Zedler:Mathematischer Satz
Mathematischer Satz, propositio mathematica, wird in zweyerley Bedeutung genommen: einmal materialiter, uhd das anderemal formaliter. Materialiter genommen, ist ein mathematischer Satz ein solcher, der eine mathematische Wahrheit in sich fasset, und kan folgendergestalt erkläret werden, daß er sey ein Satz, da das Verbindungs-Wort die Verhältnisse der Grössen des Vorder- u. Hinter-Satzes (subjecti & praedicati) anzeiget, z. E. vier Viertheile ist eben so viel als ein gantzes. Wird der mathematische Satz formaliter genommen, so siehet man auf die Gewohnheit der Mathematick-Lehrer, da sie allen Sätzen besondere Namen geben, und solche Namen über jeglichen schreiben, siehe mathematische Lehrart. In dieser Absicht nun theilen sie alle Sätze 1) in theoretische und practische, 2) in erweisliche und unerweisliche, wovon der Artickel: Satz mehrern Bericht ertheilet. Aus diesen beyden Eintheilungen entstehen die meisten Arten ihrer Sätze, welche da sind 1) Erklärung (definitio), 2) Grundsatz (axioma), zu welchen die leeren Sätze (propositiones identicae) gerechnet werden, ingleichen 3) die Erfahrungen ( experientiae); ferner sind mathematische Sätze, 4) Heische-Satz (postulatum), 5) Lehn-Satz (lemma), 6) Lehr-Satz (theorema), 7) Aufgabe (problema), 8) Zusatz (corolarium), und 9) Anmerckung (scholion). Jeder besondere Abhandlungen gehören in besondere Artickel. Hier ist genug etwas weniges von jeder Art gedachter Sätze, deren Benennungen von den Mathematick-Lehrern erfunden worden, und die unter solchen auch in ihren Schrifften angeführet werden, beyzubringen. Die Erklärungen sind zweyerley, entweder Erklärungen der Wörter, oder der Sachen: die erstern (definitiones nominales) bekümmern sich um die Eigenschafften der Dinge, als wenn in der Geometrie gesagt wird, ein Qvadrat sey eine Figur, welche vier gleiche Seien und vier gleiche Winckel hat, die Erklärungen aber der Sachen (definitiones reales oder geneticae) sind klare und deutliche Begriffe von der Art und Weise, wie eine Sache möglich sey, z. E. wenn in der Geometrie gesagt wird, ein Circul wird beschrieben, wenn eine gerade Linie sich um einen festen Punct beweget. Beyderley Erklärungen, sowol der Wörter, als der Sachen, können entweder vor sich ins besondere erwogen, oder mit andern verglichen werden. Betrachtet man dasjenige, was in den Erklärungen enthalten ist, und schliesset etwas unmittelbar daraus, so wird solches ein Grund-Satz genennet, z. E. wenn man bey Erklärung des Circuls bedencket, daß die Linie, welche sich um den Mittel-Punct herum beweget, immer einerley Länge behält, so wird man begreiffen, daß alle Linien, welche aus dem Mittel-Punct an die Peripherie gezogen werden, einander gleich sind, welche Wahrheit denn ein Grundsatz ist. Diese Grundsätze zeigen entweder, daß etwas sey, oder daß etwas könne gethan werden. Ein Grundsatz von der ersten Art ist, daß nemlich alle Linien, [2058] die aus dem Mittel-Punct an die Peripherie gezogen werden, einander gleich sind, der erst aus der Erklärung des Circuls hergeleitet worden; hingegen ein Grundsatz von der andern Art, ist, der aus der Erklärung der geraden Linie fliesset, daß nemlich von einem jeden Puncte eine gerade Linie könne gezogen werden. Im Lateinischen heissen die Mathematick-Lehrer die Grundsätze der ersten Art axiomata, und im Deutschen schlechterdinges Grundsätze; die Grundsätze der andern Art aber postulata, und in dem Deutschen Heische-Sätze, und weil sie unmittelbar aus den Erklärungen gezogen worden, so haben sie keines Beweises nöthig, sondern ihre Wahrheit erhellet, so bald man die Erklärung ansiehet, daraus sie fliessen. Mit den Grundsätzen werden unterweilen die Erfahrungen verworren. Man nennet aber eine Erfahrung dasjenige, welches man erkennet, wenn man auf seine Empfindung acht hat, z. E. ich sehe, daß, wenn ein Licht angezündet wird, alle Dinge, die um mich sind, sichtbar werden, und diese Erkenntniß wird eine Erfahrung genennet. Wenn man verschiedene Erklärungen gegen einander hält, und daraus schliesset, was durch eintzele Betrachtung zu erkennen unmöglich war, so nennet man solches einen Lehrsatz, theorema, z. E. wenn man in der Geometrie einen Triangel mit einem parallelogrammo vergleichet, welches einerley Grund-Linie, und Höhe hat, und in dieser Vergleichung theils unmittelbar aus den Erklärungen dieser beyden Flächen, theils aus andern Eigenschafften derselben, die aus ihren Erklärungen schon vorher erfunden worden, schließt, daß der Triangel nur halb so groß ist, als das parallelogrammum, so wird dieser Satz: der Triangel ist die Helffte eines parallelogrammi, welches mit ihm einerley Grund-Linie und Höhe hat, ein Lehrsatz genennet. Es ist bey jedem Lehrsatz auf zweyerley zu sehen, einmal auf den Satz, hernach auf den Beweis. Jener sagt uns, was einer Sache unter gewissen Bedingungen zukommen könne, oder nicht: dieser aber erkläret, wie unser Verstand darzu gebracht wird, daß er solches von der Sache gedencken kan. Die Aufgaben, problemata, handeln von etwas, so gethan oder gemacht werden soll, und werden in drey Theile eingetheilet, in den Satz, in die Auflösung und in den Beweis. In dem Satz geschiehet der Vortrag von dem, was gemacht werden soll; die Auflösung erzehlet alles, was man thun muß, und wie man eines nach dem andern zu verrichten hat, damit geschehe, was man verlanget. Endlich der Beweis führet aus, wenn das geschiehet, was in der Auflösung vorgeschrieben wird, so müsse man auch nothwendig erhalten, was man in dem Satz verlangte. Solchergestalt wird jede Aufgabe in einen Lehrsatz verwandelt, wenn sie bewiesen werden soll, in welchem die Auflösung die Bedingung, der Satz aber die Aussage giebet. Es heisset nemlich überhaupt wenn man alles thut, wie es die Auflösung erfordert, so geschiehet, was man thut solte, daher nicht nöthig ist von den Aufgaben besonders weitläufftig zu handeln. Zuweiln geschiehet es, daß man um besonderer Ursachen willen, einen Satz auf einen besondern Fall applicirt; oder auch aus demselben durch unmittelbare Folge einen andern Satz herleitet, dergl. Arten der Wahrheiten Zusätze, oder Corollaria genennet werden. Diese erste Art der Zusätze erfordert keinen Beweis, indem was überhaupt von allen Fällen erwiesen worden, nicht ins besondere von neuen darff dargethan werden, hingegen die andere Art der Zusätze hat einen [2059] Beweis nöthig. Denn wenn etwas aus andern Sätzen hergeleitet wird, so muß man zeigen, auf was vor Art einer aus dem andern geschlossen wird. Die Lehnsätze, lemmata, sind Lehrsätze, so aber nicht sowol als ein Theil der abzuhandelnden Materie, als vielmehr als ein Theil eines nöthigen Beweises anzusehen ist, und also nebst seinen Beweise anders woher gehohlet und entlehnet wird. Die leeren Sätze sind, da das Förder- und Hinter-Theil (subjectum & praedicatum) einerley Sache andeuten. Endlich in den Anmerckungen, Scholiis, die sowol den Erklärungen, als Grund- und Lehrsätzen, ingleichen den Aufgaben beygefüget werden, pfleget man dasjenige, was noch dunckel seyn möchte, zu erläutern, den Nutzen der vorgetragenen Lehren anzudeuten, die Historie der Erfindung beyzubringen, und was etwa sonst nützlich zu wissen vorfällt.