Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8 | |
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Kastan, die Mutter des jungen Mädchens und zwei mit der Familie Kobelt befreundete junge Handlungsgehilfen, aber auch zwei inzwischen erschienene Kriminalschutzleute beobachteten den Herrn. Sie sahen aber nicht, daß der Herr einen Griff in die Gretchentasche unternommen hatte. Kriminalschutzmann Wendt gewann im Gegenteil sehr bald die Überzeugung: der sehr vornehm aussehende Herr habe es auf das hübsche Gretchen, nicht aber auf den armseligen Inhalt der Gretchentasche abgesehen. Aber plötzlich vermißte Fräulein Kobelt das Portemonnaie. Nun war es ja kein Zweifel, daß der Herr ein abgefeimter Taschendieb war. Herr Kastan veranlaßte die Verhaftung des Diebes. Der „Dieb“ wurde von den zwei Kriminalschutzleuten nach der Wache der in der Mittelstraße belegenen Revierpolizei Nr. 3 geführt. (Dies war, beiläufig erwähnt, dieselbe Polizeiwache, in die am Nachmittag des 12. Mai 1878 der 21jährige Klempnergeselle Max Hödel geführt wurde, nachdem er Unter den Linden, gegenüber dem russischen Botschaftspalais auf Kaiser Wilhelm I. geschossen hatte, als der greise Monarch im offenen Wagen mit seiner Tochter, der Großherzogin Luise von Baden aus dem Tiergarten kommend, in sein Palais fuhr.) Der vermeintliche Taschendieb wurde wie ein gemeiner Verbrecher nach der erwähnten Polizeiwache geführt. Frau Kobelt, nebst ihrer hübschen Tochter und die zwei Handlungsgehilfen, Namens Freund und Färber schlossen sich dem Transport an. Der zufällig anwesende Reviervorstand, Polizeileutnant Friese war über die sonderbare Verhaftung nicht wenig erstaunt. Der angebliche Taschendieb legitimierte sich als russischer Gardeoberst a. D. v. Basilewitsch. Der Polizeioffizier erlangte aus den Papieren des „Taschendiebes“ sofort die Überzeugung, daß dieser dem russischen Hochadel angehöre, ja sogar mit dem russischen Kaiserhause eng verwandt war. Der Gardeoberst wohnte seit Jahren in Meinhardts Hotel Unter den Linden, das damals zu den vornehmsten Hotels der
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/49&oldid=- (Version vom 30.4.2023)