Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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verborgen, und sie aufzuweisen ist bisher noch kaum das Funda- ment gelegt worden. Nichts desto weniger ist soviel deutlich : vom Aufbau angefangen, welcher Dichtung, Memoirenwerk, Kommentar in Einem darstellt; bis zu der Syntax uferloser Sätze (dem Nil der Sprache, welcher hier befruchtend in die Breiten der Wahrheit hinübertritt) ist überall der Schriftsteller präsent, der stellungnehmend, Rechenschaft erteilend sich dauernd zur Verfügung des Lesers hält. In keinem Falle kann ein Autor, der nicht zuförderst sich als Schriftsteller bekennt, Anspruch auf öffentliche Wirkung machen. Frankreich ist darin glücklich, dass die höchst verdächtige Konfrontation von Dichtung und Schriftstellerei dort niemals wirklich Kurs gewinnen konnte. Heute ist mehr denn je die Vorstellung entscheidend, die sich der Schriftsteller von seiner Arbeit macht. Und umso viel entscheidender, wenn es ein Dichter ist, der diesen Begriff zu seinem Recht zu bringen sucht.
Wir sprechen von Paul Valéry. Symptomatisch ist seine Bedeutung für die Funktion des Schriftstellers in der Gesellschaft. Und diese symptomatische Bedeutung hängt auf das engste mit den fraglosen Qualitäten seiner Produktion zusammen. Unter den Schriftstellern des heutigen Frankreich ist Valéry der grösste Techniker des Fachs. Er hat die Technik der Schriftstellerei durchdacht wie kein anderer. Und man würde die Sonderstellung, die er einnimmt, vielleicht hinreichend schon mit der Behauptung treffen, dass Schriftstellerei für ihn in erster Linie eine Technik ist.
Es ist nun wichtig, dass Schriftstellerei in seinem Sinne die Dichtung einschliesst. Mit gleicher Entschiedenheit ist er als Essayist wie als Lyriker hervorgetreten, und in beiden Fällen nicht, ohne immer wieder Rechenschaft von seiner Technik zu geben. Valéry geht der Intelligenz des Schreibenden, zumal des Dichters, inquisitorisch nach, verlangt den Bruch mit der weitverbreiteten Auffassung, dass sie beim Schreibenden sich von selbst verstehe, geschweige mit der noch viel weiter verbreiteten, dass sie beim Dichter nichts zu sagen habe. Er selbst hat eine, und von einer Art, die sich durchaus nicht von selbst versteht. Nichts kann befremdender sein als ihre Verkörperung, Herr Teste. Herr Teste ist seinem äusseren Auftreten nach ein Spiesser, seinen Lebensbedingungen nach ein Rentier. Er sitzt zu Hause; er kommt wenig unter die Leute, betreut wird er von seiner Frau. Monsieur Teste — zu deutsch : Herr Kopf — ist eine Personifikation des Intellekts, die sehr an den Gott erinnert, von dem die negative Theologie des Nicolaus Cusanus handelt. Auf Negation läuft alles, was man von Teste erfahren kann, hinaus. "Jede Erregung, erklärt er, jedes Gefühl ist Anzeichen eines Fehlers in der Konstruktion und der Anpassung." Mag Herr Teste sich von
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/70&oldid=- (Version vom 10.8.2022)