(Ingelheimer Novelle.)
Mehrere Jungfrauen von ausgezeichneter Körperhaltung standen vor einem umgestürzten Baumstamme, über welchen ein Hirsch, von den Jagdhunden verfolgt, soeben hinweggesprungen war. Eins der Mädchen hatte einen Pfeil von ihrem Bogen auf ihn entsendet und lehnte nur ihr Knie an die umgestürzte Eiche. Eine andere hatte bereits den einen Fuß über die Eiche gesetzt und den Jagdspeer erhoben, um ihn nach dem Hirsche zu werfen, der noch einmal vom Boden aufsprang. Dabei strauchelte sie und hätte vielleicht ein Bein brechen können. Doch eine kräftige Mannesgestalt, die neben ihr stand, streckte die Hand nach ihr aus, ergriff sie am Oberarm und hielt sie einen Augenblick fest, sodaß der Fall abgewendet wurde. In dem gefährlichen Augenblicke hatten beide einander scharf in’s Auge gesehen. Jetzt trat der Jäger ehrfurchtsvoll einige Schritte von der Jungfrau zurück.
Auf diese Waldlichtung trat soeben aus den Eichen ein Mann, dessen gewaltige Erscheinung in jeder Beziehung über das gewöhnliche menschliche Maß hinaus ragte. Sein Körper war breit und kräftig und sieben Fuß lang. Seine Glieder waren ebenmäßig, nur sein Nacken etwas kurz und dick. Der runde Kopf war bedeckt mit wallendem Haare, welches bereits silberweiß wurde. Groß und gewaltig waren seine Augen. Seine
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)