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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/128

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Statuen und Ornamenten, trotz dem, daß man die ganze Architektur des Alterthums gleichsam geplündert hat, um diesen Bau auszustaffiren, läßt er den Beschauer kalt: denn ihm fehlt die Seele, – der große, künstlerische Gedanke. Es ist Alles Flickwert. Die einzelnen Lappen sind wohl schön, aber das Ganze kann nimmer gefallen.

Bis zur Revolutionszeit war das Schloß der Tuilerien nur die Residenz der Könige. Nie vorher hatte es ein bürgerlicher Fuß betreten, er müßte denn gekommen seyn, dienend, dankend, bettelnd hinzuknien, oder Huldigungen darzubringen. Die Etikette herrschte. Ihr erster Sklave war der König; aber die Nation war die Magd des Königthums. In den Tuilerien war unter Ludwig XIV. der Welt die hohe Schule aufgethan, wo die Unterwürfigkeit praktisch gelehrt wurde, und hier überkamen den Eingeweiheten die geheimen Traditionen unbedingter Gewalt. War der Lehrling in dieser modernen Eleusis durch alle Grade zur Meisterschaft vorgedrungen, dann kehrte er in die Heimath zurück zur Ausbreitung des Absolutismus, oder er trat, machtbegabt, in’s Volk, dieselbe Unterwürfigkeit nach abwärts gebietend, welche er nach oben zollte. Die stolzen Barone, ihrer Selbstständigkeit entkleidet, die Prälaten, abhängig gemacht von der Krone, lernten zu Gefolge gehen, und aus Beiden bildete der Hof seine Glorie. Dieser wurde der Mittelpunkt der feinen Sitte, der guten Gesellschaft, des leichten Tons, der Gewandtheit in allen Verhältnissen des geselligen Umgangs. Poesie und Kunst wurden nur dann courfähig, wenn sie schmeichelten, und ihr höchster Beruf war damals die Apotheose des Königthums. Die Weltgeschichte war Hofgeschichte geworden: eine feile Dirne, welche die schändlichsten Thatsachen mit edlen Motiven staffirte und die Lüge in goldnen Schalen kredenzte. Die Akademien antichambrirten und richteten die Wissenschaften ab nach dem Winke des Gebieters. Die Geistlichkeit machte den Glauben geschmeidig und fabrizirte zweierlei Moral: die eine als Ring durch die Volksnase, die andere für die Vornehmen, diesen zur süßen, leichten Bürde. Aus den Tuilerien kam durch jenen Ludwig der Fluch der stehenden Heere über die Welt, der Zwangsjacke für die Völker; in den Tuilerien wurden die Fesseln, Bänder und Schlösser erfunden, um die rüstigen, treibenden Kräfte der Nationen regungslos zu machen; dort wurden alle die Institutionen erdacht, welche die unbedingte Regierungs-Gewalt consolidiren sollten und von ihr fern halten die Möglichkeit eines Widerspruchs; dort wurde, als Ausfluß absoluter Herrschermacht, der Beamtenstaat gegliedert, eine Stufenfolge disciplinirter, uniformirter, allmählich ansteigender Fürsten- (nicht Staats-) diener, Sklaven nach oben, Despoten nach unten; dort wurde der Beamtengeist erfunden und eingesaugt, dort erhielt die Bureaukratie ihre eigenen Begriffe von Ehre und Schande, ihre Auszeichnungen vor dem übrigen Volke durch äußere Dekorationen, durch Bänder und Kreuze, dort bekam sie ihre eigene Taktik, ihr besonderes Exerzier-Reglement, ihr eigenes Geheimniß, ihre eigene Gesinnung, ihre eigenen Interessen. In den Tuilerien wurde zuerst die künstliche Maschine zusammengesetzt, durch welche man bis auf den heutigen Tag über die Völker herrscht; der Apparat ersonnen, durch dessen Thätigkeit man alle