Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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Geschick der Frau, die ihn um Hilfe angerufen hat und von der er nichts mehr erfährt, scheint schon bei Green den Keim zu diesem in sich zu enthalten.
Rückständig ist Greens Fragestellung; rückständig der Standpunkt der meisten Romanciers im Technischen.
"Die Mehrzahl der Verfasser setzt einen unerschütterlichen Glauben, der seit Freud als unstatthaft zu gelten hat, in die Bekenntnisse seiner Gestalten oder tut doch so. Sie will es nicht verstehen, dass ein Bericht, den jemand von seiner eigenen Vergangenheit erstattet, mehr verrät über den gegenwärtigen Zustand als von dem vergangenen, von dem er berichtet. Sie bleiben auch dabei, das Leben einer Romanfigur sich als vereinzelten Ablauf zu denken, der im voraus in einer leeren Zeit fixiert ist. Sie trägt weder den Lehren des Behaviourismus Rechnung noch selbst denen der Psychoanalyse."
Soweit Berl. Es ist, mit einem Wort, bezeichnend für die heutige Situation der französischen Belletristik, dass eine Trennung zwischen den führenden Intelligenzen und den Romanciers sich zu vollziehen beginnt. Die Ausnahmen — vor allem Proust und Gide — bestätigen die Regel. Denn beide haben die Technik des Romans mehr oder weniger eingreifend verändert. Doch weder Alain noch Péguy, weder Valéry noch Aragon sind mit Romanen hervorgetreten; und die, welche wir von Barrès oder Benda haben. sind Thesenschriften. Für die Masse der Schreibenden jedoch gilt diese Regel: Je mittelmässiger ein Autor, desto grösser sein Verlangen, als "Dichter" von Romanen seiner wahren Verantwortung als Schriftsteller sich zu entziehen.
Es ist darum durchaus nicht ungereimt, die Frage aufzuwerfen, was denn der Roman des letzten Jahrzehnts für die Freiheit geleistet hat. Auf diese Frage lässt sich schwerlich anders erwidern als mit einem Hinweis auf die Verteidigung der Inversion, die Proust als erster in seinem Werk unternommen hat. So sehr jedoch ein solcher Hinweis der dürftigen revolutionären Leistung der Belletristik gerecht würde, so wenig würde er den Sinn von dem erschöpfen, was in der "Recherche du Temps Perdu" die Inversion bedeutet. Vielm~hr erschrint die Inversion bei Proust, weil aus der Welt, mit der er es zu tun hat, die entfernteste sowohl wie die primitivste Erinnerung an die Produktivkräfte der Natur verbannt werden sollte. Die Welt, weIche Proust schildert, schliesst alles von sich aus, was Anteil an der Produktion hat. Die Haltung des Snob, die in ihr tonangebend ist, ist ja nichts anderes als die konsequente, organisierte und gestählte Betrachtung des Daseins vom Standpunkt des reinen Konsumenten. In seinem Werk liegt eine gnadenlose, eindringende Kritik der heutigen Gesellschaft
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/69&oldid=- (Version vom 10.8.2022)