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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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und einem Meyerhofe steht und wo gewöhnlich gerastet wird. Hinter dem Wirthshause, auf mauerartiger Felsumwallung, liegt der Friedhof mit den wenigen Ueberresten einer kleinen Kapelle, und manches versunkene Steinkreuz mit unleserlichen, uralten Schriftzügen gibt hier dem Alterthumsfreund Stoff zur Forschung. Wahrscheinlich war er die Ruhestätte der Burgbewohner, und der Meyerhof gehörte wohl ehemals zur Kaplanei.
An hohen, ausgehauenen Felswänden hin geht es fort bis an den Eingang eines dunkeln, wohlerhaltenen Thorgewölbes. Dieses führt in den Vorhof. Welch ein Anblick! Steintrümmer und Felsklumpen, die das sprengende Pulver abriß, liegen regellos und wild durch einander. Es sind die Ueberbleibsel der Kaserne, eines Wirthshauses, einer Apotheke und der Bastei, die den Eingang schützte. In der Mitte des Platzes steht noch, übermauert und unversehrt, der Ziehbrunnen der Veste, von großer Tiefe.
Steil und immer steiler geht der Weg zwischen Felsen fort bis zur zweiten Umwallung, jenseits welcher ehemals eine Zugbrücke zur eigentlichen Veste leitete. Jetzt ist ein hölzerner Steg über den mit Schutt und Steinblöcken bis zur Hälfte gefüllten Graben gelegt. Seitwärts gelangt man auf einem treppenförmigen Pfade auf die Zinne einer Schanze – und mit Zittern sieht man sich da am Rande einer senkrechten Wand von mehr als 400 Fuß Höhe. Hier ist die Aussicht schön! Die Burgen der Nachbarhöhen: Staufen, Stoffeln, Hohenkrähen, Mägdeberg, möchte man mit den Händen greifen, so nahe scheinen sie. Ihre Felssäulen erinnern an die Bilder der sächsischen Schweiz: nur mangelt dort die großartige Scenerie des Fernen.
Noch einmal geht’s bergauf – zu der Stelle, wo die dritte Zugbrücke stand, deren Graben die innerste Burg umgab. Letztere enthielt das Haus des Kommandanten, die uralte herzogliche Wohnung und den sogenannten Klosterbau – ein Gebäude unsicherer Herkunft, das später als Kaserne diente. Kreuzgewölbe, halb verschüttet, führen unter demselben hin und eine Menge Ornamente, welche an byzantinische Kunst erinnern, sind die unzweideutigen Zeugen von dem hohen Alter dieses Theils der Burg. Ihr schönster Ueberbleibsel aber ist die Kirchruine, deren zierliche Fenster, Portalwölbungen und reiche Ornamente die Blüthenzeit des deutschen Baustyle verrathen. Der Thurm derselben ragt noch hoch über alles Andere hinaus; doch die zehn Glocken, welche einst von da herab zur Andacht riefen, verloren ihr Stimmrecht an die unzählige Menge Raben, Eulen und Geier, welche ihre gemeinschaftliche Wohnung daselbst aufgeschlagen haben. Alle diese Ruinen der innersten Burg werden von einem großen, schon gepflasterten Hofraum eingeschlossen, in dessen Mitte alte Linden grünten, unter welchen die Besatzung der Veste zu exerziren pflegte. – Die Zerstörungslust der Franzosen hat glücklicher Weise gerade da etwas gelinder gehaust; viele Räume sind noch zugänglich und theilweise, Dank ihrer festen Bauart! gut erhalten. Im Rittersaale sind noch nicht alle Spuren der ehemaligen Pracht verwischt; an Thürgewänden, Kaminen und Gesimsen sieht man künstlichen Zierrath, und in den schön geformten Fensternischen lassen mancherlei
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/110&oldid=- (Version vom 3.3.2025)