Unbekannt: Kunstausstellung in Dresden | |
|
Dichter fast wider seinen Willen achtet, bringt in die Gruppirung des Ganzen und in die Physiognomik des Einzelnen einen lebendigen Sinn, der dem Künstler Ehre macht. Das Aufhorchen der Verdammten, selbst die Hände, welche sich an die Brücke, über die Orpheus schreitet, anklammern, sprechen für die Gewalt der Musik und der Liebe. Die Gruppe des Pluto und der Proserpina ist vorzüglich schön gezeichnet und von dem Feuer des Orkus beleuchtet. Orpheus steht im Glanze des Tages da; doch dünkt mich die Haltung des schönen Körpers zu steif. Er steht wie in Marmor gehauen. Auch scheint mir die Beleuchtung von der Oberwelt her nicht optisch genug motivirt zu seyn. Der Ton war überhaupt wohl zu kalt. Dieses Oelgemälde ist von Paris her eingesandt, und daher etwas beschädigt worden.
Durch die Nähe des Orpheus verlor ein gut erfundenes und richtig gezeichnetes Oelgemälde des Herrn Mons aus Antwerpen etwas von seinem Verdienste. Es stellt den Marius auf den Ruinen von Karthago dar. Doch schien mir die Farbengebung zu hart; und in dem Marius vermißte ich jene Ruhe, die ihm ein stolzes Bewußtseyn gab. Ich sah nicht den Feldherrn, der die Deutschen schlug und den Sylla verachtete, sondern einen hagern Senator, der öfter in der Stoa, als auf der Wahlstatt gewesen war. Die Ferne des Meeres war nicht perspektivisch genug gezeichnet, und der Himmel zu grell colorirt.
Herr Vogel, den man den Mahler der Jugend par excellence nennen könnte, hatte in Oel eine kühne, aber interessante Idee ausgeführt. Narciß sieht in der Quelle sein Bild, und glaubt seine gestorbene, ihm sehr ähnliche, Schwester wieder zu erkennen. Ein Genius zeigt ihm die Erscheinung. In der Zeichnung des Kopfes des Narcissus und in seiner Physiognomie war die zarte Berührung der weiblichen und der männlichen Jugend fein angedeutet. Leider war das ganze Bild selbst nur ein Schatten; kaum etwas mehr, als der erste Entwurf!
Der Prof. Schönau hat einige Conversationsstücke ausgestellt, deren Farbenglanz blendend genug, für manches Auge beinahe grell ist. Die Fülle in der Gruppirung schien dem Einen und dem Andern überladen. Das Costum war nicht einfach. Dieser Meister könnte auch ohne die künstlerische Coquetterie, auf Beifall Anspruch machen. Der Kopf des alten Mannes im Ehekontrakte war trefflich gezeichnet und kolorirt. Die übrigen Köpfe waren zum Theil unbestimmt und von Individualität entblößt.
Unter andern Allegorieen verdient eine Kopie des Herrn Baumann von dem Gemählde, Jakob, der mit dem Engel ringt, bloß der barokken Idee wegen, das Unbegreifliche darstellen zu wollen, erwähnt zu werden. Man sieht nichts als eine grobe Pathognomik; überdem ist das Knie des Engels verzeichnet. Wenn doch die Künstler Rubens und Michel Angelo’s Beispiel verließen und ihre Talente nicht auf die Geheimnisse der Religion anwenden wollten! Die sinnliche Vorstellung dessen, was unbegreiflich ist, wird stets verkleinerlich ausfallen. Der Sonderbarkeit wegen erwähne ich hier eines entgegengesetzten Mißgriffs der Kunst: eines Quodlibet in Oelfarben!! von einem Dilettanten, welches sich jedoch bescheiden in das Seitenzimmer zurückgezogen hatte.
Unbekannt: Kunstausstellung in Dresden. Sanders Buchhandlung, Berlin 1803, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstausstellung_in_Dresden.djvu/5&oldid=- (Version vom 11.1.2025)