Wie er wieder nach Hirschberg gelangte, darum kümmerte sich unsere damalige deutsche Justiz den Pfifferling, sie stellte ihn einfach, ohne einen Pfennig Geld auf die Straße, es ihm überlassend, seine weite Heimreise nach Belieben zu bewerkstelligen. Die verdammte Affäre endete immerhin noch glücklich für uns.
Nun ging es an ein Erzählen des Erlebten. Saussele, der bei der Begrüßung wie immer mit dem ganzen Gesicht lachte, mußte zuerst berichten. Die Hauptsache seines Berichtes habe ich schon früher mitgeteilt und es verbleibt mir nur noch nachzutragen, wie Kegelmaier seine Angaben aufnahm.
Auf seine Angabe, daß er den Wachtmeister Kaiser im Verdacht habe, ihm die Flugblätter in die Tasche geschoben zu haben, donnerte ihn der Gewaltige an: „Was! was! wie können Sie das beweisen“. „Ja, beweisen kann ich’s leider nicht, aber den Verdacht habe ich eben“, gab er kühl und gelassen zur Antwort und dabei blieb er, trotz aller Wut Kegelmaiers und des gestrengen Wachtmeisters.
Die Erlebnisse der anderen habe ich gleichfalls schon geschildert. Sie gaben an, daß sie einen gemeinsamen Spaziergang gemacht, von der Flugblattverbreitung nichts wüßten, daß die auf dem Weg zur Polizeiwache gefundenen Flugblätter und Zeitungen nie in ihrem Besitz gewesen seien und daß sie überhaupt nicht wüßten, warum sie verhaftet wurden. Das war das ganze Ergebnis der Voruntersuchung, wahrhaftig ein sehr klägliches. Zu einer Hauptverhandlung kam es überhaupt nicht. 14 Tage später wurden wir sämtlich außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren eingestellt.
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)