Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/42

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

schon in den ersten christlichen Jahrhunderten Einsiedeleien, Klöster, Hospitäler und Wirthshäuser zum Dienste der Reisenden und zur Rettung der Verunglückten und Verirrten. Diese alten Werke der Wohlthätigkeit und Frömmigkeit werden immer noch erhalten, obschon die Veranlassung, welche sie gründete, fast nirgends mehr vorhanden ist.

Der Kunstweg über den Gotthardt ist unter den Werken des Alpenstraßenbaus einer der größten und neuesten. Sein Hochpunkt befindet sich 6750 Fuß über dem Meere. Schon in den ältesten Zeiten verband der Gotthardtspaß die Schweiz mit Italien; schon die Römer fanden ihn gangbar, als sie in diese Gegenden kamen. Die unzähligen Völkerschwärme, welche Marius vernichtete, die Cimbern und Teutonen, stiegen auf demselben in die lachenden Gefilde des Römerreichs herab, nach dessen Eroberung sie trachteten. Auf ihm drangen im fünften Jahrhundert ihre Nachkommen, die Allemanen, gegen das schwachgewordene Rom; doch waren auch sie nicht glücklicher, als ihre Vorfahren, denn sie wurden bei Bellinzona überwunden. Ein deutscher Prälat, der Bischof von Hildesheim, baute im zwölften Jahrhundert, bei Veranlassung einer Fahrt nach Rom, auf dem Col eine dem heil. Gotthardt geweihete Kapelle mit einem Hospiz für hülfsbedürftige Wanderer: eine Stiftung, die sich erhalten hat bis auf unsere Zeiten. Die alte Straße war ehedem gepflastert; sie konnte ohne Gefahr, jedoch nur mit Saumthieren passirt werden. Man brauchte von Altdorf bis Bellinzona drei volle Tage. Gegenwärtig macht man die Tour mit größter Bequemlichkeit zu Wagen in zwanzig Stunden.

Meistens kommen die Reisenden, welche aus der Schweiz über den Gotthardt nach Italien wollen, durch das Thal des Vierwaldstädter Sees über Füelen und Altdorf her, wo sie einen Tag rasten, um die heiligen Orte der Freiheit zu betrachten. Von Altdorf steigt die Straße am Fuße einer steilen Gebirgswand langsam auf. Hohe Tannenwälder prangen auf derselben; seit Jahrhunderten werden sie wie ein Heiligthum erhalten, denn sie schützen das Städtchen und die Straße gegen die herabrollenden Felsstücke und Lawinen. Eine Brücke führt hinter Altdorf über den Schächenbach, welcher aus seinem Thale der Reuß entgegen rauscht. Jenseits dieses Waldwassers schlängelt der Weg an senkelgeraden Felsen vorbei, die, wie steile Ufer eines Sees, aus der horizontalen Ebene aufsteigen. Und ein See war hier wirklich, bis der nagende Zahn der Zeit und der Druck der gefangenen Gewässer die Banden derselben sprengten und den Felsdamm niederstürzten, welcher sie abwärts einschloß.

Mit einer scharfen Wendung betritt die Straße das herrliche Thal, durch welches die mächtige Reuß dem Vierwaldstädter See zueilt. Ihre rechten Ufer sind hohe, üppig bewaldete Berge; links thürmt sich die Felswand des Golzernbergs hoch empor und wirft weithin seine dunkeln Schatten; vorwärts schimmert der beschneiete Gipfel des Stägerbergs, und der hinter ihm glänzende, noch höhere Crispalt schließt die Fernsicht. In den Windungen des engen, romantischen Grundes hin führt die Straße zu einem Häuflein zerstreuter