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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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Künstler, um auf ihre Kosten das große Werk zu schmücken, und viele Klöster bestimmten den vierten Theil ihrer Einkünfte auf lange Jahre hinaus zur Förderung des Werks. Ein heftiges Erdbeben, welches Ende des 13. Jahrh. das ganze Elsaß in Schrecken setzte, konnte nur die Festigkeit des Baus beweisen; es warf in Straßburg Straßen ein, aber am Münster trat kein Stein aus seinen Fugen. Auch eine furchtbare Feuersbrunst, welche bald darauf, 1289, den Stadttheil rund um den Tempel in Asche legte, konnte nur einen Theil der Bedachung und die Baugerüste des Thurms verzehren, was Erwin noch in demselben Sommer wieder herstellte.
Erwin, der große Meister, starb, nachdem er den Thurm bis zur Dachfirste des Langhauses geführt hatte, und an seine Stelle trat sein Sohn Johann. Dieser setzte den Riesenbau fort bis zur Plattform, und starb 1339. Ihm folgte Johann Hülz, und dessen Enkel, Hülz II., war der Vollender der Pyramide, 1439, in welchem Jahre er das kolossale Kreuz aufrichtete und auf dessen Spitze das Standbild der Maria stellte. Von der Grundsteinlegung an waren über anderthalb Jahrhunderte vergangen, und während dieser langen Periode, die fünf Generationen verschlungen, hatten die Werkleute kein Jahr geruht.
Blitz und Wetter haben seitdem, 4 Jahrhunderte lang, an dem Wunderbau genagt; aber sie zeigten nur ihre Ohnmacht. Mehr als sechzig Mal schlug der Blitz in den Münsterthurm, ohne ihn bedeutend zu beschädigen, und fünf Erdbeben haben an seinen Grundfesten umsonst gerüttelt. Was die Elemente nicht gekonnt, hat jedoch menschliche Narrheit gethan; sie hat verunstaltet, zerstört, verwüstet. Im 17ten Jahrhundert, als die Fluth der Geschmacksverwilderung zu allen Tempelpforten herein brach, da wurden Altäre und Kapellen aus Erwin’scher Zeit mit unschätzbaren Denkmälern der Kunst abgerissen und entfernt, um Platz zu gewinnen für die abscheulichen, sinnlosen Dekorationen jener widerlichen Periode, welche man als das Jahrhundert Ludwigs XIV. bezeichnete. Der Todtengräber dieser Periode, die französische Revolution, sie, der die sociale Welt des Guten und Großen so unendlich viel verdankt, sie sogar erschien nur als Zerstörungsengel im Dome von Straßburg: – denn, als ob die grandiose Herrlichkeit des Münsters in Widerspruch träte mit dem Prinzip der Gleichheit, man trug auf Abtragung der Thurmspitze des Tempels an und auf Entfernung seines letzten architektonischen und künstlerischen Schmucks. Dieser wahnsinnige Antrag fand Beifall. Bald erhoben sich Gerüste, um den Münster seiner Zierden zu entkleiden. Man zerschlug am großen Portal 15 der herrlichsten Bildsäulen, 70 in den perspektivischen Portalräumen angebrachte Bildwerke wurden ausgebrochen und zertrümmert, 80 Statuen aus ihren Nischen geworfen, die Engel von den Zinnen herabgestürzt, die vortrefflichen, kolossalen Bildsäulen der Apostel zerstört, von den bewunderten Equestralstatuen die drei schönsten mit Pulver zersprengt und unzählige Ornamente, Säulchen und Figuren ausgebrochen oder verstümmelt. Nicht weniger Kunstwerke gingen unter den Axtschlägen und Brechstangen der bilderstürmenden Gleichheitsmänner im Innern des Münsters zu Grunde. Als die Vernunft
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/182&oldid=- (Version vom 6.3.2025)