Nachdem ich mir aber einen rostigen Nagel in den Fuß getreten hatte, wurde mir klar, daß auch das nicht das Richtige war und das von mir so fanatisch gehaßte modische Schuhwerk doch seine Vorzüge hatte. Die Verletzung hatte natürlich eine Eiterung zur Folge, die mich wieder auf einige Zeit lahmlegte und mir Muße gab, über die erzielten Resultate meiner Therapie gegen den großen Kulturdegout nachzudenken.
Wenn ich so durch des Schicksals Tücke verdammt war, tagelang auf meiner schmucklosen Bude zu hocken, ohne die geringste Anregung und Zerstreuung, überkam mich immer häufiger eine grenzenlose Langeweile. Allein es gab jetzt kein Zurück mehr, es hieß durchhalten, wenn ich nicht mein Selbstvertrauen gänzlich einbüßen wollte. Ich mußte beweisen, daß ich eine Persönlichkeit war, eine Persönlichkeit mit genügendem inneren Gehalt, die all dieser äußeren Dinge entbehren konnte und in der Beschäftigung mit sich vollauf ihr Genüge fand. Ich hielt mir als erstrebenswertes Beispiel den indischen Yogi vor Augen, der die reale Welt überwunden hat und es durch Konzentration aller seiner Kräfte auf sich selbst vermag, in sich eine Welt, herrlicher, als die wir sehen, zu schaffen.
Lediglich ein fortgesetztes Stieren auf den Nabel bringt bei dem Yogi diesen Zustand der Weltentrücktheit hervor. Ich habe es auch versucht und stundenlang auf dem Boden gekauert und meinen Nabel betrachtet, mit dem einzigen Resultat, daß ich völlig dumm im Kopf wurde und meine Beine einschliefen, sodaß ich nachher weder gehen noch stehen konnte. Von einem Aufgehen im Nirwana nicht die Spur.
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/213&oldid=- (Version vom 1.8.2018)