Man muß sich üben, sagte ich mir und begann täglich mindestens eine Stunde lang meinen Nabel tiefsinnig zu fixieren. Das Nirwana blieb aus, nur glaubte ich eines Tages während der Meditation ein merkwürdiges Rumoren in meinem sonst so stillen Bauche zu verspüren. Ein eigenartiges Saugen, Kollern, wie ich es noch nie empfunden hatte. Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, als ob ein dicker Knäuel im Leibe aufstiege bis zum Halse, dann ein seltsames, lustiges Prickeln in der Nase und noch sonst wo. Meine Gesichtsfarbe wurde fahl. Heißhunger wechselte ab mit Appetitlosigkeit.
Sollte das vielleicht der Übergang zur ersten Stufe hin zum Nirwana sein, die Umbildung des Organismus zu höheren okkulten Fähigkeiten?
Eine merkwürdige Unruhe packte mich, ich begann mich genauer zu beobachten. Die Zeichen wiederholten sich, auch wenn ich mich nicht in der Fakirstellung befand. Von Tag zu Tag wurden sie stärker.
Ich war stolz auf das erzielte Resultat meiner Meditation. Mein Aussehen wurde immer interessanter, dämonischer. Pergamentfarben war die Haut, tief lagen die blauumränderten Augen im Kopf.
Zufällig kam ich eines Tages mit dem Landarzt, der auf einer Fahrt über die Dörfer im Wirtshaus zu Bullenbach Halt machte, ins Gespräch. Ich brachte ganz unbefangen und harmlos die Rede so im allgemeinen auf die indischen Fakire und ihre geheimnisvollen okkulten Kräfte und dann schließlich auch auf meine Versuche. Ich erzählte ihm genau, was ich bisher auf diesem Gebiet erreicht hatte. Der Mann schaute mich aufmerksam an
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/214&oldid=- (Version vom 1.8.2018)