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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Äußere Verhältnisse

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« Achtes Kapitel Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
Krankheit und Abnehmen »
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Äußere Verhältnisse.


 Das Folgende mag sich als ein Nachtrag an das im ersten Abschnitt von Band II, 1 Erzählte anschließen. Wie vereinsamt Löhe durch den Tod seiner Gattin geworden, wie die häuslichen Einrichtungen, die er nun treffen mußte, ein mehr oder weniger kümmerlicher Notbehelf waren, von ihm selbst „ein getröstetes Elend“ genannt – das ist dort geschildert. Was dort nicht gesagt ist, mag hier nachgeholt werden: Löhe war arm nicht nur an Erdenfreuden, sondern auch an Erdengut. Wir betonen das, weil unter ferner Stehenden die gegenteilige Meinung von seinem Wohlstand verbreitet war. Die Herkunft seiner Frau aus einem alten Frankfurter Patriciergeschlecht konnte leicht zu diesem Vorurteil verleiten, die einfache Nettigkeit und Solidität seiner häuslichen Einrichtung, die nach und nach allerdings einen etwas altertümlichen Eindruck machte, konnte es bestärken. Und doch war dem nicht so, und wir müßen, um ein richtiges Bild von Löhes Leben zu geben, doch ein Wort von der Einfachheit seiner äußeren Verhältnisse und seiner in denselben bewiesenen Bedürfnislosigkeit und Uneigennützigkeit reden.

 Von väterlicher Seite hatte Löhe etwas Vermögen geerbt. Er hat es weder verbraucht noch vererbt, sondern im Dienst des Reiches Gottes geopfert. Von dem auch nicht so ansehnlichen Vermögen| seiner Frau hatte er nur die Nutznießung bis zur Großjährigkeit seiner Kinder. Von dieser Zeit an war er auf sein Pfarreinkommen und allenfallsigen literarischen Erwerb beschränkt. Aber auch von dem, was er an Honoraren verdiente, floß manches den Anstalten und ihren Zwecken zu. Die Geringfügigkeit der Mittel, die ihm zur Bestreitung seiner Bedürfnisse und der Unterhaltung seines Hauswesens zu Gebote standen, wird es erklären, daß der Druck der Armut und die Anfechtung der Sorge auch ihm nicht ferne blieb. „Ich habe nichts Gewisses – schreibt er einmal nach einem Überschlag seiner finanziellen Lage – als die Pachtgelder des Pfarrguts, monatlich ca. 21 fl., das Holz, von dem ich etwa um 80 fl. verkaufen kann, das Getraide für 76 fl. und eine Baarbesoldung von ca. 41 fl. von Hrn. v. E. und 228 fl. Interessen von Ablösungscapitalien. Davon, sowie von den geringen Casualien und von den je und dann anfallenden Honorarien hatte er die Kosten seines Haushalts, Abgaben und Ehrenausgaben, sowie den Gehalt für seinen Vikar (Dr. W.) zu bestreiten, der allerdings, da er den größeren Teil seines Einkommens als Lehrer der Missionsanstalt von letzterer erhielt, von Löhe nur 10 fl. monatlich bezog. Die jetzt für bejahrtere Geistliche so wohlthätige Einrichtung der Alterszulagen bestand damals noch nicht. Wenn wir recht berichtet sind, so wurde Löhe diese Wohlthat nur einmal zu teil, im Jahr 1871. Er empfing die kleine Aufbesserung dankbar, aber doch mit der etwas wehmütigen Bemerkung: es werde die erste und letzte Zulage sein, die er erhalte. So war es auch. Bedenkt man, daß auch an Löhes Gastfreundschaft, namentlich in früherer Zeit, zuweilen starke Ansprüche gemacht wurden, so wird man sich nicht wundern, daß bei ihm keine Schätze dieser Erde sich ansammeln konnten. Aber auch darüber nicht, daß er, der in finanziellen Sorgen und Nöten des Diakonissenhauses die glaubensmutige Parole ausgegeben hatte: „Jede Verlegenheit ist eine Blüte,“| der der Sorge jedes Recht im Christenleben absprach, doch auch seine Stunden hatte, da er im Gebet mit Gott ringen mußte, um ihrer Anfechtung Herr zu werden, und zwar um so mehr, als gleichzeitig auch die Verantwortlichkeit für den finanziellen Stand der Diakonissenanstalt allein auf seinen Schultern lag. Man kann es begreifen, wenn er am Ende seines Lebens sagte: wenn er zurückdenke und sich die Frage vorlege, ob er es noch einmal wagen möchte, all das Geld aufzubringen, das er früherhin für die amerikanische Mission und späterhin für das Diakonissenhaus aufgebracht habe, so schaudere er vor einem „Ja“ zurück. Es ist ja keine Preisgebung der Geheimnisse eines Tagebuches, wenn wir hier ein Gebet mitteilen, das in einer solchen Stunde schweren Drucks der Sorge in dasselbe (im Jahr 1860) geflossen ist. „O HErr, mein Gott, ich bitte dich um ein reines und aufrichtiges Herz, daß ich nichts anderes suche noch begehre, als Deinen allein heiligen Willen. Laß mich in Deiner Hand sein ein Werkzeug des Segens und Deiner Ehre. Führe mich also, daß sich mein Herz nicht erhebe. Halte mich klein und niedrig, auch wenn Dein Werk durch meine zitternde, schwache Hand gelingt. Laß mich lieber sterben und das Gute Jerusalems nicht sehen, als daß Du mich in Hochmut fallen und verderben ließest. Meine Seele sei Dein unter allen Umständen. Das ist aus meiner Seele das tiefste Verlangen.
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 O HErr, Du weißt meine Sorge und größte Last, nämlich daß ich nicht blos ein kleines Maß von zeitlichem Gute habe, sondern dabei die Last der Schulden, die für mich[1] und Deine Stiftungen zu zahlen sind. Geistliches treiben, während diese Lasten drücken, ist schwer, das weißest Du. O leichtere Last und Sorge! Mindere oder nimm die Ursach meiner Sorge und gib mir statt der Sorge ein ahnendes, gläubiges Herz, das in Dir erfreut sei.| O HErr, gedenke mein in meiner schweren Zeit und laß nicht meine Kraft verzehrt werden durch den Druck der zeitlichen Dinge. Um Jesu willen. Amen.“
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 Eine neue und schwere Last dieser Art legte sich auf Löhes Schultern, als sein ältester Sohn mit seiner Zustimmung und auf sein eifriges Betreiben das ehemalige Rittergut Polsingen käuflich erwarb. Löhe hatte an diesem Kauf ein besondres Interesse: er wünschte, wie wir wissen, in dem unbenutzt dort stehenden herrschaftlichen Schloß eine Filiale der Dettelsauer Blödenanstalt zu errichten, die längst Bedürfnis war. Zugleich hoffte er auch Segen für das zeitliche Fortkommen seines Sohnes, wenn derselbe mit dem erworbenen Besitz irgendwie in Verbindung mit den Zwecken des Reiches Gottes käme. So redete er ihm zu dem teuren Kaufe zu und riet ihm, um nicht allein mit einer allzuschweren Last des Lebens sich schleppen zu müßen, „den HErrn Jesum als Vorspann zu nehmen.“ Luther macht in seiner Auslegung der Genesis bei der Geschichte Abrahams die Bemerkung, wie es das Loos der Väter sei, die Prüfungen und Glaubenskämpfe heranwachsender Söhne, gleichsam in Wiederholung des eignen Lebensganges, mit ihnen durchkämpfen zu müßen. Dies war hier reichlich der Fall. Fast gleichzeitig gründete der zweite Sohn seinen Hausstand und ein buchhändlerisches Geschäft, während die Tochter eben damals Jahre lang an schwerer Krankheit litt: eine Ansammlung von Schwierigkeiten, die neben allem Schweren des täglichen Berufs alle Anspannung der Kraft des Glaubens zu ihrer Überwindung forderten und ihm manchen Seufzer entlockten, wenn er in der Stille der Nacht seinen Tageslauf aufzeichnete. „O ich armer Mensch – sagt er da einmal – wie schwer komme ich zur glücklichen Armut, die wenig hat und wenig bedarf. Immer dachte ich, es soll einmal ein Ende nehmen mit den Geldgeschichten und schweren Dingen, und mein bischen Leben solle in friedlicher, vergnüglicher Armut vergehen. Aber nein, immer schwerer wird| meine Last, immer schwieriger all mein persönliches, familiäres, anstaltliches und pfarrliches Leben. O schwere, schwere Not des Lebens! – Gott kann helfen.“ – In einem der letzten Jahre seines Lebens, in der Zeit schon überhandnehmender Schwachheit war es ihm, dessen Ruhm zeitlebens die größte Pünktlichkeit der Geschäftsführung gewesen war, begegnet, daß er wegen eines Versehens in einer Rechnung in Strafe genommen wurde. Es berührt nach zwanzig Jahren noch wehmütig, in seinem Tagebuch den Eintrag zu lesen: „Herr Bezirksamtmann strafte mich heute um 14 fl. 36 kr., die ich gleich an N. in N. übersandte. Es wurmte mich armen Mann gehörig, aber ich konnte nichts machen. Darauf bat ein armer Mann aus Nürnberg mich um 3 Gulden. Ich gab ihm 3 fl. 10 kr. (2 bayerische und 1 österreichischen Gulden), weil ich gerade keine 3 Gulden hatte. So komme ich um mein armes Geld und kann nichts machen. Gott helfe mir aus meinem Elend.“
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 Die Ärmlichkeit seiner Umstände war für Löhe nicht deshalb drückend, weil sie ihm Beschränkungen und Entbehrungen auferlegte. Er liebte im Gegenteil, wie wir gesehen haben, die Armut, „die wenig hat und wenig bedarf“, und ging in der Bedürfnislosigkeit, die er andern empfahl, selbst als Muster voran. Seine Kleidung, seine Lebensweise war von höchster Einfachheit, und noch als alter Mann war er bestrebt, sich abzugewöhnen, was ihm als überflüssiges Bedürfnis erschien: so z. B. eine Tasse warmen Getränkes zum Frühstück und am Nachmittag. Letztere ascetische Übung mußte er allerdings auf erhobenen Protest der Seinigen hin wieder einstellen. Das Glas Wein, das er am Tage trank, war für ihn mehr Arzenei als Genußmittel. Auch im Essen war er sehr mäßig, in Speisen nicht wählerisch, der biblischen Regel Luc. 10, 8 gehorsam. Nur gegen Bier und Käse hatte er eine unüberwindliche Abneigung, und für ein Fabrikat, das dem „Glöckchen“ in Nürnberg zu einer gewissen europäischen Berühmtheit verholfen hat,| hatte er eine eingestandene Vorliebe, die ihn in früheren Jahren bei Anwesenheiten in Nürnberg öfter in den Bannkreis jenes Lokales zog. Ein zu Scherz aufgelegter Freund hatte ihm deshalb einmal zum Geburtstag folgendes Gelegenheitsgedicht gemacht und ihm damit eine Erheiterung bereitet:

„Das wäre ein schönes Weingelände,
Wo man die Reben mit Würsten bände.“

 So sagt Goethe...

„Drum wünsche ich Ihnen zu Ihrer Ruh
Den schönsten Weinstock und Würste dazu.“

Delikatessen blieben ihm fremd. Er verzeichnet es als Merkwürdigkeit in seinem Tagebuche, als er kurze Zeit vor seinem Tode eine Ananas geschenkt erhielt, mit der Bemerkung: „Zum ersten Mal in meinem Leben eine solche Frucht gegessen.“

 Dieser Einfachheit und Bedürfnislosigkeit kam seine wahrhaft paulinische Uneigennützigkeit gleich. Ein auswärtiger Rektor eines Diakonissenhauses sagte zu dem Schreiber dieses einmal: „Es ist wahr, wir Diakonissenpastoren genießen am ersten der Früchte des Ackers, den wir bebauen.“ Er meinte dies im Sinn von 1 Cor. 9, 7 und 2 Tim. 2, 6. Dem war bei Löhe nicht so: er nahm von dem Diakonissenhaus für all die große Arbeit, die er an demselben that, keinen Gehalt, auch nicht in der indirekten Form von Geschenken. Die Mittags- und Abendkost, die er sich von der Küche der Diakonissenanstalt nach Hause bringen ließ, bezahlte er um den damals üblichen Preis. Seinem ersten Gehilfen an der Anstalt, Lotze, reichte er, weil derselbe ihm auch persönliche Dienste als Vicar in der Dorfgemeinde leistete, einen Teil seines Gehalts, um die Diakonissenanstalt um den gleichen Betrag zu entlasten. Hat der Apostel Paulus 1 Cor. 9 es als seinen fast möchte man sagen „eifersüchtig“ gehüteten – Ruhm bezeichnet, daß er das Evangelium „kostenlos“ und sich selbst den Gemeinden so| wenig als möglich beschwerlich mache, so hat wol auch der Biograph ein Recht, die von Löhe geübte, großartige Uneigennützigkeit unter seinen Ehrentiteln aufzuzählen. Daß auch sein älterlicherseits geerbtes Vermögen und manches Honorar der Diakonissensache und Zwecken des Reiches Gottes geopfert wurde, ist schon früher angedeutet; Opfer, die um so schwerer wogen als er, wie aus den vorstehenden Mitteilungen ersichtlich, sie ja nicht aus seinem Überfluß oder Reichtum brachte, sondern mit mehr Recht als David 1 Chron. 23, 14 sagen konnte: er habe alles, was er gegeben, „in seiner Armut verschafft zum Hause Gottes.“ Daß er auch in früheren Zeiten, als Dettelsau noch nicht ein einziges anständiges Gasthaus besaß, weitgehende Gastfreundschaft übte, und namentlich in Festzeiten sein Haus von Gästen gefüllt war, ist gelegentlich auch schon erwähnt worden. Er selbst nahm die Gastfreundschaft andrer nur sehr mäßig in Anspruch, wie es überhaupt seine Art nicht war, die „zumutende Liebe“ zu üben.

 Noch folgendes Beispiel seiner Uneigennützigkeit verdient Mitteilung. Auf Wunsch der Gemeindeglieder und Antrag Löhes war durch Dekret vom 1. Januar 1848 das Filialdorf Reuth, das in Neuendettelsau zwar eingeschult, aber in dem eine Stunde entfernten W. eingepfarrt war, der Pfarrei Neuendettelsau imparochiert worden unter der Bedingung, daß der damalige Pfründeinhaber von W. sämmtliche Einkünfte des Filials genieße, so lange er auf der Pfarrei W. bleiben würde. Am Tag, da er das Rescript erhielt, schrieb Löhe an seine Tochter: „Diese Arbeit bringe ich dem Herrn Jesus als ein geringes Opfer meines Dankes dar, darum daß Er mich und Deine selige Mutter und Euch mit seinem Blute erkauft und zu seinem ewigen Eigentum erkoren hat.“

 Das Opfer wurde von dem HErrn auch angenommen und zwar für die ganze Dauer des Lebens Löhes. Wenigstens war es ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß der Pfarrer von W. gerade| einen Tag vor Löhes Tod emeritiert wurde. Dies geschah am 1. Januar 1872. Am 2. Januar starb Löhe. 24 Jahre hat er die mitunter beschwerliche Arbeit in Reuth ohne irgend welches Entgelt gethan, und zwar ohne Murren, ohne ein Wort des Bedauerns darüber, daß er sich damit ein opus supererogationis aufgebürdet habe – ganz als verstünde es sich von selbst. Das Seine hat er nie gesucht.





  1. Er hatte sie nicht für sich gemacht.


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