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Vier Monate unter den Briganten

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Autor: unbekannt
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Titel: Vier Monate unter den Briganten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 311–315
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Brigantentum zur Zeit des Risorgimento
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[311]
Vier Monate unter den Briganten.[1]


Im Frühjahr 1865 wurden Salerno und Umgebung, welche bis dahin nichts von den im Neapolitanischen ihr Unwesen treibenden Briganten zu leiden hatten, jählings aus ihrem Frieden aufgeschreckt durch das Erscheinen einer Brigantenbande, welche auf ein Mal in die sichere Gegend einbrach und am hellen Tage das etwa eine Stunde von Salerno gelegene Aguamena überfiel. Man denke sich das peinliche Gefühl der Unsicherheit und die Bestürzung der Bevölkerung, wenn es möglich war, daß Brigantenbanden es wagten, in der Nähe einer Stadt von dreiundzwanzigtausend Einwohnern und einer starken Garnison ein Dorf am hellen Tage zu überfallen! Noch höher stieg die Angst, als auf einmal die Kunde von einem geheimnißvollen Morde an einem Taubstummen laut wurde, begangen in unmittelbarer Nähe der Fabrikgebäude eines in der Nähe ansässigen Schweizer Hauses, der Herren Schläpfer, Wenner und Compagnie, und der Wohnungen der Fabrikbesitzer.

Aus dem später über diesen Mord geführten Proceß ergab sich, daß der Brigantenhauptmann Cicho Ciancio den Taubstummen ermordet hatte. Dieser Cicho Ciancio hatte sich nämlich mit einem andern Industriellen seines Schlages, mit dem Bandenchef Giardullo verbunden, um das Geschäft der Entführung eines Angehörigen des Wenner’schen Hauses in Compagnie zu betreiben. Giardullo gestand, ein Mal neun Tage lang sich in der Nähe der Fabrikgebäude aufgehalten zu haben, um die Sache abzuwickeln. Unglücklicher Weise traf nun der äußerst harmlose Taubstumme bei Nacht mit Cicho Ciancio zusammen, und als jener auf die Anfrage des Banditen keine Antwort gab, glaubte dieser einen Verräther vor sich zu haben, den er mit dem Dolche unschädlich machen müsse. Beide Bandenchefs wurden nebst einem andern Briganten zum Tode verurtheilt. Ein unzweideutiges Warnungszeichen erhielt die Familie Wenner endlich dadurch, daß Herr Gubler, ein Theilhaber am Fabrikgeschäft, der in der Nähe seine Wohnung hatte, eines Sonntags bei Nacht angehalten wurde und mehrere Unbekannte ihn bedeuteten, daß er dem sichern Tode verfallen sei, sofern er nicht in kürzester Frist die in der Nähe der Fabrikgebäude liegende Wohnung verlasse. Gubler ist ein junger, muthiger Mann in der Vollkraft seiner Jahre. Er mochte dem Gesindel unbequem sein.

So standen die Dinge um die Wenner’schen Fabriken in den Sommermonaten des Jahres 1865. –

Es war am 13. October – so erzählt uns Herr Lichtensteiger, einer der Angestellten der erwähnten Fabrik – als ich nach meiner Gewohnheit einen Freund in der Umgegend besuchte. Nach mancherlei Gesprächen kamen wir auch auf das Brigantenthum zu reden und auf die Unruhe, in welche die düstern Ereignisse der letzten Monate Salerno und Umgegend versetzt hatten. Sieben Uhr Abends war vorbei, als ich mich auf den Nachhauseweg machte. Die Nacht war pechschwarz und konnte in ihren dunkeln Falten der Briganten Viele verstecken. Doch äußerte ich durchaus keine Besorgniß. Friedrich Wenner Sohn und der Hauslehrer der Familie, Friedli geheißen, ließen es sich nicht nehmen, mich nach meiner Wohnung zu begleiten. Wir traten also zu drei durch das kleine Pförtchen der Ringmauer in die Nacht hinaus. Die Thür des Pförtchens ließ Herr Wenner offen, um dann wieder ungehindert zurückkehren zu können. Kaum waren wir aber auf die Straße hinausgetreten, so hörten wir, wie das Pförtchen sich schloß, und ehe wir recht unterscheiden konnten, ob nicht dunkle Umrisse von Männergestalten sich um uns bewegten, sahen wir uns sofort umringt, mit derber Faust gepackt unter dem halblauten Ausrufe: „Halt! Ihr seid vom Bandenchef Manzo gefangen!“ Ich hatte kaum Zeit, mir eine klare Vorstellung meiner Lage zu machen, als mir, unterstützt von einem in den Nacken gehaltenen Dolche, der zweite Befehl zugeherrscht wurde: „Geben Sie keinen Laut von sich, oder Sie sind des Todes!“ Wenn auch das stumme Gehorchen unter solchen Umständen nicht gerade meine starke Seite ist, so fühlte ich denn doch, daß Stillschweigen für den jetzigen Moment nicht blos äußerst rathsam, sondern, wie Salomo sagt, „Gold“ sei. Stumm und ohne Geräusch traten wir den Marsch an, und ebenso lautlos setzten wir ihn fort. Zur Beruhigung indessen theilte uns Einer aus der Bande mit, daß wir uns weder vor Mord noch Todtschlag zu fürchten hätten; es handle sich um [312] ein einfaches Geschäft, das mit Geld möglicherweise so schnell zu erledigen sei, daß wir vielleicht den kommenden Tag schon wieder frei wären. – Wir waren wenige Schritte gegangen, so führte uns das dunkle Schicksal, das sich in das düstere Gewand von Briganten gehüllt, einen vierten Reisegefährten zu. Es war R. Gubler, den die Räuber zur gleichen Zeit in einem nach seiner Wohnung führenden Sträßchen angetroffen hatten. Auch er mußte sich dem Zug anschließen, damit die Briganten ungestörter ihre Geschäfte verrichten könnten.

So zogen wir dahin, an meiner Wohnung vorbei und zwar keineswegs so still und geräuschlos wie anfänglich. Man denke sich meine Stimmung! Oben in meiner Wohnung sah ich Licht, sah im Geiste die besorgte Gattin meiner wartend, die nichts von meinem Schicksal ahnte. Und ich durfte keinen Laut von mir geben! Vorüber, vorüber! Der Weg führte uns durch eine Meierei, wo Friedli den tollkühnen Gedanken faßte, durch einen beherzten Sprung die Böschung hinab seine Freiheit zu suchen. Vielleicht wäre ihm die Flucht unter dem Schutze der tiefen Dunkelheit gelungen, wäre er nicht unglücklicher Weise in einen Graben gestürzt, der ihn aufhielt. Es währte nicht lange, so brachten sie ihn wieder zurück.

Ehe wir nun unsern Marsch fortsetzen, muß mir der Leser einige Schritte rückwärts folgen zum Hause meiner Gattin. Als Viertelstunde um Viertelstunde verronnen war und ich immer nicht heimkehren wollte, wurde meine Gattin unruhig. Verschiedene Gedanken und Befürchtungen bemächtigten sich ihrer, bis endlich die Ahnung immer mehr Gestalt annahm, ich möchte auf diesem allerdings nicht mehr ungewöhnlichen Wege in Geschäfte mit den Briganten verwickelt worden sein. Die Vermuthung wurde beinahe zur Gewißheit gesteigert durch die Aussage der Schwester meiner Frau. Sie hatte nämlich eine Gesellschaft von Männern – wahrscheinlich unsere Gesellschaft selbst – nahe am Hause vorbeigehen sehen. Da aber kein Ruf, kein Aufschrei und kein Waffengeräusch hörbar geworden, so hatte sie an nichts Arges gedacht.

Diese Andeutungen waren mehr denn genügend für meine Gattin, und sie eilte rasch entschlossen ganz allein in die Dunkelheit hinaus nach der Fabrik, um sich dort nach mir zu erkundigen. Man denke sich nun den Schrecken Aller, als man weder hier noch in der ganzen Nachbarschaft etwas von mir und meinen Begleitern wissen wollte, als die eifrigsten Nachforschungen kein Resultat ergaben und als nur noch die Annahme übrig blieb, daß wir sämmtlich durch Briganten gefangen genommen sein müßten!

Sofort wurde nun nach Salerno geschickt, Anzeige gemacht von dem Vorfalle, Militär aufgeboten und den Flüchtigen nachgesandt. Und nicht lange stand es an, daß man unzweideutige Spuren unserer Flucht und damit vollste Gewißheit von unserem Schicksale hatte. Allein bis dahin war eine verhältnißmäßig lange Zeit verstrichen. Es war Mitternacht und wir mit unserer anmuthigen Begleitung längst über alle Berge, obgleich die Bande sich gar nicht besonders beeilt hatte; sei es, daß Meister Manzo alle diese Umstände schon zum Voraus genau in Berechnung gezogen; sei es, daß er den Diensteifer und den Todesmuth der Truppen zu Salerno längst aus Erfahrung kannte.

Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung wieder zu unserem Marsche zurück. Jeder von uns hatte zu größerer Sicherheit einige dieser Industriellen als Schutzmänner bekommen, und so ging es, nachdem Manzo auf dem Wege noch einen Wasserwächter hatte mitgehen heißen, um einen Verrath unmöglich zu machen, in dunkler, feuchtkalter Nacht einem Bache entlang, den wir bald zu überschreiten hatten. Dann ging’s weiter bergunter und bergauf, auf ungebahnten Wegen, die nur kletternden Ziegen und ihren Hirten bekannt sind, durch düstere Waldreviere, grause Schluchten, an drohenden Abgründen im zerrissenen Gebirge, schweigsam, jeder seinen eigenen Betrachtungen überlassen, aus denen wir nur durch erst öfters sich wiederholendes rauhes „Vorwärts“, begleitet von wüsten Drohungen, aufgeschreckt wurden, wenn die ungewöhnte Anstrengung und die eintretende Müdigkeit sich unser bemächtigten. Es sind lange und bange Stunden gewesen, die wir, Jeder einen Briganten auf den Fersen, in dieser Nacht verlebten, todmüde und stets gehetzt von dem eilenden Gesindel, und es wird mir immer in Erinnerung bleiben, mit welchem Gefühle ich drüben im Osten den ersten Lichtstreifen, den Vorboten des jungen Tages, am Horizonte aufblitzen sah. Endlich, endlich wurde es Tag, und nicht weniger erstaunt mochte die junge Sonne auf unsere gemischte Gesellschaft herabsehen, als wir selber Einer dem Andern in’s Gesicht blickten. Ich weiß nicht, soll ich es Ueberraschung oder soll ich es Enttäuschung nennen, was sich meiner bemächtigte. Ich hatte wenigstens geglaubt, wahrhaftige Banditen, echte Räubergestalten vor mir zu sehen, wie man sie etwa in Rinaldo Rinaldini’s Lebensbeschreibung oder auf Lithographien in Bauern-Wirthshäusern zu sehen bekommt. Was fand ich aber? Ganz gewöhnliche Menschenkinder, meist dem ehrsamen Stande der italienischen Ziegenhirten angehörend, aus welcher Menschenclasse die Briganten sich zunächst recrutiren, Geißhirten, welche die Lust angewandelt hatte, sich einmal in ergiebigern Artikeln zu versuchen. Sie waren Alle ordentlich, fast möchte ich sagen, gut gekleidet, sodaß Jeder von ihnen als ganz unverdächtig taxirt worden wäre, hätte man ihn unter ehrliche Leute gesteckt.

Täuscht mich mein Gedächtniß nicht, so begegneten wir an diesem Tage einer Patrouille der Guardia Mobile (eine Streifwache von Landleuten), die aber weder das Bedürfniß, noch den Muth fühlten, einen Angriff auf die Bande zu wagen, zumal sie Meister Manzo und dessen Kühnheit wohl kannten. Einer dieser Helden von der mobilen Garde – so erzählte man uns später – habe seinem Chef hoch und theuer versichert, daß Manzo mit einem einzigen Schusse drei der Tapfersten niederstrecken werde. Was Wunder, wenn der Patrouillenchef wenig Lust hatte, mit den blauen Brigantenbohnen Bekanntschaft zu machen. Es mag am Platze sein, das hier anzureihen, was ich später über Manzo von einem seiner Verwandten erfuhr. Manzo war seines Zeichens ebenfalls Viehhirt und zwar von drei Brüdern der zweitälteste. Ihr Geburtsort ist Acerno. Die Härte, mit der ihn früher der Sindaco seines Ortes behandelt hatte, trieb ihn zur Rache. Mit seinem ältern Bruder erschoß er den grausamen Dorfregenten, rettete sich in die Wälder und war nun Brigant. Zu seinem Lobe muß ich beifügen, daß man behauptet, er habe sonst keinen Mord auf dem Gewissen und mache überhaupt eine vortheilhafte Ausnahme von Andern seines Gelichters.

Der größere Theil seiner Bande – sie war dreiundzwanzig Mann stark – ist ebenfalls aus der Gegend von Acerno, einem Dorfe in einer Gebirgsgegend, welche an Wildheit und Zerklüftung mit jeder Partie unserer Schweizer Kalkalpen wetteifert. Hier haust noch urgemüthlich der Wolf, und auf unserm Märsche sahen wir einst, wie zwei solcher Bestien auf einen etwas zurückgebliebenen Briganten zuschlichen zur Recognoscirung ihres Opfers. Die schnell herbeigeeilte Bande verhütete ein Unglück.

Hier, auf diesen zerrissenen Gebirgen, wo nur der schwindelfreie Ziegenhirt und seine leichtfüßige und leichtfertige Heerde eine Heimath finden, hier sind die sichern Schlupfwinkel des Räubers. Hier übersieht er die ganze Gegend, überschaut jede drohende Gefahr, der er dann mit Leichtigkeit ausweicht. Hier können die Ritter vom Stegreif auch leicht von ihren Helfershelfern mit Speise und Trank und den nöthigen Bedürfnissen versehen und vor Gefahren gewarnt werden; hier bewachen sie ungestört ihre Opfer und sehen mit aller Gemüthsruhe den etwa gegen sie unternommenen Verfolgungen entgegen. Diese Helfershelfer sind meist wohlhabende Grundbesitzer. Dies beweisen alle Processe gegen die Briganten, namentlich auch derjenige Giardullo’s, dessen Haupthehler der Baron Perotti war. Sogar Officiere der Nationalgarde machen nicht selten Geschäfte der Art, wobei ihnen namentlich der Umstand zu statten kommt, daß sie die Bewegung der Truppen den Briganten verrathen können.

Müde und matt bis in’s Herz, zerrissen an Kleidern und Schuhen, wurden wir von unseren Peinigern endlich auf den schrecklichsten Pfaden in ihren Schlupfwinkel im düstern, schweigsamen Walde gebracht. Rasch wurden einige Bäume gefällt und eine Blockhütte aufgeschlagen, welche nur nothdürftigen Schutz gegen die rauhe Herbstwitterung gewährte. Kaum waren wir untergebracht, als schon Manzo mit Papier, Tinte und Feder kam und Herrn Wenner aufforderte, zu schreiben. Der Inhalt des Briefes wurde kurz, aber inhaltsschwer, dahin präcisirt: „Sie schreiben Ihrem Vater, daß er für Sie 200,000 Ducati (850,000 Frcs.) zu erlegen habe!“ – „Ich schreibe dies nicht, war die entschiedene Antwort des jungen Wenner. – „So schreiben Sie 150,000,“ erwiderte Manzo erregt. – „Ich schreibe auch dies nicht,“ gab Wenner abermals zurück. Manzo beantwortete die abermalige Weigerung mit einigen Ohrfeigen, ich aber bemerkte Wenner, daß es sich einstweilen nur um das Schreiben, keineswegs aber schon um [313] das Bezahlen dieser Summe handle, „denn diese Herren werden wohl mit sich markten lassen,“ setzte ich in deutscher Sprache hinzu. Genug, Wenner schrieb den verlangten Brief. Von mir verlangte Manzo 100,000 Ducati, obschon ich auf seine Frage, wieviel ich denn bezahlen wollte, nur tausend Francs anbot; „all’ mein Hab und Gut,“ fügte ich bei und versicherte ihm zugleich, daß ich nicht italienisch schreiben könnte. Dabei bemerkte ich noch, daß ich, als Angestellter der Fabrik, keineswegs über solche Summen zu verfügen im Stande sei. Die Briganten aber behaupteten, ich hätte eine reiche Fabrikantentochter geheirathet, sei Antheilhaber der Firma und dergl. Dazu kam noch ein Umstand, der mir beinahe hätte gefährlich werden können. Am Abend meiner Gefangennehmung trug ich zufällig das Paar Stiefeln, das ich mir zur Hochzeit hatte machen lassen. Der dienstfertige Schuhkünstler hatte in übergroßem Eifer zu Ehren des Tages auf den Sohlen eine Zeichnung, gebildet aus Messingstiften angebracht. Dieser unzeitigen Künstlerlaune meines Schusters verdankte ich es, daß die Banditen des festen Glaubens lebten, meine Stiefeln seien mit Gold beschlagen und deren Träger müsse nothwendig ein „Vollwichtiger“ sein.

Inzwischen hatte Wenner seinen Brief nach dem Dictat des Capitano fertig geschrieben. Manzo nahm ihn und gab denselben dem wohl zu diesem Zwecke mitgeschleppten Wasserwächter zur Ueberbringung an Herrn Wenner.

Nun wurde uns Essen gereicht. Ich bemerke hier, daß die Nahrung der Briganten durchweg aus geräuchertem Schweinefleisch, Speck, Käse und altbackenem Hausbrode bestand. Zuweilen gab’s auch frisches Fleisch und Macaroni. Mangel mußten wir selten leiden, daß aber von Leckerbissen für einen verwöhnten Gaumen keine Rede sein konnte, brauche ich kaum zu sagen. Bei unsern Mahlzeiten hatten wir weder Gabel noch Löffel, und bei der Zubereitung der Speisen ging es meist so urwüchsig zu, daß nur der allzeit beste Koch, der Hunger, zum Essen einzuladen vermochte. Mehrere Male brachten sie junge, lebende Ziegen in das Versteck und schlachteten sie hier. Wein wurde uns während der Gefangenschaft zwölf Mal gereicht. Einmal war ein solches Quantum vorhanden, daß beinahe alle Glieder der Bande benebelt waren.

Man kann sich kaum eine Vorstellung von der Stimmung der Unsrigen machen, als der verhängnißvolle, von Manzo abgeschickte Bote auf der Fremdencolonie in Salerno ankam. Diese Stimmung wurde noch gedrückter, als man auf jedem neapolitanischen Gesicht die ausgeprägteste Schadenfreude lesen konnte, obschon die Neapolitaner in den gesuchtesten und gewundensten Phrasen ihre Theilnahme heuchelten und sogar eine Art von Thränen vergossen, die wir an gewissen Reptilien des Nils bewundern.

Daß unsere Angehörigen nicht diejenigen Maßregeln getroffen, wie dies bei dem Engländer Moens geschehen ist, gereichte uns zu großem Vortheile. Es wurden uns eine Menge Strapazen erspart, die uns bei militärischer Verfolgung der Bande nothwendig hätten treffen müssen. Zudem wurden wir frischweg mit dem Tode bedroht, falls Truppen den Versuch machen sollten, uns zu befreien.

Der Brief Manzo’s hatte nicht blos die genannte Summe gefordert, sondern nebenbei auch eine Anzahl von Uhren, obgleich die Banditen uns unserer goldenen Uhren schon beraubt hatten. Ich konnte meine goldene Kette verstecken und sie blieb auch unentdeckt. Im Weitern waren Ohrringe verlangt worden, Revolver, eine genaue Karte von Neapel, selbst Hunde. Wir baten für uns um warme Kleider. Eine Abschlagszahlung nebst den übrigen Gegenständen, – mit Ausnahme der Hunde – wurden gesandt. Auch Kartenspiele wurden mitgegeben, um den Unglücklichen die tödtliche Langeweile erträglicher zu machen. Zum Sendboten an die Bande ward ein in der Fabrik angestellter Wächter gewählt, Namens Matteo, der früher ebenfalls Viehhirt gewesen war und deshalb die Gegend und die zur Uebergabe der Gelder bestimmten Orte ganz genau kannte. Wie und wo dieses geschah, haben wir nie in Erfahrung bringen können. Gewiß ist nur, daß Manzo meist das Ueberbrachte in Empfang nahm und ganz genaue Empfangsscheine über das Erhaltene ausstellte. Hieraus erkläre ich mir seine öftere Abwesenheit von der Bande. Im Uebrigen hielt die Familie Wenner Alles so geheim wie nur immer möglich, was gewiß äußerst klug war.

Die Bande war eines Tags gerade mit der Mahlzeit beschäftigt, als aus ganz geringer Entfernung plötzlich Trompetensignale an unser Ohr schlugen. Alles raffte sich auf, Manzo befahl einem Theil der Bande mit den Gefangenen so schnell als möglich zu fliehen, während er selbst mit dem Rest sich langsam zurückzog, Alles im Stiche lassend, was an Speisen, Kleidungsstücken etc. auf dem Boden herumlag. Manzo hatte die höchste Zeit gehabt. Nicht lange nachher konnte er durch sein Fernrohr ganz deutlich sehen, wie ein Truppendetachement sich eingefunden und wie eine Schildwache auf dem verlassenen Lagerplatze auf- und abging. Die von der Bande zurückgelassenen Gegenstände wurden nach Salerno geschickt, und unter diesen erkannte man die uns angehörenden Dinge. Doch für uns hatte die Stunde der Befreiung noch nicht geschlagen. –

Auf dem Marsche, den wir zur Aufsuchung eines neuen Versteckes nach dem erzählten Ueberfalle antreten mußten, hatten wir [314] das Vergnügen, einer anderen hübschen Gesellschaft verwandter Geschäftsfreunde zu begegnen, der Bande des Cicho Ciancio, mit der wir einen ganzen Tag marschirten. Sie schien mir die gleichen Reisezwecke zu verfolgen, denn auch sie war durch Geschaftsstörer in Uniform aus ihrem Frieden herausgeschreckt worden. Ich fand zwischen den Briganten Cicho Ciancio’s und derjenigen Manzo’s keinen großen Unterschied. Nur fiel mir gelegentlich einer kurzen Pause, die zum Ausruhen bewilligt wurde, ein blutjunger Brigant auf, der sofort mit Scheere und Nadel zu hantiren und Kleidungsstücke zu flicken begann. Ich selbst hatte die Dienste eines „Regimentsschneiders“ sehr nöthig, da ich den Abfall verschiedener Knöpfe zu beweinen hatte, und bat den Jungen, die Constitution meiner Bekleidung wieder zu befestigen, ohne jedoch zu merken, daß ich keinen Er, sondern eine Sie vor mir hatte, nämlich eine ziemlich hübsche Brigantessa. – In unserem neuen Verstecke angekommen, bemühten wir uns, auf der den Briganten geschickten Karte, die uns seltsamer Weise von ihnen überlassen wurde, die Lage unseres Gefängnisses ausfindig zu machen. Dies gelang uns ganz gut und zwar mit Hülfe eines gewiß eigenthümlichen Umstandes. Es ist buchstäblich wahr: die Bande lagerte mit uns einem Orte gegenüber, woher wir regelmäßig und ganz deutlich die Trommelsignale der dort stehenden Garnison vernahmen! Und trotz dieser naheliegenden Hülfe konnten wir nicht gefunden werden! Ich muß es dem freundlichen Leser selbst überlassen, hierüber seine Anmerkungen zu machen.

Mit der zweiten Geldsendung, welche Matteo überbrachte, kam auch das Lösegeld für mich, die Summe von viertausend Francs, mit der ganz entschiedenen schriftlichen Erklärung, daß für Lichtensteiger Nichts mehr gegeben werde. Manzo gab sich, wenn auch ungern, mit der Summe zufrieden, nicht aber die Bande, und ich mußte während der Abwesenheit Manzo’s oft die Drohung der Banditen hören, ich müsse noch „Schnee essen“, d. h. getödtet werden. Wie groß die Summe war, die Herr Wenner zahlte, weiß ich nicht genau, drang auch nicht darauf es zu erfahren. Man sagt, er sei durch Vermittelung Giardullo’s für die Summe von einhundertundsechszigtausend Francs mit Manzo übereingekommen.

Da nur für mich und Herrn Wenner ein Lösegeld gefordert wurde, für die Herren Gubler und Friedli dagegen nicht, so richteten die Briganten ihre Behandlungsweise der Gefangenen nach diesem Umstande ein. Während die zwei Erstgenannten als Galantnomini mit „Don“ betitelt und zu keinerlei Dienstleistung angehalten wurden, mußten unsere zwei Freunde tagtäglich Holz sammeln, Feuer anzünden, Schnee herbeischaffen und dergleichen. Auch wurden sie nie mit Don angeredet, sondern einfach bei ihrem Taufnamen gerufen.

Unsere Unterhaltungen mit der Brigantenbande wurden in italienischer Sprache geführt. Unter uns selbst durften wir deutsch sprechen. Wir hatten diesen Umstand schon von Anfang an dazu benutzt, jedem der Briganten einen beliebigen Namen beizulegen, um so ohne deren Wissen von Jedem sprechen zu können. So hatten wir einen „Alten“, einen „Schuhmacher“, einen „wilden Teufel“, einen „Büffel“ u. s. w. Freilich mochten die Räuber zuweilen ahnen, daß sie der Gegenstand unserer zärtlichen Unterhaltung waren. Sie fragten uns deßhalb hie und da, über was wir sprächen. Natürlich waren wir um eine passende Antwort nie verlegen. –

Einst begab es sich, daß die ganze Bande abwesend war mit Ausnahme zweier ehrenwerthen Mitglieder, welche zu unserer Bewachung zurückgeblieben waren und sich mit dem Ausweiden einer geschlachteten Ziege beschäftigten. Die Schießwaffen lagen am Boden, die Versuchung zur Flucht trat entsetzlich nahe. Bald waren meine drei Gefährten entschlossen, der Waffen sich zu bemächtigen, über die beiden Wächter herzufallen, sie zu tödten und die Flucht zu ergreifen. Aber was dann? Wie wollten sie sich zurechtfinden? wer zeigte ihnen die Spur durch die unbekannten Wälder? Wie leicht mußte es den Briganten werden uns wieder einzufangen! Und was dann? Die Rache einer Brigantenbande heraufzubeschwören? Und gerade in dem Zeitpunkte eine Flucht von höchst zweifelhaftem Erfolge und mit blutbefleckten Händen zu unternehmen, wo wir doch schon einigen Grund zu der Hoffnung hatten, in nicht zu ferner Zukunft freigelassen zu werden, da die Familie Wenner bereits den größten Theil der geforderten Summe an unsere Peiniger überschickt hatte! Diese Einwendungen machte ich geltend und hatte meine Freude zu sehen, daß meine Freunde von ihrem Vorhaben abstanden. Was unser gewartet hätte im Falle einer mißlungenen Flucht, sollten wir an einem der nächsten Tage schon erfahren. Wir waren an einem ziemlich steilen Abhange eingeschlafen und Einige von uns rutschten während des Schlafes ganz unfreiwillig eine kleine Strecke den Abhang hinunter und kamen so in die Nähe der Waffen. Die Schildwache bemerkte es und die Bande gerieth in eine so gefährliche Aufregung, daß wir den ganzen Tag mit unsäglicher Mühe und Anstrengung die Leute versichern mussten, daß wir durchaus keine Absicht hatten zu entweichen.

Eines Tages war Manzo, begleitet von nur einem seiner Leute, in Geschäften abwesend. Dieser Begleiter verließ plötzlich seinen Capitano und stellte sich freiwillig der Behörde. Manzo hatte nichts Eiligeres zu thun, als sofort zur Bande zurückzukehren, um sein Versteck abermals zu verlegen und zwar an einen Ort, der auch dem Entlaufenen unbekannt war. Um zehn Uhr Vormittags – es war ein Tag voll stürmischen und kalten Regenschauers – gab Manzo den Befehl zum Aufbruche. Und fort ging es auf Wegen, welche halsgefährlich an Abgründen hinführten, fort ohne Rast und Ruh mit einer Eile, die ein schlechtes Gewissen als Locomotive und den hänfenen Strick im Rücken als Conducteur hatte; fort ging’s rastlos bis des andern Tages Abends sechs Uhr, so daß wir, die wenigen Ruhepunkte abgerechnet, zweiundzwanzig volle Stunden zu marschiren hatten. Die Natur hat mich nicht mit einem starken Körper ausgestattet und meine Constitution ist der Art, daß ich mich vor jedem noch so unschuldigen Luftzuge ängstlich in Acht nehmen muß. Und nun denke man sich meine Lage auf diesem zweiundzwanzigstündigen Marsche! Ich glaube, daß ich den Dolch des Banditen einer nochmaligen Wiederholung der Leiden dieser zwei Tage vorziehen würde. Mit dankbarer Anerkennung gedenke ich hier der vielen Freundschaftsdienste Gubler’s, der seinen Humor während der ganzen Schreckenszeit nie verlor; immer und überall war er mit Rath und That zur Hand, er war auch der Liebling der Briganten geworden und zwar in dem Grade, daß sie ihn ausforderten, bei ihnen zu bleiben und sich geschäftlich mit ihnen zu verbinden. Dieses Schelmen-Vertrauen mochte darin wurzeln, daß sie seine Kraft, seinen Muth und seine rasche Entschlossenheit aus eigener Anschauung kennen gelernt hatten.

Daß der Mensch ein Kind der Gewohnheit ist, das bewiesen auch wir. Wer hätte geglaubt, daß es einem Menschen, der bei Nacht und Nebel auf offener Straße, ohne Wissen der lieben Angehörigen von Briganten geraubt und ein Vierteljahr lang von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel geschleppt wurde, daß es einem solchen Unglücklichen noch einfallen könnte, mitten unter Briganten zu singen! Und doch war es so. Wir sangen, wäre es auch nur gewesen – um „des Todes Bitterkeit zu vertreiben“. Wir sangen die einfachen Volkslieder unserer Heimath, die nicht nur unser Gemüth weicher stimmten, sondern selbst des Wohlgefallens der Briganten sich zu erfreuen hatten, so daß diese uns öfters zum Singen aufforderten, ja den Versuch machten mit einzustimmen, was freilich ein verzweifeltes Beginnen war. Es war besonders die einfache Weise des: „Ich hatt’ einen Cameraden“, welche die Briganten elektrisirte, und bald waren einige unter dem Volke, welche die Melodie auswendig konnten und häufig prakticirten.

Der Gesang sollte aber bei Gubler auch zum Disciplinarmittel gegenüber der Bande werden. Einige Briganten hatten ihn einmal erzürnt und er beschloß Rache zu nehmen. Des Nachts, als Alle im tiefsten Schlage lagen, fing er so laut und anhaltend an zu singen, daß selbst Kaiser Rothbart an seinem Marmeltische im Kyffhäuser aufgewacht wäre. Die Bitten und Drohungen der edlen Bruderschaft halfen nichts, und erst unsern Vorstellungen folgte der Sänger und beendete sein Concert aus Fra Diavolo.

Die Disciplin in der Bande Manzo’s war nicht weit her und es gelang dem Capitano nie, die Zügel straff zu halten, obgleich er ein Bursche von großer Intelligenz und Entschlossenheit ist. Ein gewisser Zug natürlicher Gutmüthigkeit war es, dem die laxe Zucht der Bande ihr Dasein verdankte. Der einzige mit der größten Leidenschaft gehegte Zeitvertreib der Leute war das Spiel und zwar das Spiel um hohe Summen. Manzo selbst spielte nicht mehr, obgleich er anfänglich einer der leidenschaftlichsten Spieler gewesen sein soll.

Sobald wieder eine Geldsendung angekommen und Jeder im Besitze seines Antheils war, so begann das Spiel nach dem Satze: [315] „Wie gewonnen, so zerronnen“, oder wie wir Schweizer sagen: „Ring (d. h. ohne Anstrengung) g’wunne, ring dure (durchgebracht)“. Die Einsätze betrugen zwanzig bis zweihundert Francs und das Spiel bestand darin, daß man einige Geldstücke in einen Hut warf, diesen schüttelte, dann umkehrte und „Kopf oder Nichtkopf“ rieth. Natürlich geht die Sache sehr rasch, und man kann in verhältnißmäßig kurzer Zeit bedeutende Geschäfte machen. Einer unter den Briganten soll zwanzigtausend Francs an Geldern, die er auf diese Weise gewann, besitzen. Diejenigen, welche ihre Baarschaft verloren hatten, fingen dann an um ihren Schmuck zu spielen, den diese Leute sehr lieben. So hatte z. B. derjenige, welchen wir „Affe“ titulirten, nicht weniger als zweiundzwanzig Ringe an seinen Fingern und einige goldene Ketten um den Hals. Ueberdies hatte er sich noch einige große Goldstücke gleich Ordenssternen an die Brust geheftet, als würdiger Ritter des Bomba-Ordens. War auch der Schmuck dahin, so ging es um den Antheil an der nächsten Geldsendung. Ja, es wurde um Summen gespielt, welche man von erst noch zu fangenden Personen zu erhalten hoffte. Das Spiel war immer mit Zank und Streit begleitet und Manzo konnte einmal die mit Dolch und Revolver aufeinander Dringenden nur dadurch beschwichtigen, daß er bestimmt erklärte, er werde den Ersten niederschießen, der sich noch ein einziges Wort erlaube. Das wirkte. Solche Momente sind die einzigen gewesen, welche an die Räuber-Romantik der „Böhmischen Wälder“ erinnerten. Zwei Dutzend Banditen in hitzigem Streite begriffen, Dolch und Revolver schwingend, beleuchtet vom röthlichen Scheine eines Feuers im düsteren Walde, die gespenstigen Schatten der umstehenden Bäume, mitten im Getümmel den handfesten Hauptmann mit gespanntem Revolver und dem Zeigefinger am Drücker, sein entschlossenes Gesicht, erhellt von der nächtlichen Flamme und glühend vor Zorn, ließen mich unwillkürlich an die Strophe denken:

„So machen wir uns Muth und Kraft
Und mit dem Schwarzen Brüderschaft,
Der in der Hölle bratet.“

Wenn auch Manzo in solchen Augenblicken als entschiedener Meister auftrat, so hinderte dies dennoch nicht, daß seine Untergebenen jede Gelegenheit benutzten, ihren Capitano zu beschimpfen. Dieser Umstand mochte auch dazu beitragen, daß in ihm der Entschluß reifte, sich nach Auslösung der Gefangenen freiwillig der Behörde zu stellen. Es war nur die eiserne Nothwendigkeit und der Mangel an eigener Intelligenz, was die Briganten zwang, seinen Befehlen sich zu fügen.

Um unsere tödtliche Langweile einigermaßen abzukürzen, suchten wir anfangs unser Heil in den überschickten Karten und spielten Piquet; als sich aber nach und nach auch die Briganten zum Spiele gesellten und dann regelmäßig Streit entstand, so sah sich Manzo genöthigt, die Karten wegzunehmen und zu zerreißen. Ich kam nun auf den Gedanken, einfache Schachfiguren zu schnitzen, aber meine Arbeit war eine vergebliche. Friedli, der nicht besonders stark war im Schach, zeigte durchaus keine Lust mitzuspielen, und so blieb mir nichts Anderes übrig, als die Figuren als theures Andenken aufzubewahren. Einen anderen Zeitvertreib fanden wir, bei gänzlichem Mangel an Taschenuhren, darin, daß wir die Stunden nach dem Stande der Sonne zu bestimmen suchten. Wir brachten es hierin zu einer ziemlichen Fertigkeit, allein es fehlte uns die Controle, der Maßstab, die Richtigkeit unserer Beobachtungen an einer guten Uhr selbst zu prüfen.

Unser Verhältniß zu Manzo, wurde nach und nach ein ganz erträgliches. Ja, wir besaßen eine Art Banditen-Vertrauens, das sich sogar einmal in der Weise kundgab, daß Manzo den Herrn Wenner aufforderte, ihm einen Liebesbrief an eine seiner weiblichen Bekanntschaften zu schreiben. Lachend erwiderte Wenner, daß er dies aus Mangel an Uebung durchaus nicht verstehe. Wiederholtes Drängen von Seite Manzo’s und die versprochene Beihülfe von uns Uebrigen, die wir vielleicht mehr Praxis in dieser Art Literatur hatten, vermochten endlich Wenner, die drollige Arbeit zu übernehmen. Sei es aber, daß Manzo, dem feurigen Liebhaber, die gewählten Ausdrücke zu gut italienisch, d. h. unverständlich blieben und überhaupt nicht in seinem Wörterbuche zu finden waren, sei es, daß das Product des prosaischen Schreibers dem edlen Jüngling und Brigantenchef allzu prosaisch war oder allzu sehr die platonische Liebe verherrlichte: genug, das seltsame Product eines Liebesbriefes kam erst nach vielfachen Erörterungen und nicht wenigen Correcturen zu Stande. Von der Wirkung des Schreibens auf das zart besaitete Gemüth der schönen, unbekannten Brigantessa erfuhren wir leider nie etwas.

Bei dieser guten Laune des Hauptmanns hofften wir jetzt auf baldige Erlösung und sollten darin nicht wieder getäuscht werden, wie dies allerdings schon einmal vor Neujahr der Fall gewesen.

Am 8. Februar brach die Bande in Abwesenheit des Capitano nach unserm neuen und letzten Versteck auf, einer geräumigen Hütte, zu welcher etwa zwanzig Bäume von sechs bis elf Zoll Durchmesser verwendet worden, und es ging endlich der heißersehnten, goldenen Freiheit entgegen. Obgleich wir wacker ausziehen mußten, spürten wir doch nichts von Müdigkeit. Bald stießen wir auf Manzo, der mit Matteo und dem Wasserwächter uns entgegenkam und wohl den letzten Empfangsschein ausgestellt hatte. Da man sich aus der Entfernung nicht erkennen konnte, so wäre es bald zu einem blutigen Zusammenstoß gekommen, denn schon hatte man gegenseitig die Gewehre erhoben und den Hahn gespannt. Glücklicherweise erkannte man sich endlich und wir langten Samstag den 10. Februar noch bei Tageshelle in einer Felsenschlucht an. Aus ihr führte ein schmaler Fußsteig und dieser war – Gott sei Lob und Dank! jubelte es in unserm Innern – unser Weg zur Freiheit.

Der Abschied von Seite der Briganten war uns etwas zu zärtlich. Sie küßten Einen nach dem Andern, drückten uns die Hände und wünschten uns glückliche Heimkehr. Die Spitzbuben! Manzo gab Jedem von uns achtzig Francs Reisegeld, und als er zu bemerken glaubte, daß wir mit der Summe nicht recht zufrieden seien, legte er Jedem noch zwanzig Francs hinzu. Ueberdies erhielten wir von den Banditen zum Andenken an die unfreiwillige, nichts weniger als gefahrlose und wohlfeile „Cameradschaft“ goldene Fingerringe. Ich empfing deren vier.

Endlich waren wir der Kerls los und unsern Führern übergeben. Die Trennung von der Bande wurde von dieser durch Abfeuern ihrer Revolver und Gewehre, durch Jauchzen und allerlei tolles Gebahren gefeiert. Endlich postirten sie sich gar noch auf eine Anhöhe und winkten mit Händen und Tüchern so lange, bis wir ihrem Auge entschwunden waren.

Es wird kaum nöthig sein, den Lesern zu versichern, daß wir mit Siebenmeilenstiefeln fürbaß zogen, noch weniger wird man eine Schilderung erwarten, mit welchen Gefühlen wir in Acerno einzogen. Hier angelangt, stellten wir uns in der Caserne dem Gensd’armerieposten vor und wurden mit anscheinend großer Freude empfangen. Sogleich wurden von hier aus Eilboten nach Salerno geschickt, welche unsern Familien die freudige Nachricht unserer Befreiung brachten. Sonntag, den 11. Februar, um halb ein Uhr, traf Herr Wenner mit seinen übrigen Söhnen in Acerno ein, um uns zu umarmen, nachdem wir einhundert und siebenzehn Tage unter Briganten gelebt, kein Bett gesehen, öfters im Schnee geschlafen, fürchterliche Strapazen überstanden und mehr als einmal in augenscheinlicher Todesgefahr geschwebt hatten.

Daß wir mit unsern langen Bärten und langen Haaren, mit unsern sonnenverbrannten Gesichtern, in den uns von den Briganten überlassenen Joppen und hohen Wasserstiefeln beinahe unkenntlich waren, darüber wird sich Niemand verwundern, vielleicht aber darüber, daß wir Alle gesund und wohlbehalten in unserer Heimath anlangten.

Wenn in unserm Falle weder Mord und Todtschlag, noch Ohren- und Fingerabschneiden oder ähnliche Barbareien vorgekommen sind, so haben wir dies vornehmlich dem Umstande zu verdanken, daß wir in Manzo’s Hände und nicht in diejenigen eines Giardullo gefallen sind. Und der Brigante, welcher bei unserer Gefangennehmung zu mir gesagt hatte: „Gott hat Euch wohlgewollt, daß Ihr in unsere Hände gefallen seid!“ hatte so unrecht nicht. Ein zweiter Umstand liegt darin, daß die Bande unsertwegen ziemlich in Ruhe gelassen wurde, was wir der Vorsicht und der sichern Vorausberechnung des alten Herrn Wenner zu verdanken hatten.




  1. Man erinnert sich vielleicht noch der während des letzten Herbstes auch durch die deutschen Zeitungen gehenden Nachricht, daß vier Schweizer von italienischen Briganten in der Nähe von Salerno im Neapolitanischen gefangen und in die Berge geschleppt worden seien, wie dies kurz vorher auch dem Engländer Moens passirt war, dessen Erlebnisse bei den Räubern die Gartenlaube schon früher (1866, Nr. 9) erzählt hat. Die Aufregung über die Schmach, welche unsern Landsleuten angethan, war groß in der Schweiz, ebenso die Besorgniß um das Schicksal der Gefangenen, wie nicht minder unsere freudige Theilnahme, als es hieß: „Sie sind frei und wohlbehalten bei den Ihrigen angelangt!“ Mit dem gleichen Interesse, wie die Leser die Erlebnisse des Engländers Moens verfolgten, werden sie gewiß auch die Mittheilungen über die viermonatliche Gefangenhaltung unserer Landsleute entgegennehmen. Die Notizen kommen von einem Thurgauer, welcher in den engsten, täglichen Beziehungen zu seinen vier Landsleuten in Salerno steht, und der sich behufs der Mittheilung für einen weitern Kreis alle Einzelnheiten von ihnen hat erzählen lassen.
    D. Verf.