Denn zu gleicher Zeit, und in gleichem Maaße, wie sich die Sonne von unserm Scheitelpunkt entfernt, oder wir von der Sonne, kommt sie höher über diejenige zu stehen, welche jenseits des Cruzifixes gegen den andern Pol hinauswohnen, und umgekehrt eben so.
Wenn hier die lezten Blumen verwelken, und das Laub von den Bäumen fällt, fangt dort alles an zu grünen und zu blühen. Wenn wir in unserm Winter die längste Nacht verschlafen, schimmert dort der längste Sommertag, und der Hausfreund kann sich nicht genug über die göttliche Weisheit verwundern, die mit einer Sonne auf der ganzen Erde ausreicht, und in die winterlichste Landschaften noch einen lustigen Frühling, und eine fröhliche Erndte bringen kann.
Soviel für diesmal von der Erde. Gleichwohl wenn ein Mensch von derselben sich aufheben, und in grader Linie langsam oder geschwind zum Abendstern aufsteigen könnte, der unter allen Sternen der nächste ist, so würde er noch merkwürdige Dinge sehen. Der Stern würde vor seinen Augen immer größer werden, zuerst wie der Mond, bald darauf wie ein großes Rad, zulezt wie eine unübersehbare Kugel oder Fläche. Sein Licht würde ihm immer milder erscheinen, weil es sich immer über eine größere Fläche verbreitete, ja er würde in einer gewissen Entfernung davon schon Berge und Thäler entdecken, und allerley, und zulezt auf einer neuen Erde landen. Aber in der nemlichen Proportion müste unter ihm die Erde immer kleiner werden, und glänzender ihr Licht, weil es sich auf einen kleinern Raum zusammen drängt. In einer gewissen Entfernung hätte sie für ihn noch
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/029&oldid=- (Version vom 1.8.2018)