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Deutsche Sitte

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Deutsche Sitte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 309, 313, 316–317
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Nach Originalbildern von Carl Engel „von der Rabenau“
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Indexseite
[309]
Deutsche Sitte.

Mein.
Nach den Originalbildern von Carl Engel.

[313]
Deutsche Sitte.

Dein.
Nach den Originalbildern von Carl Engel.

[316]
Deutsche Sitte.


Es ist für die Malerei, wie es für die Poesie war, die höchste Zeit, von den untergehenden Volkseigenthümlichkeiten zur Kunde der Nachwelt zu retten, was bis heute dem Andrang des modernen Modeeinheitsstrebens widerstanden hat. Dichter, oder Forscher mit dichterischem Geiste waren es, welche zuerst in der Sprache des Volks einen Schatz selbstständigen geistigen Gepräges erkannten und mit allem Fleiße daran gingen, von unseren deutschen Mundarten und den in ihnen niedergelegten poetischen Schöpfungen das Gute zusammen zu tragen. Die gleiche Sorgfalt wurde den Volksliedern, den Volkssagen und Märchen, den Volksspielen bis zu den Kinderreimen gewidmet, und wo dies noch nicht geschehen, wird dazu angeregt nach Kräften. Dieselbe Liebe hat nun die bildende Kunst den von den Voreltern noch bewahrten Volkssitten und Gebräuchen, Volkswohnungen und Volkstrachten zu widmen. Auch an ihnen zehrt die Gleichmacherei unserer Tage. Je weiter der große Verkehr der Welt mit seinen Eisenbahnen und Kunststraßen sich ausbreitet und von ihnen aus die Zweige desselben abseits zu den bis jetzt in den Thälern und Schluchten der Gebirge wie in den weiten Ebenen vereinsamt gelegenen Menschengemeinschaften vordringen, desto rascher fällt das Alte und vom Alten das Schöne leider am raschesten. Es ist daher ein frommes Werk, so viele, als nur möglich, von den oft so labenden Bildern dieses vergehenden Volkswesens der Gegenwart vor das Auge zu führen und der Nachwelt zu erhalten.

Die Leser wissen, daß die Gartenlaube es längst zu einer ihrer Aufgaben gemacht hat, Kunstbestrebungen der bezeichneten Art nach Kräften zu unterstützen. Die Zahl der von ihr durch Holzschnitt veröffentlichten Bilder aus dem Volksleben ist schon jetzt keine geringe. Um so mehr freut es sie, heute auf ein neues das heimathliche Volksthum eines bereits anerkannten Meisters verherrlichendes Kunstwerk die allgemeine Theilnahme hinzulenken, und zwar ist dies eine oberhessische Dorfgeschichte in Bildern von Carl Engel.

Deutsche Sitte.

Unser.
Nach den Originalbildern von Carl Engel.

Dieser Volksmaler „von der Rabenau“, wie er sich nach der Landschaft nennt, in welcher sein Geburtsort Londorf liegt, ist der Welt der Kunstfreunde schon durch manches gute Gemälde bekannt, das in öffentlichen oder Privatsammlungen seinen Platz gefunden. Sein Bildungsgang führte ihn über Darmstadt nach Düsseldorf und München, und sein übriges Leben nicht viel weiter, als nach Frankfurt und von da nach Rödelheim, wo er den Stab in die Erde steckte und seinen Heerd gründete. Gegenwärtig ist er ein Mann von neunundvierzig Jahren. – Hat somit die weite Welt seinen Blick nicht für die Herrlichkeiten der Fremde verlocken können, so blieb er um so treuer der Volks- und Kinderwelt zugewandt, für die auch außerhalb Oberhessens sein Herz sich am leichtesten erwärmte. Seine „zwei Münchener Mädchen“ (im Besitz des Grafen Arco) sind durch lithographische Vervielfältigung als Wandschmuck eine Freude manches Hauses geworden; rühmlich bekannt ist auch sein „Bildhauer-Atelier“, in welchem er eine Scene aus dem Künstlerleben seines Freundes Scholl ausführte, und sein einziges allegorisches Bild „der Sieg der Freiheit über den Absolutismus“. Das waren Ausflüge des Künstlers; daheim, das lehrt uns der erste Blick auf seine Werke, fühlt er sich nur im heimischen Kinder- und Familienkreise, wie uns dies die theils durch Stahlstich, theils durch Litho- oder Photographie weit verbreiteten Bilder „die Taufpathe“, „die betende Alte“ u. v. A. zeigen. Viele Erzeugnisse seines Volkshumors sind durch die Frankfurter Verlagshandlung von May und Wirsing in’s Publicum gekommen; mit einer Sammlung colorirter Lithographien nach Engel’schen Aquarellen trat zuerst der Heinrich Keller’sche Kunstverlag hervor, dem wir auch eine, und zwar dreifache,[1] photographische Veröffentlichung der Dorfgeschichte verdanken, die in sechs Blättern („Still und fleißig“ – „Herzig und treu“ – „Mein“ – „Dein“ – „Unser“ – „Juchhe!“) das darstellt, was wir einen „deutschen Bauern-Liebesfrühling“ nennen und von welchem die Gartenlaube ihrem Leserkreise vier Nummern im Holzschnitt vorzuführen berechtigt worden ist.

Wer viel allein auf Reisen war, der hat erfahren, daß es nicht immer gut ist, schöne Bilder, ob der Natur oder der Kunst, allein zu betrachten; da sehen vier Augen immer mehr. Nur darum mögen unsere Leser es nicht für zudringlich halten, wenn wir sie bei der Betrachtung selbst dieser anscheinlich so einfachen Bilder begleiten.

Gar alltäglich erscheint es, daß sich Zweie lieben, heirathen und ihres ersten Ehesegens sich erfreuen. Aber schön bleibt es ewig, und unermeßlich, wie das Reich der Liebe, sind die Variationen des beseligendsten Themas, das Gott seiner Welt geschenkt.

Beim Spinnrocken sucht der wackere Bursche sein stattliches [317] Mädchen heim, und die alte Mutter muß ihm gewogen sein, denn sie überläßt das junge Paar sich selbst, nur von Zeit zu Zeit, und nicht ohne Wohlbehagen, von der Arbeit und über die Brille weg zu ihm herüberblickend. Und wie ist’s so gemüthlich in dem reinlichen Stübchen! Das große Himmelbett ist sein werthvollster Schmuck, denn Alles daran, außer dem Holzwerk, ist unter den fleißigen Frauenhänden hervorgegangen und das beste Zeugniß ihrer Geschicklichkeit und Reinlichkeit. Das weiß auch der Stubenvogel, der frei herumfliegende Mückenfeind, der da droben seinen liebsten Sitz hat. Durch die Fenster mit den bleigefaßten Scheiben dringt die liebe Sonne in’s Stübchen und hat die Knospen des Nelkenstocks zur vollen Blüthe herausgelockt – zur selben Zeit, wo auch die Liebesblüthe der jungen Herzen ihre Entfaltung feierte. Denn nicht aus Ungeschick hat die Liebste den Faden reißen lassen; giebt die Volkssitte doch dem Burschen damit das Recht, sich des Rockens zu bemächtigen und ihn nicht anders zurückzugeben, als bis er durch den ersten Kuß ausgelöst ist. Wie lange mag sein verliebtes Auge auf diesen Augenblick gelauert haben, und nun ist er da, und der Bund der Liebe ist nun auch für die Außenwelt geschlossen. Im Kalender, der unter dem kleinen Spiegel neben dem Fenster hängt, wird dieser Tag wohl angemerkt werden. Früher stak hinter dem Spiegel eine Gerte; sie ist seit langer Zeit dem Mütterchen nicht mehr nöthig gewesen, aber nun ist’s doch möglich, daß die Tochter einmal wieder eine dahinter steckt. Wenn heut Abend das Mütterchen die Lampe anbrennt, die hinter ihr auf dem Fensterbret steht, wird sie beruhigter als je für die Zukunft ihres Kindes ihr Lager suchen. Der Bursche aber scheidet heute von der Liebsten Haus mit dem Jubelruf: Sie ist mein!

Wir verfolgen das glückliche Paar nicht, wie es der Künstler mit Recht gethan, auch zum Kirchweihtanz, wo es im Feierstaat des Dorfes prangt und dennoch gar bald abseits schleicht, um fern vom Lärm der Fröhlichen fröhlicher als Alle in seligem Aneinanderschmiegen „sich in’s Herz zu gucken“. Wir begleiten sie gleich zum Traualtar.

Deutsche Sitte.

Juchhe!
Nach den Originalbildern von Carl Engel.

Nicht Gold und Perlen brauchen sie zum Schmuck, aber nach Blumen verlangt es die glücklichen Herzen an ihrem Ehrentag. Mit Laubgewinden ist das Kirchlein geschmückt, mit Blumengewinden und Blumensträußen der Altar, mit Blumen der Bräutigam, mit der Brautkrone die Braut, und mit Blumen auf den Köpfchen die jüngeren Geschwister. Und die Verwandten und Freunde umher, welch herzlich theilnehmende, frohe und fromme Gesichter! Selbst die lauschenden Kinder auf der Empore, die Liebesleutchen der Zukunft, sind für die Feier ein schöner Schmuck. Und wenn das glückliche Paar aus dem Kirchlein kommt und wenn es daheim den ersten Augenblick allein ist, wie wird die Braut dem Liebsten an’s Herz fallen – und was wird sie da anders sagen, als: Nun bin ich ganz Dein!

Wer sehnt sich nicht nach dem nächsten Bilde, wenn er das Paar bis hierher verfolgt hat? Des Pastors Wort: „Seid fruchtbar und mehret euch!“ hat Gott gesegnet. Da sitzt der junge Vater, seinen Stammhalter im Arm. Ei, wie der die kleine Lunge übt! Sie muß kräftig sein, denn der Vater greift verzweifelt nach dem Ohre, während doch sein ganzes Antlitz lacht. Das freundliche Mütterlein aber trägt soeben den besten Trost, die Schüssel voll dampfender Klöße, zur Küchenthür herein und lacht herzensfroh über Mann und Kind, denn der Mütter Ohren hören mit dem Herzen und kennen am Schreien des Kindes, ob es nur kräftigen, gesunden Hunger, oder die Klage des Schmerzes, den Jammer der Krankheit bedeutet. Und wie wohlig muß es dem jungen Ehepaar in seinem ‚Heim‘ sein! Da ist für Alles gesorgt, was das einfache, bescheidene Leben bedarf. Das große Himmelbett, der derbe Tisch sammt Stuhl und Bank, an der Wand tickt die gemüthliche Schwarzwälder Uhr und das Kätzchen schnurrt auf dem Stuhle; das Handtuch hängt an der Küchenthür, und über derselben, auf dem Sims, stehen Kannen und Fläschchen und Gläser, die man wohl selten anwendet, dort ist der Glasschrank des Bauern; aber neben ihnen die Hausbibliothek, die Bibel und die Gesangbücher, langt man oft herunter, und sicherlich liegt obendrauf der alte, gute Benjamin Schmolcke, mit dem noch heute Tausende von Familien den Morgen- und Abendsegen beten. Und das Alles, und vor Allem der Junge, – das sagen die Glücklichen sich jeden Tag – ist unser!

Endlich ist des Kindes Schreizeit vorüber, aus der jungen Pflanze, die bisher nur ein grüner Stengel war, entwickelt sich die Blume mit ihrem Duft, das Lächeln voll Verständniß, die erste Spur des Geistes. Nun beginnt erst recht die Lust, nun beginnt das Spiel und bei dem Spiele werden die Eltern wieder zu Kindern. Das ist ein Morgen, wie er schon Tausenden von Eltern in’s Herz gelacht hat, und doch werden wir seines Anblickes nie satt. Wer den jungen Vater sieht, wie er mit dem fröhlichen Knaben auf der Schulter im Stübchen herumtanzt, der kann das Auge so wenig davon lassen, wie die junge Mutter, die Bettmachen und Zuschauen zu vereinen weiß, und den drängt’s, mit Alt und Jung im Stübchen und in die Welt hinaus zu rufen: Juchhe!

Fr. Hfm.

  1. Preis in Carton Ausgabe I. 18 Thlr., Ausgabe II. 3 Thlr. 15 Sgr., Ausgabe III. 2 Thlr. Die Photographie trefflich von J. Schäfer ausgeführt.