Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel | |
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können, weil sie den einen, der wirklich der Vater ist[1], nicht kennen, so haben auch die Menschen in den Städten, die den einen, wirklich seienden, wahren Gott nicht kennen, fälschlich viele zu Göttern gemacht. 9 Indem dann bei den einen dieser, bei den anderen jener verehrt wurde, erzeugte die Zwiespältigkeit, die betreffs des Besten Platz gegriffen, auch in allen anderen Dingen nur Streit. Dies ist der erste Grund, weshalb er es vorzog, ausserhalb der Städte die Gesetze zu geben. 10 Zweitens aber bedachte er, dass wer heilige Gesetze auf sich nehmen sollte, zuvor die Seele von schwer [p. 182 M.] zu tilgenden Flecken läutern und reinigen müsse, die ihr die Berührung mit allerlei zusammengelaufenem Volk in den Städten gebracht hatte. 11 Das ist aber anders nicht möglich als durch Trennung, und das auch nicht gleich, sondern erst eine Weile später, bis die Spuren des früheren unrechten Tuns sich allmählich verdunkeln, sich verwischen und endlich ganz schwinden. 12 Auf diese Weise retten auch tüchtige Aerzte die Kranken; nicht eher nämlich wollen sie ihnen Speise und Trank reichen lassen, als bis sie die Ursachen der Krankheit entfernt haben; denn bleiben diese, so ist jede Nahrung unnütz, ja sogar schädlich, denn sie wird nur weiterer Stoff für das Leiden. 13 (3.) Nachdem er sie also vernünftigerweise von den schädlichen Berührungen in den Städten weg in die Wüste geführt hatte, um ihre Seelen von Fehlern zu reinigen, begann er damit, den Gemütern Nahrung zu reichen. Welche andere Nahrung gäbe es aber als Gesetze und göttliche Lehren? 14 Der dritte Grund aber ist dieser: wie solche, die eine lange Fahrt zu machen haben, nicht erst wenn sie bereits das Schiff bestiegen und sich aus dem Hafen entfernt haben, anfangen Segel und Steuerruder und Steuergriff herzustellen, sondern, während sie noch am Land sind, alles wohl vorbereiten, was zur Fahrt gehört, ebenso wollte er, dass sie nicht erst ihren Landanteil empfingen und die Städte besiedelten und dann nach Gesetzen verlangten, nach denen sie verfassungsgemäss leben könnten, sondern zuvor sollten sie die Grundlinien einer Verfassung erhalten, und dann erst,
- ↑ ἑνὸς ἀγνοίᾳ τοῦ φύσει πατρὸς nach der Lesart des Vatikanischen Palimpsests. [L. C.]
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/007&oldid=- (Version vom 9.12.2016)