Zum Inhalt springen

Seite:Zeitschrift für Sozialforschung - Jahrgang 3 - Heft 1.pdf/71

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1

Hause aus Mensch fühlen — er hat sich Valérys Weisheit zu Herzen genommen, die wichtigsten Gedanken seien die, die unserem Gefühl widersprechen. Er ist denn auch die Negation des "Menschlichen": "Sieh, die Dämmerung des Ungefähr bricht herein, und vor der Tür steht die Herrschaft des Entmenschten, welche hervorgehen wird aus der Genauigkeit, der Strenge und der Reinheit in den Angelegenheiten der Menschen." Nichts Ausladendes, Pathetisches, nichts "Menschliches" geht in den Umkreis dieses Valéryschen Sonderlings ein, nach dessen Bild der reine Schriftsteller geformt sein soll. Der Gedanke soll ihm die einzige Substanz darstellen, aus welcher das Vollkommene sich bilden lässt. "Ein klassischer Schriftsteller, definiert Valéry, ist ein Schriftsteller, der seine Ideenassoziationen verbirgt oder absorbiert."

Im bürgerlich französischen Masstab aber stellt Monsieur Teste nichts anderes dar als die Erfahrung, die Valery in einigen grossen Künstlern, wo sie im Menschheitsmasstab auftaucht, nachzuzeichnen suchte. In diesem Sinn beschäftigt schon eins seiner frühesten Werke sich mit einer "Einleitung in die Methode Lionardo da Vincis". Dieser erscheint darinnen als der Künstler, der an keiner Stelle seines Werks darauf verzichtet, sich den genauesten Begriff von seiner Arbeit und Verfahrensweise zu machen. Valéry hat von sich bekannt, dass eine mittelmässige Seite, auf welcher er von jedem Wort aus seiner Feder sich Rechenschaft zu geben wüsste, ihm lieber sei als ein vollkommenes Werk, das er den Mächten des Zufalls und der Inspiration danke. Sowie an anderer Stelle :

"Nichts anderes als unsere geistigen Ausfallserscheinungen sind der Bereich der Mächte des Zufalls, der Götter und des Schicksals. Besässen wir auf alles eine Antwort — wir sagen eine exakte Antwort —, so würden diese Mächte nicht existieren. Wir fühlen das auch genau, und dies ist der Grund, warum wir uns am Ende gegen unsere eigenen Fragen wenden. Das müsste aber den Anfang darstellen. Man muss im Innern bei sich selber eine Frage formen, die allen anderen vorhergeht und ihrer jeder abfragt, was sie taugt."

Die strikte Rückbeziehung solcher Gedanken auf die heroische Periode des europäischen Bürgertums gestattet es, der Überraschung Herr zu werden, mit der wir hier auf einem vorgeschobensten Punkte des alten europäischen Humanismus noch einmal der Idee des Fortschritts begegnen. Und zwar ist es die stichhaltige und echte: die des Übertragbaren in den Methoden, welche dem Begriff der Konstruktion bei Valéry so handgreiflich korrespondiert, wie sie der Zwangsvorstellung der Inspiration zuwider läuft. "Das Kunstwerk, hat einer seiner Interpreten gesagt, ist keine Schöpfung, es ist eine Konstruktion, in der die Analyse, die Berechnung, die

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/71&oldid=- (Version vom 10.8.2022)