Wild und Wald (Gemälde der Dresdener Gallerie)
In der mit so vielen Schwierigkeiten verknüpften Kunst der Thier- und Jagdmalerei ist der Meister Ruthart, den wir mit größter Wahrscheinlichkeit als einen Deutschen bezeichnen können, dem Niederländer Franz Snyders an die Seite zu stellen, ja in den ruhigen Stücken, wo Wild und Wald, wie in diesem Bilde, in ihren Geheimnissen belauscht werden, kömmt Snyders sogar an Tiefe der Empfindung und namentlich an einem wunderbaren poetischen, halb schwermüthigen Ausdruck dem Deutschen bei weitem nicht gleich. Die wilde Kraft Snyders’scher Hetzjagden fehlt dagegen Ruthardt; doch möchte in seinen bewegteren Stücken mit reißenden Thieren, wie in denen, wo Luchse Steinböcke und Gemsen jagen, und wo Löwen und Tiger ein Roß überwältigen, eine zwanglosere Naturbeobachtung und eine weniger gewaltsame Anordnung, als bei Snyders und seinen vielen Nachahmern herrschen.
Dieses Stück von Ruthart darf zu den hervorragendsten Meistergemälden in dem Genre des Malers gezählt werden. In einer einsamen Waldgegend, wo ein stilles, dunkles Wasserbecken von schlankem und üppigem Weichholze heimlich umzäunt ist, befinden sich drei Dammhirsche auf einem halbfelsigen Vorsprunge. Zwei Thiere ruhen lauschend; das dritte, der Patriarch seines Stammes, mit abenteuerlichem Schaufelgehörn hält den Sprung zurück, der ihn soeben in das kühlende Gewässer unten führen sollte. Es ist Abend und durch die tiefe Abgeschiedenheit des Waldes ziehen sich drohende, aber noch sehr entfernte Töne, welche das schmutzig silberfarbige Reigerpaar im Vordergrunde besser zu deuten weiß, als selbst das flüchtige Dammwild es vermag. Der Jäger naht und im nächsten Momente werden die Hirsche mit einer Schnelligkeit über den bethauten Wiesenplan fliegen, als wollten sie die heiser schreienden Reiger einholen, die fern nach den Bergen im Hintergrunde ziehen. Wir erinnern uns, vor mehren Jahren ein Gedicht gehört zu haben, welches vortrefflich die Scene schildert, in welcher das Wild erscheint.
„Falb bleicht es an dem abendlichen Himmel
Und leichter Purpur schwimmt dem Osten zu.
Da pfeift’s am Waldgeheg’,
Da flattert’s zu dem Erlensteg
Hart über’m Grase hin, den Bach entlang.
Die Amsel ist’s! sie singt den Abendsang . . .
Und schweigend aus den stillen Lüften senkt der Aar
Sich auf dem Hochwald nieder.
Ihm nach schlägt schreiend sich die Schaar
Von Schwarzgefieder.
Und quarrend und quitzend streicht
Die Schnepfe um des Tannenwaldes dunkeln Saum;
Es klatscht der Ziegenmelker um den Erlenbaum;
Das Volk der Hühner kirret sich,
Und traulich um den schlanken Jäger macht,
Der Tagesschläfer seine Mückenjagd u. s. w.“
[310] Im Colorit besaß Ruthart eine vorzügliche warme und breite Manier, welche an seinen Aufenthalt in Venedig erinnert. Sehr oft sind seine Gemälde mit einer ungemeinen Feinheit ausgeführt, indeß erscheinen auch nicht wenige blos als hingeworfen und mit großer Nichtachtung vollendet. Auch in Hinsicht auf die höchst saubere Ausführung und auf den herrlichen Ton des schwülen Sommerabends, den diese Landschaft athmet, ist „Wild und Wald“ ein classisches Stück. Ganz besonderen Ruf haben zwei Bilder Rutharts, eine Bärenhetze und eine Hirschjagd in der Kaunitzschen Sammlung zu Wien, erworben. In England, München, im Louvre u. s. w. finden sich viele Stücke Rutharts, nach denen viele gute Künstler gestochen haben. Der Maler selbst radirte wenige Blätter von untergeordnetem Werth. Seine Blüthenzeit fällt ums Jahr 1660 bis 1680. Wahrscheinlich lebte er in Nürnberg.