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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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Von den geheimnisvollen Gestaden, an welchen die Gefährten des Odysseus ruhen und der ewig lärmende Vulkan seine Werkstätte hat, versetze ich den Leser in des Schwabenlandes stille, heimische Waldgründe, in das eigentliche Geburtsland des deutschen Geistes, auf die Lieblingsbühne vaterländischer Sage und Geschichte.
Jenseits der Alp, einem rauben, wasserarmen Kalkgebirge, welches Würtemberg von West nach Ost durchzieht, breitet sich ein romantisches Bergland aus. Es ist dies Oberschwaben, dessen südliche Marken bis an die Buchten des Bodensees und in die nördlichen Kantone der Schweiz reichen.
Die Krone dieser Landschaft und des ganzen Schwabenlandes ist der Hägau (der Gau der Höhen) – eine Bergebene mit einem Kranze von Porphyrfelsen. Fast jeder der letztern trägt das Gemäuer tausendjähriger Burgen und Vesten. Die höchste unter diesen einstigen Hütern des deutschen Landes ist Hohentwiel.
Das Entstehen dieses Schlosses läßt sich bis an die Grenze der Römerzeit verfolgen. Geschichtlich wichtig wurde die Burg schon im 10. Jahrh. Damals war sie nämlich der Sitz der schönen und strengherrschenden Herzogin Hedwig von Alemannien, welche das Zepter über ganz Schwaben bis zum Neckar hin führte und es festhielt, bis dem Lande wieder ein Herzog ward. Seit der Zeit war Hohentwiel ein Eigenthum der schwäbischen Fürsten, bis es, nach Conradins unglücklichem Ende, der Kaiser Rudolf, der Habsburger, als heimgefallenes Lehen seinem Kanzler Klingenberg verlieh. Die Klingenberger behaupteten sich im Besitz bis 1538. In diesem Jahre kam es durch Kauf an das herzogliche Haus Würtemberg. Hierauf wurde es sehr erweitert und befestigt. Im dreißigjährigen Kriege und im spanischen Erbfolgekriege vergeblich belagert, erwarb sich das Schloß den Ruf der Unüberwindlichkeit, verlor ihn aber 1800 durch eine schimpfliche Uebergabe an die Franzosen unter Vandamme, der das Pulver, welches gegen die Angreifer zu verschießen die Besatzung nicht den Muth gehabt hatte, in die Kasematten bringen ließ und die Veste in die Luft sprengte. Seitdem liegt sie in Ruinen.
Zur Ueberschauung des Schwaben- und des Schweizerlandes, zumal des vorderen Alpenzugs, wird dieser isolirte Hochlandsgipfel häufig bestiegen.
Hinan führt aus dem mit üppigen Wiesen und einem schönen Waldbach geschmückten Thale ein bequemer Fahrweg; die Meisten wählen aber den steilern Fußpfad durch die Rebengelände, welche den Fuß des Felskegels rings umgürten. Er bringt zu einer Schenke, welche auf nicht ganz halber Höhe neben einer Försterwohnung
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/109&oldid=- (Version vom 3.3.2025)