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Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Löhe als Seelsorger an Kranken- und Sterbebetten

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« Löhe als Beichtvater Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Löhes charismatische Begabung »
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Löhe als Seelsorger an Kranken- und Sterbebetten.
 Eine besondere Gabe war Löhe verliehen, als Seelsorger an Krankenbetten zu dienen. Mit seltener Weisheit wußte er, unterstützt durch die eingehendste Personalkenntnis, in seinem seelsorgerlichen Zuspruch den Ernst der Bußpredigt mit dem Trost des Evangeliums zu vereinigen. So wenig er von der Krankenseelsorge und ihrem Werte und Erfolg die übertriebene Vorstellung hegte, zu der besonders Anfänger im geistlichen Amt geneigt sind, so treu und unermüdlich war er doch auch in der Erfüllung der Pflichten, welche ihm dieser Theil seines Amtes auferlegte. Zu jeder Stunde bei Tag und bei Nacht war er dem Ruf an Krankenbetten zu folgen bereit. Seine Pfarrkinder waren gewöhnt, selbst in ernsteren Krankheitsfällen, eher ihn als den Arzt an die Krankenbetten der Ihrigen zu rufen. „Der Landmann hat, ich möchte sagen von Natur, ein größeres Zutrauen zu dem ewigen Helfer als zu dem irdischen Arzt“ – pflegte Löhe zu sagen. In seiner Gemeinde wenigstens stand es so. Wie Löhe selbst auf Grund von Jac. 5 der Ueberzeugung war, daß dem Gebet der Aeltesten an Krankenbetten eine besondere Verheißung gegeben sei, so hielt auch die Gemeinde das Amtsgebet in Ehren und begehrte es fleißig. Die göttliche Antwort kam oft in raschen und augenscheinlichen Erhörungen. Wie viele Kranke, jung und alt, hat Löhe gesund gebetet, wie manchesmal überkam auch Aerzte, die dem Christentum ferne standen, wenn sie von ihnen aufgegebene Kranke auf Löhe’s Gebet rasch und vollständig genesen sahen, eine Ahnung, daß hier Gottes Finger wirksam sei. Die meisten Fälle dieser Art sind nicht weiter bekannt geworden, da Löhe solche Gnadenerfahrungen gerne in stiller Verborgenheit beließ. Wer seine charismatische Begabung nicht kannte, der wunderte sich wol| allenfalls über die Bestimmtheit, mit welcher Löhe in manchen Fällen die Genesung voraussagte und erwarten hieß, ohne den Grund seiner Zuversicht zu nennen. Aus gelegentlichen Äußerungen Löhe’s geht hervor, daß er in solchen Fällen eine Art weissagenden Vorgefühls der Erhörung hatte, welches ihn nur sehr selten einmal täuschte, während er – wie er sich ausdrückte – im entgegengesetzten Fall nur ein tiefes Schweigen in seiner Seele fand. Immer aber flößte sein Gebet voll Kraft und gewaltigen Ernstes den Kranken Ruhe, Gottvertrauen und Mut ein. Sein Zuspruch war nicht wortreich und weitschweifig, nicht vag und allgemein, sondern unter Berücksichtigung der Individualität und der sonstigen persönlichen Verhältnisse des Kranken der Situation angemessen und zum Ziele dringend. Bei chronisch Leidenden, bei welchen öftere, dann aber kürzere Besuche möglich waren, begnügte er sich oft eine Art geistlicher Tagesparole zu geben. Anfängern in der Seelsorge, die leicht in den Fehler verfallen, die Kranken, ohne Rücksicht auf ihre schmerzhaften Zustände, mit Ermahnungen zu überschütten oder ihnen förmliche Predigten zu halten, oft auch unverständig genug ihnen die Aeußerungen ihres Schmerzes verweisen, erzählte er gerne die Geschichte von dem Krankenbesuch, den einst ein Churfürst von Sachsen bei Kaiser Karl V. abstattete. Der Churfürst wollte dem bekanntlich von der Gicht hart geplagten Kaiser Trost zusprechen; der eben von einem schmerzhaften Anfall seines Leidens heimgesuchte Kaiser unterbrach jedoch den weitschweifig werdenden Trostprediger mit den Worten: „Mir hilft am Besten viel Geduld und etwas Krächzen.“
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 Medicinische Kenntnisse hielt Löhe für den Geistlichen und seinen Dienst an Krankenbetten nicht für notwendig, dagegen forderte er Kenntnis der psychischen Einwirkungen der Krankheiten auf den Menschen. Jede Krankheit – sagte er – stelle| dem Menschen eigentümliche Hindernisse auf dem Wege zum ewigen Leben entgegen, Stumpfheit sei z. B. die Gefahr der Wassersüchtigen, übermäßige Anhängigkeit an das Leben die Versuchung der Schwindsüchtigen etc. Da gelte es, die psychischen und moralischen Einwirkungen der Krankheiten ins Auge fassen und durch die Wunderwirkung des göttlichen Worts die Verstimmungen der Seele des Kranken und die ihr drohenden Versuchungen und Sünden überwinden.

 Dem Schreiber dieses ist aus der Zeit, in welcher er als Vicar an Löhe’s Seite stand, ein Fall in Erinnerung, der ihm in dieser Hinsicht besonders lehrreich erschien und als ein Beispiel von Löhe’s seelsorgerlicher Kunst, bei Behandlung der Kranken auf die Natur der Krankheit und des Kranken einzugehen, hier kurz mitgetheilt werden mag. Der Fall war allerdings wie wenige geeignet, dem Seelsorger Gelegenheit zur Veranstaltung einer eigentlichen Seelencur zu geben.

 Eine Diaconissin, bereits gereift an Alter und am inwendigen Menschen, wurde von der Hand des HErrn ergriffen und auf das Krankenbette niedergelegt. Als sie das Krankenzimmer, das man ihr im Magdalenium anwies, bezogen hatte, ließ sie den Pfarrer kommen und sagte fröhlich zu ihm: „So, nun will ich ganz ein Werk des Amtes werden.“ Eph. 4, 11 ff.[1] Zugleich bat sie den Pfarrer um öfteren Besuch und eingehendere Führung und Behandlung ihrer Seele. Ueber ein halbes Jahr| von dem kenntlichen Hervortreten des Leidens an währte es, bis die Krankheit, ein Leiden der Unterleibsorgane verbunden mit Wassersucht, ihr Werk der Auflösung an dem siechen Leibe vollendet hatte. Die Beobachtung dieser Krankheit in ihrem Einfluß auf die Seele und deren Stimmungen war für Löhe selber eine Art Studium und bald auch ein Thema seiner seelsorgerlichen Gespräche mit der Kranken. Neunundzwanzig Mal wurde sie während der Dauer der Krankheit operiert. War die gewöhnliche Operation vorüber, so war die Kranke heiter, lebenskräftig, ja anscheinend gesund, so daß sie lange Briefe schrieb, Gedichte machte etc. Wenn dann das Wasser sich wieder sammelte und die Qual sich mehrte, legte sich der Druck des Leidens schwer und abstumpfend auch auf die Seele, bis der Arzt ihr wieder Erleichterung bringen mußte. Dann schrieb und sang und dichtete und freute sie sich wieder über Alles, und dieser Turnus kehrte, wenn auch je länger in desto kürzeren Fristen, immer wieder. An der Regelmäßigkeit dieses Verlaufes, der bei gleichen leiblichen Erscheinungen auch immer dieselben seelischen Erfahrungen brachte, zeigte nun Löhe der Kranken den Zusammenhang Leibes und der Seele und belehrte sie darüber, wie unwesentlich, weil ganz und gar nur in leiblichen Zuständen wurzelnd, Schwankungen des psychischen Befindens für die im Glauben an die Gnade Gottes in Christo zur Ruhe gekommenen Seele seien. Ja er lehrte sie anknüpfend an den lediglich durch körperliche Zustände bedingten Wechsel von Leid und Freud in ihrem Krankenleben den Tod selbst für nichts Anderes ansehen, als für die letzte Einwirkung des Leibes auf die Seele, die nach wenig Augenblicken weichen und dann jener unaussprechlichen und verklärten Freude Raum schaffen werde, die keinem Wechsel mehr unterworfen ist. Noch erinnere ich mich, wie Löhe des Eindrucks voll, den er an diesem Sterbelager empfangen,| einmal eine Betrachtung über Joh. 16, 16–22 hielt, in welcher er die Auffassung des Todes als einer vorübergehenden Veränderung, gleichsam als des letzten Drucks des kranken Leibes auf die gesunde Seele, als ein Licht bezeichnete, das ihm so hell wie nie zuvor an diesem Sterbebette aufgegangen sei, und mit welchem er noch manchem müden Pilgrim die Todesreise versüßen und zur ewigen Heimat leuchten wolle. Mag dies eine Beispiel statt vieler, die man anführen könnte, unsern Lesern einen, wenn auch dürftigen Eindruck von Löhe’s Gabe und Treue im Dienst an Krankenbetten geben.
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 In den kräftigeren Jahren Löhe’s war es wol eine Seltenheit, daß eines seiner Pfarrkinder starb, ohne daß er ihm im letzten Kampf mit Zuspruch aus Gottes Wort beigestanden und es zum Sterben eingesegnet[2] hätte. Kranke seines Pfarrdorfes besuchte er in jener Zeit wol dreimal und öfter des Tags. Wenn der letzte Kampf einzutreten schien, weilte er oft Stunden lang, gleichviel ob bei Tag oder Nacht, an Sterbelagern seiner Gemeindeglieder. Natürlich beschäftigte er sich während eines solchen längeren Aufenthalts in Krankenzimmern nicht ausschließlich mit dem Kranken, gönnte demselben vielmehr längere oder kürzere Ruhepausen und benützte die Zwischenzeit zu seelsorgerlichen Gesprächen mit den Anwesenden. In der Neuendettelsauer Gemeinde, besonders auf den eingepfarrten Dörfern, bestand die schöne Sitte, daß, wenn der Pfarrer zum Krankenbesuch oder zur Krankencommunion in ein Haus trat, die ganze Nachbarschaft, oft das halbe Dorf im Hause des Kranken sich versammelte. Es zeigt sich in solchen Fällen, daß dem Landmann bei aller äußeren Stumpfheit doch ein teilnehmendes Herz in der Brust schlägt. Löhe sah solche Theilnahme| gerne: boten sich ihm ja dadurch ungesuchte Gelegenheiten herzlichsten seelsorgerlichen Annahens an seine Pfarrkinder. In Haag war es einmal, daß bei einem Besuch Löhe’s die ganze Krankenstube sich von Müttern füllte, die, ihre Kinder an der Hand oder auf dem Arme, der Communion des Kranken beiwohnten. Nachdem Löhe seinen Dienst am Krankenbette verrichtet hatte, trat er in den Kreis der Mütter und Kinder und sagte: im Evangelium hätten die Mütter ihre Kinder dem HErrn dargebracht mit der Bitte sie zu segnen, so wolle er nun auch als Christi Diener in seines HErrn Namen ihren Kindern die segnenden Hände auflegen. Und so that er denn auch zur Freude der Mütter und zur Erquickung seiner eignen Seele. Bei solchen Umständen wird es begreiflich, wenn Löhe bekannte, daß er seine seligsten Stunden an Sterbebetten seiner Pfarrkinder verlebt habe. Hier, wo die Theilnahme an fremder Not und der Gedanke an die eigne Todesnot manches Zuhörers Herz erweicht hatte, fand das Wort oft besseren Eingang als von der Kanzel herab. Ich erinnere mich eines Falls, wo ein frecher Spötter am Schmerzenslager seines früheren Zechgenossen, eines jetzt todesnahen aber reuigen Sünders, stand und von Löhe’s Gebet und priesterlichem Walten so ergriffen wurde, daß er ihm tiefbewegt die Hand reichte und sagte: „Herr Pfarrer, ich will mich jetzt auch bessern, ich komm bald zu Ihnen.“ Bei diesem blieb es freilich eine bloße Anwandlung einer Felixbuße, aber wie manch Andrer ist doch von solchen Sterbebetten, wo Löhe seines Amtes mit der ihm eignen Kraft und Freudigkeit gewartet hatte, brustschlagend und nachdenklich heimgegangen. Und wie manchesmal durfte Löhe an den Krankenden und Sterbenden selber die Erfahrung machen, daß er seine Säemannsarbeit in Predigt und Unterricht doch nicht umsonst gethan und daß alles Dorngestrüpp der Sünde den edlen Samen nicht zu ersticken vermocht hatte. Die Dettelsauer| Landbevölkerung unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Sitten und Lebensführung nicht viel von den umliegenden Nachbargemeinden, da wie dort sind die Aergernisse zahlreicher als die Beispiele des Guten, im Allgemeinen herrscht hier wie dort „der eitle Wandel nach väterlicher Weise“; aber wer die Dettelsauer nur nach ihrem Leben und den in ihrem Leben oftmals offenbar werdenden Sündenfrüchten, sowie nach den Collisionen, in welche sie mit dem Zucht- und Strafamt des Seelsorgers geraten, beurteilen wollte, würde doch kein gerechtes Urteil fällen. Nicht blos daß sie fast durchgängig eine sichere Erkenntnis von dem Einen haben was not ist im Leben und Sterben: auch diejenigen, bei welchen diese Erkenntnis nicht viel Frucht im Leben trug, beweisen doch sehr häufig im Sterben die Kraft des Glaubens, der da „Sündenberge ins Meer zu glauben“ und durch die gerechte Verdammnis des eigenen Herzens zur Gewißheit der Vergebung der Sünden und zur Ruhe in Jesu Wunden hindurchzudringen vermag. Gestützt auf solche sich reichlich wiederholende Erfahrungen pflegte Löhe zu sagen: „Die Dettelsauer wissen, wenn auch nicht wol zu leben, so doch wol zu sterben“. Was er damit sagen wollte, hat er einmal in einem „Der Tod zu Dettelsau“ überschriebenen, für den Diakonissenkalender von 1866 verfaßten Aufsatz weiter ausgeführt, aus dem es uns gestattet sei Einiges mitzutheilen. Löhe erzählt hier, wie er auf den zwischen seiner Gemeinde und derjenigen zu Hermannsburg öfters zu Ungunsten der ersteren angestellten Vergleich zu erwidern pflege: „Laß gehen, die Leute können doch gut sterben. Damit meine er auch etwas gesagt und die Gemeinde und ihren Gott gepriesen zu haben. Denn wenn der Apostel sage: ,Leben wir, so leben wir dem HErrn, sterben wir, so sterben wir dem HErrn, darum wir leben oder sterben, so sind wir des HErrn‘, so sehe Jeder leicht, daß dieser Spruch einer Treppe von drei Stufen gleiche. Wer die| erste und zweite zurückgelegt habe, der stehe auf der dritten und höchsten, die mit den Worten bezeichnet sei: Wir sind des HErrn. „Wenn man nun – fährt Löhe fort – von den Dettelsauern nicht rühmen kann, daß sie dem HErrn leben, sondern nur, daß sie Ihm sterben und in Folge dessen Sein sind, so ist das freilich kein regelmäßiger und ordentlicher Gang und Stand, und das soll auch nicht gesagt werden; es ist ein Ausnahmszustand, der seine großen Gefahren und Bedenken hat, der nur durch eine ganz besondere Barmherzigkeit des HErrn gelingen kann – und das eben ist es, was der Pfarrer meint.“ Auf die Entgegnung, daß sonach die Bauern von Dettelsau ein Haufe von Schächern zu sein schienen, erwidert Löhe: „Vielleicht weigern sich am Ende die Gemeindeglieder des Vergleiches nicht. Neulich führte einer unter ihnen den Pfarrer in seliger Mitternacht zu einem andern, der gerade an der Stelle des Schächers sterbend hieng und betete, und der sagte: Wir taugen alle nicht viel, das wissen Sie selber am besten, aber was ist das doch herrlich, daß nun wieder einer von uns so selig und fröhlich aus der Zeit geht. Der sagte also dasselbige, was der Einwand, welcher oben gemacht wurde; den Pfarrer aber bewegte bei der Rede seines Führers doch der Gedanke, daß auch das Leben seiner Pfarrkinder nicht mit dem Namen des Schächers bezeichnet werden dürfe, sondern daß schon vielfach Gutes vorhanden sei, die Saat des göttlichen Wortes, die eben mühselig durch’s Dorngestrüpp des Lebens sich aufwärts ranke und durch die gütigen Kräfte des göttlichen Worts und der zukünftigen Welt, die ohne Unterlaß niederregnen, genährt und erhalten werde und endlich sich bis zu einer gesegneten Sterbestunde hindurchranke. Es geht von der Unreinigkeit zur Reinigkeit, von der Unlauterkeit und Falschheit zur Lauterkeit und Aufrichtigkeit, von der Schwachheit zur Stärke, durch Staub und Schmutz zu immer neuer innerer| Erfahrung und endlich zu einem unverhofften Genuß des Verdienstes Jesu und zu Siegen, die nicht den elenden und müden Leuten, sondern dem Herzog ihrer Seligkeit allein gehören. Da heißt es auch: Amen, uns ewig währe die Freude, Gott die Ehre. Daß es nun so ist, das ist das Besondere von Dettelsau und der herrlichste Ruhm für den, der es nicht verschmäht, das elende miserable Nest, dies Dettelsau, so überschwänglich heimzusuchen. Es ist nichts, auch mit der Gegend, meinetwegen! Wir haben schlechten Boden und geringes Wachstum; aber die Erde ist daselbst des HErrn und was drinnen liegt. Da drinnen liegen freilich keine alten Helden mit Schwert und Spieß, wie in den Hünengräbern, aber wie oft ruft doch der Liturg bei Leichen über die Gräber hin: Selig sind die Todten, die in dem HErrn sterben! Und wie hoffnungsreich redet er oft vom Tage der Auferstehung und der Garben, wo man mit Erntejubel diese auferstandenen Schächer in die ewigen Scheunen und zu ihrem großen, seligen Frieden sammeln wird... Auf Kalendergeschichten verstehen wir uns freilich nicht, aber mit Kampfes- und Siegesgeschichten, in denen unser HErr gekämpft und gesiegt hat, könnten wir dienen und zeigen, warum wir uns wenigstens einbilden, daß der Tod zu Dettelsau vom HErrn schon oftmals ganz besonders gesegnet und wie ein Erweis und eine Blüte des schönsten Lebens hingestellt wurde. Ist’s um und um nichts mit allem Dettelsau, so bleibt uns doch das und wir wollen es dem HErrn in ewige Zeiten verdanken.“
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 Diese εὐθανασία war die Frucht der treuen Unterweisung in den Grundlehren des Heils, die Löhe seinen Pfarrkindern angedeihen ließ. Man hat ihm oft den Vorwurf gemacht, daß er die Lehre von der Rechtfertigung in seinen Predigten zu sehr zurücktreten lasse – es ist dieser Vorwurf nicht einmal in Anbetracht seiner Predigten begründet; die Sterbebetten seiner| Pfarrkinder aber widerlegen ihn jedenfalls völlig. Wo es galt, Angefochtene, Kranke und Sterbende mit Trost aus Gottes Wort zu bedienen, da war diese Lehre bei ihm Königin. Er predigte sie auch den Lebenden und Gesunden als den einzigen Grund ihrer Ruhe und ihres Friedens, so oft sich ihm dazu Veranlassung und Gelegenheit bot. Ich erinnere mich, um ein Beispiel von vielen anzuführen, einer Leichenpredigt, die gerade auf den Nachmittag eines Reformationsfestes fiel, in welcher er auf Grund von Römer 4, 1 ff. die Frage beantwortete, was von dem landläufigen Sprüchwort zu halten sei: Lutherisch ist gut leben und katholisch ist gut sterben. Er stellte diesem Sprüchwort, dessen Wahrheit er bestritt, die Behauptung entgegen, daß der lutherische Christ, der im Glauben an die Gnade der Rechtfertigung stehe, ebenso selig im Leben wie im Sterben sei; im Leben, weil er, erlöst von dem Wahn der Verdienstlichkeit der guten Werke und seines durch Christum erworbenen Heiles gewiß, ohne Angst und Aufregung ruhig und kräftig seiner Heiligung nachjagen könne; im Sterben, weil die Mängel seiner Heiligung und die Unvollkommenheit seiner Werke ihn nicht zu ängstigen, kein Truggebilde eines Fegfeuers ihn zu schrecken vermöge etc.
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 Wer solchen Todestrost empfieng und gläubig ergreifen konnte, der mochte wol leicht und ruhig sterben. Und die Sterbenden dahin zu fördern, daß sie getrost, ja fröhlich dem Tode entgegengiengen, dieser Triumph aller Krankenseelsorge, ward Löhe oft verliehen. „Wer fröhlich sterben kann – sagte er einmal in einer Leichenpredigt, der kann viel; wer’s lehrt, der lehrt das Beste. Das ist herrliche Probe gelungener Amtsführung eines Seelsorgers, wenn es heißt: Bei dem stirbt man gerne.“ Bei ihm war es so. Unter seinem Zuspruch, seinen Gebeten und Segnungen wuchs den Sterbenden der Todesmut und die Todesfreudigkeit. Wer ihn je an Sterbebetten seines Amtes hat warten| sehen, wird dies begreifen. Die sieghafte Glaubensfreudigkeit, die ihn beseelte und die in seine Gebete und Tröstungen überströmte, hatte namentlich, wenn er selbst durch irgend welchen Umstand besonders ergriffen und gehoben war, etwas Hinreißendes und lieh gar mancher zagenden, ringenden Seele Flügel, um über alles Erdenweh und alle Todesnot sich emporzuschwingen und sterbend Himmelfahrt zu halten. Ein einziges Wort von ihm, im Glauben gesprochen, riß Sterbende oft aus Angst und Furcht des Todes. „Fürchte Dich nicht, ’s ist ja nichts als das bischen Tod“ rief er einmal einer zagenden Seele im Sterben zu. „Der HErr ist nahe“, mit diesen Worten begrüßte er ein andermal eine sterbende Jüngerin, als er gerufen ward, im letzten Stündlein ihr Beistand zu leisten. „Der HErr ist nahe“ wiederholte sie. „Der Bräutigam kommt“ fuhr er fort; wohlauf Ihm entgegen! etc. – Nahten dann die letzten Augenblicke, deren Eintreten sein erfahrenes Auge meist mit großer Sicherheit wahrnahm, dann stimmte er jene majestätischen Sterbegebete der alten Kirche an, das: Dreimal Heilig, das: Gelobt sei, der da kommt im Namen des HErrn etc. Ein Dankgebet für die Vollendung der erlösten Seele, eine Bitte um selige Nachfahrt beschloß solche ernste Feierstunden an Sterbebetten. Natürlich gab es auch oft Sterbebetten, an welchen keine Glorie der Welt und Tod überwindenden Kraft des Glaubens zu sehen war, an welchen der Seelsorger mühseligen und hoffnungsarmen Dienst zu verrichten Hatte. Aber an wie viel andern wurde dagegen das Wort vom „Siech- und Siegbette“ volle greifbare Wahrheit. Wem es vergönnt gewesen wäre, Löhe in den Jahren seiner Kraft an die Sterbebetten seiner Pfarrkinder zu begleiten, der würde außer dem Gewinn für die eigene Seele auch einen Gewinn für seine Amtsführung davongetragen haben, welcher eine ganze Vorlesung über Pastorale aufwiegen dürfte.
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|  In der Voraussetzung, daß einige weitere Beiträge zur Characterisierung Löhe’s als Krankenseelsorgers unsern Lesern nicht unwillkommen sein werden, lassen wir noch einige Briefe Löhe’s an seine Schwiegermutter folgen, in welchen er derselben von seinen Erlebnissen an Kranken- und Sterbebetten berichtet.
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 Am 11. April 1839 schreibt er ihr: „In den letzten Tagen wurde ich häufig, namentlich heute, zu Krankenbetten gerufen, aber es waren fast lauter plötzliche Krankheitsfälle, welche nur einen oder zwei Besuche erforderten, dann half der Arzt, zu dem der Landmann, – fast möchte ich sagen von Natur – mehr Vertrauen hat als zu einem menschlichen Arzte. Heute am frühen Morgen wurde ich zu der jungen Sch. in Wernsbach gerufen. Ehe ich herkam, beim ersten Gerücht, daß ich Pfarrer werden würde, wollte sie sich gar nicht zufrieden geben; seit einiger Zeit aber besucht sie die Gottesdienste sehr eifrig und dankte bei der letzten Beichtanmeldung in der Sacristei Gott unter Thränen, daß sie Gottes Wort hören dürfe. Die hat Gott heute angegriffen wie ein Gewappneter: ich hörte sie schon vor dem Hause schreien in ihrem Jammer. Innen war’s herzzerreißend, die schreienden Kinder, der alte Schwäher und der Mann, welche die Hände heulend über dem Kopf zusammenschlugen – dazu die Weiber von halb Wernsbach, die beteten und weinten. Bald wär’s mir begegnet, daß ich mitgeheult und vergessen hätte, daß ich ein Amt hatte, Thränen zu stillen. „Ach, Herr Pfarrer, Herr Pfarrer, schrie das arme, vom Schmerz in ihren Eingeweiden gepeinigte Weib, geh’n Sie unter den freien Himmel und beten Sie ein Vaterunser für mich, daß mich Gott heimnehme etc. Ich that meinen Dienst und gieng heim an’s Bette des kranken A. Zu ihm war ich gestern Abends geholt worden. Diesen Morgen war er voll Freuden und lobte Gott und den Glauben. Nach Tisch gieng ich mit Helenen wieder nach Wernsbach zum Gottesdienst.| Die Sch. war nun auch voll Freuden. Ueberhaupt ist zu merken, daß das Geld, an das Kirchlein zu Wernsbach gewendet, seine Zinsen trägt, geistliche nämlich. Nach dem Gottesdienste giengen wir nach Bechhofen an’s Krankenbette der alten R., wir waren schon gestern früh 6 Uhr zu ihr gegangen. Auch mit ihr gieng’s besser und sie war für Trost empfänglich etc.

 In einem Briefe vom 2. Januar 1830 beschreibt er seiner Schwiegermutter, wie er den Sylvesterabend gefeiert habe und fährt dann fort: Nach 11 Uhr giengen wir in’s Bett. Ich konnte aber nicht schlafen, ich hörte 12 Uhr schlagen, den Wächter Neujahr wünschen, den Hirten das Neujahr anblasen. Ueber eine Weile hörte ich an die Hausthür pochen, es waren Leute von Haag, die mich holten, einem jungen Mann das heil. Abendmahl zu reichen. Ich freute mich, daß ich damit das neue Jahr anfieng. Ich ließ mir den jungen Nützel zum Tragen meiner Sachen wecken, der auch herzlich gerne mitgieng. Wir liefen im Mondschein durch schönen tiefen Schnee mit Freuden. Ich habe den Kranken immer für eine treue Seele gehalten, so bewährte er sich. Er empfieng seinen Seelsorger mit Inbrunst und hatte von keinem Arzte etwas wissen wollen in seinen Schmerzen als von dem Einen, der auch seinen Glauben nicht zu Schanden werden ließ, sondern ihn seinem jungen Weibe und drei kleinen Kindern erhielt; ich rede, als wüßte ich’s gewiß. Um 1 Uhr war ich fortgegangen, um circa 4 Uhr kam ich, am Leibe vom Schweiße, in den Füßen vom Schnee naß, nach Hause; dann schlief ich gut. Nach der Christenlehre fuhr ich mit Helene nach Haag zu dem Kranken, bei dem viele Leute waren: er selbst war viel besser. Wir freuten uns der kurzen, kalten Fahrt.“

 1. Februar 1839.... Nach der Betstunde schrieb ich die Leichenpredigt der F. in Wernsbach, welche Du einmal mit mir| vorigen Sommer besucht hast. Ich hoffe, sie ist zu Gnaden angekommen. Sie hat ihre Sünden wie eine schwere Last gespürt und konnte meines Zuspruchs nicht genug bekommen. Erst vorigen Sonnabend am frühen Morgen mußte ich in tiefem Schnee bis an die Kniee zu ihr hinabwaten, aber ich freute mich; es war über dem diamantenen Schnee ein rosiges Morgenlicht ausgebreitet, daß ich immer dazwischen denken mußte: ich gehe gern. Die F. meinte: „auf den Frühling, Herr Pfarrer, da können Sie öfter kommen, dann wollen wir uns unterhalten.“ Ich war ihr immer zu faul in der Seelsorge. Ihr kleines Mädchen sah einen schönen, glänzenden Mann vor dem Bette stehen, in dem sie mit der kranken Mutter lag. Diese sagte: „Das ist der HErr Christus, der bald Deine Mutter holt.“ Aber daß die Zeit so nahe, das dachte die F. nicht. Am Montag ließ sie sich über ihre Stube führen, legte sich, im Legen berührte sie Gottes Hand, sie lag bewußtlos bis zum Mittwoch morgen und entschlief. – Ich freute mich, daß ich von Hoffnung des ewigen Lebens reden konnte. Es war eine große Leiche, ich hatte einige sehr aufmerksame Zuhörer, die vielleicht etwas Speise des ewigen Lebens mit fortnahmen. Mein Thema war: „Ueber die Gewißheit eines andern Lebens und was aus dieser Gewißheit geschlossen werden muß.“ Beiläufig: Ein wackerer, frommer Kranker ist durch des HErrn Gnade vom Krankenbette auferstanden, der, bei dem ich in der Neujahrsnacht war.
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 20. Febr. 1841... Es ist heute ein schöner und ein ernster Tag. Ein schöner Tag; ich hab’ es gesehen, als ich heute Morgens 7 Uhr über schmelzende Eisflötze nach Haag und wieder heim gieng. Die Sonne schien freundlich und löste das krachende Eis von seinen Banden, zwei, drei Lerchen schwirrten und trillerten um mich und brachten das längst ersehnte Lied, die Weissagung des zeitlichen und ewigen Frühlings, welcher doch einmal kommen| wird. Ich freute mich, daß ich – denk Dir’s nur – sprang. Auch rühmte ich ohne Zuhörer, die ich hätte sehen können, den ewigen Frühling und dessen Meister. – In Haag freute ich mich auch; ich stand in einer nach Osten gelegenen Stube, sah der Sonne in die strahlenden Augenwimpern, der Gnadensonne in’s Licht und rief segnend: „Unser Herr Jesus, in der Nacht etc.“ Die Wittwe B. empfieng das Mahl des HErrn, weil des HErrn Hand sie ergriffen und noch ungewiß gelassen hat, ob Er aufwärts oder rückwärts in’s Leben führen werde.

 Aber auch ein ernster Tag ist. Nicht allein bereite ich mich zu einer morgenden Leichenpredigt, sondern es ist mir auch angezeigt worden, daß K., Bauer von Wernsbach, auf der Straße von einem Papiermacher zu Tode gefahren worden ist. Heute wird der Leichnam seciert. K. dachte beim Ausfahren nicht an’s Ende. Nachdem der schwere Wagen das Herz erdrückt hatte, hatte er 2 Minuten Zeit, zu Buße und Glauben zu kommen. Lauter Erinnerungszeichen zur Heimfahrt! Gelobt sei Der, der meinem schwachen Gedächtnis Eins immer tiefer einprägt, daß ich nämlich hier keine bleibende Stadt habe. Durch wie manche Wege hat er mich geführt und immer seinen hilfreichen Namen an mir verherrlicht, nicht meiner Missethat, sondern seiner herzlichen Barmherzigkeit gedacht: Sollt’ Er mein vergessen, wenn ich nur noch einen Schritt vom Glauben zum Schauen habe? Sollt’ Er mein im dunkeln Thale vergessen? Ich freue mich deß, das mir geredet ist, daß ich stehen werde in Deinen Thoren, Jerusalem! u. s. w.

 22. Februar 1840.[.].. In meiner Gemeinde hält der Tod heuer eine reiche Ernte. 28 habe ich begraben in die Modergräber mit den schmutzigen Gebeinen und Haarschädeln, die der Auferstehung umsonst spotten. Gegenwärtig liegt außer der sancta simplicitas, der Wittwe A., auch mein armer R. krank,| ohne daß ich weiß, ob er zu meinem Troste werde bleiben. Ich und A. R. waren heut vor Tisch mit dem Kranken recht froh, daß wir nicht sterben können und in der Anfechtung erhalten bleiben, daß uns der ewig Liebevolle züchtigt und uns dem Tode nicht gibt. Nach Tisch wurde ich zur E. nach Haag gerufen. Ich gieng fröhlich durch’s Schneewasser und bei meiner Ankunft versammelten sich die Haager Weiber in der wirklich schönen, reinlichen Krankenstube: die stille ältere B., die eifrige, aber etwas schmutzige Sch., die dumme M., die vor Gutmütigkeit und Eifer beständig überströmende R., die schmucke B. Ich gab der Kranken einen vierfachen Rat: 1. Brauche den Arzt, er ist vom HErrn; 2. Sei geduldig; 3. Versöhne dich mit allen Menschen; 4. Vor allem laß Dich versöhnen mit Gott. Es wurde mir dabei recht wohl, daß ich meinen blauen Mantel auszog und mich eine gute Weile zum Krankenbette setzte. Wir plauderten von der gestrigen Leichenpredigt, die das Thema abhandelte: Was hat es auf Zeit und Ewigkeit für einen Einfluß, wenn man Zorn hält? Ich hatte nämlich die B. in Haag begraben, mit der sich die F. nicht hatte versöhnen mögen, obgleich sie in den letzten Stunden darum bat. – Sieh meine arme Heerde, meine Arbeit – manchmal meine Freude. Bete, daß ich meine Heerde weide mit dem lebendigen Worte, damit ich nicht verdammt werde in der Ewigkeit. Bete, daß ich wahrhaft Buße thue, daß ich um Jesu willen Frieden bei Gott finde, Frieden für meine Seele, daß meine letzte Stunde nicht mich zur Verzweiflung wegen meiner Sünde führe, daß ich errettet, errettet, errettet werde mit Weib und Kind, zu meinem Vater, meiner Mutter, meinem Volke.
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 Am 28. Dezbr. 1839.... R. ist gestorben. Wärest Du nur dabei gewesen. Das war ein Triumph. Am 3. Sonntag des Advents reichte ich ihm das heil. Abendmahl vor der Kinderlehre. Die ganze Stube war voll Leute, die mitbeteten, mitweinten.| R. gab nach dem Abendmahl auf meine Aufforderung der versammelten Menge das Zeugnis, daß die Gnade sein Element sei. Er war dabei so erquickt, daß ich glaubte, er würde wieder aufkommen. Nach der Kinderlehre war ich 11/2 Stunden bei ihm und wir hatten einen gesegneten Abend. Ich gieng mit Hoffnung auf Genesung heim. Abends 7 Uhr wurde ich wieder geholt. Man sah, daß es Ernst war und er klagte über Anfechtung. Wir beteten und lobten Gott. Ueber eine Weile fieng er an: „Der Satan verwehrt mir den Eingang.“ Wir ermutigten ihn und gaben dem finstern Geiste Spott zum Lohn für seine Teufelsarbeit. Dann sagte R. „Wenn ich’s nur sagen könnte, ach, mein Gott läßt mich die Worte nicht finden – es ist Strafe – ich kann’s nicht sagen. Die Menge wollte ihn nun mit mir allein lassen; er aber sagte, er würde es vor der ganzen Welt sagen, wenn er nur könnte, aber Gott habe es ihm verwehrt, habe es zugelassen, daß der Satan ihn quäle, um ihn zu strafen, er glaube aber doch. Nun fieng er an zu beten, sitzend, halb knieend, auf die Hände gestützt, während die Sinne schon schwanden. Sein Gebet bestand in immerwährender Wiederholung der Worte: „Du wirst mir doch verzeihen – um Jesu Christi willen – in jenem Namen – in jenem allerheiligsten Namen – in dieser Stunde des Todes.“ Vielleicht hundert Mal rief er: „Du wirst mir doch verzeihen – um Jesu Christi willen.“ Dazwischen wehrte er kräftig die Tröstung seines Weibes und seines Bruders ab und blieb in der Anrufung und im Gebete, bis ich endlich sagte, nun wolle ich ihn einsegnen. Ich fieng an ihn zu segnen – da wurde er fein stille. Zuletzt rief ich: „Hosianna, gelobt sei etc. Da schrie die ganze Menge Hosianna, und der selige Geist war hinüber. Wir beteten nun noch um eine selige Nachfahrt. Liebe Mutter, da gieng’s inbrünstig zu. Da betete das Volk recht, jeden bekannten Spruch| beteten sie laut mit, zum Theil mit aufgehobenen Händen. Alles war erquickt – wir hatten Lust zum Sterben bekommen. Der Teufel hatte aber einen solchen Zorn, daß er in Vielen den Neid aufregte und in derselben Nacht ein Paar Bechhöfer Spitzbuben aufregte, den R.’schen Relicten 3000 Fl. zu stehlen etc.




 Mögen diese Mittheilungen unsern Lesern eine wenn auch dürftige Vorstellung davon geben, was Löhe für ein Seelsorger der Krankenden und Sterbenden unter seinen Pfarrkindern war. Den unmittelbaren Eindruck kann ja doch keine Beschreibung ersetzen.

 Eine Anweisung zum Gebetsdienst an Kranken und Sterbebetten hat Löhe in seinem „Krankenbuch“ hinterlassen, dessen zweite Auflage den Titel „Rauchopfer für Kranke und Sterbende und deren Freunde“ führt. Der Titel sollte den Wunsch des Herausgebers ausdrücken, daß „dem Rauchwerk“ der Gebete, welche das Buch enthält, nie das Feuer der Andacht fehlen möge, ohne welches es den Namen „Rauchopfer“ nicht verdiente. Da wir einmal von Löhe’schen Gebetbüchern sprechen, so dürfen hier auch die „Samenkörner“ nicht unerwähnt bleiben, diese Sammlung alter Kerngebete, die solchen Beifall des christlichen Volkes fand, daß seit dem Jahre 1840, wo die erste Auflage erschien, das Büchlein nicht weniger als 28 Auflagen erlebte. Ueber dieses Büchlein ein weiteres Wort zu sagen, wäre überflüssig.




 Als notwendige und vielleicht auch unsern Lesern nicht unwillkommene Ergänzung dieses, sowie des ersten Abschnitts des gegenwärtigen Kapitels dürfen hier wol einige Mitteilungen Platz finden über die Art und Weise, wie Löhe der schwierigen und klippenreichen Aufgabe des Seelsorgers bei Beurteilung verstorbener Pfarrkinder in Lebensläufen und Leichenpredigten| gerecht zu werden verstand. Neben den Festpredigten war es die Casualrede, in welcher Löhe die größte Meisterschaft zeigte. Hier kam ihm die wunderbare Gabe der Beobachtung und Beurteilung, die ihn auch sonst auszeichnete, besonders zu statten. Man sagte scherzweise von ihm: er wisse ein einjähriges Kind zu characterisieren. Sein Urteil war ebenso durch Milde als durch unbestechliche Wahrheitsliebe ausgezeichnet. Auf die Ausarbeitung der Lebensläufe verstorbener Gemeindeglieder verwandte er viel Fleiß. Er pflegte sie sorgfältig auszuschreiben, während er die Leichenpredigt meist nur skizzierte. Die Verlesung des Lebenslaufes gieng der Leichenpredigt immer voran und bildete gleichsam das exordium und die narratio zu derselben. Offen und rückhaltslos lobte Löhe, was der Anerkennung, und tadelte er, was der Rüge wert schien. Die Absicht bei der Verlesung der Lebensläufe – sagte er – sei: Beispiele des Guten aus dem Leben des Verstorbenen zur Nachahmung aufzustellen, oder auch – im entgegengesetzten Falle – vor Sündenwegen zu warnen und zur Buße zu ermahnen.

 Wies das Leben des Verstorbenen keine hervorstechenden Züge im Guten oder Bösen auf, so benutzte er irgend einen hervortretenden Umstand aus der Zeit des Krankens und Sterbens des Dahingeschiedenen, um dadurch den allgemeinen Wahrheiten, die man an Gräbern predigt, eine concrete Färbung und ein individuelles Gepräge zu geben. Fast an jedem Fall wußte er ohne Zwang und Künstelei eine Besonderheit zu entdecken und durch Beziehung darauf den Text in ein eigenartiges Licht zu stellen. Wenn irgendwo, so bewies er bei Leichenpredigten seine Meisterschaft, Altes und Neues aus dem Schatz des göttlichen Wortes hervorzubringen. Möge es uns gestattet sein, zum Beleg hiefür – statt allgemeiner Schilderungen – lieber einige Beispiele anzuführen.

|  Eine Wöchnerin war bald nach der Geburt ihres Kindleins unter heißen Schmerzen gestorben. Während sie mit dem Tode rang, schlief ihr Säugling und ihr älteres Kindlein friedlich neben ihr. Der Ehemann sehnte sich vergebens, von seinem schmerzbetäubten Weibe noch einen Blick, oder ein Abschiedswort zu empfangen, der herbeieilende Vater kam eben nur noch recht zur Einsegnung seiner sterbenden Tochter. – Löhe wählte der an den Folgen ihrer Geburtsarbeit verstorbenen Wöchnerin 1. Sam. 4, 19–22 als Text. Die flüchtige Skizze der Leichenpredigt, die sich in seinen Predigtsammlungen findet, lautet:

 1) Das Weib Pinehas stirbt nach Geburt eines Sohnes und nennt ihn Ikabod. Hin war Vater, Mutter, Ohm, Großvater, Lade, Gottes Huld. Jammervoller Tod – arme Waise.

 2) Hier noch Vater, Großvater, Lade, Huld – also größeres Glück. – Ach jeder meint das Kreuz am schwersten Ende zu tragen!

 3) Nehmet eurer Seelen wahr, daß ihr nicht die Lade und die Huld und damit alles verlieret. Schaffet eure und eurer Kinder Seligkeit. Und Du, o HErr, hilf uns. Amen.

 An einem andern Sterbebette war Löhe der Mangel an aller und jeder Aeußerung inwendigen Lebens von Seite der Kranken schmerzlich aufgefallen. Starr und stumpf gieng sie dem Tod entgegen, ohne ein Bekenntnis ihrer Buße oder ihres Glaubens zu geben. In den letzten beiden Tagen vor dem Tode war ihr auch das Bewußtsein geschwunden, so daß an Stelle der früheren absichtlichen Stummheit nun gezwungenes Schweigen trat und der traurige Eindruck dieses lautlosen Sterbens mit verstärkter Macht dem Seelsorger sich aufdrängte. Löhe nahm davon Veranlassung in der Leichenpredigt auf Grund von Röm. 10, 9. 10 über die Verpflichtung des Christen, der Nachwelt ein gutes Zeugnis von Christo zu| hinterlassen, zu reden. Er beantwortete unter andern auch die Fragen: wann dieses Zeugnis zu geben sei und was uns zur Ablegung desselben verpflichte? Er zeigte, daß dieses Zeugnis allezeit abgelegt werden müsse, im Leben und im Sterben, besonders aber, wenn Christus angefochten und geleugnet werde, oder wenn wir selber angefochten werden und der Feind nach unserer Seele trachte. „Ach – fuhr er dann klagend fort – ach über die stummen Sterbebetten! Ach über das stumme Leben, das dann auch nicht redet, wenn der Mund im Tode verstummt! Man sollte im Leben für treues unumwundenes Zeugnis von Christo besorgt sein, damit es bei stillem Tode nicht fehle. Dabei wies er auf das – wenn ich nicht irre, in den Pastoralsammlungen von Fresenius erwähnte und von ihm oft erzählte Beispiel jenes sterbenden Offiziers hin, der nach Empfang des Sacramentes noch ein Glas Wein forderte, um es – gleichsam als Kelch der Danksagung – zu Ehren des Sacramentes zu leeren, und dann fröhlich mit lautem Bekenntnis seines Glaubens an den Erlöser sein Haupt zum Tode neigte. Zur letzten Frage übergehend: was uns zur Ablegung des Bekenntnisses, von Christo verpflichte? antwortete er: Vor allem die Rücksicht auf uns, damit wir, nach dem Texte, erkannt werden als Gerechte und Selige; sodann auch die Rücksicht auf die Unsern, weil es für sie ein peinigendes Gefühl ist, über unsere Seligkeit im Zweifel sein zu müssen; ferner die Rücksicht auf die Gläubigen, damit sie gestärkt werden durch den Triumph unseres Glaubens in Not und Tod; endlich die Rücksicht auf die Ungläubigen, damit sie durch den Anblick unserer Glaubensfreudigkeit im Sterben auch zum Glauben gezogen werden etc. Mit der Bitte an seine Zuhörer, daß sie, wenn sie in Sterbensnot geriethen, so lang und soviel als möglich ihren Glauben bezeugen möchten, schloß er.
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|  Ein anderer Kranker war – ungleich der eben erwähnten Kranken – bei vollem, selbst bis in die letzten Augenblicke hinein wachem Bewußtsein verschieden. „In seiner letzten Krankheit – sagt Löhe in dem Lebenslauf des Verstorbenen – hat er eine besondere Gnade von Gott gehabt. Während er nämlich bei zwei vorangegangenen, anscheinend tödlichen Anfällen ganz abwesenden Geistes gewesen, war er im Sterben eines muntern und wachen Geistes. Wenige Minuten vor seinem Sterben versicherte er, jedes Wort, das ich ihm sagte, zu verstehen und alles mitzubeten – und als er dann nicht mehr sprechen konnte, sondern in seinem offenen Munde die Zunge in den letzten Zuckungen lag, als der Schmerz des Todes sich seiner Züge bemächtigte, da schien es doch, wie wenn er ganz dabei wäre, ganz alles fühlte, was mit ihm vorgieng. Sein Sterben war ein sehr vernünftig Sterben und ebensowol auch ein gläubig Sterben. Sein sehnlich Auge, seine gleich Fühlhörnern dem ewigen Leben sich entgegenstreckenden Blicke sind mir im Andenken, und ich hoffe, der HErr hat sein gedacht und ihn, wie Simeon, zum ewigen Frieden gebracht. Er bringe auch uns zu unserer Zeit und Stunde in seine Ruhe und in seine Freuden. Amen.“
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 Zum Leichentext wählte Löhe diesem Manne Luc. 23, 39–44. Nachdem er zuerst gezeigt hatte, daß es keine Unehre sei, mit dem sterbenden Schächer verglichen zu werden, und daß die Textwahl gewiß im Sinne des Verstorbenen sei, weil der Christ, je frömmer er sei, sich desto lieber neben den sterbenden Schächer stelle, kam er auf die Ähnlichkeit des Falls mit dem des sterbenden Schächers zu sprechen. „Beide, sagte er, haben sich Christo empfohlen und Christus nahm beide in seine Hände. Er war ihre letzte Zuflucht und waltete über sie. Und beide hatten – wie auch Christus am Kreuz – ein vernünftiges| Ende. Der Gegensatz zu einem vernünftigen Ende ist ein Ende im Delirium, in Geistesabwesenheit – fuhr er dann fort. Ein Ende im Delirium widerstreite aber der Gnadenherrschaft Christi nicht. Im Gegenteil könne wol ein Ende im Delirium vorzuziehen scheinen, weil das Gefühl des Todes bei vollen Sinnen so herb sei. Andrerseits habe auch ein Ende bei wachem Bewußtsein seine Vorzüge. Hier sei volle Nüchternheit und Einsicht in den eignen Zustand, in den Ausgang und Eingang aus diesem in jenes Leben, Tröstungsfähigkeit, Uebung in der Geduld, im Gebet und der Anrufung vorhanden. So sei es bei dem Verstorbenen gewesen. Den Schluß bildete die Ermahnung, nicht wie der Schächer die Buße bis an’s Ende zu versparen, sondern bei Zeiten, wie der Verstorbene, sich zu ändern.
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 In Haag war eine ledige alte Frauensperson unter besonders elenden Umständen gestorben. Sie hatte den Ihrigen lange Jahre mit allen Treuen gedient, als sie aber alt und leidend wurde und nichts mehr leisten konnte, wurde sie denselben unwert. Als der Seelsorger gerufen wurde, ihr das heilige Mahl zu reichen, fand er sie, mitten im Winter, auf einer elenden Lagerstatt, unter dem Dache, dicht unter losen Ziegeln, wo Wind und Wetter zukommen konnten. Da sie in ihrem väterlichen Hause keinen Platz zum Sterben finden konnte, ließ sie der Seelsorger in das Armenhaus der Gemeinde schaffen, wo sie endlich unter notdürftiger Pflege der Insassen des Armenhauses starb. Auch in der Stunde des Sterbens war niemand von ihren Anverwandten bei ihr. Löhe strafte bei der Verlesung des Lebenslaufes die Angehörigen der Verstorbenen wegen ihres Mangels an Liebe und Dankbarkeit und hielt ihr dann die Leichenpredigt über Luc. 16, 9. Er handelte auf Grund dieses Textes das Thema ab: „Inwiefern die Armen die Reichen aufnehmen in die ewigen Hütten? Er zeigte| zunächst, daß mit dem den Armen hier zugeschriebenen Thun keine Schmälerung des Verdienstes Christi gemeint sein könne. Das „Aufnehmen“ bedeute nur eine Bewillkommung, Begleitung und Einführung der Reichen durch die ihnen zum Dank verpflichteten Armen in die durch Christum bereiteten Hütten. Die Seligkeit sei lautere Gnade, nur die besonderen Umstände des Eingangs in die ewigen Hütten könnten Gnadenlohn sein, nur an der Form der Aufnahme betheiligten sich die Armen. Dann beantwortete er die Frage: Welchen Reichen gilt diese Verheißung? dahin: Natürlich nur den wohlthätigen Reichen und unter diesen auch wiederum nur denjenigen, die überhaupt in die ewigen Hütten kommen, also den gläubigen, bei denen die Wohlthat aus dem Glauben fließt. Endlich warf er die Frage auf: Welche Arme können in die ewigen Hütten aufnehmen? und antwortete darauf: Gewiß nur die, welche selbst in den ewigen Hütten sind, und natürlich nur dann, wenn ihnen Wohlthat geschehen ist.“ Die Anwendung auf den vorliegenden Fall ergab sich hieraus in ungezwungener und kräftiger Weise.
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 Eine kurz vor Weihnachten, auf den 4. Adventssonntag, fallende Leiche gab ihm Veranlassung über das Wort aus der Epistel des Sonntags: „Freuet euch in dem HErrn allewege, und abermal sage ich euch: freuet euch“ zu reden. Er stellte das Thema auf: Sind nicht Weihnachten und Tod Gegensätze? und verneinte dann diese Frage zunächst im Hinblick auf das apostolische Wort: Freuet euch allewege! Wären Tod und Weihnachten Gegensätze, so könnte Tod und Freude nie zusammengehn, so wäre in der Oekonomie des Heils, wo ja der Tod stehen bleibt, ein Widerspruch. Für den Christen aber ist der Todesgedanke keine Tödtung der Freude, also auch nicht der Weihnachtsfreude. Für den Gläubigen ist der Todesgang ein Hirtengang, ein Gang der Weisen nach Bethlehem – vorher| der leuchtende Stern, Er selbst, der Herzog unserer Seligkeit. Wer die wahre, geistliche Christenfreude besitzt, der verliert auch durch den Todesgedanken den Geschmack für einfache Lebensfreude nicht. Ein Sterbender, der sich auf der rechten Lebenshöhe befände, würde eine blühende Rose mit Freuden schauen können („Ach, dacht’ ich, bist du hier so schön etc.“). Im Lichte des Glaubens ist der ganze Haushalt Gottes im Reich der Natur und der Gnade Ein Zusammenhang, da man von Freude zu Freude geht („die Freude soll vollkommen werden“). Es ist alles, wie Luther sagt, Seines Schweißes und Blutes, Ihm blüht die Blume, Seines Blutes Kraft bringt sie zur Blüte etc. So ist dann alles herrlich und die Lebensfreude wird geistlich etc. etc. O selige Weihnacht im Himmel, wer ihrer mit allen Gottesheiligen theilhaftig wäre!“

 Merkwürdig durch die bei allem Ernst doch vorwaltende Milde erschien dem Schreiber dieses Löhe’s Beurtheilung des Lebenslaufes einer ledigen Frauensperson, die nicht weniger als 8 uneheliche Kinder geboren hatte.

 Die erwähnte Frauensperson lebte bis in ihr 27. Jahr äußerlich ehrbar, von da an aber war ihr Leben eine zusammenhängende Kette von Sünden und Elend. Von den 8 Kindern, welche sie außerehelich gebar, war das jüngste bei ihrem Tode erst 11 Monate alt. Während seiner ganzen Amtsführung – sagte Löhe in dem Lebenslaufe – sei ihm niemand vorgekommen, der es in der Schande so weit gebracht hätte. „Es blieb auch die Frucht dieses schandbaren Lebens nicht aus. Ueberhäufte Schande macht unverschämt – und leider wurde und war das auch die Verstorbene... Ach was war sie für eine arme, arme Sünderin! Aber was war sie auch für eine gestrafte Person! Erst hurte sie aus Lust, dann aus Armut, damit ihr Beihälter ihr die Unterstützung nicht versagte. Je länger sie’s trieb, desto weniger| konnte der selbst sündenbeladene und arme Beihälter ihr leisten. Ja, da gab es Elend, bis sie es so weit brachte, daß ihr jüngstgeborenes Kind auf ihrem todtkranken Leib in nackter Blöße herumkroch und vergeblich nach der gewohnten Nahrung der armen Mutterbrust suchte.

 Gewiß, meine Brüder und Schwestern, ein armes, armes Weib haben wir begraben.

 Aber wir dürfen auch nicht vergessen, daß sie nicht allein die Ursache ihres großen Sündenelends gewesen ist. Sie hat auch wenig Barmherzigkeit auf Erden gefunden. Ohne Zweifel ist es euch allen bekannt, daß sie oftmals versuchte, zu einer geordneten Ehe zu kommen – und wie oft habe ich ihr dazu hilfreiche Hand gereicht! Zum Ziele war aber nicht zu kommen, und so lebte die arme Hure 20 Jahre ohne Anerkennung und Einsegnung ihrer Verbindung. Gott gönnt den Armen die Ehe sowol wie den Reichen, er hat Arme wie Reiche dazu erschaffen, er ist ein treuer Versorger armer Eheleute, er ist barmherzig, aber die Menschen sind unbarmherzig. Dafür wird auch nach dem Wort des HErrn dereinst ein unbarmherzig Gericht über die ergehen, die nicht barmherzig sind, die unbarmherzig dem Armen die Ehe weigern, ohne ihn durch Lieb’ und Güte auf die Wege der Heiligung zu führen.

 Ferner habe ich zur Milderung der Schuld der Verstorbenen noch hervorzuheben, daß sie ihre 8 Kinder von Einem Vater hat, daß also ihr Umgang mit ihm, wenn schon vom Staate nicht erlaubt, weil von der Gemeinde nicht zugestanden und deshalb nicht kirchlich eingesegnet, doch treu gewesen ist. Es ist ein großmächtiger Unterschied zwischen einem Weibe, welches 8 Kinder außerehelich Einem Manne gebiert, und zwischen einem Weibe, das bei verschiedenen Kindern verschiedene außereheliche Väter hat. Jene ist einem Eheweibe ähnlicher,| diese aber der Ehebrecherin, darum daß jene Treue bewahrt, diese aber treulos ihren Lüsten und ungöttlichen Trieben fröhnt. Jene sündigt weniger gegen das 6. Gebot als gegen das 4., weil sie nichts begehrt als was jedes Weib begehren darf, Einen Mann, ihren Mann, aber die Einwilligung der an der Aeltern Statt stehenden Herren nicht gewinnen kann und dann ungeachtet des Verbots, sei’s auch eines ungöttlichen, vor Gott unverantwortlichen, für ein Kind aber dennoch hochzuachtenden Verbots – ihr Verlangen stillt.

 Auch muß ich noch Einiges anführen, um die arme Sünderin mit derjenigen Billigkeit zu behandeln, welche ich ihr schuldig bin. In ihren 20 Sündenjahren sind zwei Mal größere Zwischenräume eingetreten, in welchen sie einen besseren Vorsatz festzuhalten suchte, wo sie sich um Absolution bekümmerte und wenigstens Gottes Wort wieder suchte und nicht außerehelich gebar. Der Geist Gottes hat sie also doch auf unsere Fürbitte, die wir allsonntäglich für offenbare Sünder und Sünderinnen thun, immer wieder heimgesucht, ihr Gewissen gerührt und ihre Sinnen und Gedanken zu Besserem gewendet. Endlich wollen wir nicht vergessen, daß sie in diesem Jahr vor den hiesigen Kirchenvorstehern öffentlich Buße that und das Versprechen der Besserung gab, darauf auch öffentlich absolviert und mit Christi Leib und Blut gespeist und getränkt wurde. Ich habe sie deshalb als eine absolvierte Christin zu behandeln und bekenne es auch offenbar, daß ich zwar keine jammervollere Person in meiner Pfarrei kenne als diese arme Hure, diese arme Bettlerin, daß aber mancher Mensch, der sich eines besseren Leumunds zu erfreuen hat, kein Haar besser, vielleicht vor Gott noch viel verwerflicher ist als sie. Der große Tag der Zukunft Jesu Christi wird alles klar machen.

 Ihre Krankheit dauerte nicht lange. Sie wurde schnell| und heftig überfallen. Die Krankheit war hitziger Natur und nahm ihr die Fähigkeit, für ihre armen Kinder zu sorgen. Weder habe ich ein Sterbebett dieser Art jemals gesehen, was die Art der Krankheit betrifft, noch konnte ich mich irgendwo weniger des Gedankens erwehren, daß der HErr vor die Augen der Leute ein Exempel seines Ernstes und seiner heiligen Gerechtigkeit, die mitten unter der Vergebung dennoch aufrecht bleibt, aufrichten und wirken lassen wolle. Was ich thun konnte, habe ich gethan: ich habe von Grund meiner Seele zu dem Vater der Barmherzigkeit gerufen, daß Er ihr um Christi willen Todestrost und Hilfe zum ewigen Leben nicht versagen wolle. Und warum soll der wunderbare Gott, der den Schächer selig gemacht hat, nicht auch diese arme Hure und Bettlerin zu seinen ewigen Freuden haben führen können?

 A. M. S. beschloß ihr armes, elendes, sündenvolles Leben am... u. s. w. Vier ihrer Kinder leben noch und schauen der Mutter in’s Grab. Sie sind die ärmsten, elendesten Waisenkinder, in denen unser Heiland Jesus Christus geehrt, gespeist, gekleidet und versorgt sein will. Der HErr erwecke selbst mitleidige Herzen und schenke den armen Kindern, die nicht schlimmer als wir, getauft und in Seine Fürbitte eingeschlossen sind, Seinen heiligen Geist und die Liebe frommer Christen! Amen.“ – Die Skizze der Predigt, die Löhe bei dieser Leiche hielt, darf wol auch hier stehen. Text: Lucä 6, 36, „Seid barmherzig, wie auch Euer Vater barmherzig ist.“

 Von der Verstorbenen sei Abschied genommen. Der HErr zeige sie uns dort in Seinem Lichte. Dagegen wollen wir „in unserer Zeit vergessene Pflichten der Barmherzigkeit“ erwägen. Es ist ein, noch dazu nicht einmal als Sünde angesehener Mangel an Barmherzigkeit,

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1) daß man sich der Sünder nicht annimmt;
a. daß man sich anfangender Sünder nicht annimmt, sie nicht gleich bei Betretung der Lasterstraße warnt, vermahnt u. s. w.;
b. daß man gefallene Sünder nicht sucht, sondern verachtet;
c. daß man Suchens so leicht müde wird.

Pater, peccavi et ego.
Condones mihi peccata mea.

 Guter, treuer Hirte; Dein beschämend Beispiel. Matth. 18. Jacobus 5, 19. 20.
2) daß man den Armen die Ehe verweigert, die ihnen Keuschheits halber so nötig ist, als dem Reichen; daß man dem Armen zur Ansässigmachung nicht hilft, da man doch Mittel und Wege finden könnte.
 Christus auf der Hochzeit zu Cana sorgt für Wein, wir nicht für Feuer, Wasser und Brot.
3) Daß man beim Anblick der Wittwen und Waisen an den eigenen Beutel statt an die Hilfe denkt, daß einen die Hilfe reut, ehe man sie thut. Und doch ist Wittwen und Waisen helfen Gott angenehm, also auch Gottes Kindern. Und doch armet Almosengeben nicht. Und doch erlangt Barmherzigkeit, wer sie thut.
 Hier lenke ich Eure Augen auf die armen Kinder der Verstorbenen. Sie brauchen Väter und Mütter und Zucht und Vermahnung zum HErrn. Hier öffne Christus reuevolle, gutwillige Herzen. HErr Jesu, hilf in Gnaden! Amen.
 Doch wir haben wol bereits den Raum, den der Umfang des Ganzen uns für diese Mittheilungen gewährt, überschritten. Vielleicht danken uns aber wenigstens diejenigen unserer Leser, welche selbst geistlichen Standes sind, diese reicheren Mittheilungen aus dem Amtsleben Löhe’s und lassen es sich auch gefallen,| wenn wir die Reihe derselben mit der Anführung eines Falles beschließen, der, ganz außergewöhnlicher Art, wie er war, auch an den Prediger besondere Anforderungen stellte. Der Gutsherr von Dettelsau und Patron der Pfarrei war gestorben. Da er der katholischen Confession angehörte, auch in der Ferne bereits beigesetzt war, so war in Neuendettelsau keine eigentliche Leichenfeier, sondern nur eine Gedächtnispredigt zu halten. Die Aufgabe war etwas spinos, denn der verewigte Patron war zwar ein grundgütiger Mann und ein Wohlthäter der Pfarrei wie der Armen von Dettelsau gewesen, doch aber hafteten an seinem Wandel auch mancherlei Flecken. Löhe vermied es hierüber sich zu äußern, indem er erklärte, er erachte es nicht für geziemend, über die Lebensverhältnisse des verewigten Kirchenpatrons zu reden, da er nicht blos nicht sein Seelsorger, sondern auch nicht einerlei Confession mit ihm gewesen sei; er beschränke sich daher darauf, der Gemeinde die durch den Verewigten ihr zu Theil gewordenen Wohlthaten in’s Andenken zu rufen und sie zum Dank und zu ehrendem Gedächtnis des Entschlafenen zu vermahnen. „Gott sei“ – so schloß er den kurzen Abriß des Lebenslaufes des verewigten Gutsherrn – „seiner unsterblichen Seele gnädig und vergelte ihr so manchen Trunk, der uns aus der guten Pilgermuschel[3] kam. Und mit dem oder denen, welche nach dem heiligen Willen des Hochgelobten an die Stelle des verewigten Freiherrn treten, sei Gnade und Friede. Mögen sie uns freundlich, wir aber treu und gewärtig, sie väterlich, wir kindlich sein, und Christus zwischen Neuendettelsau und der Familie von Eyb segnend sein und bleiben fortan bis an’s Ende!“
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|  Die Gedächtnispredigt hielt Löhe über Matth. 10, 40–42. In Anbetracht der oben angedeuteten Umstände war diese Textwahl gewiß eben so klug als zutreffend.

 „Der Verstorbene“ – sagte er – „war Patron dieser Kirche. Hat er als solcher nicht auch Christen aufgenommen, Christum und Seinen Vater? Hat er nicht Pfarrer und Propheten der Wahrheit aufgenommen? Hat er nicht die Geringsten unter den Brüdern Jesu aufgenommen? Kann man also nicht auch bei ihm von eines Propheten Lohn reden? Und ob auch hierüber ein Zweifel herrschen könnte, so bleibt doch ,der Becher Wassers, den Geringsten gereicht.‘ Und das ist in reichem Maße geschehen. Von den zeitlichen Gaben zu schweigen, ist es doch etwas ganz anderes mit den Gütern, deren Darreichung und geordnete Verwaltung eine Kirche und Pfarre möglich macht.

 „Dafür halten wir eine Gedächtnispredigt, eine Dankpredigt, denn Gedächtnis und Dank geht zusammen.

 „Christus ist dankbar: kann man das sagen? Ja, Christus ist in göttlichem Maße dankbar. Er gedenkt der Wohlthäter, als hätte jemand Ihm, der doch kein Bedürfnis hat, etwas geschenkt. – Und ich sollte in Christi Namen nicht danken, nicht gedenken, nicht bekennen, daß uns Gottes Wohlthat durch des verewigten Kirchenpatrons Hand mitgetheilt worden ist? – Und Ihr solltet nicht eine Gedächtnispredigt hören? Was könnt Ihr ihm sonst geben? Wie mancher unter Euch hat sich an ihm versündigt? Wahrlich, Ihr habt auch Ursache, ihm zu danken und sein zu gedenken, wie er mit offener Hand und mit einer Pilgermuschel voll himmlischer Güter vor Euch steht.

 „Könnt Ihr aber nicht mehr thun als gedenken? Könnt Ihr nicht beten, daß ihm ewig vergolten werde? Auf alle Fälle.| Wir wünschen ihm Theil an der Auferstehung der Gerechten. Ach, Amen!

 „Könnt Ihr nicht die Kirche recht benützen? Benützung des dargereichten Gutes ist auch Dank, und zwar der beste Dank vor Gott.

 „Und folgt dem Verewigten im Guten nach! Nehmt die Pilgermuschel Alle in’s Wappen! Schön wie der Pfau, rein wie der Schwan sei das Leben! Singt, so lange Ihr lebt, Ihm, dem HErrn, Euren Schwanensang! Gott helfe! Amen.“





  1. Löhe faßte – man kann zweifeln, ob mit Recht – die Worte πρὸς τὸν καταρτισμὸν τῶν ἁγίων εἰς ἔργον διακονίας (Eph. 4, 12) so auf, daß er ἔργον διακονίας passivisch von dem an den Einzelnen zu erzielenden Resultat der seelsorgerlichen Thätigkeit verstand. Jeder Christ solle gleichsam eine reife Frucht der Arbeit des h. Amtes, ein ἔργον διακονίας in diesem Sinne werden. Löhe berief sich für diese Auffassung auf Col. 1, 28, wo ja allerdings der Gedanke, den er in Eph. 4, 12 fand, deutlich ausgesprochen ist.
  2. „Eingebetet“ sagt man in Dettelsau.
  3. Die Freiherrn von Eyb führen Pilgermuschel, Pfau und Schwan im Wappen.


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Löhes charismatische Begabung »
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