Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Philipp Melanchthon
Luthers gefeiertster Freund, sein Jonathan, die milde
Leuchte neben dem strahlenden Sterne! Der Mann
des Friedens, hervorgegangen aus einem Hause blinkender
Gewaffen und lärmenden Rüstzeugs. Der Vater
war Waffenschmied und Rüstmeister des Grafen von
der Pfalz, Herzogs in Bayern, und der Sohn erblickte
das Licht der Welt im Städtlein Bretten in der
Unterpfalz. Der Großvater nahm sich der ersten Erziehung
des Knaben an, und Reuchlin, sein mütterlicher
Oheim, leitete dessen ferneren Unterricht auf der
Schule zu Pforzheim, ließ ihn den deutschen Vaternamen
Schwarzerd in den griechischen Melanchton umwandeln
und fürder tragen, und sandte ihn dann zu
weiteren Studien nach Heidelberg. Frühe Reife des
Geistes zeichnete den jungen Studenten aus; mit vierzehn
Jahren erlangte er schon das Baccalaureat der
Philosophie und wurde Hofmeister zweier Grafen von
Löwenstein. Er wollte auch Magister werden, aber
das gaben die alten Professoren nicht zu; er war ihnen
denn doch noch zu jung. Melanchton ging darauf
nach Tübingen und wurde dort Magister, hielt Vorlesungen
und verfaßte eine griechische Grammatik von
bleibendem Werth, unterstützte Reuchlin bei dessen Arbeiten
und leitete eine Druckerei. So voll Thätigkeit
und Eifer wirkend und dabei keinen Tag das eigene
Weiterstudieren aus den Augen lassend, traf ihn 1518
ein von Reuchlin veranlaßter Ruf des Kurfürsten Friedrich
des Weisen zu Sachsen an dessen Hochschule Wittenberg,
als Professor der griechischen Sprache und
Literatur, dem er willig folgte. Von da an knüpfte
sich das unzertrennliche, stets heilig gehaltene Freundschaftsband
mit Luther, der Melanchton nach seinem
ganzen vollen Werth zu würdigen verstand. Gründliches
Wissen, ernstes Forschen, Sanftmuth und Milde
bei edler Charakterfestigkeit, machten Melanchton zur
Stütze des großen Werkes der Reformation, ja zur
Stütze der Hochschule, wenn Luther abwesend war. Siegreich
kämpfte er mit Luther vereint gegen Dr. Eck und
Carlstadt in der berühmten Leipziger Disputation, wurde
durch die Aufstellung seiner „theologischen Lehrsätze“
der Begründer der protestantischen Dogmatik, richtete,
von einer Reise in die Heimath rückkehrend, die neue
[Ξ] Schule zu Nürnberg ein, schrieb Visitationsartikel und
leistete bei der großen Kirchenvisitation in Kursachsen
die wesentlichsten Dienste. Auf dem Reichstage zu
Speier 1529 trat Melanchton kräftig dagegen auf,
daß man die Bekenner der Lehre Zwingli’s ungehört
verdammen wollte, wie er sich denn den Schweizer
Reformatoren nicht ganz abgeneigt zeigte und gemäßigter
über ihre Lehrsätze urtheilte als Luther. Melanchton
gab den von Luther entworfenen Glaubenslehren, die
dem Augsburger Reichstag 1550 vorgelegt wurden,
Form und milde Fassung, nachdem er schon 1529 auf
dem Religionsgespräch zu Marburg mit kluger Sorgfalt
zu einigen gesucht hatte, so viel als möglich war.
Ebenso verfaßte Melanchton die Apologie des evangelischen
Bekenntnisses und gründete sich durch diese
beiden Arbeiten in der ganzen protestantischen Kirche
den Anspruch auf Dankbarkeit für ewige Zeiten. Bis
über Deutschlands Grenzen erscholl Melanchtons Ruhm,
die Könige von Frankreich und von England ließen
ehrenvolle Rufe an ihn ergehen, allein der Kurfürst
von Sachsen enturlaubte ihn nicht, er blieb Deutschland
erhalten zu noch lange dauernder Lebensarbeit,
zu manchem Kampfe. Oft und viel mußte der milde
fromme Melanchton den herben Kelch der Verkennung
leeren, oft ward er angefochten und befehdet um seiner
Milde willen, seiner versöhnlichen Sinnesart willen,
nur einer war, der ihn ganz kannte, der ihn überaus
hoch schätzte, der bei aller eigenen Heftigkeit und
Strenge den Charakter des Freundes stets im ungetrübten
Glänze seiner Reinheit und Klarheit sah, und
das war Luther. Als Luther 1546 dahingeschieden
war, und noch endlose Religionskämpfe drohten, war
Melanchton Haupt und Stutze der Reformation, aber
er war es unter großen Mühen und schweren Sorgen.
Eine bedeutende Anzahl der protestantischen Gottesgelehrten
sahen alles Heil für die neue Lehre und das
geläuterte Evangelium nur im starren festhalten an
Normen und Formen; da dies bei Melanchton nicht
der Fall war, da dieser stets Wege suchte, Hader zu
vermeiden und zu verhüten, zu einigen statt zu spalten,
da ward er verdächtigt und verketzert, und als Verrath
und Treulosigkeit ward gedeutet, was in seinem
Charakter nur Milde und mindere Festigkeit war. Seine
mehrfach begonnenen Einigungsversuche scheiterten allzumal,
und der Schmerz über so manche Kränkung,
manche Trennung, nagte an seinem Herzen. 1557
verlor Melanchton auch die treue Gattin, und das Leben
hörte auf noch Reiz für ihn zu haben. Auf einer
Reise von Wittenberg nach Leipzig, in rauher Jahreszeit,
ergriff den durch geistige Schmerzen schon für
Krankheit empfänglicher gemachten Leib ein Wechselfieber,
das ihn dem Tod in die Arme führte. Unsterblich
klingt sein Name neben Luthers Namen fort, und sein
Ruhm blüht unvergänglich.