Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Moses Mendelssohn
Philosoph und scharfsinniger Denker israelitischer Abkunft,
Lessings Freund und durch sein Werk über die
Unsterblichkeit der Seele selbst unsterblich im Gedächtniß
der Nachwelt fortlebend. Moses Mendelssohn wurde
in Dessau geboren, und zeichnete sich schon im zarten
Alter durch mächtigen Wissenstrieb aus. Der Vater,
ein Schreiber der Thora und anderer Gesetzesrollen,
unterrichtete den Knaben selbst in der hebräischen Sprache,
durch andere Lehrer wurde er mit dem Talmud, wie
mit den Schriften des berühmten Rabbi Mosche ben
Maimon (Maimonites) vertraut und steigerte seinen
Fleiß bis zur krankhaften Nervenreizbarkeit, die ihm
nachhaltig blieb und frühzeitig niederbeugte. Dazu
kam des Mangels trübe Schule, die ihm nicht erlassen
blieb; arm und dürftig ging er 1742 nach Berlin,
nährte sich dort kümmerlich, verdiente sich mit Abschreiben
seinen kärglichen Unterhalt, lernte dabei immer fort,
und wurde durch die Bekanntschaften mit mehreren
gelehrten Juden, des armen aber geist- und poesievollen
Schulmeisters Israel Moses, des jungen jüdischen
Arztes Kisch aus Prag und Baron Gumperg aus
Berlin immer weiter gebracht, aufgemuntert und gefördert.
So hatte sich Moses Mendelssohn endlich so
viel Kenntnisse angeeignet, daß er nicht nur begabt
mit Sprachkunde, sondern auch in der Mathematik und
in Künsten, die den Kaufmann machen, die Stelle
eines Erziehers im Hause des jüdischen Seidenfabrikanten
Bernard übernehmen konnte. Sein Principal
entdeckte mit Freude Mendelssohns gute Eigenschaften,
seine Fähigkeit im rechnen, schönschreiben und buchhalten,
und nahm ihn als Aufseher in sein bedeutendes
Geschäft, in welchem Mendelssohn es bald zum Faktor
brachte, bis des Geschickes Gunst den begabten Mann
sogar zum Mitgenossen und Theilhaber des blühenden
Geschäftes machte. Vom wichtigsten Einfluß auf Mendelssohns
spätere Geistes- und Lebensrichtung war sein
im Jahre 1754 erfolgtes bekanntwerden mit Lessing.
Dieser wurde ihm anregendes Vorbild, auf Lessings
Veranlassung schrieb Mendelssohn seine „Briefe über
die Empfindungen“, welche Lessing sogleich drucken ließ.
Nun war die Bahn gebrochen, Mendelssohn schrieb
nun mehr, betheiligte sich an schönwissenschastlichen Unternehmungen,
[Ξ] wie Nicolai’s Briefe, die neueste Literatur
betreffend, an dessen allgemeiner deutschen Bibliothek,
so wie an der Bibliothek der schönen Wissenschaften
und verfaßte auch selbständige philosophische
Werke, deren Anerkennung bald über Deutschlands
Grenzen hinausdrang. Auch mit Lavater, der im Jahr
1769 nach Berlin kam, befreundete sich Mendelssohn,
nur daß letzterer mit männlicher Ruhe dem seltsamen,
obschon aus reinem Wohlwollen hervorgegangenen Versuch
Lavaters, ihn zum Uebertritt in das Christenthum
zu bewegen, widerstand. Er blieb dem Glauben seiner
Väter unerschütterlich zugethan und vertheidigte denselben
mit Ueberzeugungstreue, doch nicht ohne dabei durch
große geistige Aufregungen und Erschütterungen seines
zartorganisirten Gemüthes dauernd zu leiden. Aus
diesen inneren Kämpfen ging Mendelssohns berühmtes
Buch „Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judenthum“
hervor; von einem zweiten: „Morgenstunden“
erschien nur der erste Band. Beide legten Mendelssohns
religiöse wie philosophische Ansichten in einer gebildeten
und edlen Sprache vor Augen, doch blieben
dieselben keineswegs ohne Anfechtung. Mendelssohns
verbreitetstes und am meisten anerkanntes, fast in alle
Sprachen Europa’s übersetztes Werk ist sein auf Platons
Phädon gebautes Buch: Phädon oder über die
Unsterblichkeit der Seele. In drei Gesprächen. Es ist
in sokratischer Form geschrieben und fand soviel Theilnahme,
daß man den Verfasser allen Ernstes mit dem
Namen des deutschen Sokrates beehrte, ohne an das
hinkende eines solchen Vergleichs zu denken. Eine Behauptung
des Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi,
daß Lessing sich den Lehren Spinoza’s zugeneigt habe,
erschütterte Mendelssohn heftig und regte ihn an, eine
Gegenschrift zu verfassen, welche den Titel führte:
„Mendelssohn an die Freunde Lessings“, die er in so
gereizter Stimmung schrieb, daß sein ganzes Nervensystem
in Aufregung gerieth. In dieser Stimmung
ausgehend, traf ihn eine Erkältung, welche die Ursache
seines Todes wurde, der allgemeine Theilnahme bei
den gelehrten Zeitgenossen Mendelssohns hervorrief.
Mendelssohn war einer der hervorragendsten und begabtesten
Geister, die aus dem Judenthum der Neuzeit
hervorgegangen, und von großer Trefflichkeit des Charakters,
daher ihm im Kranze deutscher Philosophen
von Bedeutung stets eine ehrenvolle Stelle gesichert
bleibt.