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Unbekanntes von einem Allbekannten

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Textdaten
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Autor: August Diezmann
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Titel: Unbekanntes von einem Allbekannten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 785–787
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Johann Wolfgang von Goethe
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Unbekanntes von einem Allbekannten.
Von August Diezmann.


Die Herren in der Gesellschaft des jungen Herzogs von Weimar führten in der sogenannten „lustigen Zeit“, d. h. in den ersten Jahren nach dem Antritt der Regierung Karl August’s und nach der Ankunft des Dr. Goethe in Weimar, über ihre Fahrten und Abenteuer in und bei Ilmenau, namentlich in dem Dorfe Stützerbach, eine Art Tagebuch, in welchem sie gemeinschaftlich, d. h. Einer nach dem Andern, das gemeinschaftlich Erlebte niederschrieben. Die Schilderungen und Erzählungen, die in jenes seltsame Tagebuch eingetragen wurden, trugen ganz und vollständig den „genialischen“ und burlesken Ton, welcher damals in jener Gesellschaft herrschte und der nicht gar selten bis an die äußerste Grenze der Natürlichkeit und Ungenirtheit ging. Man legte die Worte und Ausdrücke, deren man sich bediente, durchaus nicht auf die Goldwage, und namentlich sollen die Einzeichnungen, die Karl August selbst lieferte, durch witzige und derbe Natürlichkeit sich vor allen andern hervorgethan haben.

Als Goethe des überlustigen Treibens überdrüssig war und auch seinen fürstlichen Freund von demselben abwendig zu machen und zu ernsterm Streben zu veranlassen suchte, deshalb mit ihm die Reise nach der Schweiz und zu Lavater 1779 unternahm, hielt er für nöthig, jenes Tagebuch, die Erinnerung an alle die Thor- und Tollheiten, zu vernichten, damit es nicht etwa in unrechte Hände gerathe, die einen nicht wünschenswerthen Gebrauch davon machen könnten. Jedenfalls ist, so viel Mühe man sich auch gegeben hat, keine Spur von jenem Denkmal einer völlig eigenthümlichen Zeit aufgefunden worden. Goethe selbst giebt ein Bild derselben in seinem prächtigen Gedichte „Ilmenau“; auch wissen wir, daß manche der Herren, selbst der Herzog und Goethe, bisweilen die halbe Nacht hindurch mit den Bauermädchen in der Schenke zu Stützerbach in einem Local tanzten, dessen Decke so niedrig war, daß ein Mann von einiger Länge mit dem Kopfe anstoßen mußte; alles Andere ist unbekannt. Nur die Erinnerung an einen Vorgang hat die Tradition in Ilmenau bis vor mehreren Jahren bewahrt. Der alte Kaufmann Hetzer, ein Freund Goethe’s, erzählte bisweilen davon, so ist die Sache auch mir durch den jetzt ebenfalls verstorbenen Medicinalrath Fitzler bekannt geworden und ich theile sie hier mit, weil man daraus abnehmen kann, welcher Art die übermüthigen Späße waren, die man damals in jenen höchsten Kreisen in Ilmenau und der Umgegend liebte.

Karl August war mit seinen Getreuen und vielen andern Geladenen in Ilmenau angekommen und es sollte eines Tages eine große Jagd veranstaltet werden. Auch war bestimmt worden, daß der Aufbruch sehr früh am Morgen erfolge und daß ein Jeder pünktlich auf dem bezeichneten Sammelplatze sich einfinde. Da die Gesellschaft, wie gesagt, sehr zahlreich war, so hatte es Mühe gekostet, dieselbe in dem damals noch sehr kleinen Ilmenau unterzubringen. Wohl oder übel hatte endlich Jeder der Herren ein Plätzchen gefunden, der Dr. Goethe in der kleinen Mühle ganz in der Nähe. Spät am Abend aber, als Alle sich längst zur Ruhe begeben, kam Knebel, der immer zu einem Schabernack bereit war, auf den Gedanken, dem am andern Tage jedenfalls zu erwartenden Vergnügen noch einen Extraspaß hinzuzufügen und diesen gegen Dr. Goethe zu richten, zur Strafe für die vielfachen Neckereien, die derselbe gegen die Andern fortwährend ausführte. Dieser, der Freund des Herzogs, sollte verhindert werden, am andern Morgen rechtzeitig auf dem Sammelplatz sich einzufinden. Knebel begab sich also zu dem Besitzer der kleinen Mühle, in welcher Goethe wohnte, und trug ihm sein Anliegen vor. Der Müller schüttelte zwar bedenklich den Kopf, wagte aber doch auch nicht, dem ihm unbekannten Herrn vom Hofe etwas abzuschlagen, zumal derselbe alle Verantwortlichkeit für die Folgen übernahm und der Müller aus Erfahrung schon wußte, welcher Ton in der hohen Gesellschaft herrschte. Er versprach also, wie von ihm verlangt wurde, nicht nur den Dr. Goethe nicht zu wecken, sondern auch die Nacht über seine Mühle nicht stehen zu lassen, damit der Schlafende durch das Aufhören des regelmäßigen Geräusches nicht gestört werde; er half auch, die Fensterläden vor dem Stübchen Goethe’s in aller Stille von außen zu schließen und die Thür desselben mit einer großen Anzahl von Getreide- und Mehlsäcken zu verbarricadiren, sodaß dieselbe von innen nicht geöffnet werden könne. Knebel ging nicht von dannen, bis er sich überzeugt hatte, daß alle seine Anordnungen genau nach Vorschrift ausgeführt worden waren.

Goethe schlief während der Zeit vortrefflich; er schlief weiter und – verschlief richtig die Zeit des Aufbruchs, weil er darauf rechnete, daß der Wirth, wie er demselben, befohlen, ihn zu rechter Zeit wecken werde. Alle Andern fanden sich pünktlich auf dem Sammelplatze ein, so daß bald nur der allgemein vermißte Dr. Goethe fehlte. Man wartete auf ihn. Man wartete lange, Goethe kam nicht. Da verlor endlich Karl August die Geduld und schickte einen Jagddiener mit dem Befehl zurück, den Säumigen zu holen und so lange dicht vor der Mühle auf seinem Jagdhorn zu blasen, bis Dr. Goethe auf den Ruf sich melde, und ihn dann mit sich zu bringen. Der Diener eilte, wie ihm befohlen, zurück und begann vor der Mühle zu blasen. Goethe hörte die Horntöne und setzte sich im Bett auf. In diesem Augenblick machte der Bläser draußen eine Pause, um zu sehen, ob der Vermißte sich melde. Goethe aber sah, daß es noch ganz finster war, meinte geträumt zu haben und legte sich wieder nieder.

Da begann der Mann draußen von Neuem seine Weckrufe hören zu lassen. Goethe erkannte, daß er nicht geträumt, sprang aus dem Bette und eilte an das Fenster. Hier überzeugte er sich sofort, daß der Laden geschlossen war, der doch offen gewesen, als er sich zur Ruhe begeben. In heftigem Aerger stieß er den Laden mit Gewalt auf, durch einen Stuhl, wie man sagt, und sah mit eignen Augen, daß es bereits zu tagen anfing. Dann rief er dem Waldhornbläser unten zu, er möge nur kurze Zeit warten, er werde sogleich selbst erscheinen. Er kleidete sich in der That so rasch als möglich an und wollte forteilen, aber als er die Thür zu öffnen versuchte, merkte er, daß sie nicht aufgehe, weil draußen schwere Gegenstände vor derselben lagen. Er kehrte also an das Fenster zurück und rief dem wartenden Jagddiener zu, er möge allein zurückkehren und Sr. Hoheit dem Herzog melden, er könne nicht kommen, wenn er nicht erst befreit werde, denn er werde durch einen mächtigen Zauber im Zimmer festgehalten. Der Diener eilte mit dem erhaltenen Auftrag zurück zu dem ungeduldigen Herzoge, während Goethe neue, aber vergebliche Anstrengungen machte, seine Freiheit zu gewinnen. Noch war er damit beschäftigt, als der Herzog, der den Zusammenhang der Sache wohl ahnen mochte, [786] lachend mit der ganzen Jagdgesellschaft zurückkam und vor der Mühle erschien. Zunächst wurde der Müller vor den regierenden Herrn citirt, der ihn zornig mit der Frage anließ, warum er seinen Gast und Freund in dem Hause da gewaltsam zurückhalte und ihn hindere, an der Jagd theilzunehmen. Der Müller leugnete, den Herrn in seinem Hause zurückgehalten zu haben, und mußte darauf den Herzog und dessen Gefolge zur Wohnung Goethe’s geleiten. Als sie da vor der Thür ankamen und die Verbarricadirung derselben sahen, fragte Karl August zornig, wer das gethan habe. Der Müller wagte es nicht, den mitanwesenden Schuldigen zu nennen, zumal derselbe ihm zublinzelte, er möge nur schweigen und leugnen.

„Nun, Du entgehst mir und Deiner Strafe nicht,“ sagte Karl August. „Jetzt schaffe zunächst die Säcke hinweg, damit der Gefangene befreit werde.“

Der Müller legte sofort Hand an und räumte die Säcke hinweg von der Thür des Zimmers Goethe’s, so daß dieser herausgelassen werden konnte.

„So hab’ ich Dich befreit,“ rief ihm der Herzog zu, „und da Du gelitten hast durch den Verbrecher da, magst Du auch seine Strafe bestimmen.“

„Zunächst muß jedenfalls ermittelt werden,“ antwortete Goethe, „ob er wirklich der Schuldige ist.“

„Gestehe,“ fiel der Herzog gegen den Müller ein, „hast Du das gethan, oder wer ist der Schuldige?“

„Ich weiß nicht,“ antwortete der Müller mit einer Armensündermiene, „wer es gethan hat.“

„Müller, gestehe Deine Schuld!“ entgegnete Karl August.

„Ich bin unschuldig!“ antwortete der geängstigte Mann.

„So muß ein Gottesgericht entscheiden,“ fiel Goethe ein. „Befehlen Eure Hoheit, ihn der Feuer- und Wasserprobe zu unterwerfen.“

„Also sei es!“ entgegnete Karl August. „Hinaus auf die Wiese mit ihm!“

Diener faßten den zitternden Mann, der nicht wußte, was mit ihm geschehen sollte, und führten ihn auf eine kleine Wiese hinter dem Hause, neben der Ilm. Die ganze Gesellschaft folgte.

„Ein mäßiges Feuer hier angezündet!“ befahl der Herzog den Dienern, die sich beeilten, einen Arm voll Holz von einem in der Nähe liegenden Haufen herbeizutragen. Dies wurde übereinander gelegt und dann angezündet.

Der Müller sah angstvoll diesen gefährlichen Vorbereitungen zu. Als der allerdings kleine Holzstoß brannte, befahl der Herzog:

„Nun kleidet den Schuldigen aus, vollständig!“

Die Diener gehorchten und bald stand der Müller nackt und bloß vor dem Feuer und der lachenden vornehmen Gesellschaft.

Dann rief ihm der Herzog in gebietendem Tone zu:

„Durch diese geweihten Flammen springst Du! Verletzen sie Dich nicht, so ist Deine Unschuld zur Hälfte dargethan und Du hast dann nur noch durch die Fluthen hier zu gehen. Verschlingen auch sie Dich nicht, so ist es ein Beweis, daß Du wirklich schuldlos an dem Verbrechen warst! Man führe ihn zu den reinigenden Flammen!“

Der Müller wurde neben das kleine Feuer gestellt, aber er hatte doch nicht den Muth, durch die emporzüngelnden Flammen zu springen.

„Rasch, Müller!“ fiel der Herzog ein. „Oder man zwingt Dich!“

Da nahm der Müller all seinen Muth zusammen und sprang mit leichter Mühe, ohne sich im mindesten zu beschädigen, durch die ungefährlichen Flammen.

„Sehr gut!“ rief der Herzog. „Nun hinunter in das Wasser!“

Ohne sich lange zu besinnen, trat der Müller in die seichte Ilm, lief rasch durch dieselbe hindurch und flüchtete sich von da in sein Haus. Alle lachten laut und Goethe sagte:

„Er ist wirklich unschuldig und wir haben die Pflicht, ihn für seine Angst zu entschädigen. Geben wir ihm ein entsprechendes Schmerzensgeld.“

„Das soll und muß geschehen,“ entgegnete der Herzog. „Vorher aber,“ wendete er sich an die Diener, „bringt ihm seine Kleider in’s Haus!“

Einer der Diener ging mit den Kleidungsstücken des Müllers in die Mühle. Karl August aber fuhr fort zu den Jagdgenossen:

„Ich gebe einen Louisd’or. Jeder der Herren giebt wenigstens einen Laubthaler.“

„Der Schuldige,“ fiel Goethe ein, „denn er ist unter uns, giebt zwei Laubthaler!“

„So sei es!“ bestätigte der Herzog.

„Ja,“ fuhr Goethe fort, „auch muß der Schuldige die heutige Geschichte selbst in das ‚Tagebuch von Stützerbach‘ schreiben.“

„Richtig,“ setzte Karl August hinzu, „auch das hier gesammelte Geld dem armen Müller übergeben und ihn um Verzeihung für das Ganze bitten!“

„Ich bedanke mich für die gnädige Strafe,“ sagte der vortretende Knebel, indem er das eingesammelte Geld nahm und nach der Mühle zu ging.

„Du, Knebel?“ fiel Goethe ein. „Es soll Dir reichlich vergolten werden!“

„Aber nun auf zur Jagd!“ befahl der Herzog. „Die schönste Morgenzeit ist schon vorbei!“

Und die Gesellschaft eilte fröhlich von dannen, dem nahen Walde zu.


Wenn Goethe dictirte, ging er in seinem langen weißlichgrauen dicken Schlafrocke und großen wollenen Hausschuhen, die Hände meist auf den Rücken gelegt, um den schmalen langen Tisch langsam herum, der in seinem Stübchen heute noch so steht, wie er immer stand, und an dem der Secretair saß. Demjenigen nun, welchem er u. A. ‚Wilhelm Meister’s Wanderjahre‘ in die Feder sagte, erschien, wie er mir selbst erzählte, das immer Treffende des Ausdrucks, die schöne Form der Rede, die Sicherheit und unfehlbare Richtigkeit des Periodenbaues so wunderbar und unbegreiflich, daß er anfangs meinte, Goethe müsse entweder das Ganze auswendig gelernt oder irgendwo im Zimmer ein Papier haben, auf dem Alles schon geschrieben stehe und in das er gelegentlich bei seinen Rundgängen blicke. Er benutzte deshalb die erste Gelegenheit, als Goethe einmal das Zimmer plötzlich verlassen mußte, um überall nachzusehen, ob irgendwo ein solches Papier liege. Da keine Spur davon zu entdecken war, mußte er, was er bezweifelt hatte, glauben, daß Goethe das, was er dictire, vollständig, klar und geordnet im Kopfe trage und daß seine Herrschaft über die Sprache und namentlich den Satzbau eine unbeschränkte sei. Er sprach bei Gelegenheit seine Bewunderung darüber gegen Goethe’s Freund, den sogenannten Kunst-Meyer, aus, der indeß in seinem Schweizer-Dialekt entgegnete: „Das isch noch gar nichts. Ich fuhr einmal mit ihm nach Jena und später von da nach Weimar zurück. Da hat er mir im Wagen ‚die Wahlverwandtschaften‘, die noch nicht geschrieben waren, von Anfange an bis zum Ende so vollständig erzählt, daß auch nicht ein Komma d’rin fehlte, als lese er mir die Geschichte aus einem Buche vor.“

Derselbe Secretair bemerkte ferner, daß Goethe, wenn er, wie es sehr häufig, oft aller zehn Minuten geschah, im Dictiren unterbrochen wurde, durch seinen Bedienten, durch den Barbier, durch einen irgend etwas meldenden Schauspieler etc., mit den Leuten freundlich sprach, sich sogar Stadtneuigkeiten erzählen ließ, dann aber den vorher angefangenen Satz unfehlbar richtig vollendete, ohne einmal zu fragen, wo er stehen geblieben sei.

Und noch eine dritte Bemerkung machte der Secretair, der anfangs auch nicht wußte, was er dabei denken sollte. Goethe hielt nämlich im Dictiren bisweilen inne. Er bewegte dann die Hände hin und her, als theile er Befehle aus, und murmelte dabei: „Hm! hm! So, so! Ja, ja!“ Endlich kam der Secretair auf die Vermuthung, der große Dichter weise den Personen, von denen er erzählte und die deutlich vor seinem geistigen Auge standen, die passende Stellung an, wie er den Schauspielern auf der Bühne solche Anweisungen gab.

Der oben erwähnte Kunst-Meyer wurde von Goethe bekanntlich nach Italien gesandt, damit er dort bestimmte Kunststudien mache und die Resultate derselben, zunächst für die ‚Horen‘, niederschreibe. Schiller aber wußte aus Erfahrung, daß Meyer zwar umfassende Kenntnisse besitze, auch richtig zu denken vermöge, aber gut zu schreiben gar nicht verstehe. Er veranlaßte deshalb Goethe, seinen Freund zu vermögen, daß er vor der Reise bei einem Sprachlehrer in Jena eine Zeit lang Unterricht im deutschen Styl nehme. Meyer that, wie ihm empfohlen worden war, und besuchte die Lehrstunden eine ziemliche Zeit lang regelmäßig, [787] ohne indeß bemerkenswerthe Fortschritte im ‚deutschen Styl‘ zu machen. Er selbst erkannte dies und erzählte später gern davon. „Ich fragte mich,“ sagte er, „bischt du denn nur zu dumm? Haschst trotz aller Lehrstunden keinen deutschen Styl gelernt! Aber, ich denke, es schadet nichts. Warum schreibt man denn? Um seine Gedanken deutlich und verständlich auszudrücken. Das kann ich; das thue ich. Wozu denn noch ein Styl?“ –

Haben die Leser jemals etwas von der thüringischen Helena gehört? Diese Helena war die von allen Seiten umworbene ungemein schöne Tochter des Gastwirths in Kötschau (halbwegs zwischen Weimar und Jena). Goethe’s Sohn August hatte sie entdeckt und seinen Vater auf die Schöne aufmerksam gemacht. Der Letztere ließ von da an, bei allen seinen Reisen nach und von Jena, in Kötschau halten, kehrte aus längere oder kürzere Zeit in dem Gasthause ein und nahm Speise und Trank zu sich. Das Mädchen nun, das sehr wohl wußte, der vornehme Herr, ‚der Herr Geheimderath‘, finde sie hübsch und kehre nur ihretwegen so oft in dem Gasthause ihres Vaters ein, eilte hinweg, sobald sie den Wagen Goethe’s anfahren sah. Sie wusch und putzte sich und kam dann, um persönlich den Herrn ‚Geheimderath‘ zu bedienen, weil er das sehr gern sah. (Frage an die Goethe-Gelehrten: Kam Goethe durch diese Helena auf die Idee, welche er in den vierundzwanzig prächtigen Stanzen seines ungedruckten und undruckbaren ‚Tagebuchs‘ behandelt hat? –

Als der bekannte russische Staatsrath von Struve in Weimar sich aufhielt, wurde er namentlich dem Personal der dortigen Bibliothek äußerst lästig, nicht nur weil er die Bücher, die er benutzen wollte, immer selbst suchte, sondern auch andere Ansprüche machte, die nicht wohl erfüllt werden konnten. Ueberdies brachte er alle Fremden, die er in Weimar auf der Straße traf, namentlich alle Russen, in die Bibliothek und führte sie daselbst überall umher. Entfernten sie sich dann und wollten den Bibliothekdienern ein Trinkgeld geben, so fuhr Struve mit dem Bemerken dazwischen, es sei hier weder nöthig noch üblich Geschenke zu geben. Ein Bibliothekdiener, der sich lange über dies Verfahren des vornehmen Russen geärgert hatte, verlor endlich die Geduld und bemerkte, als er wiederum Fremde hinderte, ein Trinkgeld zu geben: „Herr Staatsrath, das geht Ihnen nichts an. Wenn die Herren mir etwas schenken wollen, so dürfen Sie das nicht hindern.“ Der Staatsrath beschwerte sich darüber bei dem Bibliothekar Kräuter, der bekanntlich lange Goethe’s Secretair gewesen war und der entgegnete: Die Fremden hätten allerdings in der Bibliothek nichts zu zahlen, wenn sie aber freiwillig etwas geben wollten, so habe Niemand das Recht, sie daran zu hindern. Darauf hin drohete Struve, den diese Antwort mächtig verdroß, bei dem Chef der Bibliothek, dem Geheimrath von Goethe, Beschwerde zu führen. Kräuter aber kam ihm zuvor und theilte die Sache noch denselben Tag Goethe mit.

„Ja, ja,“ meinte dieser, „die Russen werden uns sehr bald auf die Hühneraugen (er brauchte einen anderen populären, noch viel stärkern Ausdruck) treten und dann noch verlangen, daß wir uns bedanken.“ –

Viele Jahre lang war in dem Hause Goethe’s ein verwachsener armer Mann, seines Handwerks ein Tapezierer, mit für ihn passenden leichten Arbeiten beschäftigt, und Goethe ließ ihm wöchentlich eine gewisse Summe, als Unterstützung, zahlen. Später konnte der arme Kleine nichts verrichten, als höchstens die Teppiche im Beginn des Winters legen und sie im Frühjahr wieder aus den Zimmern nehmen. Als ihm schließlich auch dies zu beschwerlich war, hatte er nur die eine Aufgabe, jeden Morgen zu einer bestimmten Stunde in das Zimmer Goethe’s einen großen Krug frischen Wassers zu bringen. – Dieser kleine verwachsene Tapezierer, Werner hieß er, hatte die Marotte, stets und überall in Knüttelversen, auch Goethe gegenüber, zu reden. In der Regel achtete Goethe nicht auf den seltsamen Schwätzer, bisweilen aber lächelte er über den wunderlichen Kauz. Einmal, nicht lange vor seinem Tode, wurde das läppische Versgeplauder dem alten Herrn zu arg, und er sagte, nachdem er dem Buckeligen eine ziemlich lange Zeit kopfschüttelnd zugehört hatte:

„Er ist ein Esel, lieber Werner!
Mein Ohr zu schonen endlich lern’ Er;
Das Reimgeklapper unterlass’ Er,
Sonst holt ein And’rer mir das Wasser.“

Der Kleine sah freudig erstaunt den hohen Herrn an und wollte eben seiner Freude über die Anrede laute gereimte Worte geben, aber Goethe winkte heftig nach der Thür zu. Werner ging überglücklich und erzählte dem ersten Bekannten auf der Straße: „Heute besauf’ ich mich. Der Herr Geheimderath hat mit mir in Versen gesprochen. Er war ganz ungewöhnlich gnädig und herablassend. Er hat mich einen Esel genannt. Ein solches Glück passirt Unsereinem nicht immer. Und reimen konnte er, beinahe besser wie ich. – Heute trinke ich mir einen an.“ Und der kleine Buckelige eilte in das erste beste Wirthshaus, um seinen Vorsatz auszuführen.