Hoch sind die Berge, weit ist die Entfernung, doch dreißig Stunden weit wird der Schall vernommen, von Karl und allen seinen Gefährten gehört.
„Ach!“ spricht der König, „unsere Leute fechten!“
Aber helles Blut war Rolands Munde beim Blasen entströmt, und seine Schläfen hatten zerspringen wollen.
König Karl sprach weiter: „Das ist Rolands Horn, das bläst er niemals, es sei denn im Kampfe.“
Allein der falsche Ganelon sagte: „Auf der Jagd wird Roland wohl in sein Horn tuten um eines Hasen willen. Hat er nicht ganze Städte gegen Euren Willen für Euch erobert? Aber ihm laßt Ihr Alles hingehen. Ihr seid alt, Herr König, und schwatzet da wie ein Kind. Setzet Eure Reise nach der Heimat fort und denkt nicht mehr an Roland.“
Allein nun blutete des Grafen Roland Mund, und jeder Ton, den er noch hervorrief, machte ihm die größten Schmerzen.
Herzog Naimo rief: „Ja, sie fechten! Zu den Waffen! Laßt uns umkehren und dem wackeren Nachtrabe zu Hülfe kommen! Ihr hört ja, wie Roland klagt!“
Der König Karl ließ die Pfeifer aufspielen, es waffneten sich die Franken mit dem Schwerte. Sie entfalteten die weißen, die roten und die blauen Paniere. Alle Barone schwangen sich in den Sattel, rissen ihre Rosse herum, daß die Mäuler nach Westen und die Roßschweife nach Osten standen, und trieben sie rastlos nach dem Thale von Ronceval zu. „Wenn wir nur Herrn Roland finden,“ riefen sie aus, „welche Schwertstreiche wollen wir in seiner Gesellschaft austeilen!“ Aber es war zu spät, sie hatten durch die Schuld des Verräters Ganelon zu lange gesäumt, auch hatte Roland wohl zu spät geblasen.
Als Roland das ungläubige Volk immer zahlreicher heranströmen sah, schwärzer wie Tinte, weiß allein an den Zähnen, da sprach er: „Jetzt weiß ich, daß wir heute des Todes sein werden. Haut drein, meine lieben Franken, haut zu mit den gut geschmiedeten Schwertern! Verkaufet Euer Leben und Euern Tod nur zum höchsten Preise! Durch uns soll die Ehre des Frankenreiches nicht geschändet werden. Wenn Karolus, mein König und Herr, zu dieser Wahlstatt kömmt, dann mag er das Blutbad schauen,
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/194&oldid=- (Version vom 1.8.2018)