Ist nicht Minerva selbst, die Fürstin kluger Sinnen,
In beyden gleich geübt, in schreiben wie in spinnen?
War Sappho nicht ein Weib? Ist irgendswo ein Mann,
Der einer Schurmannin sich gleich erweisen kan?
Ihr schlechte Tauben ihr, wo sonderliche Gaben
Fast wider die Natur sich eingefunden haben,
Was geht euch solches an? Um aller Welt Gewinn
Bringt ihr mir nimmermehr noch eine Schurmannin.
Was von Minerva wird geschrieben und gelesen,
Ist niemals in der That geschehen noch gewesen.
Sie hat so wenig Fleiß an Büchern je verlohrn,
Als sie aus dem Gehirn des Vaters ist gebohrn.
Dis Bild wil mit Verstand also seyn angenommen,
Daß Kunst und Weißheit nur vom Himmel müße kommen.
Die Musen alle neun sind Wissenschaften nur,
Die uns sind abgemahlt in weiblicher Figur.
Was Sappho nun betrift: So wirstu ihre Sitten
Samt aller ihrer Kunst nicht wünschen oder bitten.
Ein ehrlich Weibesbild, ein fromm gewehntes Kind
Wird nimmermehr also, wie Sappho seyn gesinnt.
Die Schriften sind fürwahr Gezeugen unsrer Hertzen.
Die keusch ist von Natur, die wird nicht unkeusch schertzen.
Das bild ich mir gewiß und ohne Zweifel ein:
Die so wie Thais spricht, die wird auch Thais seyn.
Wär aber irgendwo ein Weib, das geil vom Munde
Und in der Feder wär, jedoch sich keusch befunde,
Die wäre werth, daß sie für allen schau geführt
Und nackend solte stehn mit Purpur ausgeziert.
Man solte billig sie und andre ihres gleichen,
Wo sonsten andre sind, mit güldnen Ruthen streichen.
Wo aber findet man solch Keinod in der Welt?
Da weiße Raben sind, und schwartzer Hagel fällt.
Drum wünsche nicht, daß die, so vorsteht deinem Hause,
Mit Versen sich bemüh und in Poeten mause.
Joachim Rachel: Teutsche Satyrische Gedichte. Christian Ludewig Kunst, Berlin 1743, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Teutsche_satyrische_Gedichte_Wolfenbuettel.djvu/99&oldid=- (Version vom 1.8.2018)