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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/41

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CCCCLXXVII. Die Strasse über den Gotthardt und die Teufelsbrücke
in der Schweiz.




Ein Uebersteigen der Alpen galt im Alterthum für eine herkulische Arbeit; ja die Sage nennt geradezu den Herkules selbst als den Erbauer des ersten Wegs über das Gebirge. Besser begründet ist die Kunde von einer heiligen Straße, welche die stammverwandten Völkerschaften des Gebirgs als gemeinschaftliches Kommunikationsmittel zu unterhalten sich verpflichteten. Sie war ein Werk der Nothdurft und schlecht genug; denn als Hannibal auf derselben mit schwererem Kriegsgeräth und Elephanten nach Italien drang, hielt man das Unternehmen für ein Wunder. Später bauten zwar die Römer eigentliche Kunststraßen; aber aus ihren Trümmern sieht man, daß auch sie nur schmale Wege waren, steil und gefährlich und mit unsern heutigen Heerwegen gar nicht zu vergleichen.

Diese Werke verfielen mit dem Reiche, das ihrer bedurft und sie hergestellt hatte, und bis in’s achtzehnte Jahrhundert bestanden die Alpenwege nur aus Saumpfaden. Erst als die Posteinrichtungen und die erweiterten Handels- und Gewerbverhältnisse die Erbauung fahrbarer Alpenstraßen als eine unabweisliche Nothwendigkeit hinstellten, schöpfte man zu größern Unternehmungen Muth; doch der eigentliche Zauberer, der die Alpen ebnete, war der Kriegsgott. Napoleon wollte, daß sich ganze Armeen, mit Geschütz und Train, nach jeglicher Richtung über das Gebirge bewegen könnten, und was er wollte, machte er innerhalb einiger Jahre zur That. Mit sieben prächtigen Heerstraßen durchfurchte er das starre Antlitz des höchsten Gebirgs unsers Erdtheils, und jetzt wird die Verbindung zwischen Frankreich, Deutschland und Italien auf dreizehn Wegen unterhalten, die sämmtlich mit Lastwagen zu jeder Jahreszeit befahren werden können.

Keine dieser Straßen führt jedoch unmittelbar über die höchsten Kämme, wie dies bei niedrigeren Gebirgsketten häufig der Fall ist; alle laufen auf ihren erhabensten Punkten durch tiefe Einschnitte und Einsattlungen (Cols), welche eine halbe bis zwei Stunden breit sind und die schon in frühesten Zeiten zu Pfaden und Saumwegen benutzt wurden. In diesen Einschnitten, wo sich die Gewässer der verschiedenen Stromgebiete scheiden, entstanden