Abgrunde … bis er ganz erschien, düster wie die Nacht und furchtbar wie der Tod … Er saß auf seinen Bocksbeinen, die goldenen Hörner des Halbmondes erstrahlten auf seinem schmalen entblößten Haupte … Er war ganz nackt, schlank und jugendlich, er saß mit breitgespreizten Knieen, zwischen denen sich wie eine Giftschlange ein blutiger Blitz wand … Die herabhängenden langen Hände berührten mit gekrümmten Krallen die Hülle der Bahre, die unter seinen goldenen Hufen stand … Die roten Augen sprühten Licht wie glühende Karfunkel und schienen über die Häupter der vor ihm in scheuer Demut im Staube Liegenden zu gleiten. Er war furchtbar in seiner kalten, wie mit einem tödlichen Zauber vergifteten Schönheit … düster wie die Unbarmherzigkeit … Ein wildsüßer Ausdruck lag um seinen schmerzhaft zusammengepreßten Mund … Die zusammengezogenen und drohenden Brauen waren gespannt wie ein Bogen der Rache und des Zornes … Und in dem schmalen Antlitz und der erhabenen, stolzen Stirn lag die Qual ewiger Empörung, nie endenwollender Nacht, ungesühnten Unrechts und ewigen Irrens, sein Körper war vorgeneigt und gleichsam zu lauerndem Sprunge gespannt, so daß es schien, als wäre er nur für einen Moment erschienen und würde sich gleich wieder in den Abgrund stürzen, die eisigen Wüsten des Schweigens zu durchrasen und immer, ohne Ende, ewig und rastlos zu wandern …
Zenon kam unter dem Eindruck dieser Vision zum Bewußtsein, er fühlte, daß er nicht schlief, und konnte es doch nicht glauben, er wehrte sich vor dem
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/161&oldid=- (Version vom 1.8.2018)