Modernes Räuberthum
Wie die Frühlingssonne „kein Weißes duldet“, so duldet unsere Zeit mit Ihrem unerbittlichen Zuge nach dem Realen keine Romantik mehr. Auch die Räuberromantik, die ehedem so manche bewegliche Phantasie und manches schwärmerische Gemüth beschäftigt, hat ihr zum Opfer fallen müssen. Jene poetischen Räubergestalten von edlen Impulsen und feiner Bildung, welche nur misleiteter Freiheitsdrang in die Wälder trieb, um das Unrecht zu rächen, mit dem der Starke auf den Schwachen, der Reiche auf den Armen, die bevorzugte Classe auf die Parias der Gesellschaft drückt; jene Cavaliere der Heerstraße, die ihr Gewerbe mit dem vollendeten Anstand des Gentleman betrieben, tapfer im Kampfe, hochherzig im Siege, gelassen im Unglück und ritterlich gegen die Damen; jene Schiller’schen Karl Moore, jene Byron’schen Laras und Scott’schen Rob Roys, selbst jene Kohlhaas und Hiesel sucht man heutzutage vergebens, so weit sie überhaupt nicht blos im Fabellande oder in der verklärenden Ueberlieferung des Volkes gelebt haben. Der moderne Räuber, mit nüchternem Auge gesehen, wie er leibt und lebt, ist ein himmelweit verschiedenes Geschöpf. Er ist ein schäbiger, roher, feiger Gesell, dessen Leben eine ewige Angst, der vor Furcht zittert, wenn die Soldaten ihm in Schußnähe kommen, und seine Heldenthaten nur mit Uebermacht wider wehrlose Reisende ausübt, – ein gemeiner Dieb, welcher seinen Gefangenen Strümpfe und Hemden und selbst den letzten armseligen Bissen Brodes stiehlt; ein Wilder, der sich heute dick und voll ißt, so daß er stumpf und dumm auf seinem Lager faulenzt, und morgen umsinkt vor Hunger; ein unbeschreiblich schmutziger Kerl voller ekelhafter Brutalität gegen die Frauen, welche der Zufall in seine Gewalt gebracht hat, abwechselnd der Tyrann und das Opfer, der Quälgeist und die Beute des Bauern. So wenigstens schildert den heutigen italienischen Räuber ein britischer Reisender, Mr. Moens, der mit einem Freunde auf einem von Neapel aus unternommenen Ausfluge nach den Ruinen von Pästum in die Hände einer Brigantenbande fiel.
Moens mußte geraume Zeit in der Gefangenschaft dieser Strolche bleiben, bis das vereinbarte hohe Lösegeld von dreißigtausend Ducaten bis zum letzten Heller baar bezahlt war. Er hatte mithin, Monate lang in der Bande hausend und mit ihr weit im Lande umherstreifend, Gelegenheit, einen Blick in den Haushalt des Räuberlebens zu werfen, wie dieser, glücklicher Weise, doch nur Wenigen vergönnt ist. Von Heroismus, von Galanterie und Ritterlichkeit fand er keine Spur unter der Gesellschaft, nichts als Elend und Noth, Selbstsucht und ewige Furcht. Auf Schritt und Tritt umlauert den Briganten Gefahr und die Gewohnheit macht ihn nicht mit ihr vertraut, schwächt seine Angst vor ihr nicht ab, im Gegentheil, sie hält diese unablässig in Athem. „Einmal,“ erzählt Moens, „waren die Carabinieri der Bande auf den Fersen. Dem Einen, Pavone mit Namen, klapperten die Zähne vor Schrecken und sein Gesicht war weiß wie ein Blatt Papier; ein Zweiter, Scope geheißen, warf sich halb todt vor Angst auf die Erde, und ein Dritter, Antonio, war in einem solchen Zustande von Aufregung, daß er nicht mehr wußte, was er that, sein Gewehr zwecklos an die Wand der Höhle schlug und durch albernen Lärm sich zu betäuben suchte. Ich saß ruhig auf einem Stein und rief ihnen zu: ‚Courage, Courage! Eßt ein wenig, das wird Euch gut thun!‘ Um ein Beispiel zu geben, zog ich ein Stück Brod aus der Tasche und begann es zu verzehren. Meine Banditen aber meinten: ‚Was für ein Narr Ihr seid, noch zu essen! In zwei Minuten seid Ihr ja doch mausetodt geschossen.‘“
Im Ganzen hatte Moens keinen Grund, sich über die ihm werdende Behandlung zu beklagen. Nur zwei Mitglieder der Gesellschaft, Pepino, der Anführer einer besondern Abtheilung der Bande, und Scope, pflegten an dem Gefangenen ihre üble Laune auszulassen, alle Anderen zeigten sich freundlich und theilten die kümmerliche Nahrung, welche sie selbst hatten, getreulich mit ihm. Freilich blieb die Gefangenschaft immer ein schweres Geschick, zumal die Bande von den verfolgenden Soldaten wie ein wildes Thier von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel gescheucht ward. Natürlich war Moens beständig auf das Schärfste bewacht und mußte, – was meist seine großen Schwierigkeiten und für den Gefangenen selbst in der Regel arge Unbequemlichkeiten hatte – stets versteckt werden, wenn Truppen im Anzuge waren, damit ihn diese nicht etwa entdeckten und befreiten und somit die Bande um das stipulirte Lösegeld brächten.
Die Gesellschaft zählte auch fünf weibliche Mitglieder, fünf Brigantessen. Es waren junge Dirnen mit kurzgeschnittenem Haar und immer in Männerkleidern, so daß sie Moens anfänglich für Knaben hielt. Selbstverständlich gehörten diese Brigantessen nicht zur Elite ihres Geschlechts, waren aber auch nicht jene grausamen Megären, als welche hergebrachter Weise die italienischen Räuberweiber geschildert zu werden pflegen. Stramme derbe Bäuerinnen voller Feuer und Energie konnten sie ein erstaunliches Maß von Strapazen und Entbehrungen ertragen, hatten aber ebenfalls nicht das mindeste Romantische an sich, weder durch Heroismus, Melancholie, noch sonst welche interessante und poetische Eigenschaft bemerkenswerth. Indeß erwiesen sie sich sammt und sonders ein gut Theil beherzter als die Männer und entwickelten oft einen Muth und eine Standhaftigkeit, die man nicht umhin konnte zu bewundern. Einer derselben, Concetta geheißen, war durch zufälliges Entladen eines Gewehrs der Arm zerschmettert worden. Ohne einen einzigen Schmerzenslaut auszustoßen, ja ohne nur zu ächzen oder zu zucken, ließ sie sich die Wunde von einer plumpen, großen Scheere sondiren, dem einzigen Instrument, das man zu solchem Behufe zur Hand hatte. Selbst als der Brand in die Wunde trat und sie genöthigt war, die Höhle zu verlassen und sich der Behörde zu überliefern, damit ihr der Arm amputirt werde, bewahrte sie die gleiche Standhaftigkeit. Hartnäckig lehnte sie die Anwendung von Chloroform ab, mit dem man ihr die Operation erträglich machen wollte, und nur einen Moment, blos als das Messer die Beinhaut von dem Knochen löste, biß sie die Zähne zusammen. „Vergeßt nicht,“ sprach sie zu den Aerzten, „daß ich achtzehn Napoleons bei mir hatte, als ich herkam; ich muß sie zurückhaben, sobald ich wieder gesund bin.“
Zwei der fünf Brigantinnen waren mit Flinten, die andern drei mit Revolvern bewaffnet. Ihr Hauptgeschäft bestand im Zusammenflicken der zerrissenen Kleider ihrer Freunde und Gebieter und ab und zu im Säumen der bunten Halstücher (wenn man solcher habhaft werden konnte), welche den Hauptputz des Banditen ausmachen. Zu jeder sonstigen Weiberarbeit, zum Kochen, Backen, Waschen und dergleichen waren die Damen nicht zu gebrauchen. Die Männer selbst waren zugleich Metzger und Köche, wenn das gute Glück ihnen etwa ein Schaf oder eine Ziege in den Wurf führte – sei es als Beute oder durch Kauf von den Bauern.
Diese letzteren haben an den Räubern ihre beste Kundschaft, denn wahrhaft fabelhaft erscheinen auf den ersten Blick die Preise, welche der Brigant für alle seine nothwendigen Lebensbedürfnisse zahlen muß. „Ein Pezzo, d. h. ein Ducaten“ (etwa ein Thaler vier Neugroschen), sagt unser Gewährsmann, „war der gewöhnliche Preis, den der Bauer für einen Laib Brod von zwei Rotoli, d. i. ungefähr vier Pfund, forderte, welchen jeder Andere in den Städten sich für drei bis vier Neugroschen beim Bäcker verschaffen konnte. Das gröbste baumwollene Hemd kostete den Banditen gegen drei Ducaten, es waschen zu lassen, einen Ducaten; jede Revolverpatrone kam ihm fast ebenso hoch zu stehen, und alle anderen Unentbehrlichkeiten im gleichen Verhältnisse. Nach einer Berechnung, welche ich während meiner Gefangenschaft bei ihnen anstellte, glaube ich nicht, daß eine Bande von fünfundzwanzig bis dreißig Köpfen jährlich weniger als viertausend Pfund Sterling blos für Beschaffung der allernothwendigsten Lebensbedürfnisse braucht.“
So zieht der Bauer der Abruzzen allerdings hohen Nutzen aus seinem Verkehr mit den Räubern. Wenn man aber dagegen die Gefahr in Anschlag bringt, die ihm von diesem Verkehre droht, so wird man sich nicht mehr wundern, daß er sich seine Beziehungen zu den Briganten so theuer wie immer möglich bezahlen läßt. Auf der einen Seite die Behörden, welche jede Verbindung mit den Räubern mit hohen Geldbußen und Gefängniß, ja sogar mit dem Tode bestrafen, andererseits die Banditen, die eine unerbittliche Vendetta ausüben, sobald sie Verrath argwöhnen, und Weigerungen, sie mit Nahrungsmitteln und sonstigen Provisionen zu versorgen, nicht selten an den Ernten, den Dörfern und den einzelnen Individuen heimsuchen, hat der arme Bauer gewiß einen harten Stand und alle Ursache, solchen Gefahren mindestens höchst mögliche äußere Vortheile als Gegengewicht in die Wagschale zu legen.
[138] Von einem politischen Charakter, einer Verbindung der Bande mit Rom und dem Exkönig von Neapel hat Moens nichts entdecken können. Unbedingt floß kein Pfennig seines Lösegeldes, weder nach Rom noch in die Provinz Salerno, denn er sah mit eigenen Augen, wie die Beträge der verschiedenen Lösegeldraten jedesmal unter die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft vertheilt wurden. Wohl, aber erzählte man ihm, daß in Apulien, wo das Räuberthum in höchster Blüthe steht, ein Räubergeneral Namens Crocco hause, der weit über tausend Mann und viele Unteranführer befehlige und in engen Beziehungen zu Franz dem Zweiten stehe. Indessen verhehlten auch Moens’ zeitweilige Herren nicht, daß ihnen Bomba Sohn mehr an’s Herz gewachsen war, als Victor Emanuel. „Denn,“ meinte einmal Manzo, der Hauptmann der Bande, „wenn wir den König Galantuomo fingen, so würden wir uns erst ein Lösegeld von hunderttausend Ducaten von ihm geben lassen und dann – ihn niedermachen. Fiele aber Franz der Zweite in unsere Hände, – ihn regalirten wir mit dem herrlichsten Schmause, den wir anrichten könnten, und ließen ihn dann frei.“
Eine Hand voll Mais war die tägliche schmale Kost der Bande und ein Stück Supersato, eine magere, unschmackhafte Wurst, galt als großer Leckerbissen. Zähes Ziegenfleisch oder ein spärlicher Lammbraten bezeichneten Tage hoher Feste. Es gab Wochen, wo man buchstäblich Hunger litt, wo auch Moens froh war, wenn er sich an rohen Zwiebeln, an Kohlhäuptern, hartem, schimmeligem Brode und sogar an dem ranzigen Fette laben konnte, das sonst zum Wichsen des Schuhwerkes dient.
Der Hauptmann selbst, Manzo, näherte sich schon etwas mehr dem Räuberideal, wie es der jugendlichen Phantasie vorzuschweben pflegt. Er war ein bildhübscher Mann von angenehmen Umgangsformen, entschlossen, pünktlich und in seiner Art großmüthig, gegen den Gefangenen aber stets mild und menschlich, wenn ihn nicht, was hin und wieder vorkam, eine fehlgeschlagene Unternehmung oder das nicht prompte Eingehen einer Lösegeldrate in Zorn versetzte. Dann gab es freilich wilde Scenen, in denen die Drohungen mit Kopf- und Ohrenabschneiden den stehenden Refrain bildeten. Auch hierbei verließ unsern Briten jedoch seine Kaltblütigkeit nicht. „Ganz, wie Ihr wollt,“ antwortete er, und so ging allmählich der Sturm ohne üble Folgen vorüber.
Seiner Bande gegenüber war Manzo absoluter Dictator, der stricten Gehorsam forderte. Eines Tages war einer seiner Leute, ein ehemaliger italienischer Soldat, welchen lediglich die Angst vor einer ihm wegen Insubordination zuerkannten Strafe in die Reihen der Räuber geführt hatte, mit einem Cameraden in Streit gerathen und begann reichlichen Gebrauch von seinen Fäusten zu machen. Manzo gebot ihm Ruhe und da der Bursche nicht auf der Stelle gehorchte, so stürzte er auf ihn los, schlug ihn nieder, trat auf ihn und schleifte sein Gesicht so lange auf den Felsblöcken des Bodens hin und her, bis es zu einer unbestimmten blutigen Masse geworden war und selbst das Zahnfleisch in Fetzen herumhing. In solchen Momenten sah Manzo wie ein leibhaftiger Teufel aus, die Oberlippe aufgeworfen, die weißen Zähne fletschend und mehr brüllend als sprechend. Trotzdem hing die Bande mit wahrer Liebe an ihrem Hauptmann, der sich allezeit durchaus selbstlos zeigte, wenn es an das Vertheilen von Nahrung und Beute ging, und gar manchmal seinen eigenen Antheil den Andern preisgab.
Die schlimmsten Tage hatte Moens zu überstehen, wenn die übrige Gesellschaft auf Raub auszog und er unter der Obhut seiner schon oben genannten Peiniger Pepino und Scope allein zurückbleiben mußte. Namentlich erwies sich Pepino, der gern seine höhere Würde geltend machte, als grausamer Tyrann und quälte ihn auf die kleinlichste und raffinirteste Weise. Tage lang gab er ihm kaum ein Stück Brod zu essen, stahl ihm, was er an kleinen Habseligkeiten noch bei sich hatte, behandelte ihn auf das Brutalste und drohte ihm ohne Unterlaß mit Revolver und Dolch. Eine Hauptergötzlichkeit Pepino’s pflegte zu sein, den Engländer zur Zielscheibe seines Messers zu erwählen. Moens mußte die Arme ausbreiten und nun schleuderte jener sein langes Stilet zwischen Arm und Leib seines Gefangenen hindurch nach der Steinwand der Höhle. „Niemals ließ ich die mindeste Furcht blicken,“ sagt Moens, „vielmehr entgegnete ich gelassen, es sei ja weiter nichts, zu sterben; die Sache gehe rasch vorüber und in der andern Welt erwarten uns viel köstlichere Freuden. Die Kerle hatten die entsetzlichste Angst vor dem Tode, und meine Unerschrockenheit, mein Spott über ihre Feigheit imponirten ihnen schließlich so, daß sie später nur selten noch auf ihre alten Drohungen verfielen. Man mußte ihnen bei jeder Gelegenheit zeigen, daß man sich aus ihren Quälereien nichts machte, und unter Umständen sich selbst thätlich Autorität zu verschaffen suchen. So zogen wir an einem heißen Tage einmal in Reih’ und Glied einen steilen Berg hinan. Plötzlich kam es meinem Hintermann in den Sinn, daß ich nicht geschwind genug marschire, obwohl ich meinem Vordermann hart an den Fersen nachschritt. Wüthend begann der Mensch mich mit dem Kolben seines Gewehrs zu stoßen, manchmal auch mit dem Lauf zu bearbeiten: Eine Weile ließ ich mir das Ding ruhig gefallen, endlich aber drehte ich mich, wie im höchsten Zorn, herum und schwang meinen Stock mit beiden Händen über seinem Kopfe. Verblüfft trat er zurück, hob aber dann mit wildem Fluche seine Flinte an den Backen und wollte auf mich anschlagen. Rechtzeitig packte ich ihn am Arme; da stürmten zwei Andere auf mich los und ihrem Cameraden zu Hülfe. Ohne eine Miene zu verziehen – wenngleich mir nicht eben wohl zu Muthe war – sprach ich: ‚Schießt mich nur immer todt, je eher, je lieber, an einem Leben unter Lumpen, wie Ihr es seid, liegt mir ohnehin nichts!‘ – und auf der Stelle ließen mich die Burschen los und gehen und marschiren, wie ich wollte und konnte. Keiner sagte mehr ein Wort, und von Stunde an konnte ich sehen, welchen Eindruck ihnen meine Todesverachtung gemacht hatte. Als wir an unserm Rastorte anlangten, wurde die Heldenthat des Gefangenen, der den Muth gehabt hatte, einem Banditen zu drohen, augenblicklich den Andern erzählt und den ganzen Abend hindurch blieb ich am Lagerfeuer der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und Achtung.“
Diese Lagerfeuer auf den Bergen haben in der That etwas Malerisches, und wenn sich die Bande im Kreise um sie niederstreckte, erschien der einzige Moment ihres Lebens, der etwas wie Romantik aussah. Sonst war auch ihre äußere Erscheinung nichts weniger als romantisch. Ihr Costum, gar nicht übel, so lange es neu und sauber, ist bald nichts mehr als ein Ensemble von Lumpen und Flecken, unvollständig und kläglich; ein Stück ist auf rascher Flucht verloren gegangen, ein anderes einmal einem Bauerlieferanten zu vorläufigem Pfande gegeben, ein drittes den Carabiniers in die Hände gefallen. Der Putz, welchen der Brigant besitzt und liebt, buntseidene Halstücher und Schärpen, Ketten und Ringe, kommt nur bei außerordentlichen Gelegenheiten zum Vorschein und blos dann, wenn die Luft rein und keine Verfolgung zu fürchten ist. Solche glückliche Zeiten treten selten ein; die Sorge um das tägliche Brod läßt dem Räuber frohe Feststimmung und heitern Müßiggang mit Lust und Gelag wenig aufkommen. Abends aber, rund um die Flammen des Wachfeuers, wird der ganze Salvator Rosa wieder lebendig. In allen möglichen Attituden umgeben die braunen Gesellen den lohenden Holzstoß, ihre Büchsen in den Händen, ihre wilden Gesichter von der Gluth erhellt, während die Schildwache, eingehüllt in ihre weite Capuze, im Schatten der grotesken Felsblöcke und zwischen den finsteren Bäumen des Waldes schweigend auf- und abschreitet und auf die pittoreske Scene die Sterne vom tiefblauen italienischen Nachthimmel herniederglänzen. Auf eine kurze Weile und notabene aus der gehörigen Entfernung als Bild geschaut, ist das Ganze packend genug und voller prächtiger Motive für Maler und Dichter, – damit erschöpft sich aber auch das Interesse vollauf.
Manzo’s Bande und die unter Pepino Cerino’s Specialbefehl stehende Abtheilung derselben trugen jede verschiedene Uniform beide – d. h. immer so lange sie neu waren – sahen recht respectabel aus und waren zweckmäßig und einfach, mit minderem Flitterstaat behangen, als man sich Brigantencostüme vorzustellen pflegt. Manzo’s Mannen hatten lange Jacken von starkem, gelbbraunem Tuche, mit einem merkwürdigen Systeme von Taschen ausgerüstet, namentlich mit einer förmlichen Zaubertasche hinten im Schooße. Ein Paar Beinkleider, zwei Hemden, drei bis vier Pfund Brod, ein großes Stück unappetitlichen Specks, einen Käse und noch unterschiedliche andere größere und kleinere Dinge, das Alles sah Moens, gelegentlich einer Haussuchung nach einem vermißten Artikel, eines nach dem andern aus einer einzigen dieser Wundertaschen an’s Tageslicht fördern. Die dunkelblaue Weste war auf der Seite zusammengehäkelt, in der Mitte aber mit einer Reihe funkelnder, vergoldeter Knöpfe geschmückt und gleichfalls mit mehreren praktischen Taschen ausgestattet. Die beiden unteren beherbergten Patronen, Kugeln, Schießpulver, Messer und ähnliche harmlose Räuberunentbehrlichkeiten; zwei obere bargen Uhr und [139] Zündhütchen. Die blautuchenen Hosen wichen in Schnitt und Einrichtung nicht von denen des italienischen Landmanns ab. –
Schon manche Woche war verstrichen und Moens’ Freilassung stand noch immer in weiter Ferne. Die Räuber glaubten nämlich in ihrem Gefangenen eine Persönlichkeit von hoher politischer Bedeutung und zugleich einen nahen Verwandten Lord Palmerston’s erwischt zu haben und bildeten sich ein, das italienische Gouvernement selbst werde jedes beliebige Lösegeld für diesen wichtigen Gefangenen zahlen. Deshalb spannte man Anfangs seine Forderungen sehr hoch. Zuerst verlangte man die runde Summe von hunderttausend Ducaten für ihn und seinen ursprünglichen Mitgefangenen, einen Mr. Ainsley; später ging man auf die Hälfte, auf fünfzigtausend Ducaten, herunter. Und schließlich, nach langen Verhandlungen und vielen Drohungen mit Kopf- und Ohrenabschneiden, begnügte man sich mit dreißigtausend. Die Hauptschwierigkeit war nun, nicht diese Summe aufzubringen, wohl aber sie den Banditen zu übermitteln. Bei strenger Strafe verbietet das Gesetz jedwede Zahlung von Lösegeld an die Räuber und überhaupt allen Verkehr mit ihnen, und da die Ergreifung eines vermeintlichen englischen Lords und Verwandten Palmerston’s in ganz Italien ein ungeheueres Aufsehen gemacht hatte, so war das Land ringsum von Soldaten durchstreift, sehr zur Lebensgefahr für den Gefangenen, der, von ungewöhnlicher Körpergröße, um einen Kopf sämmtliche Mitglieder überragend, alle Mühe hatte, sich gegen die Kugeln der Carabinieri zu decken, die ihn wegen seiner stattlichen Erscheinung für den Räuberhauptmann zu halten pflegten. Einmal stürzte er in dem allgemeinen Durcheinander jäher Flucht vor den nachsetzenden Truppen, verstauchte sich den Arm, wäre in einem Morast beinahe erstickt und erhielt obendrein einen Streifschuß am Schenkel. Doch entkam er zu guter Letzt aus allen diesen Gefahren mit heiler Haut, fühlte sich aber von sehr wenig freundschaftlichen Gesinnungen gegen eine Regierung beseelt, die Italien noch immer nicht von dem alten Schandfleck des Brigantaggio zu reinigen gewußt hat.
„Der entsetzlichste Moment meiner ganzen Haft, ein Moment der heftigsten Erschütterung für mich und meinen Gefährten war der Augenblick, da wir darum loosten, wer von uns Beiden frei abziehen sollte, um das Lösegeld aufzutreiben und Mittel und Wege zu finden, es den Banditen zuzuführen. Ich hielt die beiden Holzpflöckchen in der Hand, welche die Loose vorstellten, und Ainsley zog. Als er das längere Stück, das Glücksloos, erwischte, war mir’s nicht anders zumuthe, als hätte ich um mein Leben gewürfelt und es verspielt. Der Abschied von meinem Reisegefährten wird mir unvergeßlich bleiben!“ schreibt Moens.
Nur ein einziges Mal bot sich ihm eine leidliche Chance zum Entkommen dar; aber da hätte er erst zwei Männer im Schlafe und einen dritten aus der Entfernung niederschießen müssen. Es war in einer tiefen Höhle. Antonio und Pavone hatten sich quer vor den Eingang gestreckt und waren eingeschlafen und Scope hatte sich ein paar Schritte weiter in’s Freie hinaus begeben, um dort in der warmen Sonne sein Hemd von der zahlreichen Besatzung zu befreien, die sich auf demselben tummelte; denn da die Banditen nur selten Kleider und Wäsche wechseln, noch seltener sich waschen, so kann man sich vorstellen, in welch’ grauenhafter Weise gewisse Schmarotzer sich an und auf ihnen entwickelten. Zwei Gewehre, eine einfache und eine Doppelflinte, standen im Bereiche von Moens’ Arm; leicht hätte er sich der einen bemächtigen und die beiden Schlafenden niederstrecken und dann mit der andern Scope über den Haufen schießen können, falls dieser über ihn herfallen wollte. Gewiß, die Versuchung war groß und mehr als einmal zuckte ihm die Hand nach den Waffen. Allein sein Herz empörte sich gegen einen doppelten, vielleicht dreifachen Mord. Sein eigenes Leben war nicht unmittelbar bedroht, er durfte keinen Zweifel hegen, daß auch der letzte Ducaten des Lösegeldes für ihn beschafft werden würde, und – er überwand die Versuchung. Zum Glücke zog bald darauf eine Viehheerde nahe der Höhle vorüber und weckte die Schläfer. Damit war allem etwaigen Schwanken ein Ende gemacht, eine zweite Gelegenheit zur Flucht kam aber nicht wieder.
Jener Pavone hatte schon vor seinem Räuberleben zwei Menschenleben auf seinem Gewissen. Die erste Blutschuld hatte ihm drei Jahr Zuchthaus eingetragen, zum zweiten Male fühlte er keine Lust den Gerichten zu nunmehr härterer Strafe in die Hände zu fallen, und so zog er in den freien Wald zu Manzo’s Bande. Nach der Praxis, welche das italienische Gouvernement gegen die Angehörigen von Briganten befolgt, hatte man sein Weib und seine Kinder in den Kerker geworfen. Gar gern hätte er sich nun selbst den Behörden gestellt, um die Freiheit der Seinigen zu erwirken, allein die Furcht vor Manzo’s Rache hielt ihn von diesem Schritte zurück. Ohne Gnade und Barmherzigkeit hätte der Hauptmann Pavone’s ganze Familie gemordet, wäre dieser von ihm desertirt. Sonst kommt es nicht eben selten vor, daß sich minder gravirte Mitglieder von Brigantenbanden freiwillig der Gerechtigkeit überliefern, sobald sie sich ein Stück Geld zusammengeraubt haben, das ihnen erlaubt, sich im Gefängniß eine gute Verpflegung zu verschaffen. Das nennen die Strolche „sich vom Geschäft zurückziehen“.
Gewaltige Sorge und Noth verursachte es unsern Briganten, wie sie ihren Gefangenen vor den Augen der Landleute verbergen sollten, wenn diese zur Abwickelung ihrer Geschäfte bei der Bande erschienen. In keinem Falle durfte er jener ansichtig werden, damit er sie nicht etwa später wieder erkenne und Zeugniß wider sie ablege, womit ihnen leicht zu einem Dutzend Jahre Kerker verholfen werden konnte. Wenn der glückliche Tag kam, oft nach langem sehnsüchtigen Harren, der Brod und Mehl, Ciceri (eine bekannte italienische Erbsengattung), Milch und Rosolio brachte, gebot es sowohl ein gewisser Point d’Honneur wie die Vorsicht, den Gefangenen nach Möglichkeit unsichtbar zu machen. Die Capuze über den Kopf gezogen, mußte er sich bei derlei Gelegenheiten bald in einen finstern Winkel drücken, bald auf den Rücken niederlegen, bald sich die seltsamsten Vermummungen gefallen lassen.
Endlich lief die letzte Rate des bedungenen Lösegeldes ein, die Stunde der Freiheit hatte dem Gefangenen geschlagen. Es bedarf keiner Versicherung, daß dies ein unvergeßlicher Freudentag für den lange Umhergeschleppten wurde, aber auch für die Bande gestaltete sich der ersehnte Moment zum Feste. Sobald das Geld anlangte, setzte sich die Gesellschaft zum Spiele nieder, das, und zwar sehr hohes Spiel, überhaupt ihre Lieblingserholung ausmachte und mit einer Leidenschaft getrieben wurde, wie sie nur etwa bei den Goldgräbern Californiens Ihresgleichen hat. Im Verlaufe weniger Stunden befand sich die gesammte beträchtliche Summe blos noch in den Händen von Vieren. Ehe Moens feierlich entlassen und geleitet wurde, ließ Manzo seinen Hut umhergehen. Sein Gefangener sollte als Gentleman nach Neapel zurückkehren können, meinte er, und brachte wirklich den Betrag von einigen siebenzig Napoleons für ihn zusammen, außer verschiedenen Ringen und anderen Andenken, mit denen man ihn beschenkte.
„Wohl jubelte ich hell auf, als nach so mancher langen, bangen Woche das Räuberlager mit seinen wilden Gesellen, seinen Schrecken und Entbehrungen hinter mir lag,“ schließt Moens seine Aufzeichnungen, „jetzt aber, wo die Gefahr vorüber ist, wo ich lebendig, mit ganzem Ohr und heilen Gliedern wieder in Sicherheit bin; wo das geopferte Geld schon halb und halb verschmerzt ist – jetzt gehören mir die Momente unter den Banditen zu jenen Erinnerungen, welche man um keinen Preis aus seinem Leben missen möchte, ja manchmal überschleicht es mich wohl wie eine Art von Sehnsucht nach jenem poetischen Intermezzo einer prosaischen Zeit, mit dem mich das Schicksal vor vielen Tausenden civilisirter Menschen bevorzugte.“