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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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mit der tiefsten Kenntniß vom Gleichgewicht der Massen entworfenen und mit größter, schmückender Sorgfalt aufgeführten Thurmpyramide, ob der Herrlichkeit der Construktion des Langhauses, des Kreuzesarms und Chors mit ihren so genial wie schön angeordneten Ornamenten, ob dem hohen Mittelschiff mit seinen Säulengallerien und großen, mit bemalten Scheiben gefüllten Fenstern, ob der wundervollen, mit bedeutungsvollen Skulpturen gezierten Kanzel, ob den mit reichdekorirten Gewölben und den Monumenten alter deutscher Kunst ausstaffirten Seitenkapellen, ob den drei, mit Bildsäulen und Schnitzwerk von Stein auf das reichste verzierten vorderen Portalen, ob den hohen und schlanken Bündelsäulen, welche die drei Kirchenschiffe trennen, ob der Vorhalle mit ihren Sculpturen, ob mehr der großartigen Anordnung des Aeußern oder des Innern, ob mehr der massenhaften, auf die Dauer von Jahrtausenden berechneten Construktion dieser Anlagen, oder der Kunst, welche sie alle geschmückt hat. Auch in dem nüchternsten, zu Skepsis am meisten geneigten Gemüthe kann kein Tadel aufkommen; kein Mensch verläßt den Wunderbau ohne den Gedanken: Gleiches sichst du auf Erden nicht wieder!
Das Material zu dem Münster ist ein blaß-rother Sandstein. Das Gebäude nimmt eine Gesammtlänge von 343 par. Fuß ein; das in drei Schiffen getheilte Langhaus ist 114 Fuß weit; die Länge des Kreuzarms mißt 173 Fuß. Sein Flächenraum, 48,052 Quadratfuß, verhält sich zu dem der Peterskirche wie 1 zu 4⅛. Zwei Reihen von Gewölben tragen die hohen Wände des Mittelschiffs und durch dieselben fällt das Licht ein mittelst 14 colossalen Spitzbogenfenstern, welche, wie die Fenster mehrer Seitenkapellen, durch wunderschöne Glasgemälde geschmückt werden. Außerdem beleuchten den Tempel das große Rundfenster über dem Hauptportale, 10 kleine Fenster und noch andere, welche über den zwei Seitenportalen an den Enden des Kreuzarms und im Chore angebracht sind. Unter dem Chore liegt die Gruftkirche oder Krypta, gewöhnlich die Kapelle des heil. Grabes genannt, und unter dieser ist die Schatzkammer zur Aufbewahrung des Kirchenschatzes angebracht. Letztere empfängt ihr Licht durch zwei Fenster, die sich an dem Kreuzarm öffnen.
Betrachten wir nun den Thurm. Die Fronte desselben wird durchbrochen von 3 großartigen, im deutschen Styl perspektivisch geordneten Pforten, die mit reichen Giebeln und vielen Sculpturen prangen. Alle Verhältnisse daran sind colossal. Die Mittelpforte ist vorn 24 Fuß weit, ihre eigentliche Thüre hat 15 Fuß, die innere Oeffnung aber 27 Fuß Höhe. Die Seitenwände derselben sind mittelst Rundstäben in 5 große Hohlkehlen abgetheilt; nicht weniger als siebenzig größere und kleinere Statuen und Bildwerke schmücken die letztern und vor dem Mittelpfeiler steht Maria mit dem Christuskinde, das mit der Weltkugel spielt. Der feine, dunkle Sandstein aller dieser Bilder ist so gefärbt, daß sie wie von Erz gegossen aussehen. Leider sind jetzt viele restaurirt, manche wohl auch neu: denn der Vandalismus des Kriegs und der Revolution hat gar Vieles zerstört gehabt. Die Pforten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/179&oldid=- (Version vom 6.3.2025)