie selbst in Stand zu setzen zu beurtheilen, bis wie weit diese Prioritäts-Erhebung begründet [585] sey, will ich zunächst in wenig Worten angeben, worin die Versuche des Hrn. Colladon bestehen.
Ein Gefäß voll Wasser hat zur Seite nach unten ein kleines Loch, aus welchem ein Strahl der Flüssigkeit entweicht. Diesem Loche gegenüber, in der entgegengesetzten Wand, ist eine große Oeffnung, verschlossen durch eine convexe Linse von zweckmäßiger Brennweite. Man, stellt den Apparat in eine dunkle Kammer und läßt durch die Linse ein horizontales Bündel Sonnenstrahlen treten; diese geben durch das Wasser des Gefäßes und convergiren genau in der Oeffnung, aus welcher die Wasserader entweicht. Alle Strahlen dieses Bündels treffen dann die innere Oberfläche des flüssigen Fadens unter zu großen Winkeln, als daß sie austreten können; sie erleiden eine erste, zweite, dritte, u. s. w. totale Reflexion, so daß alles Licht in dem parabolischen Faden eingeschlossen bleibt und demselben folgt, bis er sich beim Begegnen eines Hindernisses zertheilt. Bis dahin kann das Licht nicht in’s Auge gelangen, die Wasserader ist nur schwach erhellt; an den Orten aber, wo sie sich zertheilt oder wo sie auf ein Hinderniß stößt, entweicht das Licht in glänzenden Ergüssen.
Ich erkenne willig die Aelterkeit dieser sonderbaren Versuche des Hrn. Colladon, und wenn ich sie gekannt hätte, würde ich sie, wegen ihrer Beziehung zu den meinigen, in meiner Notiz angeführt haben. Allein diese Beziehung scheint mir nicht der Art zu seyn, um eine Erstheits-Erhebung darauf zu begründen. Meine Versuche weichen wesentlich von denen des Hrn. Colladon ab, sowohl in dem Princip, welches sie zu entwickeln bezwecken, als in dem Verfahren des Experimentirens und dem Schauspiel, das sie dem Auge gewähren.
In der That war mein Zweck zu zeigen, es gehe aus den Gesetzen der Lichtreflexion die merkwürdige [586] Folgerung hervor, daß man das Licht in krummer Linie gehen lassen, und selbst zwingen könne, eine gegebene Curve zu beschreiben. Und indem ich diesen Satz aufstellte, habe ich, wie man sich aus dem Anfange meiner früheren Notiz überzeugen kann, recht eigentlich darunter verstanden, daß es sich um eine wahrhafte Curve handele, beschrieben von einem elementaren Lichtstrahl. Um zu zeigen, wie man diesen krummlinigen Gang erhalten könne, habe ich angenommen, ein einziger Strahl falle tangentiell auf das erste Element der Concavität einer polirten Curve. Alsdann ist wirklich der Strahl genöthigt längs der Curve fortzugleiten und ihr vollständig zu folgen, so lange die Krümmung dieser nicht das Zeichen wechselt.
Zwischen diesem und den Principien, auf welchen Hrn. Colladon’s Versuche beruhen, wird man, hoffe ich, keine Analogie finden.
Nun habe ich, um den krummlinigen Gang des Lichts recht augenfällig zu machen, statt der polirten Curve die polirte Oberfläche einer gekrümmten Stahlfeder, angewandt, und statt des elementaren Strahls eine sehr dünne Schicht Sonnenlicht, die ich auf das eine Ende der besagten Feder in fast tangentieller Richtung fallen ließ. Allein ich habe auch in meiner früheren Notiz deutlich gesagt, daß sich nur eine unendlich dünne Lichtschicht wahrhaft in krummer Linie bewege, und daß alle anderen Strahlen gebrochene Linien von sehr vielen Stücken beschrieben.
Die daraus aus der Gesammtheit der geknickten Strahlen für das Auge hervorgehende krummlinige Lichtschicht hat, ich gestehe es, viele Aehnlichkeit mit dem Lichtbündel, welches Hr. Colladon in die parabolische Wasserader einschließt; denn die Elementarstrahlen dieses Bündels bilden ebenfalls in Folge der successiven totalen Reflexionen gebrochene Linien, deren Gesammtheit in eine krummlinige Hülle eingeschlossen ist. Allein, wie [587] man sieht, sind bei meinen Versuchen die geknickten Strahlen nur ein grobes unvollkommenes Mittel, die Verwirklichung des genannten Princips vor die Augen zu führen. Dieß Princip selbst, welches den Zweck und die Grundlage meiner Versuche ausmacht, hatte Hr. Colladon durchaus nicht für seine Untersuchungen nöthig, und hat auch nicht daran gedacht.
Ich muß hinzufügen, daß, so wie Hrn. Colladon’s, und meine Verfahrungsweisen wesentlich verschieden sind der Effect für das Auge es nicht minder ist. Bei den Versuchen des Hrn. Colladon erleuchtet sich die gekrümmte Wasserader nur an gewissen besonderen Stellen. Bei meinen Versuchen dagegen ist der Lichtfaden, welcher den Gang der Lichtschicht auf dem Papier angiebt, leuchtend von einem Ende bis zum andern. Endlich machen die Polarisations-Erscheinungen an den gekrümmten Metallstreifen noch eine den Colladon’schen Versuchen fremde Eigenthümlichkeit aus.
In der Sitzung der Pariser Academie, wo der hier besprochene Brief vorgelesen ward, machte auch Hr. Babinet Versuche von sich bekannt, die denen des Hrn. Colladon ganz ähnlich sind[3]. Alles Vorhergehende gilt auch von den Versuchen des Hrn. Babinet.