Unbekannt: Kunstausstellung in Dresden | |
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In dem mittleren Saale stand eine kolossale Gypsbüste des Kurfürsten, von Herrn Ulrich. Sie war brav gearbeitet, hatte aber etwas Schweres und Unbehülfliches in der Ausführung. Ohne den Hermelinmantel, den Stern und die Unterschrift würde vielleicht mancher sie nicht ähnlich gefunden haben.
Folgen Sie mir zu einer andern Gypsbüste des Kurfürsten, vom Inspektor Matthäi, die neben dem Graffischen Bilde steht. Ein interessanter, obgleich zufälliger Wetteifer der Kunst! Viele fanden diese Büste ähnlicher, als alle bekannte Abbildungen in Stein. Sie ist größer, als die Ulrichische. Allein das Ebenmaaß ist so genau gehalten, daß ich nichts Kolossales, sondern nur das sprechende Bild und das edle Kunstwerk vor mir sah. Ein Imperatorenmantel fällt um die Schulter. Der Faltenwurf ist rein und weich. Man fühlt, dies ist der Styl der Antike. Das Portrait selbst kündigt sich mit der Würde eines Römerkopfes an. Ich verglich es unwillkührlich mit der schönen Büste des Mark-Aurel. Nur das Haar, welches auf die Scheitel zurückgelegt, im Nacken leicht gebunden, und an den Seiten in Locken geschlagen war, und die Wahrheit der Physiognomie, hoben die Illusion auf. – Jeder Zug spricht die Seele aus, und erträgt die Ansicht in der Nähe: so wahr ist die Anatomie der schäfern Umrisse, und je mimisch die Nüancirung der feinern Linien. Der Künstler hat die geheimere Spur der Seelenmilde und Humanität aufgefaßt, und sie mit dem carakteristischen Ernste des Ganzen verbunden. Ein Kenner, der neben mir stand, fand die Anatomie selbst in den Nebenpartieen richtig, z. B. den Bau des Ohres, den Hals, u. s. w. Das Haar insbesondere war so frei behandelt, daß es den modernen Kopf charakterisirte, ohne ihm die Würde der Antike zu nehmen. Kurz, die ganze Form ist mit Fülle und Kraft aus der Anschauung gegriffen. Dabei hat der Bildhauer das Eigenthümliche seiner Kunst, den Ausdruck der vollkommnen Ruhe, welche durch keinen pathognomischen Eindruck unterbrochen wird, verständig in Acht genommen[1].
Unter den größern Kompositionen sind einige Allegorien und Mythen ganz verunglückt. Ich rechne hierher den Prometheus. Ein lichtblaues Band im Haare und ein jugendliches Gesicht widersprechen der Heroengestalt des Titanen. Lessing bemerkt irgendwo, ich glaube, in seiner Emilie, daß auf dem langen Wege vom Sitze der Phantasie bis zum Pinsel, oft so viel verloren geht! – Dies mag wohl auch dem übrigens braven Meister bei diesem Prometheus begegnet senn. Eine Minerva sitzt sehr ungraziös auf einer Wolke, in die sie bei ihrer Flamländischen Feistigkeit tief einsinkt, und hält – mit verzeichneten Armen – ihren Schild dem Prometheus entgegen, oder vielmehr unter die Nase, auf dem sich nach der Absicht des Künstlers das Antlitz des Höchsten?? spiegeln? soll. Gehört das Höchste, d. i. Gott, in die Grenzen der Mahlerkunst? und kann ein Kopf, ohne allen Rumpf, die Gottheit repräsentiren? Man sieht hier höchstens einen abgehauenen Jupiterskopf. Prometheus, in dessen Körper, vorzüglich im Rücken, der antike Stil und die meisterhafte Anatomie, so wie das Colorit, vorzügliches Lob erhielten, – wendet seinerseits das Gesicht zur Minerva, und fährt daher, sehr natürlich! mit der angezündeten Fackel einem in den Winkel gedrängten Haufen von gebrechlichen Menschenfiguren ins Gesicht.
- ↑ Nach dem Urtheil hiesiger Kenner, soll Herr Mathäi sonst kein vorzüglicher Künstler seyn. A. d. Herausg.
Unbekannt: Kunstausstellung in Dresden. Sanders Buchhandlung, Berlin 1803, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstausstellung_in_Dresden.djvu/3&oldid=- (Version vom 11.1.2025)