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Eine Musikprobe (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Eine Musikprobe
Untertitel: Von Peter van Slingeland
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
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Erscheinungsdatum: 1848−1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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The Musical Rehearsal.     Die Musikprobe.

[310]
Eine Musikprobe.
Von Peter van Slingeland.

Er hatte eine Geliebte, aber diese war die Tochter eines Musikers, und sie selbst, Maria Nederhout, war eine Virtuosin. Freilich war der Geliebte, Pieter van Slingeland, ebenfalls ein Künstler und zwar kein geringer, denn noch jetzt, von Anno 1662 her, stralt sein Name unter den bedeutendsten Malern Niederlands. Aber Slingeland war kein Musiker. Die Natur schien es ihm durchaus versagt zu haben, in Tönen den Inhalt seiner Seele ausströmen zu lassen. Es ist sicher, es giebt nur eine, dem tiefsten Innern durchaus angemessene Weise für die Aeußerungen des Genies, mag dies das Bild, das Sculpturstück, der Ton, oder das Wort sein. Glücklich derjenige, welcher nur eins dieser Geschenke eines freigebigen Geschickes sein eigen nennt; er ist ein Künstler, der ewige Gehalt der Kunst ist für jede Aeußerung derselben gleich und in jeder kann er die höchsten Stufen erreichen und sich neben den stellen, dem ein anderes Vehikel für seine Gedanken und seine begeisterte Phantasie zugemessen wurde.

Das ist eine Wahrheit, und Pieter van Slingeland hatte ein großes Interesse, sie zu vertheidigen. Meister Nederhout wollte sie nämlich nicht gelten lassen. Das wäre ziemlich gleichgültig für den zur oben bemerkten Zeit etwa sechsundzwanzig Jahr alten Maler gewesen, hätten sich an die Grundsätze des Mynheer Nederhout nicht sehr besondere Consequenzen geknüpft.

Nederhout hatte eine sehr schöne Tochter und Slingeland schwärmte für sie mit aller Gluth eines Künstlerherzens. Er hatte Mariens jugendliches Herz gerührt; zwar war es ihm noch nicht gelungen, die heiße Leidenschaft, welche er forderte, in dem jungfräulichen Busen wach zu rufen; so viel war gewiß, Marie liebte den schönen Maler. Sie tändelte, sie spielte und scherzte mit ihm; sie war entzückt, wenn er erschien und schmollte, wenn sie ihn nicht erblickte. Vorläufig genügten dem Maler diese Symptome – allerdings noch ein wenig zweifelhafte – der Liebe und auf den Grund derselben war er sogar entschlossen, Marie zu heirathen.

Da kamen aber die Glaubensartikel des Mynheer Nederhout in die Quere. Marie, [311] von ihm mit ausgezeichnetster Sorgfalt zur Violinspielerin gebildet, war von ihm bestimmt, die Gattin eines der bedeutendsten Künstler Europas zu werden. – Einen Meister wie mich, bedarf das Mädchen; rief der Alte; sonst überragt sie ihn, und es soll nimmer sein, daß die Frau dem Manne überlegen ist!

Also ein bedeutender Künstler! Das war Nederhouts Parole für seinen demnächstigen Schwiegersohn. Unter Künstler verstand er aber nur Musiker; kaum ließ er Dichter unter diesem Namen gelten. Maler aber waren ihm nichts, als bloße Techniker, die handwerksmäßig mit Farben arbeiteten. Slingelands Bewerbung war also von vornherein müssig, total hoffnungslos.

Noch ein Mal versuchte es der Maler, dem Musiker und Componisten vernünftigere Ideen beizubringen. Vergebens, der Eigensinnige blieb unerbittlich.

– Marie muß die meinige sein! rief Slingeland leidenschaftlich. Es muß, ich sage Euch Mynheer Nederhout, es muß einen Weg geben, um sie mir zu erringen!

– Allerdings, allerdings, mein Freund! sagte der Musiker mit spöttischem Lächeln.

– Redet, verlangt, was Ihr wollt . . . Meine Liebe ist allmächtig; ich werde sicherlich Euren Forderungen genügen!

– Wollen sehen! Mynheer van Slingeland, gegen Euch speciell habe ich nicht das geringste einzuwenden. Thut mir die Liebe und zeigt Euch mir als Virtuose und Marie ist die Eurige . . .

– Ah! schrie Slingeland. Ihr seid ein Tirann, grausamer als ein Tiger; Ihr wißt nur zu genau, daß ich zu wenig Gehör habe, um nur drei Noten richtig zu singen . . .

– Was wollt Ihr denn? Dann seid Ihr ja, was ich im Stillen längst wußte. Ihr gesteht’s ja zu, daß Ihr trotz Eurer Malereien, die Ihr Kunst scheltet, nichts mehr und nichts weniger, als ein Barbar seid!

Slingeland schien in diesem Augenblick dieses selbst ungefähr einzusehen. Er stieß centnerschwere Seufzer aus.

– Glaubt Ihr, Mynheer, sagte er nach sehr langer Pause, daß es mir, vielleicht unter Eurer gefälligen Anleitung, noch möglich werden würde, in der Musik so viel zu leisten, um Euren Forderungen zu genügen?

Der Musikant zuckte die Achseln.

– Versuchen kann man wenigstens Alles! sagte er.

– Ich erinnere mich, fuhr Slingeland eifriger und hoffnungsvoller fort, daß Raphael Sanzio einst an dem Tiber von Bravi’s überfallen wurde; daß ihn ein Schmiedeknecht, ein Harnischmacher errettete. Mir kömmts in den Sinn, daß dieser Panzerschmied eine Geliebte besaß, welche der Vater – ein Maler – nur einem Künstler, einem Manne seines Gewerkes, zur Frau geben wollte.

Mynheer Nederhout nickte ziemlich ungeduldig.

– Seht Ihr! ganz ein Fall wie der meinige! sprach Slingeland weiter. Was geschah! Der Panzerschmied vertraute dem Maler sein Leid und gestand ihm, er sei nur nach Rom gekommen, um malen zu lernen. Raphael ward aus Dankbarkeit sein Lehrer und – schändlich – daß ich den Namen des neuen Meisters nicht weiß – aber wüßte ich ihn, so würdet Ihr sehen, daß dieser Schmied ein so braver Maler wurde, daß der Entschluß des Vaters seiner Geliebten, [312] ihm die Hand der Tochter zu geben, vollkommen gerechtfertigt erscheint! Ich weiß jetzt: der Maler hieß Quentin Messys! Ich denke doch, Pieter van Slingeland steht der Musik näher, als jener Mann der Malerei? Wohlan, Mynheer; ich bin von heute an Euer Schüler . . .

Nederhout willigte wirklich ein und Slingeland fing richtig an, sich die unästhetischen Notenfiguren einzubläuen, zufällig Kenntniß von ihrem Werthe und ihrer Geltung, von Takten und einer Masse italienischer Zeichen und Bezeichnungen zu nehmen. Er hatte in den ersten acht Tagen riesenhaft gearbeitet. Noch hatten jedoch seine Hände den heiligen Körper eines musikalischen Instruments nicht berührt. Der Lehrer gab ihm jetzt ein Theorbium. Nach acht Tagen stellte es sich entschieden heraus, daß der Maler nie einen rechtmäßigen Strich darauf leisten können werde. Andere Instrumente kamen an die Reihe; die Blasinstrumente folgten, aber selbst die Trompete gab dem Schüler keine Hoffnung, daß sie sich werde von ihm kunstgerecht behandeln lassen.

Slingeland wäre jetzt schon unfehlbar verabschiedet. Aber er war so schlau gewesen, jeden Tag nicht eher mit Bitten und Anliegen aufzuhören, bis Salomon Nederhout die Violine nahm und ihm Stücke von seiner eigenen Composition vortrug. Der Alte war, was wir nach dem Gesagten kaum noch bemerken dürfen, sehr eitel. Er brachte seiner Eitelkeit den Tribut, sich täglich vor seinem stöckischen Schüler einige Stunden abzuarbeiten; und der Schüler brachte seiner Liebe das Opfer, wie ein Entzückter diese Qual des Anhörens zu ertragen.

– Was meinst Du, Marie, sollte aus dem Pieter noch was Gescheidtes werden! fragte er die Tochter einst im Vertrauen.

– Was weiß ich? Gieb ihn mir so wie er ist, oder ich versichere Dich, daß ich der ganzen Sache sehr bald überdrüssig sein werde.

– Es wird zuverlässig noch ein Musiker, wenigstens ein ausgezeichneter Componist daraus! murmelte Nederhout. Man hat mehre Beispiele, daß große Compositeure die Musik im Kopfe und das Maß für den Wohlklang im Auge, aber durchaus nicht im Ohre hatten. Hätte der Maler keinen Sinn für musikalische Schönheit: so würden ihn meine Meisterwerke nicht so hinreißen. Einen solchen Enthusiasmus fand ich noch selten! Wird Pieter Componist, so heirathe ihn immerhin. Aber ein Instrument muß er nothwendig zu spielen verstehen, sonst hat er bei seinen Studien ja gar keinen Anhalt . . . Welches jedoch . . . welches . . .

– Am besten wäre eine Kinderpfeife, von Bast etwa! sagte Marie malitiös.

Nederhout besann sich einen Augenblick, ob er seine Tochter zurecht weisen wolle, dann aber hatte er einen andern Gedanken. Er rieb sich sehr vergnügt die Hände.

– Richtig! Slingeland hat durchaus keinen Ansatz, bei den Blaseinstrumenten ist von Embouchure gar keine Idee . . . Du hast Recht, es muß ein Instrument sein, sehr einfach, das den Ton fertig in sich liegen hat . . . Und da ist die Pickelpfeife, oder das Flageolet, allerdings das empfehlenswertheste . . .

Marie lachte rücksichtslos.

Aber Nederhout begann sein Werk. Slingeland mußte Flageolet blasen und wirklich erregte er einige schwache Hoffnungen für seine musikalische Zukunft. Nederhout ward täglich mit ihm intimer. Er erlaubte es sogar, daß Marie kommen und, die Violine an den schwanenweißen Hals gesetzt, im Bunde die Dritte werden durfte. Terzette wurden aufgeführt, in denen [313] Slingeland nur dann etwa falsch blies, wenn seine Augen über das Notenbuch schweiften, um Tact, Thema und Variationen aus Mariens braunen Augensternen zu lesen.

War Nederhout zu beschäftigt, so übernahm Marie den Unterricht des Schülers. Namentlich diese Unterweisung förderte die Wissenschaft des Jüngers der Musik bedeutend. Einige Monate waren schon verflossen, da entschied endlich der einigermaßen gefügig gewordene Nederhout, daß er mit Slingeland eine General-Probe über seine musikalische Tüchtigkeit anstellen werde. Er wollte seine Forderungen an den Flötenblaser so niedrig wie möglich stellen; aber er bemerkte, daß dies Niedrigste der tadellose Vortrag einer ausgezeichneten italienischen Sonate, sammt der Aufführung des Concerts vom Maëstro Nederhout sein werde. Das erste Stück sollte Slingeland solo blasen, das zweite und dritte mit dem Meister und mit Marien executiren. Die fließenden italienischen Melodien capirte Slingeland sehr bald. Das Concert von Nederhout brachte ihn aber fast um den Verstand. Er glaubte sich verhext, bezaubert; es war unmöglich, daß er nur den Tact dieses Musikstückes, des Meisterwerkes des Niederländers, in welchem derselbe alle möglichen Schwierigkeiten und Künsteleien und Verschrobenheiten gehäuft hatte, inne bekommen konnte. Nederhout verordnete tägliche strenge Probe. Aber er ward krank, dieser schreckliche musikalische Quälgeist; die Sache wurde in soweit erträglicher, als Marie jetzt ausschließlich sich mit dem Einstudiren Slingelands beschäftigte. Der Maler überwand auch dasmal. Das Concert konnte er blasen. Zum ersten Male wirbelten, als er neben Marien saß, welche ihre Violine meisterhaft handhabte, aus der lächerlich kleinen Pfeife die eigensinnig verschlungenen Töne klar und hell und ohne Anstoß hervor. Der Musiker lag oben im Bette. Er hatte bisher jeden falschen Ton des Schülers anhören müssen, gern angehört, denn er konnte doch jetzt, im Bewußtsein seiner Ueberlegenheit fluchen: Meine Musik so zu verhunzen! Meine genialste Stelle ganz falsch vorzutragen! – Jetzt aber, als sein Concert, von den beiden Instrumenten aufgeführt ertönte, machte sich Mynheer Nederhout auf die Beine, zog den Schlafrock an und marschirte in Strümpfen die Treppe hinunter.

Eben kam er an der Thür an, als das Finale erklang.

– Brav! Sehr brav! murmelte er entzückt, mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen.

So stand er noch, als plötzlich eine eigenthümliche Conversation ihn aus allen seinen Himmeln riß. Slingeland machte nämlich nach der letzten Note einen Sprung hoch in die Höhe, zwang Marie, ihre Geige auf den einen Stuhl zu stellen und umarmte sie stürmisch, indeß er seine Flöte in der einen Hand fast ausgelassen um den Kopf schwenkte.

– Hurrah! Endlich überwunden! Du bist die Meinige, Marie! Mädchen, schrei doch, jauchze doch, gleich mir! Er drehte sich auf dem Absatze herum, verlor die Balance und hätte fast den kleinen Bologneserhund Mariens aus Versehen todtgetreten. Sie raffte ihn auf, nahm ihn auf den Arm und setzte sich auf den einen Stuhl.

– Aber sei doch nicht so ungeheuer ausgelassen! flötete sie, selbst entzückt über das Ende ihrer Prüfungszeit.

– Kann ich denn anders! Diese musikalische Hölle ist zu Ende! O, was hat Pieter Slingeland um Dich, Mädchen erlitten! Glaube nur, bei dieser letzten Qual, bei Mynheer Nederhouts Concertino ist mir wahrhaft der Verstand stehengeblieben. Es ist ein förmliches [314] Vacuum in meinem Geiste, gedenke ich dieser letzten vier Wochen, während welcher ich diesen Höllenmarsch habe pfeifen müssen!

Er wollte Marien umarmen. Der kleine Hund hätte ihn fast in das Gesicht gebissen. Er bellte und knurrte heftig.

– Belle nur, Diable! Schrei nur! Immer noch besser, als wenn ein unglücklicher Maler mit Concertino-Noten gleich wie mit einem Wermuth-Becher getränkt wird!

Hierauf zerrte er in glücklichem Uebermuthe, rechts um den Hals Mariens mit seiner Flöte, links mit dem Finger das gereizte Thierchen, bis es vor Zorn sich kaum noch mäßigte. Nicht weniger zornig war das dicke Gesicht Herrn Nederhouts, welcher jetzt mit großen Schritten ins Zimmer trat, und plötzlich eine eigenthümliche Scene aufführte. – Was? Was? Concertino . . . Verstand stillstehen . . . Vacuum . . . Höllenmarsch . . . ? Mein Meisterwerk? Barbar, Idiot, Zigeuner, Heide . . . stammelte der Componist.

Hiermit faßte er den bestürzten Maler am Arm und brachte ihn, wie weiland der Engel den Propheten Habakuk, mit Sturmeseile aus dem Hause hinaus, und auf die Straße. Slingelands Briefe wurden nicht angenommen. Am andern Morgen reiste der Musiker mit seiner Tochter von Amsterdam ab nach Mons. Der „arme“ Maler mußte schon zurückbleiben. Als Marie nach einem halben Jahre wiederkam, hatte sie ihren Gemahl bei sich, den hagern katholischen Organisten aus der Mons’er Kathedrale.

Slingeland, lange untröstlich, war aber Gottlob nicht vor Liebesgram gestorben. Er hatte eine Geliebte gefunden, welcher er ohne musikalische Studien seine Aufmerksamkeiten widmen durfte. Marie war vergessen; an seine qualvolle Liebeswerbung erinnerte nur noch die an einem rothseidenen Bändchen an der Wand hängende kleine Flöte.

Slingeland zeigte sie gern und erzählte dann mit Lachen diese Geschichte, welche ihm den Stoff für eins seiner höchst graziösen Gemälde herleihen mußte.