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Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/008

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Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

völlig vertraut mit den Grundsätzen, durch die ein Volk heilsam regiert wird, sollten sie feste Wohnsitze nehmen, da sie dann sich gleich der Stützen der Gerechtigkeit zu bedienen hätten in Eintracht und inniger Gemeinschaft und bei gerechter Verteilung dessen, was einem jeden zukommt. 15 (4.) Einige geben noch einen vierten Grund an, der gar nicht ungereimt klingt, sondern der Wahrheit recht nahe kommt. Da die Gemüter die Ueberzeugung gewinnen sollten, dass die Gesetze nicht etwa Erfindungen eines Menschen, sondern ganz klare Offenbarungen Gottes sind, führte er das Volk weit weg von den Städten in eine tiefe Wüste, die nicht nur der edleren Früchte, sondern selbst eines trinkbaren Wassers entbehrte; 16 denn wenn sie bei dem Mangel am Notwendigsten vor Hunger und Durst schon zu sterben erwarteten und wenn sie dann plötzlich eine Fülle von Lebensmitteln fänden, die ohne ihr Zutun ihnen gewährt wurde, indem der Himmel als Nahrung das sogenannte Manna regnen liess und als Zukost der Speise aus der Luft einen Schwarm Wachteln, indem ferner das Wasser, das zuvor bitter war, auf einmal süss zum Trinken ward, und der schroffe Felsen Wasserquellen hervorsprudeln liess, da sollten sie sich nicht mehr wundern, dass die Gesetze Offenbarungen Gottes seien, da sie doch den greifbarsten Beweis an den [p. 183 M.] Nahrungsmitteln hatten, die sie in der grössten Not empfingen, wo sie es am wenigsten erwarteten. 17 Der die Mittel zum Leben gab in Fülle, gab eben auch die Bedingungen zum rechten Leben: zum Leben brauchten sie Speise und Trank, und diese fanden sie ohne ihr Zutun, zum rechten Leben aber Gesetze und Verordnungen, durch die sie ihre Seelen vervollkommnen sollten[1].

18 (5.) Das sind die mutmasslichen Gründe, die sich in dieser Frage anführen lassen; denn die wahren kennt Gott allein. Nachdem ich aber darüber das Nötige gesagt, will ich nunmehr der Reihe nach die Gesetze selber erörtern; notwendig habe ich da vorauszuschicken, dass den einen


  1. Etwas anders zu derselben Frage die Mechilta zu 2 Mos. 19,2, wonach die Offenbarung oder Gesetzgebung in der Wüste stattfand, um anzudeuten, dass sie Gemeingut der Menschen sei.
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/008&oldid=- (Version vom 9.12.2016)