Wisbaden: der neue Kursaal
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Als der Schöpfer verborgene Schätze legte in der Gebirge Schooß, da hat er jene Hügelkette, welche den nördlichen Winkel ausfüllt, den der Rhein und der Main bei ihrer Vereinigung bilden, nicht unbedacht gelassen. – Nicht Gold, nicht Silber, nicht edles Gestein ist’s, auch nicht das Eisen, obschon es zwanzig tausend Hände regt, was des Taunus Reichthum begründet: – im Wasser quillt seinen Bewohnern Wohlstand und größerer vielleicht als den Bewohnern Perus in dessen Minen. Die Heilquellen des Taunus bringen jährlich über 2 Millionen Gulden aus der Fremde in’s Land und machen das kleine Herzogthum Nassau mit dichter Bevölkerung, und im Verhältniß zu ihr mit wenig Ackerbau, zu einem der wohlhabendsten Staaten Deutschlands.
Von den zahlreichen Bädern des Gebirgs ist Wisbaden das besuchteste, das berühmteste, das älteste. Die Römer schon kannten die mattiakischen Quellen, und noch sieht man die Spuren eines vom Drusus erbauten Kastells römischer Thermen und Grabmäler. Die Karolinger hatten hier eine Pfalz, von Karl dem Großen oftmals bewohnt. Städtische Rechte gab ihm Otto der Große im 11. Jahrhundert, und nach einer Urkunde aus derselben Zeit waren schon früher Siechhäuser für arme Leidende auf landesherrliche Kosten daselbst errichtet. Der Ruf der hiesigen Bäder ist folglich so alt als die deutsche Geschichte, älter als die Zeitrechnung der Christen.
Dennoch ist das außerordentliche Aufblühen des Orts, welches Jedem, der Wisbaden besucht, so sehr auffällt, eine Erscheinung der neuesten Zeit, und die uralte Stadt scheint eine Stadt von gestern zu seyn. Erst seitdem die Sitte, alljährlich in der Form einer Badekur einige Wochen, oder Monate der schönen Jahreszeit die Freuden der Natur und der Geselligkeit außer seinem Wohnorte zu genießen, allgemein geworden ist und die mittleren Stände durchdrungen hat, hat sich Wisbaden, wie so viele andere Kurplätze Deutschlands, zauberisch schnell von einem kleinen Orte zu einer der anmuthigsten Städte Deutschlands erhoben. Jetzt auch Hauptstadt des Herzogthums und der Sitz aller Oberbehörden hat es bereits 1000 Häuser und an 9000 größtentheils wohlhabende und gebildete Einwohner. Es erweitert sich mit jedem Tage, überall sieht man neue, schöne, zum Theil prachtvolle Häuser im Entstehen. Alles baut, um dem dringenden Bedürfniß der mit jedem Jahre zunehmenden Zahl der Fremden abzuhelfen. Mancher Sommer führte schon 9000 Gäste hierher; die meisten allerdings aus der Nähe, aber viele auch aus den entferntesten Ländern.
Für ein so großartiges Zusammenströmen von Hülfe und heitern Lebensgenuß suchenden Fremden ist durch eben so großartige Einrichtungen gesorgt. Jede Wohnung, zur bequemen Aufnahme von Gästen geeignet, hat ihre gemauerten, mit Marmorplatten ausgetäfelten Bäder, in welche das siedend heiße Wasser (aus den hier [98] entspringenden 14 warmen Quellen) durch Kanäle geführt wird, welche alle Straßen durchlaufen. Jeder Badegast erhält mit seiner Wohnung den Schlüssel zu einer dieser Badezellen, deren er allein sich bedienen darf; eine Annehmlichkeit, die man in wenig andern Bädern findet.
Das imposanteste und prachtvollste unter den zahlreichen, dem öffentlichen Vergnügen gewidmeten Gebäuden, die schönste Zierde Wisbadens, ist der neue Kursaal, von dem ein ganz gelungenes Bild uns zur Seite liegt. Kein Brunnenort Deutschlands besitzt ein Gebäude, das jenem zu vergleichen wäre! Es besteht aus einem 150 Fuß tiefen Hauptgebäude mit herrlichem Portikus, an das zwei mit Colonnaden geschmückte Flügel stoßen, welche in Pavillons sich endigen. Die Fronte hat eine Länge von 360 Fuß. Sämmtliche Säulen und architektonische Verzierungen, im Innern wie im Aeußern, sind von inländischem, grauem Marmor. Im Hauptgebäude, und es der Länge nach durchschneidend, befindet sich der große Saal, mit Marmor getäfelt und mit Stukkatur prachtvoll verziert. An beiden Wänden desselben laufen Gallerien hin, von vierzig Marmorsäulen, jede über 30 Fuß hoch, getragen, zwischen welchen eben so viele argantische Lampen mit Reflektoren das glänzendste Licht verbreiten. Götterbildsäulen aus Marmor stehen in Nischen unter den Gallerien. – Tausend Personen finden in diesem Raume, der nach zwei Seiten hin durch große Portalpforten in den Park (die sogenannte neue Anlage) welcher das Kurgebäude umgibt, sich öffnet, bequem Plaz, und es ist nichts Ungewöhnliches an schönen Sommertagen hier eine Wirthstafel von 600 Couverten völlig besetzt anzutreffen. Der eigentlichen Badewirthschaften sind jetzt etwa 25, jede mit 25 bis 30 Badestellen; die berühmteste ist das Hotel zu den vier Jahrszeiten.
Die nächste Umgebung Wisbadens ist anmuthig, mit stillen Gründen, blumigen Auen und geschmackvoll angelegten Gärten und Spaziergängen. Aber einen unendlichen Reichthum an großen und schönen Naturscenen hat die weiter umliegende Gegend. Wir nennen als interessanteste Parthien die Fasanerie, von einem Walde umgeben, in einem freundlichen Thale; Klarenthal, ein ehemaliges Kloster mit römischen Grabmälern in der Nähe; die malerischen Burgruinen des uralten Sonnenberg; das Adamsthal mit seiner Mustermeierei, den Geisberg und das hochgelegene Jagdschloß, die Platte, mit den reichsten Aussichten in Deutschland; Bieberich endlich, nahe am Rhein, die Residenz des Nassauer Herzogs, eine der prachtvollsten Fürstenwohnungen, und mit einer Umgebung, in der Natur, Kunst und Luxus sich die Hand boten, um ein Paradies zu erschaffen, ein Paradies – um das ich den jetzigen Besitzer nicht beneide.