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Von Babylon nach Jerusalem

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Textdaten
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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Von Babylon nach Jerusalem
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 102–104
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Von Babylon nach Jerusalem.
Von Rudolf von Gottschall.


Die Pilgerin, welche diese Wanderschaft angetreten, hat jetzt ihren Lebensweg beschlossen. Frau Gräfin Ida Hahn-Hahn weilt nicht mehr unter den Lebenden, pflegt nicht mehr die Seelen der sündigen Magdalenen im Kloster der Gutenbergstadt. Schon lange gehörte sie zu den Vergessenen, und doch schrieb sie Romane auf Romane; alle aber blieben jenseits der Schwelle unserer Nationalliteratur und wurden nur in jenen Kreisen gelesen, in welchen auch die Erzählungen Bolanden’s ein begeistertes Publicum fanden, in den katholisch-kirchlichen Kreisen, und nur ein Legendenforscher von Fach würde genaue Auskunft über diese neue wunderthätige Production geben können.

Werfen wir einen kurzen Blick auf das merkwürdige Leben, dessen Wiege gleichsam hinter den Theatercoulissen stand, während der Sarg in der Klostergruft ruht. (Vrgl. dazu Jahrg. 1867, Nr. 42.)

Es war am Ende der vierziger oder bei Beginn der fünfziger Jahre – ich besinne mich nicht mehr genau auf die Zeit – als ich mit einigen Genossen ein auf freiem Felde bei Altona aufgeschlagenes Theater besuchte. Es waren weniger die Vorstellungen, die uns anzogen, als ein besonderer damit verknüpfter Umstand. An der Casse dieses Theaters stand nämlich neben dem Cassirer ein würdiger Herr mit dem Schnurrbart, einigen Ordenszeichen und vornehmer Haltung: es war der Director des Theaters, der in Schleswig-Holstein von Stadt zu Stadt zog und überall seine Wanderbühne aufschlug. Dieser passionirte Theaterfreund und Theaterdirector war Niemand anders als der Graf Karl Friedrich von Hahn-Hahn (Genaueres über ihn siehe Jahrg. 1873, Nr. 28, 29), ein Intendant auf freiem Felde und aus freier Hand, niemals zur Leitung einer Hofbühne, auch nicht der allerkleinsten, berufen, trotz seiner Ahnen, Orden und der ruhmvoll mitgemachten Feldzüge gegen die Franzosen in den Befreiungskriegen. Wer indeß gekommen war, um sich über den Mann lustig zu machen, über den eine Fülle von Anekdoten cursirte, wer mindestens auf einen tragikomischen Eindruck rechnete, der mußte sich enttäuscht finden gegenüber der würdevollen Erscheinung des „Theatergrafen“, der seinen Beruf mit solcher Sicherheit und, man möchte sagen, mit solcher Ueberzeugungstreue ausübte.

Die Tochter dieses Sonderlings war Gräfin Ida, die Romanschriftstellerin, und da nach Schopenhauer die Töchter von den Vätern den Geist erben, so waren in dieser Erbschaft, die ja nicht cum beneficio inventarii angetreten werden konnte, gewiß auch einige Capricen und Seltsamkeiten von Hause aus mit eingeschlossen. Gräfin Ida war am 22. Juni 1805 in Tressow im Mecklenburgischen geboren, und wenn sie auch ihre erste Jugend im väterlichen Hause zubrachte, so hatte sie doch in den späteren Jahren derselben keine feste Heimath.

Der Vater war in den Feldzügen abwesend und dann durch seine Theaterleidenschaft auf ein unstätes Leben hingewiesen. Diese Passion zerrüttete auch die Vermögensverhältnisse der Familie, und so mochte es anfangs als ein besonderes Glück erscheinen, als Comtesse Ida sich im Jahre 1826 in Greifswald mit einem reichen Vetter, dem Grafen Friedrich Wilhelm Adolf Hahn, vermählte. Doch fand sich die junge Gräfin nicht in die Bande einer standesmäßigen Ehe, die ihrer reichen Phantasie, ihrem unruhigen Geist keine Anregung bot, um so weniger, als der Gatte nur Sinn für Pferde und Hunde hatte. Die Ehe wurde im Jahre 1829 wieder geschieden. Während des Scheidungsprocesses wurde von der Gräfin ein Kind geboren, ein Mädchen, das ohne alle Fähigkeiten blieb, weder gehen noch stehen oder etwas mit den Händen greifen und halten konnte. Gräfin Ida konnte sich jetzt ihrer doppelten Passion hingeben: der Literatur und den Reisen. Es war damals die Epoche der George Sand’schen Romane, die in ganz Europa Sensation erregten. Gräfin Hahn-Hahn war eine geschiedene Frau wie die George Dudevant; sie war also von selbst auf die Pathologie der Ehe hingewiesen. Es lag damals allerlei in der Luft von kühnen, wenn auch unklaren Emancipationsbestrebungen; die Hahn-Hahn faßte diesen in der Luft liegenden Stoff mit aristokratischen Glacéhandschuhen an. Das Recht des Herzens vertrat sie nicht als ein allgemeines Recht, sondern mehr als ein Privilegium der bevorzugten Stände. Ueberhaupt bewegte sie sich im Kreise des Salons wie die attischen Tragöden im Kreise der Götter und Heroen; es gab da nichts von der Bedürftigkeit des Daseins; die ganze Selbstherrlichkeit der Leidenschaft kam zu uneingeschränktem Recht mit allen ihren Wunderlichkeiten. Trotz des oft bizarren französirenden Stils dieser Romane, trotz der oft seltsamen Capriccios, in denen sie sich ergehen, darf man doch behaupten, daß keine deutsche Schriftstellerin der George Sand im Ausdrucke der Herzensempfindungen und der poetischen Sprache der Leidenschaft so nahe gekommen ist, wie die Hahn-Hahn, so groß immerhin die Kluft sein mochte, welche die aristokratische Schriftstellerin von der demokratischen schied. Aus eigenem Erlebniß schöpfte sie den Stoff zu ihren Dichtungen; sie hatte ja die Unbefriedigung einer liebeleeren Vernunftehe kennen lernen und empfand, als sie freigeworden, die Schranken dieser Freiheit, welche die Gesellschaft von allen Seiten ihr entgegenstellte. Dieser „Gesellschaft“ warf sie den Fehdehandschuh hin in ihren Schriften wie in ihrem Leben.

Sie hatte inzwischen „den Rechten“ gefunden, einen Mann, der, durch kein eheliches Band ihr verknüpft, ihr doch Jahrzehnte lang zur Seite stand, wie Immermann der Gräfin Ahlefeldt in kürzerem Freundschafts- und Liebesverkehr: es war Baron Bystram, ein Mann von männlichem Aeußeren und edler Bildung. Daneben aber machte sie eine glühende Leidenschaft durch, einen kurzen Liebesroman, der aber für ihr poetisches Schaffen die höchsten Anregungen bot.

Sie, die Aristokratin, verliebte sich in einen der hervorragenden Führer der damaligen liberalen Partei, den Juristen Heinrich Simon, einen Mann von stattlicher Erscheinung und energischem Charakter, der in jener Epoche der constitutionellen Bewegung fast die gleiche Berühmtheit erlangt hatte, wie der Verfasser der „Vier Fragen“. Diese Liebe fand glühende Erwiderung; die schlanke blonde Aristokratin übte auch einen berückenden Zauber auf den Volksmann aus, der sonst gerade durch seinen kalten scharfen Verstand sich auszeichnete und auch in seinen schöngeschnittenen Gesichtszügen einen gewissen marmorkalten Ausdruck hatte. Simon hielt um die Hand der Gräfin an; doch diese konnte sich nicht dazu entschließen, ihren Rang einem Bürgerlichen von jüdischer Herkunft zu opfern.[WS 1]

Gleichzeitig hatte Simon einem Mädchen eine tiefe Neigung eingeflößt, das sich ebenfalls später als Schriftstellerin einen Namen erwerben sollte. Es war dies seine Cousine, Fanny Lewald, welche ihre Liebe bis zu Simon’s Tode tief im Herzen trug; doch diese Liebe blieb unerwidert; die Mecklenburgische Gräfin hatte den Sieg davon getragen über die jüdische Kaufmannstochter der Kniephof’schen Langstraße in Königsberg, trotz der Verschiedenheit ihrer politischen Anschauungen von denjenigen, welche Fanny Lewald mit ihrem Vetter gemein hatte. Mehr noch als der literarische Gegensatz zwischen der capriciösen, vornehm lässigen Schreibweise der Gräfin Ida und dem abgeklärten Stil der Fanny Lewald, mehr noch als der Gegensatz zwischen der exclusiven romantischen Lebensauffassung der Gräfin und der aufgeklärten, verstandesmäßigen der Jüdin mochten es jene feindlichen Lebensbeziehungen sein, was der Fanny Lewald die Feder in die Hand drückte, mit der sie in ihrer „Diogena“ die Romane der Gräfin Hahn-Hahn mit so beißender Persiflage parodirte.

[103] Unter diesen Romanen steht in erster Linie „Gräfin Faustine“, die genialste Production dieser merkwürdigen Schriftstellerin. Die Heldin ist ein weiblicher Faust … und wie dieser unersättlich in seinem Wissensdurst, so ist sie es in ihrem Durst nach Lebensglück. Unbefriedigt in ihrer Ehe liebt sie einen andern Mann; indessen dies allein würde ihr noch nicht den Stempel einer Faustine aufdrücken, es ist alltäglich, wenigstens in Romanen; aber die Heldin liebt zwei Männer zugleich, und auch hierin, sowie in der Ausübung der Kunst findet sie keine Befriedigung. Sie wandert in den Orient und geht in ein Kloster: ein Weg, den auch die Dichterin selbst später einschlagen sollte, welche in diese „Faustine“ schon soviel aus ihrem eigenen Leben hineingeheimnißt hatte.

Wenn eine Frau einen reichen Geist, ein empfängliches Herz besitzt, so bietet die heutige Welt ihr kein anderes Ziel als die Weltentsagung. Das ist die Moral der „Faustine“. Wohl, so werden diejenigen Frauen glücklich sein, die sich zu beschränken wissen und nur bescheidene Ansprüche an das Leben stellen? Nein, antwortet die unerbittliche Richterin unserer Gesellschaft, auch diese sind es nicht, und in ihrem Roman „Clelia Conti“ beweist sie, daß auch aller sanft sich hingebenden Liebe und Treue nicht der ersehnte Lohn zu Theil wird. Ueber diesem mehr rührenden Bilde schwebt eine ironische Beleuchtung: das sind eure idealen Frauen, seht, wozu sie es bringen! Mein Ideal bleibt die geniale „Faustine“, welche dem Gesetz der Welt Trotz zu bieten wagt. Einen Reichthum weiblicher Charaktere hat die Gräfin Hahn-Hahn auch in ihrem Roman „Ulrich“ dargestellt; es ist viel echte Liebespoesie in demselben; aber der Held, ein häßlicher, geistreicher Mann, ist nicht viel mehr als ein Don Juan. So sind alle ihre Männer, entweder Don Juans, oder Tyrannen, rohe Wüstlinge; sie treten bei ihr ja nur als Liebhaber oder Ehemänner auf; irgend ein thätiges Wirken bewähren sie nicht, eine Bedeutung für das Leben haben sie nicht. Die Frauen dagegen sind Märtyrerinnen unserer Cultur, und in einzelnen Romanen, wie in „Zwei Frauen“, wird der Protest gegen das Gesetz der Gesellschaft, das Evangelium der Freiheit des Herzens mit großer Beredsamkeit verkündet. Die Willkür genialer Naturen steht über dem Gesetz: das ist das Dogma der Romantiker, welches unsere Schriftstellerin für sich acceptirt hat; das ist der Grundton, der auch durch ihre übrigen Romane: „Der Rechte“, „Cecil“, „Sigismund Forster“, „Sibylla“, „Levin“ u. a. hindurchklingt.

Gräfin Hahn-Hahn hatte mit ihrer Gegnerin, der Fanny Lewald, das gemein, daß sie eine eifrige Touristin war und eine große Zahl von Reiseschriften veröffentlicht hat: „Orientalische Briefe“, „Ein Reiseversuch im Norden“, „Jenseits der Berge“, „Erinnerungen aus und an Frankreich“ u. a. Ihrem ganzen Wesen war indeß ein unbefangenes Beobachtungstalent fern; sie blieb überall eingesponnen in ihre eigene Empfindungs- und Gedankenwelt; sie sah die Welt gleichsam durch den Schleier ihrer eigenen Seele. An genialen Einfällen, zu denen äußere Eindrücke die Anregung gaben, fehlt es nicht in ihren Reiseschriften; aber anschauliche Darstellung von Land und Leuten, abgesehen von poetisch beleuchteten Stimmungsbildern, würde man vergeblich in ihnen suchen.

Im Jahre 1845 nahm die Gräfin Hahn-Hahn einen dauernden Aufenthalt in Dresden, wo sie mit der Aristokratie, mit schriftstellerischen Collegen, wie Freiherr von Sternberg, verkehrte. Doch sollte das Behagen des Lebens ihr bald in trauriger Weise gestört werden. Augenleidend, ließ sie sich von Dieffenbach operiren; dennoch verlor sie 1848 das eine Auge. Im Jahre 1849 starb ihr innigster Freund Bystram, und die in Dresden so furchtbar ausbrechende Mairevolution zeigte am hellen Tageslicht der Geschichte Elemente, die ihr in hohem Grade widerwärtig und feindselig waren.

Aus jener Dresdener Epoche haben wir die Aufzeichnungen einer mit der Gräfin Hahn-Hahn gesellschaftlich verkehrenden Dame, die uns von der vierzigjährigen Frau das folgende Portrait entwirft: „Sie hatte bereits das eine Auge eingebüßt, und ihre zarten, feinen Gesichtszüge waren durchaus nicht mehr ansprechend zu nennen. Eine fast durchsichtige Hautfärbung und das erhabene, klug und tief blickende Auge verliehen ihrer Physiognomie den Ausdruck geistiger Begabung und eines mehr als gewöhnlich regen Seelenlebens. Ihre Figur, groß und sehr schlank, war sehr mager, sodaß ihre eigentlich graziösen Bewegungen zuweilen eckig und der feste Tritt ihres schmalen Fußes wohl bisweilen allzu männlich erscheinen konnte. Dem Fuße gleich, war ihre Hand ebenfalls lang und schmal, und sie widmete diesen beiden Theilen ihres Körpers eine ganz besondere Aufmerksamkeit, wie sie denn auch mit Vorliebe Hände und Füße, den ihren gleichend, an ihren Heldinnen zu schildern pflegte. Sie trug damals ihr mattblondes Haar gescheitelt; ihre Nase war fein, der Mund frisch und trotz der schmalen scharfgeschnittenen Lippen von einem so wohlwollenden, freundlichen Zuge oft umschwebt, daß die innere Güte des Herzens sich wie ein rosig Licht über ihr ganzes Gesicht zu verbreiten schien.“

Der Ausbruch der revolutionären Bewegung, deren Gewaltsamkeit sie in nächster Nähe bedrängte, trug wesentlich dazu bei, den Entschluß in ihr zu reifen, ihrer „Faustine“ erdichtetes Schicksal zum eigenen, zur Wahrheit ihres Lebens zu machen. Der Tod Bystram's konnte sie in diesem Entschlusse nur bestärken. Hierzu kam, daß sie in Dresden die Bekanntschaft eines der geistvollsten Vorkämpfer des streng kirchlichen Princips machte, der bald darauf den Mainzer Bischofsstuhl besteigen sollte.

Gewandt mit Wort und Feder, heimisch in allen Bewegungen der Zeit, für seine Zwecke benutzend, was sich irgend in den Dienst der Kirche zwingen ließ, war Freiherr von Ketteler ganz dazu angethan, eine Frau von romantischen Neigungen im Augenblick, wo ihr eigenes Leben des festen Haltes zu entbehren anfing und die ihr widerwärtige revolutionäre Richtung in Deutschland in den Vordergrund trat, zur Proselytin zu machen.

So trat die Gräfin Hahn-Hahn im Jahre 1850 zur katholischen Kirche über und vermehrte die Zahl der Bekehrten, an denen unsere Literatur allzu reich ist. Einer Nachricht zufolge ist sie zuerst 1852 zu Angers in ein Kloster eingetreten; jedenfalls kam sie bald darauf nach Mainz, wo sie als Klosterfrau ein katholisches Magdalenen-Stift leitete. Dreißig Jahre lang, bis zu ihrem jetzt erfolgten Tode, lebte sie in der schönen Rheinstadt in klösterlicher Zurückgezogenheit. Nicht blos dem Salonleben, auch den touristischen Launen hatte sie entsagt, keineswegs aber dem literarischen Schaffen.

Das lag nicht im Sinne des Mainzer Bischofs, der selbst ein so geharnischter Kämpe mit der Feder in der Hand war, wie viele seiner Vorgänger es mit dem Schwerte waren. Er wollte ein so reiches Talent nicht versumpfen lassen; es sollte befruchtend wirken im Dienste der Kirche. Und so erfuhr die Welt aus der Schrift „Von Babylon nach Jerusalem“ die große Wandlung im Leben der Dichterin: es war ziemlich das letzte Werk der Hahn-Hahn, von dem man in literarischen Kreisen Notiz nahm; die folgenden wurden mehr durch die kirchliche Propaganda verbreitet. Sie hatte ja ihr letztes Wort gesprochen; die goldschimmernde Legende in etwas „preciösem Stil“ wurde jetzt ihre Muse. Sie schrieb Gedichte „unserer lieben Frau“ gewidmet, im Sinne jenes Marien-Cultus, den Brentano und später sogar Daumer gepflegt hatten; sie verfaßte ein „Leben des heiligen Augustinus“, „Bilder aus der Geschichte der Kirche“, ein „Büchlein vom guten Hirten“ und Aehnliches; doch auch dem Roman wurde sie nicht untreu; was sie indeß für die Unterhaltung frommer Seelen schrieb, hatte für die Weltkinder kein Interesse. Alle Romane habe denselben Refrain: die Flucht aus eitler Weltlust, aus den Schmerzen des Lebens, aus verwirrten Verhältnissen in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche. Wir erwähnen von diesen Romanen „Maria Regina“, „Doralice“, „Zwei Schwestern“, „Peregrin“, „Die Erbin von Cronenstein“ und andere.

Mochte es der Einsiedlerin von allen Entsagungen, die sie sich auferlegen mußte, nicht als die schlimmste erscheinen, daß diese Werke kein Echo mehr fanden in der deutschen Literatur, die ihr doch einst einen schönen Kranz gewunden, daß Nebenbuhlerinnen, die sie früher tief unter sich sah, sich jetzt im Lichte des Ruhmes sonnen konnten, welches ihr nicht mehr scheinen durfte? Sollte sie niemals in ketzerischen Augenblicken sich zurückgesehnt haben in die Zeit jener genialen Sünden, in den Wogenschlag des socialen und literarischen Lebens, der sie einst so hoch getragen? Wer kann es wissen?

Die Literaturgeschichte aber wird die fromme Pilgerin nicht vergessen; sie wird sie, gegenüber dem nüchternen und breiten Realismus der Gegenwart, als eine Dichterin anerkennen, welche,

[104] mit schönem Talent, mit warmer Empfindung ausgestattet, über die Kämpfe des Herzens und der Leidenschaft einen poetischen Hauch zu breiten wußte, den wir bei den kaltblütigen Zergliederungen, wie sie viele neuere Schriftstellerinnen lieben, vermissen. Es giebt zwar keine unter diesen, die von Babylon nach Jerusalem wandern wird, aber auch die „Faustinen“ sind ausgestorben in einer ernüchterten Zeit. Darum legen wir gern der letzten „Faustine“ einen Kranz auf die Gruft.

Anmerkungen (Wikisource)