Zum Inhalt springen

Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/123

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die nun fortan am schwarz-orange Bändchen auf den exzellenzlichen Busen baumelte und den Gegenstand des aufrichtigen Neides der Damen bildete, die noch nicht zu der kriegsmäßigen Bijouterie gelangt waren.

Man sah diese Damen hoch zu Roß, oft im Männersitz, durch die Straßen sprengen, in Komitees den Vorsitz führen und in Hospitälern eine heillose Verwirrung anrichten. Ihre Taten sind der Nachwelt von gefälligen Zeitungsschreibern erhalten worden. Sie hätten ihr Unwesen wohl bis zum Schlusse des Krieges getrieben und es schließlich zu allen vier Klassen der Georgsmedaille gebracht, wenn die Revolution sie nicht weggefegt hätte.

Wenn diese Sestrizi den Kriegsschauplatz mit ganz besonderen Absichten aufgesucht hatten und nach Befriedigung ihrer Sehnsucht sich wieder auf das Petersburger Parkett zurückbegaben, so hielten Tausende anderer Frauen aus den guten Kreisen bei weitem länger stand, doch schließlich kam die Zeit, wo auch viele von diesen den ihnen lieb gewordenen Wirkungskreis aufgeben mußten.

Der Krieg bringt stets eine gewisse Lockerung der Sitten mit sich, und je länger er dauert, um so weiter und tiefer frißt diese Lockerung, bis sie schließlich, wo der Boden hierzu gegeben, in Zuchtlosigkeit und unverhüllte Bestialität ausartet. Unter solchen Umständen ist es verständlich, daß die Stellung junger Frauen in einer Armee sich ungemein schwierig gestaltet, und daß es seitens dieser Frauen großen Taktes und einer enormen moralischen Widerstandsfähigkeit bedarf, um den auf sie einstürmenden verhüllten und unverhüllten Werbungen aus dem Wege zu gehen und sich den entsittlichenden Einflüssen des Lagerlebens zu entziehen.

Das haben nun sehr viele Sestrizi nicht vermocht; sie sind den Lockungen, die an sie in den verschiedensten Gestalten herantraten, erlegen. Bei vielen von ihnen bedurfte es wohl auch keiner besonderen Verführungskünste, waren sie doch zum Heere gegangen, um dort ein freies und einkömmliches

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)