Unbekannt: Kunstausstellung in Dresden | |
|
so manches Talentes, das unter uns aufkeimt und blühet, aber oft unter einem fremden Himmel reift und belohnt wird. Ich bin noch von dem ersten Eindrucke bewegt; lassen Sie mich in dieser Wallung sprechen. Der Beschauer, welcher sich der Kunst mit vollem Herzen erfreuen will, geht bei dem Schlechten und Mittelmäßigen vorüber. Sein Auge haftet nur an dem Genialischen, an dem Reitzenden und an dem Schönen. Der Kunstrichter mag Ihnen von jenen Kategorieen der verunglückten Kunst Nachricht geben. Ich will Ihnen nur einige der mehr oder minder gelungenen Kunstwerke nennen. Befürchten Sie keine anatomische Beschreibung, auch kein ästhetisches Wortgeklingel. Ob ich die Sprache des Athenäums, oder die einfache Sprache der Empfindung rede, weiß ich selbst nicht. Sonst, wenn ich die Antiken im Japanischen Palais, die Mengsischen Abgüsse, oder die Werke der Italiänischen Schule in der Dresdner Gallerie, oder die Domenichino’s, Rubens und Claude Lorrain’s des Grafen Truchseß gesehen hatte, und nun mit stiller Fröhlichkeit auf mein Zimmer eilte, war es mir, als ob ich nach meinem Homer greifen müßte; nie trieb mich ein „religiöses“ Verlangen zu den Mysterien des Athenäums hin. Auch diesmal war ich in derselben Stimmung. Ich griff, als ich nach Hause kam, unwillkührlich nach der Odyssee; und noch liegt sie vor mir, indem ich Ihnen schreiben will.
„Also war die Ausstellung reich an echten Kunstwerken?“ Nichts weniger; sie war ärmer daran, als man es von unserm Kunsttalente zu erwarten gewohnt ist. Und doch sah man sie mit großem Interesse. Hierin liegt es, mein lieber Freund. Der Anblick der bloßen Schönheit, des reinen Ideals, dessen Darstellung doch der erste Zweck der Kunst ist, ermüdet die Menschen, selbst den Kenner und die Künstler. Irgend ein Interesse muß sich damit verbinden; sey es auch ein kleinliches. Daher werden Portraits, Kopieen, Landschaften immer häufiger; die edeln und großen Kompositionen immer seltner. Bei diesen geht man kalt vorüber; bei jenen bleibt man stehen und – amüsirt sich. Diesmal trug das neue Lokal zur Belebung des Interesse viel bei.
Der Nahmenstag des Kurfürsten öffnete heute den Saal des ehemaligen Brühlschen Gartenpalais für die Ausstellung der Kunstwerke. Sie kennen die schöne Lage dieses Gartens. Man sieht die Elbe unter und vor sich in einem weiten Fluthbette. Heute schwoll es von den Gebirgsströmen plötzlich an. Das Wasser rauschte durch die Brückenbogen. Von dieser Seite her, trat man – gleichsam an der Hand der Natur – in die stillen Säle der Kunst. Konnte das Talent zu einer glücklichern Zeit dem geliebten Fürsten huldigen[1]?
Unser Graff hat den Kurfürsten in Lebensgröße, in der Uniform seines Cuirassier-Regiments, dargestellt. Er blickt durch die Gallerie des langen Saals hin, mit dem Ernste, der die Schmeichelel zurückweist. Dieses Charakterbild bringt dadurch eine sinnvolle Einheit in die Bestrebungen der Meister und Kunstjünger, welche ihre Werke und Versuche vor ihrem Beschützer aufstellen. Sie kennen schon den kräftigen und lebendigen Ausdruck jenes braven Schweizers „de la vieille roche.“ Auch dieses Oelgemälde zeigte seine Energie im charakteristischen Portrait. Der Künstler hatte jedoch dem Gesicht ein frisches Incarnat gegeben, welches die Wünsche der Unterthanen für die Gesundheit ihres geliebten Fürsten mehr prophetisch, als physiognomisch bezeichnete.
- ↑ Das Lokal in der Beleuchtung günstig. Drei Abtheilungen des Saals scheiden herkömmlich die Werke der Professoren, der Akademiker von Dresden und Leipzig, und ihrer Schüler. In einem Seitenzimmer hatten die Schüler von den Lehrern bei der Akademie, und Zöglinge aus der Güntherschen Schulanstalt ihre Versuche aufgestellt. Nach einem gedruckten Verzeichnisse, das zum Besten der Armen beim Eingange verkauft wird, sind überhaupt 412 Gemälde, Zeichnungen und Kupferstiche, nebst 6 Werken von Bildhauern und Mechanikern, eingeschickt worden. Man konnte Alles, da die Stücke numerirt waren, bequemer finden, als in den bisherigen Ausstellungen. Für einige Werke von den Prof. Graff und Grassi, von Zingg und Anderen, waren leere Plätze gelassen. Sie wurden noch erwartet.
Unbekannt: Kunstausstellung in Dresden. Sanders Buchhandlung, Berlin 1803, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstausstellung_in_Dresden.djvu/2&oldid=- (Version vom 11.1.2025)